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werden, seine herrlichen Briefe nicht verschlossen bleiben, und aus diesen selbsteigenen Zeugnissen wird alles über ihn Gesagte erst in sein wahres Licht und Verständniß treten.

3. Charakterschilderung Rahels.

Ich darf hier keine Schilderung meiner geliebten Rahel versuchen; sie ganz zu kennen und zu würdigen, kann ich niemanden zumuthen, der nicht in anhaltender Fortdauer und in allen Beziehungen ihr vertrauter Lebensgenosse war; denn selbst ihre Briefe, wie reich und eigenthümlich auch die Quellen ihres Geistes und Gemüthes dort sprudeln, geben nur ein unvollkommenes Bild von ihrem Wesen, dessen Hauptsache grade die ursprüngliche, unmittelbare Lebendigkeit ist, wo alles ganz anders aussieht, leuchtet und schattet, erregt und fortreißt, begütigt und versöhnt, als irgend Bericht oder Darstellung wiederzugeben vermag. Ich will nur unternehmen, in kurzen Zügen den Eindruck zu bezeichnen, welchen dies Wesen damals auf mich machte.

Zuvörderft kann ich sagen, daß ich in ihrer Gegenwart das volle Gefühl hatte, einen ächten Menschen, dies herrliche Gottesgeschöpf in seinem reinsten und vollständigsten Typus vor Augen zu haben, überall Natur und Geist in frischem Wechselhauche, überall organisches Gebild, zuckende Faser, mitlebender Zusammenhang für die ganze Natur, überall originale und naive Geistes- und Sinnesäußerungen, großartig durch Unschuld und durch Klugheit, und dabei in Worten wie in Handlungen die rascheste, gewandteste, zutreffendste Gegenwart. Dieß alles war durchwärmt von der reinsten Güte, der schönsten, stets regen und thätigen Menschenliebe, die lebhaftefte Theilnahme für fremdes Wohl und Weh. Die Vorzüge menschlicher Erscheinung, die mir bisher einzeln begegnet waren, fand ich hier beisammen, Geist und Wiz, Liefsinn und Wahrheitsliebe, Einbildungskraft und Laune, verbunden zu einer Folge von raschen, leisen, graziösen Lebensbewegungen, welche gleich Goethes Wor ten, ganz dicht an der Sache sich halten, ja diese selber sind, und mit der ganzen Macht ihres tiefsten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben allem Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die weibliche Milde und Anmuth hervor, welche besonders den Augen und dem edlen Munde den lieblichsten Ausdruck gab, ohne den starken der gewaltigsten Leidenschaft und des heftigsten Aufwallens zu verhindern.

Ob man sich in dieser Mischung von entgegenstehenden Gaben und streitigen Elementen, wie ich sie anzudeuten versucht habe, sogleich zurecht finden wird, bezweifle ich fast. Mir wenigstens war es beschieden, erst vermittelst mancher Ungewißheit und manches Irrthums auf die rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle bestimmt und auf immer fest war, daß mir der außerordentlichste und weithvollste Gegenstand vor Augen sey. Irgend ein Vorurtheil, wie das mißfällige Gerede der Leute aus den verschiedensten Kreisen und Standpunkten seit so langer Zeit mir wohl hätte aufbürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre dasselbe an ihrer Gegenwart sogleich zerschellt; der schlichte, natürliche Empfang, die harmlose Klarheit und das anspruchlose Wohlbehagen

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des anfänglich nur auf Gleichgültigkeiten fallenden Gesprächs, mußten jede mitgebrachte Spannung auflösen, und nach und nach erhob sich dagegen eine neue, die ganz dem Augenblicke selber angehörte, und schon darin begründet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der frische Quell aus dem Felsen, auch dem Gleichgültigsten einen Reiz des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Ursprünglichkeit gab, welche durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche zu Ungewöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf diese Weise eine neue Atmosphäre, die mich wie Poesie anwehte, und zwar durch das Gegentheil deffen, was gemeinhin so heißt, durch Wirklichkeit anstatt der Täuschung, durch Aechtheit, anstatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unser Gespräch, dem nach allen Seiten so viele Wege vollkommen vorbereitet waren, sehr bald auf bedeutendere Dinge überging, und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen Bücher, Personen und Verhältnisse, die jeder von seiner Seite kannte, und auch dem andern bekannt wußte, den ergiebigen Stoff nicht mangeln ließen.

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Bei dieser Gelegenheit muß ich doch erwähnen, was der bekannte Ausdruck,,Gentleman" eigentlich sagen will, da die Bedeutung, welche man ihm im Lande giebt, die Engländer ungemein gut charakterisirt. Ein Gentleman heißt weder ein Edelmann, noch ein edler Mann, sondern, wenn man es streng betrachtet, nur: ein durch Vermögen, und genaue Bekanntschaft mit den Gebräuchen der guten Gesellschaft unabhängiger Mann. Wer dem Publikum in irgend einer Art dient, oder für dasselbe arbeitet, höhere Staatsdiener und etwa Dichter und Künstler erster Categorie ausgenommen, ist kein, oder höchstens nur zur Hälfte Gentleman. Ich war noch vor kurzem sehr erstaunt, einen bekannten Herrn, den wenigstens alle Pferdeliebhaber im In- und Auslande kennen, der reich ist, mit manchem Herzog und Lord auf vertrautem Fuße steht, und überhaupt recht viel Ansehn genießt, aber dennoch wöchentlich in einer großen Anstalt Pferde verauctionirt, wodurch er dem Publikum gewissermaßen verpflichtet wird von sich selbst sagen zu hören: „Ich

*,,Briefe eines Verstorbenen. Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, (in den zwei legten Bänden: Deutschland, Holland und England") geschrieben in den Jahren 1828 und 1829. München. F. G. Franckh. Vier Theile. 1830–1831.“ 8.

kann nicht begreifen, wie mir der Herzog von B... den Auftrag geben konnte, dem Grafen M... eine Ausforderung zu überreichen, dazu hätte er einen Gentleman wählen müssen meine Sache ist so etwas nicht."

Ein wirklich armer Mann, der auch keine Schulden zu machen im Stande ist, kann unter keiner Bedingung ein Gentleman seyn, weil er von Allen der abhängigste ist. Ein reicher Schuft dagegen kann, wenn er eine gute Erziehung hat, so lange er seinen Charakter (Ruf) leidlich zu menagiren versteht, sogar für einen perfekt Gentleman gelten. In der exclusiven Gesellschaft Londons giebt es noch feinere Nüancen. Wer dort z. B. schüchtern und höflich gegen Damen sich beträgt, statt vertraulich, ohne viele Rücksicht und mit einer gewiffen nonchalance sie zu behandeln, wird den Verdacht erregen, daß er kein Gentleman sey; sollte der Unglückliche aber, bei einem diné gar zweimal Suppe verlan= gen, oder, bei einem großen Frühstück, welches um Mitternacht endet und um 3 Uhr Nachmittags angeht, in einer Abendtoilette erscheinen so mag er ein Fürst und Millionär seyn, aber ein Gentleman ist er nicht.

2. Kunst, bequem zu reisen.
(Dritter Theil. S. 4.)

Leipzig, den 11.

In einem recht schönen Zimmer mit wohlgebohntem Parket, eleganten Meubeln und seidenen Vorhängen, alles noch in der ersten fraîcheur, deckt man so eben den Tisch für mein diné, während ich die Zeit benüße, Dir ein Paar Worte zu schreiben.

Ich verließ heute früh um 10 Uhr Dresden in ziemlich guter Stimmung, das heißt, bunte Phantasiebilder für die Zukunft ausmahlend, nur die Sehnsucht nach Dir, gute Julie, und die daraus folgende Vergleichung meines faden und freudelosen Alleinseyns gegen die herrliche Lust, mit Dir in glücklicheren Verhältnissen diese Reise machen zu können, griffen mir oft peinlich an's Herz.

Vom Wege hierher ist nicht viel zu sagen, er ist nicht romantisch, selbst nicht die, mehr Sand als Grün zur Schau tragenden Weinberge bis Meißen. Doch erregt die zu offene, aber durch Fruchtbarkeit und Frische ansprechende Gegend zuweilen angenehme Eindrücke, unter andern bei Oschat, wo der schön bebuschte Culmberg, wie ein jugentlich gelocktes Haupt in das Land hineinschaut. Die Chauffee ist gut, und es scheint, daß auch in Sachsen das Postwesen sich verbessert, seitdem in Preußen der vortreffliche Nagler eine neue Post-Acra geschaffen hat. Nichts ist mir dabei belustigender als B...'s frischer Eifer, der selbst die Gutwilligsten unter den Pflegmatischen rastlos antreibt, und sich gegen sie benimmt, als habe er bereits mit mir die ganze Welt durchreist, und es, wie sich von selbst versteht, überall besser gefunden, als im VaterLande.

Bei dem gereizten Zustande meiner Gesundheit ist der bequeme englische Wagen eine wahre Wohlthat. Ich thue mir überhaupt etwas darauf zu Gute, das Reisen in gewisser Hinsicht beffer als Andere zu

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verstehen, nämlich die größte Bequemlichkeit, wozu auch das Mitnehmen der möglichsten Menge von Sachen gehört (in der Ferne oft liebe, gewohnte Andenken) mit dem geringsten Embarras und Zeitverlust zu verbinden zu wiffen. Diese Aufgabe habe ich besonders dießmal vollkommen gelöst. Ehe ich in Dresden einpackte, glaubte man ein Waarenlager in meinen Stuben zu sehen. Jezt ist Alles in den vielfachen Behältnissen des Wagens verschwunden, ohne diesem dennoch ein schweres überladenes Ansehen zu geben, das unsre Postillione so leicht erschreckt, und den Gastwirthen einen auf der großen Tour Begriffenen anzeigt. Jede Sache ist bei der Hand, und dennoch wohl gesondert, so daß, im Nachtquartier angekommen, in wenigen Minuten das häusliche Verhältniß in dem fremden Orte schon wieder hergestellt ist. Unterwegs aber geben mir die hellen Krystallfenster vom größten Format, die kein Gepäck und kein Bock verbaut, eben so freie Aussicht als eine offene Kalesche, und lassen mich zugleich Herr der Temperatur, die ich wünsche. Die Leute auf ihrem, hinter dem Wagen befindlichen hohen Size, übersehen von dort alles Gepäck und die Pferde, ohne in das Innere neugierige Blicke werfen, noch eine Conversation daselbst überhören zu können, wenn ja, im Lande der Brobdignacs oder Lilliputs angelangt, einmal Staatsgeheimnisse darin verhandelt werden sollten. Ich könnte ein Collegium über dieses Kapitel lesen, das dem Reisenden gar nicht unwichtig ist, bin aber hier nur deshalb so weitläufig geworden, um Dir ein vollständiges Bild zu liefern, wie Du mich, die Welt durchziehend, Dir denken follft, und das nomadische Wohnhaus, mit dem die wechselnden Postgäule mich täglich weiter Deinem Gesichtskreise entrücken.

3. Besuch bei
bei Goethe.
(Dritter Theil. S. 13.)

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Den 14.

Diesen Abend stattete ich Goethe meinen Besuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stube, deren clair obscur nicht ohne einige künstlerische Coquetterie arrangirt war. Auch nahm sich der schöne Greis mit seinem Jupiters - Antlig_gar stattlich darin aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum geschwächt, er ist vielleicht weniger lebhaft als sonst, aber desto gleicher und milder, und seine Unterhaltung mehr von erhabener Ruhe als jenem blizenden Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller Grandezza, wohl zuweilen überraschte. Ich freute mich herzlich über seine gute Gesundheit, und äußerte scherzend, wie froh es mich mache, unsern Geister - König immer gleich majestätisch und wohlauf zu finden.,,, Sie sind zu gnädig," sagte er mit seiner immer noch nicht verwischten süddeutschen Weise, und lächelte norddeutsch, satyrisch dazu,,,mir einen solchen Namen zu geben." Nein," erwiederte ich, wahrlich aus vollem Herzen,“ „nicht nur König, sondern sogar Despot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltsam mit fich fort." Er verbeugte sich höflich, und befrug mich nun über einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, sagte mir

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dann auch viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben, mildäußernd, wie verdienstlich er es überall finde, den Schönheitssinn zu erwecken, es sey auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer auch das Gute und alles Edle sich mannichfach von selbst ent wickele, und gab mir zuleht sogar, auf meine Bitte, uns dort einmal zu besuchen, einige aufmunternde Hoffnung. Du kannst Dir vorstellen, Liebste, mit welchem Empressement ich dies aufgriff, wenn es gleich nur eine façon de parler seyn mochte. Im fernern Verlauf des Gesprächs, kamen wir auf Sir Walter Scott. Goethe war eben nicht sehr enthu siastisch für den großen Unbekannten eingenommen. Er zweifle gar nicht," sagte er, daß er seine Romane schreibe, wie die alten Maler mit ihren Schülern gemeinschaftlich gemalt hätten, nämlich, er gäbe Plan und Hauptgedanken, das Skelett der Scenen an, laffe aber die Schüler dann ausführen, und retouchire nur zuletzt." Es schien faft, als wäre er der Meinung, daß es gar nicht der Mühe werth sey, für einen Mann von Walter Scott's Eminenz seine Zeit zu so viel fasti dieusen Details herzugeben. *),,Hätte ich," ,,Hätte ich," sezte er hinzu,,,mich zu bloßem Gewinnsuchen verstehen mögen, ich hätte früher mit Lenz und Andern, ja ich wollte noch jest Dinge anonym in die Welt schicken, über welche die Leute nicht wenig erstaunen, und sich den Kopf über den Autor zerbrechen sollten, aber am Ende würden es doch nur Fabrikarbeiten bleiben." Ich äußerte später, daß es wohlthuend für die Deut schen sey, zu sehen, wie jezt unsere Literatur die fremden Nationen gleichsam erobere, und hierbei, fuhr ich fort, wird unser Napoleon kein Waaterloo erleben.

,,Gewiß," erwiederte er," mein etwas fades Compliment überhörend, ganz abgesehen von unsern eignen Produktionen, stehen wir schon durch das Aufnehmen und völlige Aneignen des Fremden auf einer sehr hohen Stufe der Bildung. Die andern Nationen werden bald schon deshalb deutsch lernen, weil sie inne werden müssen, daß sie sich damit das Lernen fast aller andern Sprachen gewissermaßen ersparen können. Denn von welcher befizen wir nicht die gediegensten Werke in vortrefflichen deutschen Uebersehungen? die alten Classiker, die Meisterwerke des neueren Europas, indische und morgenländische Literatur, hat sie nicht alle der Reichthum und die Vielseitigkeit der deutschen Sprache, wie der treue deutsche Fleiß und tief in sie eindringende Genius besser wiedergegeben, als es in andern Sprachen der Fall ist?,,Frankreich, fuhr er fort, „hat gar viel seines einstigen Uebergewichts in der Literatur dem Umstande zu verdanken gehabt, daß es am frühesten aus dem Griechischen und Lateinischen leidliche Uebersehungen lieferte, aber wie vollständig hat Deutschland es seitdem übertroffen!"

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Im politischen Felde schien er nicht viel auf die so beliebten Con= stitutions-Theorien zu geben. Ich vertheidigte mich und meine Meinung indeß ziemlich warm. Er kam hier auf seine Lieblings-Idee, die er

*) Sir Walter's offizielle Erklärung, daß alle jene Schriften von ihm allein seyen, war damals noch nicht gegeben.

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