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Plöglich sieht ste, wie ihr bleicher Vater hervortaucht, im purpurnen Todtenschmuck, und der Mond wirft sein schmerzliches Licht auf die filberne Krone. Das Herz des schönen Kindes will schier brechen von unnennbarem Jammer; vergebens will sie den todten Vater festhalten. Er schwimmt ruhig weiter nach Egypten, nach seinem heimathlichen Wunderland, wo man seiner Ankunft harrt, um ihn in einet der großen Pyramiden nach Würde zu begraben.

Lief rührend ist alles, was uns der vortreffliche Arnim von den Zigeunern erzählt, denen er schon an anderen Orten fein Mitleid gewidmet, z. B. in seiner Nachrede zum „Wunderhorn“, wo er behauptet, daß wir den Zigeunern so viel Gutes und Heilsames, namentlich die mehrsten unserer Arzneien verdanken. Wir hätten sie mit Undank verstoßen und verfolgt.

Eine Uebersetzung der erwähnten Novelle: Isabella von Egypten würde den Franzosen nicht bloß eine Idee von Arnims Schriften geben, sondern auch zeigen, daß all die unheimlichen, grausigen und gespenstischen Geschichten, die sie sich in der lezten Zeit gar mühsam abge= quält, in Vergleichung mit Arnim'schen Dichtungen, nur rosige Morgenträume einer Operntänzerin zu seyn scheinen. In sämmtlichen französ sischen Schauergeschichten ist nicht so viel Unheimliches zusammengepackt, wie in jener Kutsche, die Arnim von Bracke nach Brüssel fahren läßt, und worin folgende ́vier Personagen bei einander sizen:

1) Eine alte Zigeunerin, welche zugleich Here ist. Sie steht aus wie die schönste von den sieben Todsünden, und strogt im buntesten Goldflitter- und Seidenpuz.

2) Ein todter Bärenhäuter, welcher, um einige Dukaten zu verdienen, aus dem Grabe gestiegen und sich als Bedienter auf sieben Jahre verdingt. Es ist ein fetter Leichnam, der einen Oberrock trägt, von weißem Bärenfell, weßhalb er auch Bärenhäuter genannt wird, und der dennoch immer friert.

3) Ein Golem; nämlich eine Figur von Lehm, welche ganz wie ein schönes Weib geformt ist, und wie ein schönes Weib sich geberdet. Auf der Stirn, verborgen unter den schwarzen Locken, steht mit hebräischen Buchstaben das Wort „Wahrheit“, und wenn man dieses auslischt, fällt die ganze Fiqur leblos zusammen als eitel Lehm.

4) Der Feldmarschall Cornelius Nepos, welcher durchaus nicht mit dem berühmten Historiker dieses Namens verwandt ist, ja welcher sich nicht einmal einer bürgerlichen Abkunft rühmen kann, indem er von Geburt eigentlich eine Wurzel ist, eine Alraunwurzel, welche die Franzosen Mandragora nennen. Diese Wurzel wächst unter dem Galgen, wo die zweideutigsten Thränen eines Gehenkten geflossen sind. Sie gab einen entseßlichen Schrei, als die schöne Isabella sie dort um Mitternacht aus dem Boden geriffen. Sie sah aus wie ein Zwerg, nur daß fie weder Augen, Mund noch Ohren hatte. Das liebe Mädchen pflanzte ihr ins Gesicht zwei, schwarze Wachholderkerne und eine rothe Hagebutte, woraus. Augen und Mund entstanden. Nachher strcute sie dem Männlein auch ein bischen Hirse auf den Kopf, welches als Haar, aber etwas

struppig, in die Höhe wuchs. Sie wiegte das Mißgeschöpf in ihren weißen Armen, wenn es wie ein Kind greinte; mit ihren holdseligen Rosenlippen küßte sie ihm das Hagebuttmaul ganz schief; sie küßte ihm vor Liebe fast die Wachholderäuglein aus dem Kopf; und der garstige Knirps wurde dadurch so verzogen, daß er am Ende Feldmarschall werden wollte, und eine brillante Feldmarschalluniform anzog, und sich durchaus Herr Feldmarschall tituliren ließ.

Nicht wahr, das sind vier sehr ausgezeichnete Personen? Wenn Ihr die Morgue, die Todtenacker, die Cour de Miracle und sämmtliche Pesthöfe des Mittelalters ausplündert, werdet Ihr doch keine so gute Gesellschaft zusammenbringen, wie jene, die in einer einzigen Kutsche von Bracke nach Brüffel fuhr. Ihr Franzosen solltet doch endlich_ein= sehen, daß das Grauenhafte nicht Euer Fach. Wenn Ihr Gespenfter beschwört, müssen wir lachen. Denn Eure Gespenster sind_doch immer Franzosen und französische Gespenster! Welch ein Widerspruch in den Worten! In dem Wort „Gespenst“ liegt so viel Einsames, Mürrisches, Deutsches, Schweigendes; in dem Wort „Französisch“ hingegen so viel Geselliges, Artiges, Französisches, Schwazendes! Wie könnte ein Franzose ein Gespenst seyn, oder wie könnten gar in Paris Gespenster existiren! In Paris, im Foyer der europäischen Gesellschaft! Zwischen zwölf und ein Uhr, der Stunde, die nun einmal von jeher den Gespenstern zum Spucken angewiesen ist, rauscht noch das lebendigste Leben in den Gaffen von Paris, in der Oper klingt eben dann das brausendste Finale, aus den Variétés und dem Gymnase strömen die heitersten Gruppen, und das wimmelt und tänzelt und lacht und schäkert auf den Boulevards, und man geht in die Soirée. Wie könnte ein Franzose, selbst wenn er todt ist, den zum Spucken nöthigen Ernst beibehalten, wenn ihn von allen Seiten die bunteste Volkslust umjauchzt! Gäbe es wirklich in Paris Gespenster, so bin ich überzeugt, gesellig, wie die Franzosen sind, würden sie sich als Gespenster einander anschlies ßen. Sie würden bald Gespenster-Reünions bilden, sie würden ein Todtenkaffeehaus stiften, eine Todtenzeitung herausgeben, und es gäbe bald Todtensoirées, où l'on fera de la musique. Was mich betrifft, wüßte ich, daß man solcherweise in Paris als Gespenst existiren könnte, ich würde den Tod nicht mehr fürchten. Ich würde nur Maßregeln treffen, daß ich, am Ende auf dem Pêre Lachaise beerdigt, in Paris spucken könnte zwischen zwölf und ein Uhr. Welch köstliche Stunde! Ihr deutschen Landsleute, wenn Ihr nach meinem Tode mal nach Paris kommt, und mich des Nachts hier als Gespenst erblickt, erschreckt nicht. Ich spuke nicht in furchtbar unglücklich deutscher Weise. Ich spuke zu meinem Vergnügen.

Aber Ihr armen französischen Schriftsteller mit Euren neu= romantischen Schauerromanen und Spukgeschichten. Ihr kommt mir vor wie die Kinder, die sich Masken vors Gesicht halten, um einander Furcht einzujagen. Es sind ernsthafte, furchtbare Larven, aber durch die Augenlucken schauen fröhliche Kinderaugen. Ihr seyd ein zierliches, liebenswürdiges, vernünftiges und lebendiges Volk, und nur das Schöne

und Edle und Menschliche liegt im Bereich Eurer Kunst. Das haben schon Eure älteren Schriftsteller eingesehen, und Ihr, die neueren, werdet am Ende ebenfalls zu dieser Einsicht gelangen. Laßt ab von dem Schauerlichen und Gespenstischen.

CXXXIII. Paul Pfizer.

(1801.)

Aus dem Briefwechsel zweier Deutschen." *) Poesie und Leben.

(S. 113.)

Die

Aechte Poefte verendlicht und versinnlicht Alles, um auch das Geringste in die wahrhafte Unendlichkeit einzutauchen, jede Erscheinung nach ihrem absoluten Wesen und Gehalt zu lebendiger Anschauung und zum ächten Verständniß zu bringen, während die abstracte Speculation auch das Unendliche durch den Begriff zu etwas Endlichem und Einzelnem herabseßt, das Universum in eine Nußschaale einklemmt. Poesie ist das tiefste Leben und Gemüth selbst, daher auch ihre Wirkung so viel wahrer und tiefer als die der Philosophie, und die Schönheit ist nichts Andres als die Verkörperung des Geistes oder die Vergeistigung des Stoffs, die Durchdringung beider Welten, die lebendige Einheit von Geist und Materie, somit die höchste Wahrheit, der Wille der Natur, das Weltgeheimniß. Sie ist nicht, wie man gewöhnlich annimmt, eine zufällige Form, sondern die nothwendige Erscheinungsweise der höchsten Realität, und jedem Dichter oder Künstler, dem es gelingt, den materiellen Stoff zum reinen Ausdruck des Geistigen zu erheben, muß die Schönheit von selbst zufallen, ohne daß er sie von den Formen des Lebens, als etwas für sich Bestehendes, ablöst oder nach dem Kanon eines Polyklet berechnet und abzirkelt. Vielmehr ist es ein beklagenswerther und gefährlicher Irrthum, wenn ein bildender Künstler, weil Schönheit der Form das Höchste ist, was die plastische Kunst erreichen kann und soll, Schönheit der Form an sich als sein Object betrachtet, oder wenn ein Dichter, statt die Welt und das Leben (inueres sowohl als äußeres) nach seinen wesentlichen und ewigen Beziehungen auszusprechen und die tiefste Realität (nicht die gemeine Wirklichkeit) des Lebens selbst darzustellen, vom Leben nur den poetischen Duft und Schimmer abstreifen und die Poesie als etwas für sich Bestehendes, vom Leben Unabhängiges, behandeln will. Alles bloß an und für sich, ohne seine Basis, ohne seinen Zusammenhang mit der Welt, der es erst zu dem macht, was es ist, Aufgefaßte wird, und wäre es auch sonst das

*), Briefwechsel zweier Deutschen, herausgegeben von P. A. Pfizer. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Stuttgart und Tübingen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1832."

Höchste (wie z B. in Goethe's Pandora, Proserpina) zur abgezogenen, seelenlosen Form. Man darf das Poetische an und für sich selbst nicht zur Aufgabe machen, sonst bekommt man nur das Kleid und die Hülle, nicht das Wesen der Poesie. Oder ist nicht der, welcher die Liebe zur Poesie zu machen vermag, ein größerer Dichter, als der, welcher statt der Liebe nur ihre Poesie vom Leben ablöst? Nicht der ein größern Dichter, welcher sogar den Schmerz zur Poesie erheben kann, als der, welcher nur die Poeste des Schmerzes ausspricht? Je concreter, lebendiger, inhaltsvoller überhaupt, ein Werk der Dichtung ist, je vollständiger die Idee darin sich in Fleisch und Blut verwandelt hat, um so vorzüglicher ist es, und gerade diejenigen Producte der Kunst, wo recht viele tiefsinnige Gedanken gleichsam durchscheinen, oder nur leicht und lose übersponnen sind, und die deßwegen den Denker am meisten anspre chen, sind die am wenigsten poetischen. So hielt Fichte die natürliche Tochter für Goethe's vorzüglichstes Werk. Allein gerade diejenigen Gedanken, deren Darstellung nur im Bild, in der Gestalt und im Concreten, ganz gelingt, weil sie in Begriffen sich nicht fassen und erschöpfen Lassen, sind die eigentlich poetischen und geben dem Geiste ein ungleich Höheres, als der nackte Begriff oder die abgezogene Form.

Was nun die Geisteskräfte und Vermögen betrifft, wodurch die Poesie hervorgebracht wird, so hast du zwar den Sinn des Unendlichen mit Recht für eine wesentliche und auszeichnende Eigenschaft des Dich ters erklärt, und das Vermögen des Unendlichen im Menschen ist das Gemüth. Diejenige Kraft sodann, welche das Gedicht seiner äußern Erscheinung nach hervorbringt, oder das Organ des Gemüthes, ist die Phantasie. Ich glaube aber auch, daß jener Sinn des Unendlichen beim Dichter mit dem Sinn für das Leben innigft verbunden oder vielmehr identisch ist. Ein wirklicher Dichter kann sich nicht eng genug an das Leben anschließen, und sein Werk wird um so dichterischer und tiefer feyn, je mehr es von dieser Basis in sich hat und das Leben in seiner Weltbedeutung zur Anschauung bringt. Denn Leben und Poesie sind einerlei, und diese nur der tiefste Ausdruck von jenem, nichts, das vom Leben abgelöst und als bloßes Phantasiespiel selbstständig dargestellt werden könnte. Der Dichter glaube auch nicht, die Freiheit und Fülle des schöpferischen Vermögens dadurch zu bethätigen, daß er den festen Boden der Realität verläßt und, unbekümmert um die Wirklichkeit, ins regellos und ungebunden Phantastische hinüberschweift. Es ist freier, einen freien Act des Lebens, eine wirklich geschehene That aufzufaffen und sich ins innigste Verständniß zu rufen, als nach Willkür des eige= nen Geistes das Leben umzugestalten und so dem freien Gotte Fesseln anzulegen. Der ächte Realismus, der dem Dichter ziemt, findet Götterstimmen in der Brust des Menschen und braucht sie nicht zu suchen bei den selbstgemachten falschen Göttern, in welchen er unter dürftiger Personification nur einzelne Reflere seines eigenen Gemüths verehrt, die, von der ächten Lebensquelle abgezogen, nichts als todte Formen sind. Es bestraft sich immer, wenn der Dichter etwas höher als den Menschen stellt. Mag es auch droben wohnen im kalten strahlenden Olymp, es

ist kein Gott, es ist nur eine Lüge. Sobald die einzelne Idee, die nur ein Ausfluß des Menschengemüthes ist, an sich geltend gemacht wird, wird sie zur Tyrannin, nicht zum beseelenden Prinzip des Lebens, und ein Dichter, der, statt von der Freiheitsidee an sich begeistert zu seyn, von dem Menschen begeistert ist, der für die Freiheit lebte und starb, der diesen mit lebendiger Persönlichkeit, nicht bloß als Gefäß und Träger der Idee vor uns erscheinen läßt, und so die Idee aus ihrem ächten Lebensquell heraus dem Menschen darzustellen vermag, wird weit mehr für die Freiheit selbst begeistern, als wenn er sie an sich vorzuführen sucht und dadurch zum bloßen Begriff herabscht.

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(Eine Höhe mit dichtem, dunklem Kastanienwald bei Capua. Man hört aus der Nähe das Brausen des Meers.)

(Hannibal windet sich zu Pferde rasch durch das Gebüsch, steigt an einem kleinen Grasfleck ab, und hängt die Zügel des Pferdes an einen niedrigen Baumast.)

Hannibal. Gaul, solltest du verstehen, wie ein lang niedergedrückter Schmerz sich lüftet, so wiehere es nicht aus, oder ich schlage dich nieder!

(Er stürzt sich auf die Erde, und faßt sie mit beiden Händen; )

Italia! Herrliche, um die ich siebenzehn Jahre warb. die ich geschmückt mit eignem und mit Consulblut, so muß ich Dich verlassen? Nichts bleibt mir von Dir, die ich mitreißen möchte übers Meer? Du, ganz anders als die sinstere Garthago und ihr heißes, trübrothes Firmament, Du, prangend mit Helden, die nur vom Ruhm und Eisen, nichts vom Gold wissen, mit dem Glanz selbst nicht, durch Miethlinge errungener, zum Capitol hinauf schimmernder Triumphe, nie erhabener als da ich Dich zu meinen Füßen wähnte, und Du dich aufrichtetest zu dem Gewölbe Deines ewig blauenden Himmels! Ha diese Gräser entreiß ich Dir und berge sie an meinem Herzen; mein jahrelanges Mißgeschick entschuldige bei mir selbst einen Augenblick der Empfindung!

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Stimmen der commandirenden Flotten officiere vom Meere her, von allen Seiten. Strammer die Taue! Seewasser darauf! Noch zwanzig Ruderer an die fünfte Bank hier! Schnell, der Landwind wird frisch!-Dort naht das Heer schon zum Einschiffen! Flöße, - Barken, ans Ufer

*),,Hannibal. Tragödie von Grabbe. Düsseldorf. Schreiner. 1835. 8.

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