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führt, kennen zu lernen. So lange auf derselben noch eine große Strecke in Dunkel gehüllt vorliegt, tritt zugleich der Reiz einer gewissen Sehnsucht, die dieses Dunkel mit dem Höchsten, über welches die Phantasie gebietet, erfüllt, ein, und so gehen äußere Ungeschicklichkeit und jene gebundene Religiosität, die Andacht, gleichen Schritt. Nur während solcher geistigen Zustände vermögen Bilder, wie das alte Crucifir in Santa Maria Novella zu Florenz, eine ganze Stadt nicht blos in Bewegung, sondern sogar dahin zu bringen, daß die Vollendung des Gemäldes in allem Ernst als eines der größten Zeitereignisse angesehen wird. Wie die äußere Ungeschicklichkeit allmählig abnimmt, der Mensch freier über das Material, in welchem er das, was ihn geistig beschäf= tigt, darstellen will, gebietet, wird auch das religiöse Bewußtseyn ein freieres und die Vollendung der Kunst ist zugleich eine Befreiung für den Gedanken. Dieß ist es, was den Gebildeten auszeichnen foll in jeder Beziehung, daß er das allgemeine Bedeutung Enthaltende seinem Auge nicht durch verhüllende Namen entrücken lasse. Die großen italie: nischen Künstler haben eben so viel gethan für die geistige Befreiung und Entwickelung der Welt, als die deutschen Reformatoren: denn so lange jene alten, düsteren, strengen Heiligen und Gottes - Bilder noch die Herzen der Gläubigen fesseln konnten, so lange in der Kunst die äußere Ungeschicklichkeit noch nicht überwunden war, war darin ein Zei: chen gegeben, daß der Geist selbst noch in einer engen Beschränkung, in drückender Gebundenheit beharrte. Die Freiheit in der Kunst entwickelte sich mit der Freiheit des Gedankens in gleichem Maaße, und beider Entwickelung war gegenseitig bedingt. Erst als man an der Kunst wieder ein freies Wohlgefallen fand, war man auch wieder fähig die Classiker der alten Welt aufzunehmen, sich an ihnen zu erfreuen und in ihrem Sinne weiter zu arbeiten; und ohne die Aufnahme der alten Classischen Literatur wäre die Reformation nie etwas Anderes, als ein kirchliches Schisma, wie das der Hussiten war. Als sich das Interesse jedes freieren Strebens des Geistes mit der Reformation verbinden konnte und verband, ward sie ein Panier für Alles, was sich geistig feit jener Zeit ausgezeichnet hat. Die Beziehung der Kunst und Wissenschaft zu der Religion war also in der damaligen Zeit keineswegs, wie sich manche Protestanten vorstellen mögen, eine künstliche; sondern ein unzerreißbares Band umschlang und verband beide, und nur gleichen Schrittes konnten sie der Befreiung entgegengehen.

Bis zur Reformation giengen Deutschland und Italien, die früher so innig verschwisterten Länder, diesen gleichen Schritt, sich stets ergänzend und vielseitig freundlich berührend. Seitdem sind sie auseinander gegangen. Italien hatte die Welt der Kunst in ihrem ganzen Umfang zu seinem Interesse gemacht; in Deutschland blieb das Interesse des Gedankens das höchste; Italien verschmähte später die Freiheit deutscher Wissenschaft, Deutschland Italiens Kunst, und während Deutschlands Wissenschaft dadurch zu einem nüchternen, hohlen, von Lebenskraft ent= blößten Gemächt des gemeinen Verstandes zu werden drohte, ist Italiens Kunst zu einem frivolen Spiel geworden, welches geistigen Eckel erregt,

und eine Flucht der Religion vor der Kunst erzeugt, wobei die leztere ganz zu sinnlicher Ergözung bestimmt, langweilig und leer zugleich wird.

Wenn dieß aber jezt auch der Fall ist, wo Italien unter die vers knöcherte Form der Hierarchie gedrückt, politisch durch fremde Interessen bestimmt und auf diese Weise zurückgehalten ist von der lebendigen Theilnahme an dem, was die Zeit verlangt, so ruft doch die ganze Geschichte und jeder Schritt breit italienischen Landes uns zu, daß, wenn in den politischen Verhältnissen in Italien das Land es war und seine Beschaffenheit, welche fast überall die Motive der Gestaltungen hergab, und also die Natur hier den Menschen besiegte, im Gegentheil in der Kunst der Mensch sich als Sieger der Natur zeigte, und daß er sich aus diesem ganzen Lande Ein großes Denkmal seiner geistigen Herrlichkeit geschaffen hat.

Daß dieß möglich werden konnte, dazu reichte es nicht hin, daß das italienische Volk eine Reihe hochbegabter Künstlernaturen hervorbrachte; es mußte auch in jedem Individuum dieser Nation eine gewisse Genußfähigkeit, die Fähigkeit vorhanden sein, das Schöne zu erkennen und zu achten; denn nie wird ein ausgezeichnetes Werk vollbracht wer= den, wenn nicht ein großer Kreis sich darnach sehnt und an seiner Vollbringung Theil nimmt. In einem Volke kann aber jene Genußfähigkeit, jener Sinn das Geistige in der sinnlichen Gestalt zu fassen, jener Sinn für das Schöne nie stattfinden, wenn ganze Klassen desselben durch rohe Arbeit sinnlich abgestumpft und selbst aller graziösen Haltung beraubt werden. Die Muße ist die Mutter der Künste.

In Italien hat diese Mutter so fruchtbar sich gezeigt, daß selbst der gewöhnliche Acker mit seinen Blumenreihen, seinen Rohrbüschen und Weinguirlanden, daß selbst das gewöhnliche Gehöft des Bauern mit seinen offnen, wie auf Säulen ruhenden Vorrathsgebäuden, mit den Häusern, die das schöne flache Dach bedeckt, daß selbst die Kleidung der gemeinsten Frau vom Lande mit ihren fast überall geschmackvoll zusam mengestellten Farben und mit dem einfach und zierlich geordneten Haar noch als Beweis eines der ganzen Nation eigenthümlichen Schönheitsfinnes angeführt werden kann. Doch wer beschreibt die Herrlichkeit einer Aussicht über jene Kunststadt Toscana's und der Welt, über Florenz und den Garten ihrer Umgebung? Wer malt die äußerste Begren= zung derselben von da an, wo Fiesole mit seinen freundlichen Thürmen herüber winkt, bis wo die blauen Buckel der Luccheseeberge auf dem goldnen Hintergrunde des westlichen Abendhimmels sich erheben; wie bier Alles, Alles die Spuren mehrtausendjähriger Arbeit geistvoller Menschen an sich trägt? Wie eine Wasserlilie hervorragt über den Spiegel des Sees, so ruht auf diesem reizenden Boden das reizende Florenz mit seinen ewigen Werken, mit seinem unerschöpflichen Reichthum. Von dem kühnen, luftigen Thurme des Pallastes, der wie ein schlanker Mast emporsteigt, bis zu Brunelleschis Wundergebäu, der herrlichen Kuppel der Kathedrale, von dem alten Hause der Spini bis zu dem großartigsten Pallast, den die Welt gesehen, dem Hause des Pitti; von dem Garten des Franziskanerklosters bis zu den wunderIII.

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würdigen Anlagen der Cascinen ist Alles unvergleichlich herrlich und voll Grazie; jede Straße von Florenz ist eine Welt für die Kunst; die Mauern von Florenz sind der Kelch, der die schönste Blume menschlichen Geistes umschließt.

Und dieß ist nur der reichste Edelstein in dem Diadem, womit das italienische Volk die Erde geschmückt hat. Und wenn auch kein anderer ihm ganz an die Seite gesezt werden kann, verschwindet doch fast sein Glanz unter der Menge der ihn umgebenden, die alle in eigenthümlicher Herrlichkeit leuchten. Man muß sehr armseligen Geistes oder sehr schwächlichen Gemüths sein, um sich durch irgend ein Ungemach abhalten zu lassen, Italien in seiner Hoheit und die Italiener, wie sie der Geschichte angehören, in ihrer Tüchtigkeit und Eigenthümlichkeit anzuerkennen.

CXXXI. August Lewald.

Ludlamshöhle. *)

Erinnerungen aus Wien.

(Erster Theil. S. 103.)

Ich hatte seit frühester Jugend einen ganz eigenen Begriff von Wien; ich konnte mich nicht enthalten an Utopien dabei zu denken. Alles, was man von dort hörte, klang so zauberisch; einige Gemälde, die ich täglich vor Augen sah, und wovon das Eine eine prächtige Schlittenfahrt vorstellte, die über den Mehlmarkt fuhr, das Andere aber Wien im Sonnenglanze und Sommerschmucke zeigte, vom Belvedere aufgenommen, hatten meine jugendliche Phantasie ganz wunderbar erhitzt. Die weißen Dächer, und die großen, alten Häuser des Mehlmarktes, der Schnee auf dem weiten Brunnenbassin und die grotesken Formen der Schlitten, die reichen und prächtigen Pferde, reitende Dienerschaft, und die vornehmen Herrschaften selbst in dem abenteuerlichsten Wintercostüm aus der Zeit Maria Theresia's, an denen der Maler keine grelle Farbe gespart hatte; auf dem andern Bilde das regelmäßige Palais, mit den gradlinichten Alleen und den Parterres im Geschmack Ludwigs XV., und der Aussicht auf den Kern der altehrwürdigen Stadt. Zu diesen Vorstellungen kam noch die Bekanntschaft mit einem alten Wiener, der durch ungewöhnliche Schicksale in meine ferne Vater stadt verschlagen wurde, der spat" für spät" sagte, und,,halt" blos zum Vergnügen, wie aus Uebermuth; ein Wort, das gar nichts bedeutet und überall an seinera Plaze steht; nichts verdirbt oder verunstaltet, ohne doch zum Verständniß etwas beizutragen. Dieser Mann war ein Mystiker und mit Joseph II. nicht eben sehr zufrieden; er trieb einen Lederhandel und sprach jeden Abend von Fasanen mit Kraut, wie von

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*),,Aquarelle aus dem Leben. Von August Lewald. Zwei Theile. Mannheim. Hoff. 1836." 8.

einem verlorenen Glück, von einer schönen Erinnerung, von einem Jugendtraum, dessen Verwirklichung er nie mehr erleben sollte.—

Einige Jahre waren verstrichen, ich hatte mich in der Welt bereits umgesehen, und dachte nicht mehr mit großer Vorliebe an Wien, als ein guter Freund, der eben von dort heimkehrte, plöglich wieder eine starke Sehnsucht dahin in mir erweckte. Es war die Zeit als ein ernster Schauspieler aus der Provinz, ganz Wien zum Lachen brachte; als der tolle, phantastische, übersprudelnde Raimund, der Franz Moor und Tyrannenspieler der weitentfernten, ungarischen Comitate, auf das Leopoldstädter Theater sprang, um den travestirten Tamino zu geben, und den guten, hausbackenen Wiener Ignaz Schuster, mit der spießbürgerlichen Philisterei in ihrer ganzen Trockenheit, die man freilich auch belachen mußte, zu vertreiben anfing. Zu dieser ergözlichen Erscheinung kam noch eine weit ergöglichere, welche damals die Seele der Unterhaltung für die lebensfrohen Wiener war; ich meine das Kinderballet unter Horschelt. Man kann sich kaum vorstellen, welche Zauberwirkung solche Dinge auf die Volksmenge einer großen Städt hervor= zubringen im Stande sind; auch war mein referirender Freund ganz selig vor Entzücken, wenn er sich daran erinnerte; dabei pries er mit vollen Backen das freundliche Entgegenkommen, die herzliche Aufnahme, das lustige Beisammenleben aller verwandten Geister, der Schriftsteller, Schauspieler, Musiker und Maler; Tag und Nacht vergehe in Scherz und Fröhlichkeit, und die Ständchen, die nach dem Theater ihren Anfang nähmen, endeten erst mit dem Morgen. Aber als den Mittelpunkt dieses herrlichen Schlaraffenlebens bezeichnete er mir die,,Ludlamshöhle."

Die Ludlamshöhle! was dachte ich mir dabei im ersten Augenblicke? Klingt es doch so schauerlich, nordisch; und die Wahrheit zu gestehen, obgleich mein Freund viele angenehme Stunden dort verlebt hatte, und mir die Mitglieder alle mit ihren Doppelnamen zu nennen, alle Spässe, Wize und Scherze, die dort vorfielen, getreulich zu berichten wußte, so hatte er leider versäumt dem Historischen nachzuforschen, und konnte mir über den Ursprung des Namens nicht das Geringste offenbaren.

Mein Entschluß war bald gefaßt, ich wollte an Ort und Stelle mich besser unterrichten; ich reiste nach Wien.....

Am Ende des Grabens, der Rue de la Paix der alten Kaiserstadt, liegt ein Gäßchen, das Schlossergassel geheißen, und in diesem ist ein Bierhaus, das Pfundner'sche genannt, welches damals von cinem Manne Namens Haidvogl bewirthschaftet wurde. Hier hatte sich eine kleine Anzahl sinniger Freunde zusammengefunden, die sich früher in dem,,Blumenstöckel" im Ballgässel zu treffen pflegten, um Castelli, den liebenswürdigsten, heitersten Gesellschafter, der dort wohnte, noch zu sehen, wenn er Abends aus seiner Cotterie Heimkehrte, und ein Glas Regensburger Bier zu trinken pflegte, ehe er in seine Wohnung hinaufstieg. Dieß ist in Kürze das Geschichtliche von dem Entstehen dieses merkwürdigen Vereins: im Anfange saßen Männer im Blumenstöckel," so begann die Legende im Gedenkbuche der Gesellschaft. Wirthschafts

verhältnisse hatten diese Stifter zur Auswanderung aus dem poetischen Revier des Blumenstöckels in das anfänglich profaischere des Pfundner'schen Bierhauses bewogen; der Zufall war aber schon geboren, der ihm die höhere Weihe ertheilen sollte.

Dehlenschläger war nach Wien gekommen, um auf dem damals so phantastischen Theater an der Wien, wo jeden Abend ein duftiges Mährchen Leben und Gestalt erhielt, sein nordisches Nebelmährchen aufführen zu lassen. Dieß war die nachmals im Druck erschienene: „Lad lamshöhle." Wir wollen es den guten Wienern nicht eben so hech anrechnen, daß sie an diesem phantasielosen Gewebe kein Erbauen finden konnten, und den Dichter zum Pathen seiner Schande machten. Selbst die zahlreichen Freunde Oehlenschlägers vermochten es nicht, das Stück vom Falle zu retten und konnten nichts Anders thun, als ihren Vereinigungspunkt im Schlossergaffel, den auch der scandinavische Dichter besuchte, ihm zu Ehren Ludlamshöhle" zu heißen, und so diesen Namen in der Literärgeschichte Wien's, eine zwar kurze, jedoch interesfante Rolle spielen zu lassen.

Wenn man einige Schritte in dem krummen, engen Gäßchen gemacht hatte, fielen die Blicke auf einen nackten Bacchus, der, auf einem Faße ritt; hier trat man in eine niedre Thüre und schwang sich dann eine enge Wendeltreppe hinauf, um sich in einem mäßig großen, dunkeln Wirthszimmer zu sehen; nun stand man in den Propyläen. Man durchschritt sie und die Menge profaner Gäste, die sich hier ihren Magen mit trockener und flüssiger Kost auf ganz gewöhnliche Weise füllten, und befand sich dann in dem innern, geheiligten Raume, wo Ludlam ihre Söhne an den geheimnißvollen Brüsten säugte, wo der Wiß keine theure Waare war, und der Scherz kein seltenes Kraut, wo in einem Abende mehr Weisheit im Narrengewande zu Markte gebracht wurde, als die Berliner Mittwochsgesellschaft, mit allem Ernste in einem Jahre zu Markte bringt. Das Lokal hatte nur ein Fenster, dabei war es lang, hoch, räucherig; ein langer Tisch, um den Stühle gereiht waren, nahm den ganzen Raum ein; ein paar Wandschränke und Hafen, um die Hüte aufzuhängen, das war das ganze Ameublement. Wer sucht in einer Höhle mehr?

Als ich zum ersten Male am Tische der Ludlamshöhle als befcheidener Gast Plaz genommen hatte, ließ ich meine Augen im Kreise der Anwesenden umherschweifen, um mir Diejenigen herauszurathen, deren Bekanntschaft ich zu machen wünschte. Der alte, gefällige Hofschauspieler Schwarz hatte mich eingeführt, und mich auf meine Bitte mit Niemanden bekannt gemacht; es machte mir stets Vergnügen nur nach und nach, wie sich mir die Leute zeigten, mich auch ihnen zu nähern, um zugleich auch im Errathen meinen Scharfsinn zu üben. Viele kannte ich schon dem Namen nach von den ehrenwerthen Mitgliedern der Höhle: Castelli, Deinhardstein, Grillparzer, und Andre noch. Ich dachte bei mir, wer mag hier wohl Castelli sein, der lebensfrohe, heitre Dichter? und nachdem ich mir die Gesellschaft gemustert hatte, fiel mein Blic auf einen Mann mit freundlichem Gesichte, hoher Stirne, schwarzen

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