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eröffnet sich zugleich das Angesicht und die Kraftfülle dieser Tugend und ihrer Belohnung: Jesus Christus, der durch sie allein, durch ihre tiefste Ausübung für's ganze Menschengeschlecht zur höchsten Stufe der Herrlichkeit und Belohnung stieg zur Rechten Gottes.

Laffet uns also aufsehen, auf Jesum, den Anfänger und Vollender unseres Glaubens! In seinem größten Drange der Erde, von seinem. Kreuße, und von seinem Him melsthrone ruft er uns zu; Selig, allein selig sind die Armen, Leidtragenden, Sanftmüthigen, Verfolgten um der Gerechtigkeit und göttlicher Milde wegen! denn das Himmelreich ist ihrer: sie sollen satt, reich, getröstet werden! sie sollen in ihrer Kindschaft und Gottesgleiche Gott den Allseligen schauen und immer ihm näher und ähnlicher werden. Wenn wir die Apostel alles verlassend und voll Muth und großer Freude schauen, daß sie würdig geachtet wären, um des Nahmens Jesu willen, Schmach zu leiden sie rufen uns mit ihrer unter allen Leiden fröh lichen Stirn und wonnevollen Herzen zu: Selig sind die entbehren können! die leiden, hungern und dürsten können, der Gerechtigkeit und edelsten Menschengüte wegen: denn der Himmel ist in ih rer Seele. Sie leiden äußerlich viel, aber inwendig. haben sie reichen Trost: ihre Zunge dürstet nach Labung; aber ihr Herz fühlt Freude, wie es keine Speise, kein Trank je geben kann. Sie werden gedrückt, aber Gott richtet sie, wie einen Palmbaum, in die Höhe: der äußere Mensch verweset, aber der innere wird von Tag zu Tage herrlicher. Laßt uns auf unsern erstgebornen Bruder und Erlöser, Christum, sehen: wie er sanftmüthig ist. und von Herzen demüthig, nicht wieder schilt, da er ge= scholten wird, nicht dräuet, da er leidet; er bethet aber

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für seine Verfolger, er ist gutes Muthes, er singet Psalmen: auch von Gott selbst verlassen, hängt er fest an ihm,, und nennt ihn Vater und geht also, als der liebste Gottessohn durch Leiden vollendet, zur Herrlichkeit über: mit überschwänglich füßer, kräftiger, eindringender Stimme ruft er uns vom Kreuge zu: Selig sind, die Leide tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmüthigen! die Barmherzi gen! denn sie sollen Barmherzigkeit erlan gen: die Glückseligkeitsstifter; denn sie sind Gotteskinder: die unschuldig Verfolgten; denn das Himmelreich ist ihrer. Eben in diesem Zustande des Darbens, der Entsagung, der Gottesliebe, Milde und Güte, enthüllt sich der Himmel in ihrer Seele. Im Schooße ihrer schweren Tugend keimt eine neue, endlose Seligkeit höherer Ordnung, die ihnen nie ein befriedigter Trieb der Erde geben konnte, und die sie ewig in immernähernden Kreisen zu Gott bringt, dem Mittelpuncte aller Herrlichkeit, Seligkeit, Güte!

Gott, wir liegen unter der Schale des Jrdischen, und verschmachten unter aller Fülle von äußerer Ruhe und Wohlthat, die du uns gibst, inwendig am Geiste. Und je mehr unsere äußere Wünsche und Phantasien sich erfüllen, müssen wir verschmachten. Dein Geist allein muß uns wecken, und uns die schwere Tugend lehren, dazu wir hier sind, daß wir alle durch Verläugnung des Irdischen, durch Gewöhnung unserer Seele zu Tugenden und Seligkeiten eines höhern Reiches, deinem Willen gleichförmig werden, o Vater. Laß uns nicht umsonst Christen seyn, Heiland! edelster und erster der Menschen und unser Bruder! Laß uns unter deinen ersten Erwählten und Auserkohrnen seyn, die dir der Vater gegeben, die an dir, dem Kraft und

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Mittelpuncte aller leidenden und thätigen. Tugend, zum Himmelreiche der Gottesgleiche, neuer, höherer Seligkeit eingehen. Wenn ungeachtet unseres guten Willens uns die Affecten zur Erde reißen, die Bequemlichkeit, das Fleisch, die Liebe zum Irdischen, oder wenn wir leiden, der Zorn, die Rache, die Ungeduld aufwacht, oder wir über Andere herrschen und sie unterdrücken wollen: o rufe uns zu, Heiland! von deinem Kreuße und von deinem Throne: se= lig, allein felig sind 2c. und gib uns auch auf den ersten Stufen des Kampfes und der Ueberwindung schon Tropfen des Meeres von Seligkeit zu schmecken, das auf die völligen Ueberwinder wartet: damit wir in unserm Laufe nicht ablaffen, bis zum Ziele!

XXIII.

Ueber das Gebeth.

(Sehalten zu Riga, 1778.)

Kann ich, darf ich, soll ich zu meinem Gott bethen oder nicht bethen? Welch eine Betrachtung könnte einer menschlichen Seele wohl empfehlender und wichtiger seyn, darüber nachzudenken, sich eine Art von Gewißheit und Ueberzeugung zu ver schaffen, als diese!

Kann ich zumeinem Gott bethen? Ich sehe so viel Bethende um mich, die hinzugehen, ohne vielleicht je über diese Frage nachgedacht zu haben: die mit ihrem Gebethe so kühn und so knechtisch zu Gott um seine Hülfe abzuholen gehen, als bey einem Baume, um Früchte ab

zuschütteln; Bethende, die ihr Gebeth als ein Zaubermite tel brauchen, um Wunderdinge durch den lieben Gott zu erreichen, die sie nicht durch sich selbst erreichen konnten; Bethende, die Gott mit Schmeicheleyen und kindischen Lobeserhebungen auf ihre Seite zu bringen gedenken, daß er ihre Parten gegen andere oder gegen das Unglück nehme; Bethende, die thöricht genug sind, um Gott Zeit, Maaß, Stunde und Gattung der Hülfe vorzuschreiben; Bethende, die ohne gehörige Ehrerbiethung und Anstand, ohne Erhebung der Seele und Andacht, ja gar ohne einen vernünftigen Gedanken bey ihrem Plappern, bey ihrer gewohnheitsmäßigen Plauderey zu haben, bethen; Bethende, die die Lasterhaftesten unter den Menschen sind, die sich kaum vor das Auge eines ehrlichen Mannes ohne Abscheu zu wagen getreuen, und doch so dreist sind, als bekannte Freunde Gottes in seinem geheimen Rathssaale mit kühnen Forderungen zu erscheinen kurz, ich sehe, daß der größte Theil der Bethenden solche niedrige, schlechte und unwürdige Begriffe vom Gebethe hat, und sie täglich im Gebethe äußert daß solche Beyspiele wohl nicht Lockungen dazu seyn könnten. Wenn, sollte man denken, wenn solche lasterhafte, niederträchtige Seelen auf so niederträchtige, todte Art, in so niederträchtiger oder gar böser Absicht bethen: wer wollte mit ihnen bethen? wer wollte ihrem Erempel folgen?

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Es ist wahr, meine Zuhörer, daß eine jede nachdenkende Seele ungemein oft. Unstoß daher bekommen muß, wenn man sieht, wie viele Unwürdige, Niederträchtige sich mit dem edelsten Dinge, das sie Gebeth nennen, zu Gott drängen, und daß solche Beyspiele, solche unwürdige Begriffe schon uns dasselbe sehr verleiden, uns in der Frage sehr bange machen können: Kann ich, darf ich, soll ich Herder's Werke z. Rel. u. Theol 4. Th.

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zu meinem Gott bethen? Wie? ist aber eine würdigere Art von Gebeth, als eine solche möglich? kann ich wohl bethen, ohne die erhabenen Begriffe zu verläugnen, die ich von dem vollkommensten Gott habe? darf ich zir ihm bethen, ohne daß es doch schiene, als wollte ich seine Almacht mit meinem Gebethe mir zu eigen machen? sein Mitleiden und seine Parteylichkeit gewinnen? darf ich bethen, ohne daß es das Ansehen hätte, als wollte ich seine Weisheit meistern, seiner allwaltenden Regierung Mittel und Wege vorschreiben; als wollte ich, daß mein Gebeth die Welt regiere? darf ich bethen, ohne doch seine Allwif= senheit zurückzuseßen scheinen, mit der er ja alle meine Unliegen und die verborgenste Situation meiner Noth kennet? ohne seine Güte zu verkleinern, die mir ja selbst immer das Beste geben wird?

Darf ich bethen, ohne vielleicht zu viel zu fordern, daß Gott sich um die Angelegenheiten eines einzelnen Wurmes bekümmern soll? ohne unverschämt zu feyn, daß er die Stimme eines Elenden, wie ich bin, in dem gan= zen Chor seiner Geschöpfe, in der Vielheit aller seiner Welten, unterscheiden, und zu Ohren nehmen soll?

Darf ich bethen, ohne eine Unverschämtheit zu begehen und mit dem Herrn Herrn zu sprechen, wie wohl ich Staub und Asche bin? darf ich bethen, ohne vielleicht meinem eigenen Glücke zu schaden, und mit meinem Gebethe mir selbst ein Unglück in den Arm zu bitten? darf ich bethen, ohne nicht vielleicht mit jedem Worte meines Gebeths vor dem höchsten Wesen als ein dummer, schwacher, unwiffender und kühner Thor zu erscheinen? Darf und soll ich bethen? Findet meine Stimme denn das Öhr des Allerhöchsten, des= fen Siz und Wohnung ich nicht weiß? ich be

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