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CXLV. 3. G. Kühne.

1. Aus der Novelle: „Eine Quarantaine im Irrenhause.“ *) Das Geständniß. (S. 286.)

Durch Wald und Gebüsch sind wir nun vier Stunden in einem Zuge gefahren. Der Weg war ebenso schlecht, als unsere Eile groß. Der Mond verkroch sich oft, und die knarrende zweiräderige Kalesche, in der ich mit Victorinen saß, drohte mehrmals, zusammenzubrechen, wenn die vielen Wurzeln im Waldwege ein Hinderniß boten. Aber der Gaul hatte Muth und Kraft, und so jagten wir denn fort und haben die Grenze und die Hälfte der Tour erreicht.

Hier in der einsamen Herberge theilen sich unsere Wege. Der Capellmeister will direct nach Isebüttel, er läßt sich nicht davon abbringen, während Victorine den dringenden Wunsch verräth, nach Welmar zu fahren. Mich selbst zieht es dorthin. Sobald der Morgen graut, lasse ich anspannen; bis dahin gönne ich dem Thiere die kurze Rast. Philipp ist bereits aufgebrochen, der Capellmeister ließ ihn nicht ruhen. Sie werden bald ihr Ziel erreichen, da der junge Arzt des Weges auch Hier kundig ist.

Es ist recht schaurig still in der kleinen Waldstube, die mich und Victorinen umschließt. Aus der nahen Kammer dringt der röchelnde Laut schlafender Menschen; es sind die Wirthsleute, die so einträchtig schnarchen und glücklich sind. Auch die Freundin ist still und müde, sie sigt im alten Lehnstuhl, ich glaube sie schläft jezt. Ich halte meinen Arm vor das Nachtlicht, das vor mir steht, um ihr Auge zu beschatten. Mit der andern Hand schreibe ich hier mein Tagebuch. Ich bin innerlich so wach, ich möchte krähen wie ein Haushahn, wenn ich die Schläfer nicht zu wecken fürchtete. Ach, da erlischt die Leuchte. Nun ist's gut, nun haben wir Schatten, wenn nur der Mond nicht wäre!

Ich hielt eine Weile das Auge geschlossen, dann sah ich auf und erschrak heftig. Victorine stand dicht vor mir. Sie legte ihre Hände auf meine Schultern und blickte mir starr ins Angesicht. Das Mondlicht umspielte ihre weiße hohe Stirn, ihr Auge war etwas stier, die Lippe bewegte sich schnell und hastig. Himmel! ste träumt, sie ist mondsüchtig! Ich blieb in meiner Stellung wie gelähmt, wie gebannt. Ihre ganze Gestalt lehnte sich mit vollem Gewicht an meine Schulter. Ich mochte sie nicht rufen, nicht ihren Namen nennen; so ließ ich Alles ruhig an mir geschehen. Sie neigte sich so nah über mich hin, daß ich den Hauch ihrer Lippen an meiner Wange fühlte, dann sank sie matt und leise ganz an meine Brust, ihr Busen klopfte an dem meinigen, ihre Hände umschlangen meinen Nacken. Ein Schauer bebte durch meine Adern, ich wäre vor Seligkeit fast gestorben. „Du guter Mensch!”'

*) Leipzig. Brockhaus. 1835.

sagte sie mit einer lispelnden Geisterstimme, die wie der Athem einer verklärten Seele klang: „Du hast mich doch wohl recht tief und wahrhaftig geliebt? und ich Dich nicht? Ja, hätte ich lieben gedurft, ich hätte Dich geliebt. So lebe wohl, so laß uns Abschied nehmen, einmal und nie wieder!" Ihr zitternder Mund hing an meiner glühenden Lippe, ich konnte den Kuß nicht erwiedern, ich unterlag der Wehmuth, die wie ein Strom voll ewiger Liebe, wie der Aetherglanz eines Engels mich überflutete; ich weinte eine stille Thräne.

Der Mond hüllte sich in die Wolke und ließ uns in der traulichen Dunkelheit. So sah ich Victorinen nicht mehr, aber ich hatte und hielt sie ganz in meinen Armen. Und sie wußte nichts davon! Nur träumend hatte sie mich gefüßt, und ich hatte nicht den Muth, sie auch zu küssen, eine gewisse bange Scheu hielt mich ab. Ich mochte sie nicht wecken und auch den Traum nicht weiter spielen. Jezt schlief sie wieder recht fest, ich hatte sie bequem an meiner Brust gebettet, aber ich fürch tete ihr Erwachen, wenn das Mondlicht wieder aus der Wolke trat. So umfaßte ich sie denn sanft und leise, hob sie in die Höhe und mich mit ihr, und trug sie sacht zurück, von wo sie gekommen war, ohne es zu wissen, ohne es zu wollen. Ihr Haupt lag wieder in der Lehne des Armstuhls, ihr Busen klopfte heiß und mächtig gegen den schwarzen Candidatenfrack. So lag sie nun wieder ruhig und durfte nicht erröthen, wenn sie erwachte. Ich selbst rückte meinen Stuhl ihr näher und saß still vor ihr und behütete ihren Schlaf, als das bleiche Nachtgestirn wieder mit seinem täuschenden Saum ihre Stirn versilberte.

2. Aus der

Deutsche Lyrik.

Zeitung für die elegante Welt.“

(1837. Nro. 254.)

Anastasius Grün und Carl Beck.
(S. 1013.)

Aus dem deutschen Norden bringen uns die heimischen Dichter die künstlerisch gestaltete Novelle mit der Dialektik im Stoff und im Gedankengehalt, und mit ihr die feingeschliffene Prosa und die kecke Entscheidung kritischer Weltanschauung. Die Poesie des deutschen Nordens ist in dieser Beziehung ein Atticismus. Im Süden des geliebten Vaterlandes wogt und bebt, wie um Joniens Küstenstrand, die rhythmische Fluth der Gefühlswelt. Der deutsche Süden ist vorherrschend lyrisch. Und in den Wellenschlag der süddeutschen Naturfülle taucht das gedankenschwere Vaterland so gern die müde Brust und steigt aus dem erquicklichen Bade neu gekräftigt und gefühnt wieder auf; in seinem Lächeln auf der Stirn spiegelt sich die Gewißheit von dem unversiegbaren Quell der deutschen Dichterkraft.

,,Und singend einft und jubelnd
durchs alte Erdenhaus
zieht als der lehte Dichter
der lezte Mensch hinaus.“

So sang Anastasius Grün schon frühzeitig mitten unter dem kritischen Händeringen einer denkenden Verzweiflung. Er hatte nur

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eben so sehr Recht wie diese. Ist doch das deutsche Geistesleben dieses ewige Herzklopfen Europas groß und weit genug, um das Widerstrebendste mitzufühlen, die Pfeilschnelle des Gedankens im Gehirn mitzuempfinden und über die Lähmung der gehemmten Füße mitzutrauern! Und wo eine junge Zeit, wie Jupiter's Geliebte, auf ihren eignen Wunsch den Gott in seiner nackten Wahrheit erschaute, da stirbt sie doch nicht wie jene vor dem jähen Anblick, sie hüllt sich nur tiefer in ihre Gewande und klagt wie vom Gram der Weisheit getroffen, und selbst unter Schleiern wird ihre Klage zum Gedicht, das heißt zu einem Abbild der Wahrheiten unsers Jahrhunderts. So stirbt sie nicht und lebt fort in vielfachen Gestaltungen und erfüllt die Welt mit dem Athemzuge des jugendlichen Geistes.

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Ich gefelle hier zu Anastasius Grün einen Dichter, der in den Weisen seines Gesanges nichts Verwandtes mit ihm hat, sich aber in derselben Atmosphäre der Zeitideen getragen fühlt, ein geniales Kind aus dem Lande der Magyaren, Karl Beck (Seine „Nächte“ erschie nen kürzlich in Leipzig bei Engelmann; in Bezug auf Anastasius Grün spreche ich hier von seinem Bande Gevichte", wo Altes und Neues zusammengefaßt ist; Leipzig, Weidmann'sche Buchhandlung.) Dem partiellen Vaterlande jener wie dieser entfremdet, tragen beide ihr ganzes Deutschland im Herzen und hangen mit Bienenlippen an dem Geist des Jahrhunderts, der die Völker zur Menschheit heranbildet. In deutschen Eichen klingt ihr Lied, eine Philomele, die um verlorne Lebensgüter klagt, durch Schattengänge wandelt ihre Sehnsucht, es sind Deutschlands Schattengänge, aber das Herzklopfen ihrer Wünsche gilt der ganzen Menschenwelt. Sie singen nicht viel von eigenem Leid und Luft, die Menschheit ist ihre Person; das ist das Kennzeichen bedeutungsvoller Dichter in jeziger Zeit. Wohl macht sich die Liebe geschäftig um sie, wohl hat der Gram um versagtes Glück ihre Stirn gefurcht, aber wenn die Muße sie in schönster Stunde küßt, dann gilt ihr Lachen und ihr Weinen dem Jahrhundert, in dessen Gedankenfülle sie versunken sind mit all ihrem Lieben und Hassen, Hoffen, Glauben und Verzweifeln. Denn zu dieser Religion hat sich nun der Liefsinn des Jahrhunderts herangebildet, daß wir den duldenden Christus, den wir Gott nennen, in der duldenden Menschheit sehen, die immerdar ans Kreuz geschlagen, ewig wieder aufsteht und den Wandel neu beginnt. Auf diesem Höhepunkt erblicken wir jene beiden Sänger, und sie sind der Erleuchtungen voll, troz dem ihre liebsten Wünsche im Schooß der Schmerzen brüten. Wenn sie jubeln, so gilt ihr Entzücken der erlösenden Liebe, die die Welt von dem befreit, was wir Tyrann, Aberglauben, Sahung nennen; wenn sie wehklagen, so strecken sie ihre Arme wie die Trauerweide über den dunkeln See, in welchem das helle Bild der Völkerfreiheit wieder versank. Die Sonne leuchtet ihnen dann wohl noch, der Mond wandelt seine Bahn, das Leben lockt in Busch und Hain mit tausend Vogelstimmen; allein was kümmert sie die weite Welt, wenn die Geliebte still versenkt ist in den feuchten Schooß!

Gemeinschaftlich haben beide Dichter, daß sie die Weisheit und die

Lehren ihrer Zeit in Bilder hüllen. So sprechen sie häufig in Parabeln, die zu deuten geben, und sind, während sonst die Einbildungskraft den Gedanken erleuchtet, oft von Phantasten umdunkelt. Dies trifft Anastasius Grün wie Karl Beck. In Jenem wird ein Sarkasmus laut, der die Lippen zusammendrückt, um mit seiner beißenden Schärfe nicht offen zu verwunden. In Beck verspinnt sich alles, auch der keckste Gedanke, den ihm der Geist des Jahrhunderts gibt, in träumerische Musik. Deshalb erleben die Ideen der Zeit in seinen „Nächten“ ein wunderbares Mährchendasein, sie sprechen mit einander wie halbschlafende Kinder, um deren Stirn weisheitsvolle Engel ihren Fittich schwingen. Ein Naturkind aus dem Ungarnlande, mit der heißen Luft, des Lebens beste Schäße zu erobern, so kam er nach Deutschland und lehnte sein horchendes Ohr an das große Weltherz der Börne'schen Gedanken. Und was er hier erlauschte, verwebt er in seinen Nächten, wo die Gei= ster umgehen, zu einer Welt voll morgenländischer Träume. Der Mann, deffen Tod er so schön besang, wird sein Held, der dem Schöpfer in die Lenkerhand greift, eine neue Weltordnung für die Geschlechter der Menschen ersinnt und eine neue Bibel schreibt. Ein Chaos ist noch immer auf Erden, auf eine Schöpfung wartet die Schöpfung, so lange sie nicht fertig ist, immer noch, Paradies und Sündfluth haben im Schooße des Erdenlebens noch immer ihren Segen und ihren Fluch. Am Thurme zu Babel arbeiten die Geschlechter nach wie vor, die zehn Gebote sind noch immer zu deuten, nach einem Simson, der die Philister des Herkommens erschlägt, nach einem feinen David, der mit gewandter Hand den Riesen der Tyrannei erlegt, schreien noch immer die Jahrhunderte. So lange noch in Trümmern sinkt, was die Menschen als ihr Liebstes auferbauen, so lange wird ein Jeremias feine Stimme erheben, und was das neue Testament von den sieben Bitten, vom Himmelsschlüssel und den Wundern der erlösenden Liebe verkündet, das steht noch Alles wie ein Räthsel da, an dem die Jahrhunderte, jedes nach seiner Art, zu deuten haben. So hat sich Karl Beck eine neue Bibel, die er Börne schreiben läßt, zusammengeträumt, und durch die morgenländischen Wolken seines Traumes blizen die Wahrheiten des wachen Bewußtseins, wie es sich inmitten des deutschen Lebens gestaltet hat. Das ist der Zusammenhang des zweiten und dritten Mährchens in seinen Nächten; von den sieben Bitten sind aber noch drei verschwiegen; Börne's Lod tritt wie ein weltgeschichtlicher Censurstrich mitten in die Offenbarungen der träumerischen Prophetie. Die andern Mährchen nehmen ihre Motive aus weltlichen Zuständen und umspinnen Ereignisse der jezigen Wirklichkeit mit Traum und Klang. Das gebeugte Judenthum, das ver= nichtete Polen sind vorherrschende Trümmerhaufen, auf denen des Sängers Stimme ertönt. Sollen wir einzelne Gedichte hervorheben, so müssen wir in dem Abenteuer eines leipziger Studenten" besonders zwei als besondere Kleinode nennen: „Schiller's Haus in Gohlis“ und „die verwaiste Burschenkneipe." Als abgeschlossene und vorzüglich vollendete Einzelnheiten in der neuen Bibel ließen sich, das Chaos", das Paradies", die 55ste Nacht" und manche andere herausstellen, obwohl die

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ganze Reihe von nächtlichen Entzückungen der Phantasie als eine einzige Elegie erscheint, die nur ein Athemzug und derselbe Strom des Gefühls erzeugte.

Anastasius Grün's Gedichtsammlung besteht aus Erzeugnissen verschiedenartigen Gehaltes; es ist hier zusammengefaßt, was der Jüngling und der Mann in einer Reihe von Jahren gedacht und gefühlt. Auch hier ist die freiheitsdürftende Muse träumerisch, aber diesen gramschweren, wortharten Sänger befängt der Traum nicht selten mit Schreckbildern. Beck's Phantasie verspinnt sich oft wider Willen in eine dunkle Bilderwelt; Anastasius Grün hüllt sich absichtlich in Parabelschmuck, weil er, der Mann, der die Welt erprüfte, wohl weiß, wie schwer, wie blutig das Schwert seiner Rede trifft. Der Spartanismus seiner Gefühle liegt am deutlichsten in seiner Sprache ausgeprägt, die oft rauh, eckig und widerhaarig verschlungen ist. Er ist der Sohn einer Gebirgswelt, wo die Freiheit von den Adlern die Sprache lernt, oder vom Sturzbach, der in die Tiefe herunterfährt. So steigt er von seinem Hart herab ins Thal und redet die Sprache der ungezähmten Geister seiner Bergnatur. Seine Winterlieder sind schöner und fast zarter als seine Frühlingsklänge; selbst unter Italiens Himmel verschmäht er das weiche Gekose und die täuschende Luft des behäbigen Augenblicks, er läßt sich nicht gefangen nehmen von der schmeichlerischen Luft des Südens, er sieht nur das Elend des Geschlechts und die wirre Knechtschaft der Menge. Selten fang ein Dichter so gedankenschwere Liebeslieder, wie Anastasius Grün in seinen Mannesthränen", „Bestimmung",,,die Brücke"; die Schwere des Gedankens verdrängt beinahe die Wärme feines Gefühls. Wenn er den Rhein besingt, so hört er das Klirren der Ketten, in welchen deutsche Jugend kurzen Wahn mit langer Qual abbüßt. Am bittersten ist er, wenn er den Alpenbewohner seiner Heimath, wo sich die Freiheit und die Unschuld still verschüchtern, als das Lamm in den Fängen des Raubthiers schildert. Er hat das Recht dazu, denn der keusche Stolz seiner Gewissenhaftigkeit in dem Gedichte: „Die Muse vor Gericht", hat den Stempel der echten Freiheit des Geistes. Am schönsten malt er das Meer und den Schlachtenlärm (in dem Gedichte „Hellas“). Es ist die Poesie des Zornes, die in seinen Gesängen ertönt, und wenn er die untergegangene Größe Venedigs schildert, so durchzittert seine Seele der großartige Schmerz um die verlorene Freiheit und um die Hinfälligkeit der heiligsten Lebensgüter. In seinen Erinnerungen an Adria" finde ich seine schönsten Gedichte; vor allen:,,die Sünderin." Die VenetianerTrias ist wunderbar schön, voll bitterer Lustigkeit. Seine Fröhlichkeit hat immer etwas Melancholisches, wie in dem Gedichte: „Der treue Gefährte", in welchem er Herrn Hypochonder schildert, oder sie hat eine sarkastische Färbung, die tragisch wirkt. Selbst sein mildestes Lied, sein Archipelagus der Liebe“, erhebt sich zu einer weltweiten Größe, die den ganzen Schmerz des Lebens in sich schließt. Und diese Poesie des Zornes ist thränenlos, was selten ist in deutscher Lyrik. Es ist eben hier der Mann, der weinen müßte; der Mann aber, wenn er statt des Schwertes nur die Thräne hat, verhüllt sein Angesicht oder zerdrückt das

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