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änderte Stellung in Rücksicht ihrer Verwaltung. Sie waren nun nicht mehr einem Landmeister, einer vom Hochmeister in so manchen Beziehungen sehr abhängigen, oft wechselnden oder im Lande abwesenden und beständig durch Verhältnisse des Krieges und des Friedens vielfach beschäftigten Behörde, sondern nunmehr in allen wichtigen Dingen dem obersten Ordenshaupte unmittelbar selbst untergeben. Alles, was in ihren Landbezirken neu anzuordnen, in ihren Städten besser zu regeln, in der Verwaltung ihrer Gebiete näher zu beachten und in ihren Ordenshäusern neu einzurichten war, mußten sie nun mit dem Hochmeister, dem Landesfürsten selbst berathen und von ihm selbst erhielten sie die Bestä tigung und Genehmigung ihrer Plane und Vorschläge in dem Geschäftskreise ihrer Aemter. Dadurch ward bald ein ganz anderer Geist in des Landes innerer Verwaltung herrschend; denn seit es jedem Unterthan möglich war, dem Landesfürsten selbst seine Bitten, Wünsche, Gebrechen und Klagen vorzutragen; seit der Meister selbst das Land öfter bereiste und den Gedrückten um Erleichterung, den Verarmten um Hülfe, den Verfolgten um Recht und Beistand selbst rufen hörte; seit er mit eignen Augen sah, wo die Unschuld Beihülfe, das Laster und Verbrechen strenge Strafe, das Vergehen neue Geseze und der Mißbrauch neue Gebote erforderten; seit er selbst bemerkte, wo das Land noch mehr an Blüthe und Gedeihen durch fleißigen Anbau, durch Schuß gegen die Gewässer, durch Kultur der Wüstungen, durch Lichtung düsterer Waldungen oder durch Austrocknen der zahlreichen Seen und Sümpfe gewinnen konnte: seitdem mußten auch die Komthure als die Verwalter einzelner Gebiete in den Pflichten und Obliegenheiten ihres Amtes ihre Thätigkeit, ihre Sorgfalt und ihren Eifer für des Landes Aufnahme und Gedeihen in aller Weise verdoppeln. Und wie in dieser Hinsicht Alles sich bald anders gestaltete, so hatte des Hochmeisters Gegenwart im Lande auch auf des Volkes ganze geistige Bildung den bedeutendsten Einfluß. Die Geschichte zeigte, wie wenig im Ganzen im Verlaufe des dreizehnten Jahrhunderts unter den wilden Stürmen des Krieges für die religiöse und sittliche Bildung des Volkes, zumal der Abkömmlinge der alten Landesbewohner, in dem Verhältnisse zu den religiösen und sittlichen Bedürfnissen geschehen und wie oft die spärliche Saat, die man hie und da ausgeworfen und eine Zeit lang gepflegt hatte, wieder niedergetreten worden war. Allerdings hatte der Germanische Bildungsgeist durch die ganze Gestaltung der Verhältnisse des Landes schon so tiefe Wurzeln gefaßt, daß er nicht wieder aussterben konnte; auch trieb er hier und da zwar schon die erfreulichsten Früchte und wucherte gleichsam schon von selbst mit jedem Jahre weiter fort; aber er bedurfte doch immer noch der sorgsamen Wartung und Pflege, die das daneben noch fortkeimende Unkraut ausreutete; er bedurfte noch des Schußes und fester Gefeße, unter deren Hut und Schirm er sich immer weiter verbreiten und unter deren Strenge die noch übrigen Reste und Spuren der alt= preußischen Eigenthümlichkeit zurückgedrängt und in ihrer Gegenwirkung geschwächt werden konnten; es bedurfte überhaupt einer festeren Landesordnung, durch welche das geistige Leben in seinen verschiedenen Rich

tungen mehr geregelt und sicherer geleitet und unter deren Einwirkung und Schuß die bürgerliche wie die sittliche und religiöse Bildung des Volkes ungestörter gedeihen und leichter gefördert werden konnte. Und auch dafür geschah von nun an ungleich mehr durch die Hochmeister vom Hause Marienburg aus.

Je mehr aber der deutsche Geist alle Erscheinungen des Lebens in Preußen selbst durchdrang und in der Gestaltung der Verhältnisse wirksam sich immer weiter verbreitete und entfaltete, desto mehr leuchtet auch hervor, wie wichtig des Meisters Ankunft in Preußen selbst für den ganzen Norden und für die ganze menschliche Bildung des nördlichen Europas war. Denn jener deutsche Geist hielt sich keineswegs nur in den engeren Grenzen des Ordensstaates, er ging_vielmehr, bald weit über diese hinaus; durch friedliche Verbindungen schritt er fort von Land zu Land und durch Kriege und kampfvolle Stürme brach er sich selbst überall neue Bahnen. Schon in den nächsten Jahren nach des Meisters Ankunft heimte er sich mehr und mehr in Pommern ein, er drang dann weiter auch nach Polen vor, obwohl hier nicht mit solcher siegenden Kraft herrschend wie in Preußen und Pommern, doch im Einzelnen auch immer heilsam wirkend. In den weitern Gebieten Efthlands, Lievlands und Kurlands, selbst in dem wald- und dem wüstenreichen Litthauen keimte bald, hier weniger, dort mehr, deutsche Bildung; überall erzeugte die deutsche Bildung Menschlichkeit; überall hob Menschlichkeit die Völker aus der alten Rohheit mehr und mehr empor zum Adel der Gesinnung und zur Erhabenheit der menschlichen Natur. Allerdings mußten bis zur Erscheinung dieser großen und weitverbreiteten Wirkungen erst Fäden an Fäden durchs Leben hindurch geknüpft werden, also daß es dem Betrachter oft schwer wird, im Gewebe der Ereignisse die durchherrschende Einheit und Ordnung aufzufinden; allein es laufen doch alle die vielfachen Verschlingungen auf einen Punkt zurück, aus dem sich Alles entwickelt: es ist des Hochmeisters Ankunft in Marienburg, das Walten und Wirken eines deutschen Fürsten rings unter slavischen und rohen Völkern und durch sein Dasein die Erhebung Preußens zu einem deutschen Staate.

CXXI. Ludwig Börne. *)

(1786.)

1. Ueber den Charakter des Wilhelm Tell in Schillers Drama. (Zweiter Theil. S. 55.)

Aus Schillers liebevollem, weltumsluthenden Herzen entsprang Tells beschränktes, häusliches Gemüth und seine kleine enge That; die Fehler des Gedichtes sind die Tugenden des Dichters. Wäre es mir auch immer gleichgültig, nur diesesmal möchte ich nicht mißdeutet seyn — ich

*),Gesammelte Schriften von Ludwig Börne. Hamburg. Hoffmann und Campe. 1829 1832. Acht Theile." 8.

vermisse, doch ich beklage nicht. Der reiche Schaß der Kunst kann eine Kostbarkeit entbehren, das Seltenste ist ein edler Geist. Dem liebenswürdigen Schiller stehen seine Mängel besser, als besseren Dichtern ihre Vorzüge an. Ihm zittert das Herz, ihm zittert die Hand, welche formen foll, und formlos schwanken die Gestalten. Der Froft bildet glänzende Kristalle, bildet schöne Blumen an den Fensterscheiben, der Frühling schmilzt sie weg; das Glas wird leer, doch durchsichtig, und zeigt den warmen blauen Himmel; das Auge staunt nicht mehr an, aber es weint. Es thut mir leid um den guten Tell, aber er ist ein großer Philister. Er wiegt all sein Thun und Reden nach Drachmen ab, als stünde Tod und Leben auf mehr oder weniger. Dieses abgemessene Betragen, im Angesichte grenzenlosen Elends und unermeßlicher Berge, ist etwas abgeschmackt. Man muß lächeln über die wunderliche Laune des Schicksals, das einen so geringen Mann bei einer fürstlichen That Gevatter stehen und durch dessen linkisches Benehmen die ernste Feier lächerlich werden ließ. Tell hat mehr von einem Kleinbürger, als von einem schlichten Landmann. Ohne aus seinem schlichten Verhältnisse zu treten, sieht er aus seinem Dachfenster über dasselbe hinaus; das macht ihn klug, das macht ihn ängstlich. Als braver Mann hat er sich zwar den Kreis seiner Pflichten nicht zu eng gezogen; doch thut er nur seine Schuldigkeit, nicht mehr und nicht weniger. Er hat eine Art Lebensphilosophie und ist mit Ueberlegung, was seine Landesleute und Standesgenossen aus bewußtlosem Naturtriebe sind. Er ist ein guter Bürger, ein guter Vater, ein guter Gatte. Es ist sehr komisch, daß er seinen gesunden Bergesknaben, starken Kindern einer rauhen Zeit, eine Art Erziehung gibt, wie sie Salzmann in Schnepfenthal den seidnen Püppchen des achtzehnten Jahrhunderts gab. Er härtet sie ab, sie sollen ausgerüstet werden gegen das Ungemach des Lebens, ja er bemüht sich fogar, ihren Verstand aufzuklären, und die abergläubische Wirkung der Ammenmärchen zu zerstören. Tell hat der Muth des Temperaments, den das Bewußtsein körperlicher Kraft giebt; doch nicht den schönen Muth des Herzens, der, selbst unermeßlich, die Gefahr gar nicht berechnet. Er ist muthig mit dem Arm und furchtsam mit der Zunge; er hat eine schnelle Hand und einen langsamen Kopf, und so bringt ihn endlich seine gutmüthige Bedenklichkeit dahin, sich hinter den Busch zu stellen, und einen schnöden Meuchelmord zu begehen, statt, mit edlem Troße, eine schöne That zu thun.

Tells Charakter ist die Unterthänigkeit. Der Plaz, den ihm die Natur, die bürgerliche Gesellschaft und der Zufall angewiesen, den füllt er aus und weiß ihn zu behaupten; das Ganze überblickt er nicht und er bekümmert sich nicht darum. Wie ein schlechter Arzt, sieht er in den Uebeln des Landes und seinen eigenen, nur die Symptome, und nur diese sucht er zu heilen. Geschickt und bereit den einzelnen Bedrängten und sich selbst zu helfen in der Noth, ist er unfähig und unluftig, für das Allgemeine zu wirken. Als der flüchtige Baumgarten seine LandsLeute um Beistand anfleht, denken diese mehr an die Verfolgung, als an den Verfolgten, lassen sich erzählen, klagen um das Land und zau

bern mit der Hülfe. Tell erscheint, sieht nicht auf die Verfolgung, sondern nur auf den Verfolgten und rettet ihn. Ein solcher Mann kann in einem Schiffbruche, als guter Schwimmer, vielen Verunglückten Hülfe leisten; doch unfähig das Steuer zu führen, wird er den Schiffbruch nicht verhüten können. Wenn er nun in einem Sturme den Geängftigten zuruft: fürchtet euch nicht, ich kann schwimmen, ich ziehe euch aus dem Wasser wird er wie überall, wo der Charakter mit den Verhältnissen in Widerspruch steht, komisch erscheinen, und eine Wirkung hervorbringen, die der ernsten Würde der Tragödie schädlich ist.

wenn

Auf dem Rütli, wo die Besten des Landes zusammenkommen, fehlte Tells Schwur; er hatte nicht den Muth, sich zu verschwören, er sagt:

Der Starke ist am mächtigsten allein

so ist das nur die Philosophie der Schwäche. Wer freilich nur so viel Kraft hat, grade mit sich selbst fertig zu werden, der ist am stärksten allein; wem aber nach der Selbstbeherrschung noch ein Ueberschuß davon bleibt, der wird auch andere beherrschen, und mächtiger werden durch die Verbindung. Tell versagt dem Hute auf der Stange seinen Gruß; doch man ärgert sich darüber. Es ist nicht der edle Troß der Freiheit, dem schnöden Troße der Gewalt entgegengesezt: es ist nur Philisterstolz, der nicht Stich hält. Tell hat Ehre im Leibe, er hat aber auch Furcht im Leibe. Um die Ehre mit der Furcht zu vereinigen, geht er mit niedergeschlagenen Augen an der Stange vorüber, damit er sagen könne, er habe den Hut nicht gesehen, das Gebot nicht übertreten. Als ihn Geßler wegen seines Ungehorsams zu Rede stellt, ist er demüthig, fo demüthig, daß man sich seiner schämt. Er sagt, aus Unachtsamkeit habe er es unterlassen, es solle nicht mehr geschehen - und wahrlich, hier ist Tell der Mann, Wort zu halten.

Der Apfelschuß war mir immer ein Räthsel, ja mehr ein Wunder. Er soll geschehen seyn, man glaubt daran, gleichviel. Die Natur ist oft unnatürlich, sie schafft Mißgestalten, und die Geschichte ist oft undramatisch; aber man muß, das liegen lassen. Ein Vater kann alles wagen um das Leben seines Kindes, doch nicht dieses Leben selbst. Tell hätte nicht schießen dürfen, und wäre darüber aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden. Man frage nur die Zeugen der That, man höre, was sie sagen, beobachte die Schweigenden sie alle haben sie verdammt. Ja die gelungene That ist noch ganz so häßlich, als es die gewagte war; das Entsehen bleibt und die Furcht, der Vatrr hätte sein Kind treffen können, ist größer, als die frühere war, er könnte es tref= fen. War Geßlers Gebot so ungeheuer, daß es einen Vater ganz aus der Natur werfen konnte, und er nicht mehr bedachte, was er that: so hätte auch Tell, ohne Bedacht, dem Befehle nicht gehorchen, oder den Tyrannen erlegen sollen. Aber er war doch besonnen genug, wie ein Weib zu bitten, und sein lieber Herr, lieber Herr zu sagen, wofür der bange Mann Ohrfeigen verdient hätte. Daß er dem Landvogt tollkühn eingestand, was er mit dem zweiten Pfeile im Sinne geführt, das war auch wieder Philifterei; die ehrliche Haut kann nicht lügen. Dieses

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entsprang aber dieses Gefühl,

ängstliche Wesen, diese Unbeholfenheit des guten Tell, nicht aus Scheu des Unterthanen vor seinem Herrn wie wir später gezeigt, konnte er überwinden nein, es war die Scheu des Bürgers, dem Edelmanne gegenüber. Ganz anders betrug sich der Ritter Rudenz. Das ist es aber eben, und das hätte der Dichter bedenken sollen. Man muß das Bürgervolk nur immer in Masse kämpfen lassen; man darf keinen Helden an seine Spize stellen. Der schönste Kampf kommt in Gefahr dadurch lächerlich zu werden.

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dem

Es ist traurig ja schlimmer: es ist verdrüßlich, daß Tell in die Lage kommt, um der guten Sache willen, schlechte Streiche machen zu müssen. Verrath kann wohl nothwendig werden, aber sittlich wird er nie, auch nicht, wenn an Feinden begangen. Und ist es nicht Verrath, ist es nicht ein schlechter Streich, wenn Tell als der Landvogt sich auf dem See seiner Hülfe anvertraut der Feind dem Feinde Schiff entspringt, es in die Wellen zurückstößt und wieder dem Sturme Preis giebt? Tell zeigt sich hier auch wieder als Pedant, als Schulmoralist und buchstäblicher Worthalter. Er glaubt nicht den Landvogt getäuscht zu haben; er versprach ihn aus der gegenwärtigen, zehn Schuhe breiten Gefahr zu retten, und dies hat er gethan. Dem Schiffer, den Tell nach seiner Befreiung das Ereigniß erzählte, sagt er:

Ich aber sprach: Ja, Herr, mit Gottes Hülfe
Getrau ich mir's, und helf uns wohl hindannen.
So ward ich meiner Bande los und stand
Am Steuerruder und fuhr redlich hin;

Das nennt er redlich hinfahren! Wie ist nur der schlichte Mann zu dieser feinen jesuitischen Sinnesdeutung gerathen?... Jezt kommt Geßler's Mord. Ich begreife nicht, wie man diese That je sittlich, je schön finden konnte. Tell versteckt sich, und tödtet, ohne Gefahr, seinen Feind, der sich ohne Gefahr glaubte. Die Natur mag diese That rechtfertigen, so gut es ihr möglich ist, aber die Kunst vermag es nie. Als Tell später mit Johann von Schwaben zusammentrifft, und dieser mit dem Mordgesellen Brüderschaft machen will, stößt ihn Jener mit Abscheu zurück und spricht :

Unglücklicher!

Darfst Du der Ehrsucht blut'ge Schuld vermengen
Mit der gerechten Nothwehr eines Vaters?

Doch Tell irrt. Aus Ehrsucht hat er freilich den Landvogt nicht getödtet, doch mit Nothwehr sollte diese ja, gegen eine rechtliche Obrig

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keit, je rechtlich statt finden können kann er sich nicht entschuldigen. Damals, wenn er, um den Schuß von seinem Kinde abzuwenden, den Bogen nach Geßler's Brust gerichtet hätte, wäre es Nothwehr gewesen, später war es nur Rache, wohl auch Feigheit er hatte nicht den Muth, eine Gefahr, die er schon mit Zittern kennen gelernt, zum zweiten Male abzuwarten.

Sollte ich aber jezt auf die Frage Antwort geben: wie es denn Schiller anders und besser hätte machen können? wäre ich in großer Verlegenheit. Der dramatische Dichter, der einen geschichtlichen Stoff

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