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der Geist sich nicht zu dieser höhern Schönheit und Vollendung erheben dürfte? Wohl besißt nicht Jeder alles Schöne und Gute; aber unter die Menschen sind die Gaben vertheilt, nicht unter die Zeiten. Ein ander Gewächs ist Jeder; aber wie er ist, kann er blühen zugleich und Früchte tragen immerdar. Was sich in demselben vereinigen kann, das Alles kann er auch neben einander haben und erhalten, kann es und soll es auch.

Wie kommt dem Menschen die besonnene Weisheit und die reife Erfahrung? wird sie ihm gegeben von oben herab, und ist's höhere Bestimmung, daß er sie nicht eher erhält, als wenn er beweisen kann, daß seine Jugend verblüht ist? Ich fühle, wie ich sie jezt erwerbe; es ist eben der Jugend treibende Kraft und das frische Leben des Geistes, was sie hervorbringt. Umschaun nach allen Seiten; aufnehmen Alles in den innersten Sinn, besiegen einzelner Gefühle Gewalt, daß nicht die Thräne, sei's der Freude oder des Kummers, das Auge der Seele trübe und verdunkle seine Bilder; rasch sich von einem zum andern bewegen, und unersättlich im Handeln auch fremdes Thun noch innerlich nachahmend, abbilden: das ist das muntere Leben der Jugend, und eben das ist das Werden der Weisheit und der Erfahrung. Je beweglicher die Fantasie, je schneller die Thätigkeit des Geistes: desto eher wachsen und werden beide.

Und wenn sie geworden sind, dann sollte dem Menschen nicht mehr ziemen jenes muntere Leben, das sie erzeugt hat? Sind sie denn je vollendet die hohen Tugenden? und wenn sie durch die Jugend und in ihr geworden sind, bedürfen sie nicht immer derselben Kraft, um noch mehr zu werden und zu wachsen? Aber mit leerer Heuchelei betrügen sich die Menschen um ihr schönstes Gut, und auf den tiefsten Grund der beschränktesten Unwissenheit ist die Heuchelei gebaut. Der Jugend Beweglichkeit, meinen sie, sei das Treiben dessen, der noch sucht, und Suchen zieme nicht mehr dem, der schon an des Lebens Ende steht; er müsse sich schmücken mit weiser Stille, dem verehrten Symbol der Vollendung, mit Ruhe des Herzens, dem Zeichen der Fülle des Verstandes ; so müsse der Mensch einhergehen im Alter; daß er nicht, wenn er noch immer zu suchen scheine, unter dem Gelächter des Spottes über das eitle Unternehmen hinab steigen müsse in den Tod. So jene; aber ihre weise Stille ist nur träge Ruhe, und ein leeres ist ihr gelassenes Herz. Nur wer Schlechtes und Gemeines suchte, dem sei es ein Ruhm, Alles gefunden zu haben! Unendlich ist, was ich erkennen und besigen will, und nur in einer unendlichen Reihe des Handelns kann ich mich selbst ganz bestimmen. Von mir soll nie weichen der Geist, der den Menschen vorwärts treibt, und das Verlangen, das nie gesättigt von dem, was gewesen ist, immer Neuem entgegen geht. Das sei der Ruhm, den ich suche, zu wissen, daß unendlich mein Ziel ist, und doch nie still zu stehn im Lauf; zu wissen, daß eine Stelle kommt auf meinem Wege, die mich verschlingt, und doch an mir und um mich nichts zu ändern, wenn ich sie sehe, und doch nicht zu verzögern den Schritt. Darum ziemt es dem Menschen, immer in der sorglosen Heiterkeit der Jugend

zu wandeln. Nie werd ich mich alt dünken, bis ich auch fertig wäre; aber nie werd ich fertig sein, weil ich weiß und will, was ich soll. Auch kann es nicht sein, daß des Alters Schöne und der Jugend einander widerstrebe; denn nicht nur wächst in der Jugend, weshalb sie das Alter rühmen; es nährt auch wieder das Alter der Jugend frisches Leben. Besser gedeiht ja, wie Alle sagen, der junge Geist, wenn das reife Alter sich seiner annimmt: so verschönt sich auch des Menschen eigne innere Jugend, wenn er schon errungen hat, was dem Geiste das Alter gewährt. Schneller übersicht was da ist der geübte Blick, leichter faßt Jedes wer schon viel ähnliches kennt, und wärmer muß die Liebe sein, die aus einem höhern Grade eigener Bildung hervorgeht. So soll mir bleiben der Jugend Kraft und Genuß bis ans Ende. Bis ans Ende will ich stärker werden und lebendiger durch jedes Handeln, und liebender durch jedes Bilden an mir selbst. Die Jugend will ich dem Alter vermählen, daß auch dies habe die Fülle, und durchdrungen sei von der belebenden Wärme. Was ist's denn, worüber sie klagen im Alter? Es sind nicht die nothwendigen Folgen der Erfahrung, der Weisheit und der Bildung. Macht der Schaß der bewahrten Gedanken stumpf des Menschen Sinn, daß ihn nicht reizt weder Neues noch Altes? Wird die Weisheit mit ihrem festen Wort zulezt banger Zweifel, der jedes Handeln zurükhält? Ist die Bildung ein Verbrennungsgeschäft, das in todte Masse den Geist verwandelt? Was sie klagen ist nur, daß ihnen die Jugend fehlt. Und die Jugend warum fehlt sie ihnen? Weil in der Jugend ihnen das Alter gefehlt hat. Doppelt sei die Vermählung. Jezt schon sei in starken Gemüthern des Alters Kraft, daß sie Dir erhalte die Jugend, damit später die Jugend Dich schüße gegen des Alters Schwäche. Wie sie es theilen, soll gar nicht das Leben getheilt sein. Es erniedrigt sich selbst wer zuerst jung sein will, und dann alt, wer zuerst allein herrschen läßt, was sie rühmen als jugendlichen Sinn, und dann allein folgen, was ihnen der Geist des Alters scheint; es verträgt nicht das Leben diese Trennung seiner Elemente. Ein doppeltes Handeln des Geistes ist es, das vereint sein soll zu jeder Zeit; und das ist die Bildung und die Vollkommenheit, daß beider ich immer inniger bewußt werde der Mensch, in ihrer Verschiedenheit, und daß er in Klarheit sondere eines jeden eignes Geschäft.

Für die Pflanze selbst ist das Höchste die Blüte, die schöne Vollendung des eigenthümlichen Daseins; für die Welt ist ihr Höchstes die Frucht, die Hülle für den Keim des künftigen Geschlechtes, das Geschenk was jedes eigene Wesen darbieten muß, daß die fremde Natur es mit sich vereinigen möge. So ist auch für den Menschen das muntere Leben der Jugend das Höchste, und weh ihm, wenn es von ihm weicht: aber die Welt will, er soll alt sein, damit Früchte reifen, je cher, je lieber. Also ordne dir das Leben einmal für immer. Was allzu spät die Menschen erst das Alter lehrt, wohin gewaltsam in ihren Fesseln die Zeit sie führt, das sei schon jezt aus des kräftigen Willens freier Wahl Deine Weise in Allem was der Welt gehört. Wo die Blüte des Lebens aus freiem Willen eine Frucht ansezt, da werde sie ein süßer

Genuß der Welt, und verborgen liege darin ein befruchteter Keim, der sich einst entwickele zu eignem neuen Leben. Was du der Welt bietest, sei leicht sich ablösende Frucht. Opfre nicht den kleinsten Theil deines Wesens selbst in falscher Großmuth! Laß dir kein Herz ausbrechen, keine Blättchen abpflücken, welches Nahrung Dir einsaugt aus der umgebenden Welt! Aber treibe auch nicht zornigen Gemüthes gleich hervor täuschenden Auswuchs, ungestaltet und ungenießbar, wo etwa ein verderbliches Thierchen Dich sticht; sondern Alles, was nicht für Dich selbst ist Wachsthum der Gestalt oder Bildung neuer Organe, das sei wahre Frucht, aus der innern Liebe des Geistes erzeugt, als freie That seines jugendlichen Lebens Denkmal. Hat sie aber eignes Leben gewonnen: so trete sie allmählig hervor aus ihren Umhüllungen; und. dann werde sie weiter gebildet nach des äußern Handelns Gesez. Dann fei Klugheit um sie geschäftig und nüchterne Besonnenheit, daß auch wirklich der Welt zu Gute komme, was freigebig die Liebe ihr zugedacht hat. Dann wäge bedachtsam Mittel und Zwek, sorge und schaue umber mit weiser Furcht, halte zu Rathe Kraft und Arbeit, lege hoch an deine Mühe, und harre geduldig und unverdrossen des glücklichen Augenblicks.

Wehe, wenn die Jugend in mir, die frische Kraft, die Alles zu Boden wirft, was sie einzwängen will, der leichte Sinn, der immer weiter strebt, sich je bemengte mit des Alters Geschäft, und mit schlechtem Erfolg auf dem fremden Gebiete des äußeren Thuns die Kraft verschwendete, die sie dem innern Leben entzöge! So mögen nur die untergehn, die den ganzen Reichthum des Lebens nicht kennen, und also mißverstehend den heiligen Trieb jugendlich sein wollen im äußeren Thun. Im Augenblick soll eine Frucht reifen, wie eine Blüte sich entfaltet in einer Nacht; es drängt ein Entwurf den andern, und keiner gedeiht; und im raschen Wechsel widersprechender Mittel zerstört sich jedes angefangene Werk. Haben sie so in vergeblichen Versuchen die schöne Hälfte des Lebens verschwendet, und nichts gewirkt noch gethan, wo Wirken und Thun ihr ganzer Zweck war: so verdammen sie den leichten Sinn und das rasche Leben, und es bleibt ihnen allein das Alter zurück, schwach und elend wie es sein muß, wo die Jugend verscheucht und verzehrt ist. Daß sie mir nicht auch fliehe, will ich sie nicht mißbrauchen; sie soll mir nicht dienen auf fremdem Gebiete zu ungebührlichem Geschäft; in den Grenzen ihres Reichs will ich sie halten, daß ihr kein Verderben nahe. Da aber soll sie mir walten jezt und immer in ungestörter Freiheit; und kein Gesez, welches nur dem äußeren Thun gebieten darf, soll mir das innere Leben beschränken.

Alles Handeln in mir und auf mich, das der Welt nicht gehört, und nur mein eignes Werden ist, trage ewig der Jugend Farbe, und gehe fort nur dem innern Triebe folgend in schöner sorgloser Freude. Laß Dir keine Ordnung gebieten, wann Du anschauen sollest oder begreifen, wann in Dich hineingehn oder aus Dir heraus! fröhlich jedes fremde Gesetz verschmäht, und den Gedanken verscheucht, der in todten Buchstaben verzeichnen will des Lebens freien Wechsel. Laß Dir nicht

sagen, dies müsse erst vollendet sein, dann jenes! Gehe weiter wie und wann es dir gefällt mit leichtem Schritt: lebt doch alles in Dir und bleibt was du gehandelt haft, und findest es wieder wenn du zurük kommst. Laß Dir nicht bange machen, was wol daraus werden möchte, wenn Du jezt dies begönnest oder jenes! Immer wird nichts als Du: denn was Du wollen kannst, gehört auch in Dein Leben. Wolle ja nicht mäßig sein im Handeln ! Lebe frisch immer fort; keine Kraft geht verloren, als die Du ungebraucht in Dich zurückdrängest. Wolle ja nicht dies jest, damit Du hernach wollen könnest jenes! Schäme Dich, freier Geist, wenn das eine in Dir sollte dienen dem andern; nichts darf Mittel fein in Dir, ist ja Eins so viel werth als das Andere; drum was du wirst werde um sein selbst willen. Thörichter Betrug, daß Du wollen solltest, was Du nicht willst! Laß Dir nicht gebieten von der Welt, wann und was Du leisten solleft für sie! Verlache stolz die thörichte Anmaßung, muthiger Jüngling, und leide nicht den Druck. Alles ist Deine freie Gabe: denn in Deinem innern Handeln muß aufgehn der Entschluß ihr etwas zu thun; und thue nichts als was Dir in freier Liebe und Luft hervorgeht aus dem Innern des Gemüthes. Laß Dir keine Grenzen sehen in Deiner Liebe, nicht Maaß, nicht Art, nicht Dauer! Ist sie doch Dein Eigenthum: wer kann sie fordern ? Ist doch ihr Gesez bloß in Dir: wer hat dort zu gebieten? Schäme Dich fremder Meinung zu folgen in dem was das Heiligste ist! Schäme Dich der falschen Schaam, daß sie nicht verstehen möchten, wenn Du den Fragenden sagtest: darum liebe ich. Laß Dich nicht stören, was auch äußerlich geschehe, in des innern Lebens Fülle und Freude! Wer wollte vermischen was nicht zusammen gehört, und grämlich sein in sich selbst? Härme Dich nicht, wenn Du dies nicht sein kannst, und jenes nicht thun! Wer wollte mit leerem Verlangen nach der Unmöglichkeit hinsehn, und mit habsüchtigem Auge nach fremdem Gut?

So frei und frölich bewegt sich mein inneres Leben! Wenn und wie sollte wol Zeit und Schicksal mich andere Weisheit lehren? Der Welt laß ich ihr Recht: nach Ordnung und Weisheit, nach Besonnenheit und Maaß streb ich im äußern Thun. Warum sollt ich auch verschmähen was sich leicht und gern darbietet, und willig ́ hervorgeht aus meinem innern Wesen und Handeln? Ohne Mühe gewinnt das Alles in reichem Maaße wer die Welt anschaut; aber durch das Anschauen seiner selbst gewinnt der Mensch, daß sich ihm nicht nähern darf Muthlosigkeit und Schwäche: denn dem Bewußtsein der innern Freiheit und ihres Handelns entsprießt ewige Jugend und Freude. Dies habe ich ergriffen und lasse es nimmer, und so seh ich lächelnd schwinden der Augen Licht, und keimen das weiße Haar zwischen den blonden Locken. Nichts was geschehen kann, mag mir das Herz beklemmen: frisch bleibt der Puls des innern Lebens bis an den Tod.

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2. Predigt über 1 Corinth. 12, 31. —

13. 1. *)

Daß Vorzüge des Geistes ohne sittliche Gesinnungen keinen Werth haben. (Erste Sammlung. Zweite Auflage. S. 66.)

Man nennt unser Zeitalter das aufgeklärte, und spricht viel von großen Fortschritten, welche alle Abtheilungen der Gesellschaft in der Bildung des Geistes, in der Berichtigung und Erweiterung ihrer Einsichten sollen gemacht haben; und, wie mißlich es auch, näher betrachtet, um diese Fortschritte stehen mag, soviel kann wenigstens nicht geläugnet werden, daß das allgemeine Bestreben nach dieser Seite hin gerichtet ist. Wissenschaften und Künste werden auf allerlei Geschäfte des Lebens fleißiger und scharfsinniger angewendet, als sonst; alle Gewerbe entfernen sich mehr und mehr von der Sklaverei alter Gewohnheiten, man forscht darin nach Gründen, und findet auf diese Weise Verbesserungen; Beobachtung der Natur und des Menschen sucht den Aberglauben in allen seinen Schlupfwinkeln auf; Untersuchungen und Mittheilungen über den Zusammenhang großer Ereignisse und über die allgemeinen Angelegenheiten der Menschen finden immer mehr aufmerksame Ohren; und mildere Sitten, welche sich unter allen Ständen verbreiten und sie einander näher bringen, machen zugleich das Gemüth urbar, um den Samen jeder Erkenntniß aufzunehmen, und auch solchen Wahrheiten Gedeihen zu sichern, die ursprünglich in andern Gegenden der geselligen Welt einheimisch sind. Dies Alles ist kein geringer Ruhm; aber leider ist mit diesen Fortschritten sehr allgemein der große Nachtheil verbunden, daß der Verstand nnd die Bildung desselben auch unabhängig von der Gesinnung geschäßt und viel zu hoch geschätzt wird. Sich in seinen Berufsgeschäften durch Geschicklichkeit und verständige Benuzung alles Fremden und Neuen auszeichnen; auch jenseit derselben über alle gemeinen menschlichen Dinge eine eigne und begründete Meinung haben; im Kreise der Gesellschaft durch Munterkeit und Gewandheit des Geistes gefallen, durch ein schneidendes Urtheil sich Ansehn erwerben, durch funkelnden Wiz blenden: das ist jeßiger Zeit das Bild der Vollkommenheit, das ist das einzige Mittel, um geliebt, geschäßt und bewundert zu werden. Seid daneben rechtschaffen und treu, man wird dessen nur im Vorbeigehen erwähnen; besigt diese Tugend ohne jene Vollkommenheiten des Verstandes, so bleibt ihr ganz unbemerkt im Hintergrunde stehen. Die einfältige Redlichkeit, wie aufrichtig und thätig sie auch sei, gilt nichts; Verstand und Talente, das ist die allgemeine Losung. Ich bin weit entfernt auf das, was man so gemeinhin ein gutes Herz nennt, großen Werth zu legen. Die Bereitwilligkeit, mit Andern und für sie zu empfinden, sich zum Werkzeuge von ihnen gebrauchen zu Lassen, und sich an Alles, was in ihnen gut und groß zu sein scheint. bewunderungsvoll anzuschließen, ist etwas sehr zweideutiges, und oft

*) Predigten von F. Schleiermacher. Vier Sammlungen. Berlin. Realschulbuchhandlung. 1801 — 1820. (Zweite Ausgabe 1806 — 1826.) 8.

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