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Hab und Gut zerrissen hatte, ward sie, auf Anrathen sämmtlicher Man darine, als eine unheilbare Wahnsinnige in einen runden Thurm eingesperrt.

Diese chinesische Prinzessin, die personifizirte Caprize, ist zugleich die personifizirte Muse eines deutschen Dichters der romantischen Poesie. Es ist die Muse, die uns aus den Poesten des Herrn Clemens Brentano so wahnsinnig entgegenlacht. Da zerreißt sie die glattesten Atlasschleppen und die glänzendsten Goldtreffen, und ihre zerstörungssüchtige Liebenswürdigkeit, und ihre jauchzend blühende Tollheit erfüllt unsere Seele mit unheimlichem Entzücken und lüsterner Angst. Seit mehr als fünfzehn Jahren lebt aber Herr Brentano entfernt von der Welt, eingeschlossen, ja, eingemauert in seinem Katholizismus. Es gab nichts Kostbares mehr zu zerreißen. Er hat, wie man sagt, die Herzen zerrissen, die ihn liebten. Jeder seiner Freunde klagt über Verlegungen. Gegen sich selbst und sein poetisches Talent hat er am meis ften seine Zerstörungssucht ausgelassen. Ich mache besonders aufmerksam auf ein Lustspiel, betitelt: Ponce de Leon.“ Es gibt nichts Zerriffeneres als dieses Stück, in Gedanken wie in der Sprache. Aber alle diese Fezen leben und kreiseln in bunter Luft. Man glaubt einen Maskenball von Worten und Gedanken zu sehen. Wie Harlekine_ren= nen die verrücktesten Wortspiele durch das ganze Stück und schlagen überall hin mit ihrer glatten Pritsche. Eine ernsthafte Redensart tritt manchmal auf, stottert aber wie der Dottore von Bologna. Da schlendert eine Phrase wie ein weißer Pierrot mit zu weiten schleppenden Aermeln und allzugroßen Westenknöpfen. Da springen buckligte Wize mit kurzen Beinchen, wie Policinelle. Liebesworte, wie neckende Columbinen, flattern umher, mit Wehmuth im Herzen. Und das tanzt und hüpft und wirbelt und schnarrt, und drüberhin erschallen die Trompeten der bachantischen Zerstörungsluft.

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Eine große Tragödie desselben Dichters, die Gründung Prags" ist ebenfalls sehr merkwürdig. Es sind Scenen darin, wo man von den geheimnißvollsten Schauern der uralten Sagen angeweht wird. Da rauschen die dunkel böhmischen Wälder, da wandeln noch die zornigen Slavengötter, da schmettern noch die heidnischen Nachtigallen; aber die Wipfel der Bäume bestrahlt schon das fanfte Morgenroth des Christenthums. Auch einige gute Erzählungen hat Herr Brentano geschrieben, namentlich die Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Nanerl." Als das schöne Nanerl noch ein Kind war und mit ihrer Großmutter in die Scharfrichterei ging, um dort, wie das gemeine Volk in Deutschland zu thun pflegt, einige heilsame Arzneien zu kaufen, da bewegte fich plößlich etwas in dem großen Schranke, vor welchem das schöne Nanerl eben stand, und das Kind_rief_mit Entseßen : eine Maus! eine Maus! Aber der Scharfrichter erschrack noch weit mehr, und wurde ernsthaft wie der Tod, und sagte zu der Großmutter: liebe Frau! in diesem Schranke hängt mein Richtschwert, und das bewegt sich jedesmal von selbst, wenn ihm Jemand nahet, der einst damit geköpft werden soll. Mein Schwert lechzt nach dem Blute dieses Kin

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des.

Erlaubt mir, daß ich die Kleine nur ein wenig damit am Hälschen rize. Das Schwert ist dann zufrieden gestellt mit einem Tröpfchen Blut und trägt kein fürderes Verlangen." Die Großmutter gab jedoch diesem vernünftigen Rathe kein Gehör, und mochte es späterhin genugfam bereuen, als das schöne Nanerl_wirklich geköpft wurde mit demselben Schwerte.

Herr Clemens Brentano mag wohl jezt 50 Jahre alt sein, und er lebt zu Frankfurt, einsiedlerisch zurückgezogen, als ein korre spondirendes Mitglied der katholischen Propaganda. Sein Name ist in der lezten Zeit fast verschollen; nur wenn die Rede ist von den Volksliedern, die er mit seinem verstorbenen Freunde Achim von Arnim herausgegeben, wird er noch zuweilen genannt. Er hat nämlich, in Gemeinschaft mit lezterem, unter dem Titel: „des Knaben Wunderhorn", eine Sammlung Lieder herausgegeben, die sie, theils noch im Munde des Volkes, theils auch in fliegenden Blättern und seltenen Druckschriften gefunden haben. Dieses Buch kann ich nicht genug rühmen; es enthält die holdseligsten Blüthen des deutschen Geis stes, und wer das deutsche Volk von einer liebenswürdigen Seite kennen lernen will, der lese diese Volkslieder.

Des Knaben Wunderhorn und das Nibelungenlied spielten eine Hauptrolle in der romantischen Periode der Deutschen. Es war lange Zeit von nichts Anderem als vom Nibelungenlied bei uns die Rede, und die klassischen Philologen wurden nicht wenig geärgert, wenn man dieses Epos mit der Ilias verglich, oder wenn man gar darüber stritt, welches von beiden Gedichten das Vorzüglichere sey? Das Publikum sah dabei aus wie ein Knabe, den man ernsthaft fragt: hast du lieber ein Pferd oder einen Pfefferkuchen? Jedenfalls ist aber dieses Nibelungenlied von großer gewaltiger Kraft. Es ist eine Sprache von Stein und die Verse sind gleichsam gereimte Quadern. Hie und da, aus den Spalten, quellen rothe Blumen hervor, wie Blutstropfen, oder zieht sich der lange Epheu herunter, wie grüne Thränen. Von den Riesenleidenschaften, die sich in diesem Gedichte bewegen, könnt Ihr kleinen, artigen Leutchen Euch keinen Begriff machen. Denkt Euch: es wäre eine helle Sommernacht, die Sterne, bleich wie Silber, aber groß wie Sonnen, träten hervor am blauen Himmel, und alle gothischen Dome von Europa hätten sich ein Rendez-vous gegeben auf einer ungeheuer weiten Ebene. Da kämen nun ruhig herangeschritten der Straßburger Münster, der Köllner Dom, der Glockentburm von Florenz, die Kathedrale von Rouen u. f. w., und diese machten der schönen Notre-Dame-de-Paris ganz artig die Cour. Es ist wahr, daß ihr Gang ein bischen unbeholfen ist, daß einige darunter sich sehr linkisch benchmen, und daß man über ihr verliebtes Wackeln manchmal lachen könnte. Aber dieses Lachen hätte doch ein Ende, sobald man sähe, wie sie in Wuth gerathen, wie sie sich unter einander würgen, wie Notre-Dame-deParis verzweiflungsvoll ihre beiden Steinarme gen Himmel erhebt und plöglich ein Schwert ergreift, und dem größten aller Dome das Haupt vom Rumpfe herunterschlägt. Aber nein, ihr kennt euch auch dann von

den Hauptpersonen des Nibelungenlieds keinen Begriff machen; kein Thurm ist so hoch und kein Stein so hart wie der grimme Hagen und die rachgierige Chrimhilde.

Wer hat aber dieses Lied verfaßt? Eben so wenig, wie von den Volksliedern weiß man den Namen des Dichters, der das Nibelungenlied geschrieben. Sonderbar! Von den vortrefflichsten Büchern, Gedichten, Bauwerken und sonstigen Denkmälern der Kunst, weiß man selten den Urheber. Wie hieß der Baumeister, der den Köllner Dom erdacht? Wer hat dort das Altarbild gemalt, worauf die schöne Gottesmutter und die heiligen drei Könige so erquicklich abkonterfeit sind? Wer hat das Buch Hiob gedichtet, das so viele leidende Menschengeschlechter getröftet hat? Die Menschen vergessen nur allzu leicht ihre Wohlthäter, wie viel mehr deren Namen. Der Baum der Menschheit weiß nicht den stillen Gärtner, der ihn gepflegt in der Kälte, getränkt in der Dürre und vor schädlichen Thieren geschüßt hat. Aber er bewahrt treulich die Namen, die man ihm in seine Rinde unbarmherzig eingeschnitten mit scharfem Stahl, und er überliefert sie in immer wachsender Größe den spätesten Geschlechtern.

Wegen ihrer gemeinschaftlichen Herausgabe des „, Wunderhorns“, pflegt man auch Brentano und Arnim zusammen zu nennen. Ludwig Achim von Arnim ist ein großer Dichter, und war einer der originellsten Köpfe in der romantischen Schule. Die Freunde des Phantastischen werden an diesem Dichter mehr als an jedem anderen deutschen Schriftsteller Geschmack finden. Er übertrifft hier den Hoffmann sowohl als den Novalis. Er wußte noch inniger als dieser in die Natur hineinzuleben, und konnte weit grauenhaftere Gespenster beschwören als Hoffmann. Im Volke ist dieser Schriftsteller ganz unbekannt geblieben, und die Literaten, obgleich sie ihm die unbedingteste Anerkennung zollten, haben doch nie öffentlich ihn nach Gebühr gepriesen. Ja, einige pflegten sogar wegwerfend von ihm sich zu äußern, während sie seine Weise nachahmten.

Warum hat Herr Liek nie von Arnim gehörig gesprochen, er, der über so manches unbedeutende Machwerk so viel Geistreiches sagen konnte? Die Herren Schlegel haben ebenfalls den Arnim ignorirt. Nur nach seinem Lode erhielt er eine Art Nekrolog von einem Mitglied der Schule. Ich glaube Arnim's Renommee konnte besonders deßhalb nicht aufkommen, weil er seinen Freunden, der katholischen Partei, noch immer viel zu protestantisch blieb, und weil wieder die protestantische Partei ihn für einen Kryptokatholiken hielt.

Warum vernachläßigte das deutsche Volk einen Schriftsteller, dessen Phaniasie von weltumfassender Weite, dessen Gemüth pon schauerlichster Liefe, und dessen Darstellungsgabe so unübertrefflich war? Etwas fehlte, und dieses Etwas ist es eben, was das Volk in den Büchern sucht: das Leben! Das Volk verlangt, daß die Schriftsteller seine Tagesleidenschaften mitfühlen, die Empfindungen seiner eigenen Brust entweder angenehm anregen oder verlegen; das Volk will bewegt werden. Dieses Bedürfniß konnte Arnim nie befriedigen. In allem, was er

schrieb, herrscht nur eine schattenhafte Bewegung; die Figuren tummeln sich hastig, sie bewegen die Lippen, als wenn sie sprächen, aber man sieht nur ihre Worte, man hört sie nicht. Diese Figuren springen, ringen, stellen sich auf den Kopf, nahen sich uns heimlich, und flüstern uns Leise in's Dhr: Wir sind todt! Solches Schauspiel würde allzu grauenhaft und peinigend seyn, wäre nicht die Arnim'sche Grazie über jede dieser Dichtungen verbreitet, wie das Lächeln eines Kindes, aber eines todten Kindes. Arnim kann die Liebe schildern, zuweilen auch die Sinnlichkeit, aber sogar da können wir nicht mit ihm fühlen. Wir sehen schöne Leiber, wogende Busen, feingebaute Hüften, aber ein kaltes, feuchtes Leichengewand umhüllt dieses Alles. Manchmal ist Arnim wizig, jedoch gewöhnlich ernsthaft, und zwar wie ein todter Deutscher. Ein lebendiger Deutscher ist schon ein hinlänglich ernsthaftes Geschöpf, und nun erst ein todter Deutscher! Ein Franzose hat gar keine Idee davon, wie ernsthaft wir erst im Tode sind; da sind unsere Gesichter noch viel länger, und die Würmer, die uns speisen, werden melancholisch, wenn sie uns dabei ansehen.

Ludwig Achim von Arnim ward geboren 1784, in der Mark Brandenburg, und starb den Winter 1830. Er schrieb dramatische Gedichte, Romane und Novellen. Seine Dramen sind voll intimer Poesie. Namentlich ein Stück darunter betitelt „der Auerhahn.“ Die erste Scene wäre selbst des allergrößten Dichters nicht unwürdig. Wie wahr, wie treu ist die betrübtefte Langeweile da geschildert! Der eine von den drei natürlichen Söhnen des verstorbenen Landgrafen sigt allein, in dem verwaisten weiten Burgsaal, und spricht gähnend mit sich selber, und klagt, daß ihm die Beine unter dem Tische immer länger wüchsen, und daß ihm der Morgenwind so kalt durch die Zähne pfiffe. Sein Bruder, der gute Franz, kommt nun langsam hereingeschlappt, in den Kleidern des seligen Vaters, die ihm viel zu weit am Leibe hängen, und wehmüthig gedenkt er, wie er sonst um diese Stunde dem Vater beim Anziehen half, wie dieser ihm oft eine Brodkrufte zuwarf, die er mit seinen alten Zähnen nicht mehr beißen konnte, und wie er ihm manchmal verdrießlich einen Tritt gab. Diese lettere Erinnerung rührt den guten Franz bis zu Thränen, und er beklagt, daß nun der Vater todt sey und ihm keinen Tritt mehr geben könne.

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Arnim's Romane heißen, die Kronwächter“ und die Gräz fin Dolores". Auch ersterer hat einen vortrefflichen Anfang. Der Schauplaz ist oben im Wartthurm von Waiblingen, in dem traulichen Stübchen des Thürmers und seiner wackeren dicken Frau, die aber doch nicht so dick ist, wie man unten in der Stadt behauptet. In der That, es ist Verläumdung, wenn man ihr nachsagte, sie seh oben in der Thurmwohnung so korpulent geworden, daß sie die enge Thurmtreppe nicht mehr herabsteigen könne, und, nach dem Lode ihres ersten Ehe= gatten, des alten Thürmers, genöthigt gewesen sey, den neuen Thürmer zu heirathen. Ueber solche böse Nachrede grämte sich die arme Frau' droben nicht wenig; und sie konnte doch nur deßhalb die Thurmtreppe nicht hinabsteigen, weil sie am Schwindel lirt.

Der zweite Roman von Arnim, die Gräfin Dolores", hat ebenfalls den allervortrefflichsten Anfang, und der Verfasser schildert uns da die Poesie der Armuth und zwar einer adeligen Armuth, die er, der damals selber in großer Dürftigkeit lebte, sehr oft zum Thema gewählt hat. Welch ein Meister ist Arnim auch hier in der Darstellung der Zerstörniß! Ich meine es immer vor Augen zu sehen, das wüste Schloß der jungen Gräfin Dolores, das um so wüster aussieht, da es der alte Graf in einem heiter italienischen Geschmack, aber nicht fertig gebaut hat. Nun ist es eine moderne Ruine, und im Schloßgarten ist alles verödet: die geschnittenen Tarusalleen find struppig verwildert, die Bäume wachsen sich einander in den Weg, der Lorbeer und der Oleander ranken schmerzlich am Boden, die schönen großen Blumen werden von verdrießlichem Unkraut umschlungen, die Götterstatuen sind von ihren Postamenten herabgefallen, und ein paar muthwillige Bettelbuben kauern neben einer armen Venus, die in hohem Grase liegt, und mit Brennesseln geißeln sie ihr den marmornen Hintern. Wenn der alte Graf, nach langer Abwesenheit, wieder in sein Schloß heimkehrt, ist ihm das sonderbare Benehmen seiner Hausgenossenschaft, besonders seiner Frau, sehr auffallend. Es passirt bei Tüche so allerlei Befremdliches, und das kommt wohl daher, weil die arme Frau vor Gram gestorben und eben so wie das übrige Hausgefinde längst tødt war. Der Graf scheint es am Ende selbst zu ahnen, daß er sich unter lauter Gespenstern befindet, und,`ohne sich etwas merken zu lassen, reist er in der Stille wieder ab.

Unter Arnim's Novellen dünkt mir die kostbarste seine Isabella von Egypten". Hier sehen wir das wanderschaftliche Treiben der Zigeuner oder Egyptiens. Hier lebt und webt das seltsame Mährchenvolk mit seinen braunen Gesichtern, freundlichen Wahrsageraugen, und seinem wehmüthigen Geheimniß. Die bunte, gaukelnde Heiterkeit verhüllt einen großen, mystischen Schmerz. Die Zigeuner müssen näm lich nach der Sage, die in dieser Novelle gar lieblich erzählt wird, eine Zeitlang in der Welt herumwandeln, zur Abbuße jener ungaftlichen Härte, womit einst ihre Vorfahren die heilige Muttergottes mit ihrem Kinde abgewiesen, als diese, auf ihrer Flucht in Egypten, ein Nachtlager von ihnen verlangte. Deßhalb hielt man sich auch berechtigt, sie mit Grausamkeit zu behandeln. In manchen Ländern erlaubten die Gefeße jeden Zigeuner bei Diebstahlsverdacht, ohne Untersuchung und Urtheil, aufzuknüpfen. So wurde ihr Oberhaupt Michael, genannt Herzog von Egypten, unschuldig gehenkt. Und mit diesem trüben Ereigniß beginnt die Arnim'sche Novelle. Nächtlich nehmen die Zigeuner ihren todten Herzog vom Galgen herab, legen ihm den rothen Fürstenmantel um die Schulter, fehen ihm die silberne Krone auf das Haupt und versenkten ihn in die Schelde, fest überzeugt, daß ihn der mitleidige Strom nach Hause bringt, nach dem geliebten Egypten. Die arme Zigeunerprinzessin Isabella, seine Tochter, weiß nichts von der traurigen Begebenheit. Sie wohnt einsam in einem verfallenen Hause an der Schelde, und hört, des Nachts, wie es so sonderbar im Wasser rauscht.

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