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auf, und eine im leeren Todtenhause zurückgebliebene Larve nahm allmählich seine Züge an.

Mitten in dem Krampf floß plöglich die Musik für das Neujahr vom Thurme hernieder, wie ferner Kirchengesang. Er wurde sanfter bewegt. Er schauete um den Horizont herum und über die weite Erde, und er dachte an seine Jugendfreunde, die nun, glücklicher und besser als er, Lehrer der Erde, Väter glücklicher Kinder und gesegnete Menschen waren, und er sagte: „O, ich könnte auch, wie ihr, diese erste Nacht mit trocknen Augen verschlummern, wenn ich gewollt hätte ach ich könnte glücklich sein, ihr theuern Eltern, wenn ich euere Neujahrwünsche und Lehren erfüllet hätte."

Im fieberhaften Erinnern an seine Jünglingzeit kam es ihm vor, als richte sich die Larve mit seinen Zügen im Todtenhause auf — endlich wurde sie durch den Aberglauben, der in der Neujahrnacht Geister und Zukunft erblickt, zu einem lebendigen Jüngling.

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Er konnt es nicht mehr sehen er verhüllte das Auge; tausend heiße Thränen strömten versiegend in den Schnee; er seufzte nur noch leise, trostlos und sinnlos:,,Komme nur wieder, Jugend, komme wieder!"

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Und sie kam wieder; denn er hatte nur in der Neujahrnacht so fürchterlich geträumt; er war noch ein Jüngling; nur seine Verirrungen waren kein Traum gewesen. Aber er dankte Gott, daß er, noch jung, in den schmuzigen Gängen des Lasters umkehren, und sich auf die Sonnenbahn zurück begeben konnte, die ins reiche Land der Erndte leitet!

Kehre mit ihm, junger Leser, um, wenn du auf seinem Irrwege stchest! Dieser schreckende Traum wird künftig dein Richter werden; aber wenn du einst jammervoll rufen würdest: Komme wieder, schöne Jugend, so würde sie nicht wiederkommen!

2. Aus dem Titan.

(1800-1803.)

Reise durch Neapel über das Meer nach der Insel Ischia. (Theil IV. S. 113)

Eine helle Nacht ohne Gleichen! die Sterne allein erhellten schon die Erde und die Milchstraße war silbern. Eine einzige mit Weinblüthen durchflochtene Allee führte der Prachtstadt zu. Üeberall hörte man Menschen, bald nahes Reden, bald fernes Singen. Aus schwarzen Kastanienwäldern auf mondhellen Hügeln riefen die Nachtigallen einan der zu. Ein armes schlafendes Mädchen, das wir mitgenommen, hörte das Lönen bis in den Traum hinab und sang nach und blickte, wenn es sich damit geweckt, verwirrt und füßlächelnd umher, mit dem ganzen Lon und Traum noch in der Brust. Singend rollte auf einem dünnen leichten Wagen mit zwei Rädern, ein Fuhrmann auf der Deichsel stehend lustig vorüber. -Weiber trugen in der Kühle schon große

Körbe voll Blumen nach der Stadt;

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in den Fernen neben uns dufteten ganze Paradiese aus Blumenkelchen; und das Herz und die Brust sogen zugleich den Liebestrank der süßen. Luft. · Der Mond war hell wie eine Sonne, an den hohen Himmel heraufgezogen und der Horizont wurde von Sternen vergoldet und am ganzen wolken= losen Himmel stand die düstere Wolkensäule des Vesuvs in Osten allein.

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Lief in der Nacht nach zwei Uhr rollten wir in und durch die lange Prachtstadt, worin noch der lebendige Tag fortblühte. Heitere Menschen füllten die Straßen die Balkons warfen sich Gesänge zuauf den Dächern blühten Blumen und Bäume zwischen Lampen und die Horen - Glöckchen vermehrten den Tag und der Mond schien zu wärmen. Nur zuweilen schlief ein Mensch zwischen den Säulengängen gleichsam an seinem Mittagsschlafe. Dian, aller Verhältnisse kundig, ließ an einem Hause auf der Süd- und Meerseite halten, und ging tief in die Stadt, um durch alte Bekannte die Abfahrt nach der Insel zu berichtigen, damit man gerade bei Sonnenaufgang aus dem Meere herüber die herrliche Stadt mit ihrem Golf und ihren langen Küsten am reichsten auffassete. Die Ischianerinn wickelte sich in ihren blauen Schleier gegen Mücken und entschlief am schwarzsandigen Ufer.

Ich ging allein auf und ab, für mich gab's keine Nacht und kein Haus. Das Meer schlief, die Erde schien wach. Ich sah in dem eiligen Schimmer (der Mond sank schon dem Posilippo zu) an dieser göttlichen Gränzstadt der Wasserwelt, an diesem aufsteigenden Gebirg von Pallästen hinauf bis wo das hohe Sant Elmo Schloß weiß aus dem grünen Strauße blickt. Mit zwey Armen umfaffet die Erde das schöne Meer, auf ihrem rechten, auf dem Posilippo trug sie blühende Weinberge weit in die Wellen und auf dem linken hielt sie Städte und umspannte seine Wagen und seine Schiffe und zog sie an ihre Brust heran. Wie eine Sphinx lag dunkel das zackige Kapri am Horizont im Wasser und bewachte die Pforte des Golfs. Hinter der Stadt rauchte im Aether der Vulkan und zuweilen spielten Funken zwischen den Sternen.

Jezt sank der Mond hinter die Ulmen des Posilippo hinab, die Stadt verfinsterte sich, das Getöse der Nacht verklang, Fischer stiegen aus; löschten ihre Fackeln und legten sich ans Ufer, die Erde schien einzuschlafen, aber das Meer aufzuwachen. Ein Wind von der Sor rentinischen Küste trieb die stillen Wellen auf heller schimmerte Sorrentos Sichel vom Monde zurück und vom Morgen zugleich wie Filberne Fluren Vesuv's Rauchsäule wurde abgeweht und vom Feuerberg zog sich eine lange reine Morgenröthe über die Küste hinauf wie über eine fremde Welt.

es war der dämmernde Morgen, voll von jugendlichen Ahnungen! Spricht nicht die Landschaft, der Berg, die Küste gleich einem Echo desto mehr Sylben zur Seele, je ferner sie sind? Wie jung fühlt' ich die Welt und mich und der ganze Morgen meines Lebens war in diesen gedrängt!

Mein Freund kam

kommen

alles war berichtigt

die Schiffer angeAgata wurde zur Freude geweckt und wir stiegen ein, als die Morgenröthe die Gebürge entzündete, und aufgebläht von Morgenlüften flog das Schiffchen ins Meer hinaus.

The wir noch um das Vorgebürg des Posilippo herumschifften, warf der Krater des Vesuvs den glühenden Sohn, die Sonne, langsam in den Himmel und Meer und Erde entbrannten. Neapels halber Erdgürtel mit morgenrothen Palläften, sein Marktplag von flatternden Schiffen, das Gewimmel seiner Landhäuser an den Bergen und am Ufer hinauf und sein grünender Thron von St. Elmo, standen stolz zwischen zwei Bergen, vor dem Meere.

Da wir um den Posilippo kamen, stand Ischia's Epomeo wie ein Riese des Meers in der Ferne, mit einem Wald umgürtet und mit kahlem weißen Haupt. Allmählig erschienen auf der unermeßlichen Ebene die Inseln nacheinander wie zerstreute Dörfer und wild drangen und wateten die Vorgebürge in das Meer. Jest that sich gewaltigerund lebendiger als das vertrocknete vereinzelte starre Land, das Wasser reich auf, dessen Kräfte alle, von den Strömen und Wellen an bis zum Tropfen, zusammengreifen und sich zugleich bewegen. - Allmächtiges und doch sanftes Element! Grimmig schießest du auf die Länder und verschlingst sie und mit deinen aushölenden Polypenarmen liegst du an der ganzen Kugel. Aber du bändigst die wilden Ströme und zerschmilzest sie zu Wellen, sanft spielest du mit deinen kleinen Kindern, den Inseln, und spielest an der Hand, die aus der leichten Gondel Hängt, und schickst deine kleinen Wellen, die vor uns spielen, dann uns tragen, und dann hinter uns spielen.

"

Als wir vor dem kleinen Nisita vorbeikamen, wo einst Brutus und Kato nach Zäsars Tod Schuhwehr suchten als wir vor dem zauberischen Bajä und dem Zauberschlosse, wo einst drei Römer die Theilung der Welt beschlossen, und vor dem ganzen Vorgebürge vorübergiengen, wo die Landhäuser der großen Römer standen, und als wir nach dem Berge von Cuma hinabsahen, hinter welchem Szipio Afrikanus in seinem Linternum lebte und starb: so ergriff mich das hohe Leben der alten Großen und ich sagte zu meinem Freunde: Welche Menschen waren das. Kaum erfahren wir es gelegentlich im Plinius oder Zizero, daß einer von ihnen dort ein Landhaus hat, oder daß es ein schönes Neapel giebt, mitten aus dem Freudenmeer der Natur wachsen und tragen ihre Lorbeer so gut wie aus dem Eismeere Deutschlands und Englands, oder aus Arabiens Sand in Wüsten und in Paradiesen schlugen ihre starken Herzen gleich fort und für diese Weltseelen gab es keine Wohnung, außer die Welt. Nur bei solchen Seelen sind Empfindungen fast mehr werth als Thaten, ein Römer konnte hier groß vor Freude weinen! Dian, sage, was kann der neuere Mensch dafür, daß er so spät lebt hinter ihren Ruinen?

Jugend und Ruinen, einstürzende Vergangenheit und ewige Lebensfülle bedeckten das mifenische Gestade und die ganze unabsehliche Küste · an die zerbrochenen Aschenkrüge todter Götter, an die zerstückten Tempel

Merkurs, Dianens, spielte die fröhliche leichte Welle und die ewige Sonne alte einsame Brückenpfeiler im Meer, einsame Tempelsäulen und Bogen sprachen im üppigen Lebensglanze das ernste Wort - die alten heiligen Namen der elyseischen Felder, des Avernus, des todten Meers wohnten noch auf der Küste Felsen- und Tempeltrümmer lagen untereinander auf der bunten Lava alles blühte und lebte, das Mädchen und die Schiffer sangen die Berge und die Inseln standen groß im jungen feurigen Lage Delphine zogen spielend neben uns singende Lerchen wirbelten sich im Aether über ihre engen Inseln Heraus und aus allen Enden des Horizonts kamen Schiffe herauf und flogen pfeilschnell dahin. Es war die göttliche Ueberfülle und Vermischung der Welt vor mir, brausende Saiten des Lebens waren über den Saitensteg des Vesuvs und Posilipp's herüber bis an den Epomeo gespannt.

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Plöglich donnerte es Einmal durch den blauen Himmel über das Meer her. Das Mädchen fragte mich: „warum werdet ihr bleich? es ist nur der Vesuv." Da war ein Gott mir nahe, ja Himmel, Erde und Meer traten als drei Gottheiten vor mich von einem göttlichen Morgensturm wurde das Traumbuch des Lebens rauschend aufgeblättert und überall las ich unsere Träume und ihre Auslegungen.

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Nach einiger Zeit kamen wir an ein langes den Norden verschlingendes Land, gleichsam der Fuß eines einzigen Bergs, es war schon das holde Ischia.

3. Aus dem Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz in Aue.

Eine Art Idylle.

(Aus der unsichtbaren Loge. Eine Lebensbeschreibung von Sean Paul, 3 Theile. Dritter Theil. S. 123.)

Wie war dein Leben und Sterben so sanft und meerstille, du vergnügtes Schulmeisterlein Wuz! Der stille laue Himmel eines Nachsommers ging nicht mit Gewölk, sondern mit Duft um dein Leben; deine Epochen waren das Schwanken und dein Sterben war das Umlegen einer Lilie, deren Blätteraufstehende Blumen auseinander flattern und schon außer dem Grabe schliefest du sanft.

Jezt aber, meine Freunde, müssen vor allen Dingen die Stühle um den Ofen, der Schenktisch mit dem Trinkwasser an unfre Knie gerückt und die Vorhänge zugezogen und die Schlafmüßen aufgeseßt werden und an die grand monde über der Gasse drüben und an's palais royal muß keiner von uns denken, blos weil ich die ruhige Geschichte des vergnügten Schulmeisterleins erzähle — und du, mein lieber Christian, der du eine einathmende Brust für die einzigen dephlogistisirten und stärkenden Freuden des Lebens, für die häuslichen hast, sehe dich auf den Arm des Stuhls, aus dem ich heraus erzähle und lehne dich zuweilen ein wenig an mich! du machst mich gar nicht irre.

Seit der Schwedenzeit waren die Wuze Schulmeister in Auenthal und ich glaube nicht, daß Einer vom Pfarrer oder von seiner Gemeinde verklagt wurde. Allemal acht oder neun Jahre nach der Hochzeit versahen Wuz und Sohn das Amt mit Verstand unser Maria Wuz docirte unter seinem Vater schon in der Woche das Abe, in der er das Buchstabiren erlernte, das nichts taugt. Der Charakter unsers Wuz hatte wie der Unterricht anderer Schulleute etwas Spielendes und Kindisches, aber nicht im Kummer, sondern in der Freude.

Schon in der Kindheit war er ein wenig kindisch. Denn es giebt zweierlei Kinderspiele, kindische und ernsthafte die ernsthaften sind Nachahmungen der Erwachsenen, das Kaufmanns - Soldatens - Handwerkers-Spielen -die kindischen sind Nachäffungen der Thiere. Wuz war beim Spielen nie etwas anders, als ein Haase, eine Turteltaube oder das Junge derselben, ein Bär, ein Pferd, oder gar der Wagen daran. Glaubt mir! ein Seraph findet auch in unsern Kollegien und Hörsälen keine Geschäfte, sondern nur Spiele und, wenn er's hoch treibt, jene zweierlei Spiele.

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Indeß hatt er auch, wie alle Philosophen, seine ernsthaftesten Geschäfte und Stunden. Sezte er nicht schon längst ehe die bran= denburgischen erwachsenen Geistlichen nur fünf Fäden vom bunten Ueberzug umthaten sich dadurch über große Vorurtheile weg, daß er eine blaue Schürze, die seltner der geistliche Ornat, als der in ein Amt tragende Dr. Faust's Mantel guter Kandidaten ist, Vormittags über sich warf und in diesem kouleurten Meßgewand der Magd seines Vaters die vielen Sünden vorhielt, die sie um Himmel und Hölle bringen fonnten? ja er griff seinen eigenen Vater an, aber Nachmittags : denn wenn er diesem Kobers Kabinetsprediger vorlas, war's seine innige Freude, dann und wann zwei, drei Worte oder gar Zeilen aus eigenen Ideen einzuschalten und diese Interpolation mit weg zu lesen, als spräche H. Kober selbst mit seinem Vater. Ich denke, ich werfe durch diese Personalie vieles Licht auf ihn und ein Spaß, den er später auf der Kanzel trieb, da er auch Nachmittags den Kirchengängern die Postille an Pfarrers Statt vorlas, aber mit so viel hineingespielten eignen Verlagsartikeln und Fabrikaten, daß er dem Teufel Schaden that und deffen Diener rührte. „Justel, sagt er nachher um 4 Uhr zu seiner Frau, was weißt du unten in deinem Stuhl, wie prächtig es einem oben ist, zumal unter dem Kanzelliede."

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Wir können's leicht bei seinen älteren Jahren erfragen, wie er in seinen Flegeljahren war. Im December von jenen ließ er allemal das Licht eine Stunde später bringen, weil er in dieser Stunde seine KindHeit jeden Tag nahm er einen andern Tag - rekapitulirte. Indem der Wind seine Fenster mit Schneevorhängen verfinsterte und indem ihn aus den Ofenfugen das Feuer anblinkte: so drückte er die Augen zu und ließ auf die gefrornen Wiesen den längst vermoderten Frühling niederthauen; da bauete er sich mit der Schwester in den Heuschober ein und fuhr auf dem architektonisch gewölbten Heu-Gebirge des Wagens heim und rieth droben mit geschlossenen Augen, wo sie wohl nun fahren.

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