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allgemeinen Lust und Vertraulichkeit. Wir sahen eben wie das Ele= ment, welches das Volk zur Bildung hergegeben, jene uralte Sagenpoesie war, die wie ein leises Murmeln fortlief durch alle Geschlechter, bis der Lezten Eines sie zur vollen Sprache bildete; das parallel gegen= über eingreifende Moment in den Büchern aber ist der durchaus stammhafte, sinnlich kräftige, derbe, markirte Charakter, in dem sie gedacht und gedichtet sind, mit Holzstöcken und starken Lichtern und schwarzen Schatten abgedruckt, mit wenigen festen, groben, kecken Strichen viel und gut bezeichnend. So nur kann die Poesie dem Volke etwas seyn, nur für den starken, derbanschlagenden Ton, hat dieser grobgefaserte Boden, Resonanz, und die starke Fiber kann dem tief Einschneidenden nur ertönen. Nur dadurch wird die Poeste zur Volkspoesie, daß sie seinen Formen sich eingestaltet; hat die Natur in diesen Formen ihre bildende Kraft offenbaren wollen, dann darf die Kunst auf keine Weise sich scheuen ihr zu folgen in dieser Metamorphose, und im Worte wieder auszuprägen, was jene stumm und still gestaltete. Aber doch ist nicht so ganz gleichmäßig in allen diesen Bildungen ohne Unterschied derselbe Geist herrschend; durch die ganze fortlaufende Entwicklung der Zeit ist die Kunst von fernher der Nation gefolgt, und die vorzüglichsten Epochen dieser allmähligen Entwicklung sind durch eben soviel vorstechende Werke bezeichnet. Als die etruscischen Satyren, und die oscischen Atellanen zuerst eingeführt wurden in Rom, da nahm das Volk sie freudig und willig auf: überrascht fand es seine ganze Natur, in diesen rohen, wilden, barbarischen Gestaltungen wiederscheinend; die Kunst rang mit seiner Kraft und seiner innern Energie, und es rang wieder mit dem Geiste, der so derb anzufassen wußte, und es gewana Geschmack dem Schimpfspiel ab zwischen seinen Kräften und den Kräften des fremden wunderbaren Zaubers, und alle Poesie war noch ganz Volkspoesie im eigentlichen Sinn, und in Allem war große, feste, kernhafte Alpennatur. Nicht auf dieser Stufe von Gediegenheit hat in neuern Zeiten sich das Volk erhalten; schon dadurch, daß eben ein höherer Anflug aus der Masse sich heraus verflüchtigte, und gerade das Geistigste ihm ntführte, mußte der Rückstand im Gegensah mit diesem Flüchtigen jewissermaßen einen mehr phlegmatischen und minder elastischen Chaafter annehmen, und manche der ältesten Volksbücher, die dem früheen, antiken Volksgeist rein zusagten, sind dem Gegenwärtigen fremd jeworden; und manche Neuere, indem sie jenem veränderten Genius ich anschmiegten, traten zugleich in einer Form hervor, die nicht ganz tehr mit jener Normalen zusammenstimmen will. Es ziehen keine iren mehr durch unsere Wälder, keine Elennthiere und keine Auersen; mit Ihnen ist daher auch das Bärenhafte, was die ältesten Jen und Bildungen bezeichnet, gewichen, und wie die Sonnenstrahlen die gelichteten Wälder Bahn sich brachen, hat auch in der enthenden Kunstentwicklung ein milderer Geist Plaz gegriffen, der hmal rein für sich in einzlen Bildungen dasteht, manchmal mit a Früheren sich verschmelzend, einen gewissen mittelschlägigen Cha= er bildet. Nicht mehr des Ursen und des Bären unbändige Wild

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heit spricht daher aus diesen Büchern, wohl aber ein rascher, gesunder, frischer Geist, wie er das Reh durchs Dickicht treibt, und in den andern Thieren des Waldes lebt; es ist nichts Zahmes, Häusliches, Gepflegtes in Ihnen, Alles wie draußen im wilden Forst geworden, geboren im Eichenschatten, erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die Höhen schweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend. Das ist der eigentliche Geist jener Schriften, fern von Jenem, den man in den neuesten Zeiten in den Noth- und Hülfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde Bähung seinen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die, obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfnissen entsprechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von dem chronisch- krankhaften Geist der Zeit.

Wenn man, was wir in diesen wenigen Blättern über den Charakter und das Wesen dieser Bücher beigebracht, erwägt; wenn man, so oft die Hoffart auf unsere feinere Poesie uns übernehmen will, bedenkt, wie es das Volk doch immer ist, was uns im Frühlinge die ersten, die wohlriechendsten und erquickendsten Blumen aus seinen Wäldern und Hegen bringt, wenn auch später freilich der Lurus unserer Blumengärten sich geltend macht, deren schönste Zierden aber immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man sich besinnt, wie überhaupt alle Poeste ursprünglich doch immer von ihm ausgegangen ist, weil alle Institution und alle Verfassung, und das ganze Gerüste der höheren Stände, immer sich zuleht auf diesen Boden gründet, und in den ersten die gleiche poetische, wie politische und moralische Naivität herrschend war, dann können wir wohl endlich vorausseßen, daß jedes Vorurtheil gegen dies große Organ im allgemeinen Kunstkörper verschwunden sey, und wir haben uns Bahn gemacht zur gehörigen Würdigung dieser Schriften im Einzelnen.

XCVIII. Louise, Königin von Preußen.

(10. März 1776

1810.)

Die Königin Louise von Preußen an ihren Vater, den Herzog von Meklenburg-Strelig.

Memel, den 17. Juni 1807.

Mit der innigften Rührung und unter Thränen der dankbarsten Zärtlichkeit habe ich Ihren Brief vom Monat April gelesen. Wie soll ich Ihnen danken, bester, zärtlichster Vater, für die vielen Beweise Ihrer Liebe, Ihrer Huld, Ihrer unbeschreiblichen Vatergüte! Welcher Troft ist dieses nicht für mich in meinem Leiden und welche Stärkung! Wenn man so geliebt wird, kann man nicht ganz unglücklich sein.

Es ist wieder aufs Neue ein ungeheures Ungemach über uns gekommen, und wir stehen auf dem Punkt, das Königreich zu verlassen.

Bedenken Sie, wie mir dadei ist; doch bei Gott beschwöre ich Sie, verkennen Sie Ihre Tochter nicht! Glauben Sie ja nicht, daß Kleinmuth mein Haupt beugt. Zwei Hauptgründe habe ich, die mich über Alles erheben; der erste ist der Gedanke: wir sind kein Spiel des blinden Zufalls, sondern wir stehen in Gottes Hand, und die Vorsehung leitet uns; der zweite: wir gehen mit Ehre unter. Der König hat bewiesen, der Welt hat er es bewiesen, daß er nicht Schande, sondern Ehre will. Preußen wollte nicht freiwillig Sklavenketten tragen. Auch nicht einen Schritt hat der König anders handeln können, ohne seinem Charakter ungetreu und an seinem Volke Verräther zu werden. Wie dieses stärkt, kann nur der fühlen, den wahres Ehrgefühl durchströmt. Doch zur Sache.

Durch die unglückliche Schlacht von Friedland kam Königsberg in französische Hände. Wir sind vom Feinde gedrängt, und wenn die Gefahr nur etwas näher rückt, so bin ich in die Nothwendigkeit versezt, mit meinen Kindern Memel zu verlassen. Der König wird sich wieder mit dem Kaiser vereinigen. Ich gehe, sobald dringende Gefahr eintritt, nach Riga: Gott wird mir helfen, den Augenblick zu bestehen, wo ich über die Grenzen des Reichs muß. Da wird es Kraft erfor= dern; aber ich richte meinen Blick gen Himmel, von wo alles Gute und Böse kommt, und mein fester Glaube ist: er- schickt nicht Mehr, als wir tragen können! Noch ein Mal, bester Vater, wir gehen unter mit Ehren, geachtet von Nationen, und wir werden ewig Freunde haben, weil wir sie verdienen. Wie beruhigend dieser Gedanke ist, läßt sich nicht sagen. Ich ertrage Alles mit einer solchen Ruhe und Gelassenheit, die nur Ruhe des Gewissens und reine Zuversicht geben kann. Deßwegen sein Sie überzeugt, bester Vater, daß wir nie ganz unglücklich sein können, und daß Mancher, mit Kronen und Glück bedrückt, nicht so froh ist, als wir es sind. Gott schenke jedem Guten den Frieden in seiner Brust, und er wird noch immer Ursache zur Freude haben. Noch Eins zu Ihrem Troste, daß nie Etwas von unsrer Seite geschehen wird, das nicht mit der strengsten Ehre verträglich ist, und was mit dem Ganzen gehet. Denken Sie nicht an einzelne Erbärmlichkeit. Auch Sie wird das trösten, das weiß ich, so wie Alle, die mir angehören. Ich bin auf ewig Ihre treue, gehorsame, Sie innigliebende Tochter, und Gott Lob, daß ich es sagen kann, da Ihre Gnade mich dazu berechtigt

Ihre Freundin

Louise.

XCIX. Johann Friedrich Herbart.

(1776.)

Aus der Psychologie als Wissenschaft.“ *) Weßhalb sind wir so geneigt, uns in der Psychologie mit Abstractionen zu behelfen?

(Erster Theil. S. 19 u. ff.)

In andern Wissenschaften ist die Abstraction ein absichtliches Verfahren; wobei man weiß, was man zurücklegt, und warum man anderes hervorhebt. Die Reflexion hält gerade diejenigen Begriffe vest, unter welchen gewisse merkwürdige Relationen statt finden; und nachdem dieselben untersucht sind, steht es der Determination frei, die gesezmäßige Anwendung davon auf den Umfang der Begriffe zu machen. In der Psychologie sind dagegen unsre Aussagen von dem innerlich Wahrgenommenen schon unwillkührlich Abstractionen, ehe wir es wissen, und sie werden es noch immer mehr, je bestimmter wir uns darüber erklären wollen.

Sie sind schon Abstractionen, ehe wir es wissen. Denn die genaue Bestimmung des Fließenden unserer Zustände (durch Ordinaten, zu denen die Zeit als Abscissenlinie gehören würde,) fehlt schon, indem wir dieselben zum Object unsers Vorstellens machen. Sie verliert sich immer mehr, je länger wir die Erinnerung an ein innerlich Wahrgenommenes aufbehalten wollen.. Sie verfälscht sich, je mehr wir uns anstrengen, fie vest zu halten; denn eben dadurch mischt sie sich mit dem übrigen Vorrathe unserer verwandten Vorstellungen.

Aber auch je bestimmter wir uns darüber erklären wollen, desto weiter kommen wir ab von der Wahrheit dessen, was eigentlich wahrgenommen wurde, und desto tiefer gerathen wir in die Abstractionen hinein. Aus einem zweifachen Grunde.

Erstlich, je mehr wir uns bemühen, recht getreulich nur Das zu berichten, was wir erfahren haben: desto lieber verschweigen wir Alles was wir nicht genau bemerkten, was wir nicht gewiß verbürgen können; wir heben demnach nur das Gewisseste heraus. Daher laffen wir in der Erinnerung an die inneren Wahrnehmungen absichtlich los von dem, dessen Schwankung wir fühlen, dessen bestimmte Angabe wir nicht zu erreichen hoffen. Was wir übrig behalten, ist ein Abstractum. Dies Verfahren herrscht sichtbar in allen Psychologien. Die Verfasser derselben sprechen z. B. recht gern vom Gedächtniß; denn daß es überhaupt ein solches gebe, daran zu zweifeln fällt ihnen nicht ein; jeder Mensch muß ja unzählige Thatsachen dafür anführen können! Aber schon von den nächsten Arten, welche der Gattung: Gedächtniß,

*) „Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphyük und Mathematik. Von Johann Friedrich Herbart, Professor der Philosophie zu Königsberg. 2 Theile. Königsberg 1824 und 1825.“

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untergeordnet sind, als von dem Ortgedächtniß, dem Namengedächtniß, dem Zahlengedächtniß, dem Gedächtniß für Begriffe und Lehrsäße, für Urtheile und Schlüsse, für die Empfindungen während des Denkens, Ueberlegens und Beschließens, für das Wünschen und Wollen, für das was man gethan oder gelitten hat: hievon getrauen sich die Psychologen nicht, uns viel zu sagen. Warum denn nicht? Doch wohl nicht darum, weil das Gedächtniß schon beim niedern Vorstellungsvermögen abge= handelt wird, und es an diesem Orte in den Büchern ein vsepov лρoτερоv seyn würde, schon auf Begriffe, Urtheile, Schlüsse, auf Fühlen und Wollen, Rücksicht zu nehmen? Denn hieraus würde bloß folgen, daß die Stellung der Lehre vom Gedächtniß eine Veränderung erleiden müsse. Aber daran liegt der Fehler, daß beim genauern Eingehn auf das Specielle, und auf die einzelnen Thatsachen, sich das Gedächtniß nicht so bequem würde losreißen und abgesondert als eine eigene Seelenkraft hinstellen lassen; indem in jedem einzelnen Falle sich eine Menge von schwer zu bemerkenden, und noch schwerer zu beschreibenden, daher gern mit Stillschweigen übergangenen Nebenumständen geltend machen, die theils auf das erste Auffassen, theils auf das Merken, theils auf das Verknüpfen mit andern Vorstellungen, theils auf den Vorsag des Behaltens und das Interesse des Gegenstandes, theils auf die Zeit, während welcher das Gemerkte noch vor dem ersten Verschwinden im Bewußtseyn gegenwärtig blieb, theils auf die Gemüthszustände in der Zwischenzeit bis zur Reproduction, theils auf die Reproduction selbst, ihre Geschwindigkeit, Lebhaftigkeit und Treue, Einfluß gehabt haben, und die bei jenen Arten des Gedächtnisses sehr verschieden zu seyn und zu wirken pflegen. Der Erste, der dies Alles gehörig in Erwägung zieht, und dabei mit der Genauigkeit eines tüchtigen Physikers zu Werke geht, wird finden, daß die vermeinten Nebenumstände die Hauptsache sind, und daß von dem sogenannten Gedächtniß nichts als der leere Name übrig bleibt.

Jede andere Seelenkraft würde auf gleiche Weise zum Beispiel dienen können. Ueberall werden die obersten Gattungsbegriffe mit der größten Dreistigkeit hingestellt; allein überall fehlt die Achtsamkeit auf das Specielle, und die genaue Beschreibung des Einzelnen; und doch ist es eben dies, worauf in einer empirischen Wissen= schaft Alles ankommt! Oder hat schon Jemand vollständig nachgewiesen, wie sich die Einbildungskraft verschiedentlich in Dichtern, in Gelehrten, in Denkern, in Staatsmännern, in Feldherren, äußere? Was den Verstand der Frauen, der Künstler nnd der Logiker unterscheide? Welche Abstufungen die Vernunft in ihrer Entwickelung zeige, bei Kindern und Erwachsenen, bei Wilden, Barbaren, Gebildeten, bei Bauern, Handwerkern, und bei den höhern Ständen? Doch die Erwähnung des Verstandes und der Vernunft, zweier Namen, die neuerlich so verschiedene Auslegungen erhalten haben, daß kaum noch etwas Gemeinsames übrig bleibt, erinnert mich, fortzugehen zu dem zweiten Grunde, der uns in den psychologischen Abstractionen vesthält, und uns immer mehr darin vertieft.

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