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LXXIII. Friedrich Bouterwek.

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(1766-1828.)

Geschichte der Poesie und Beredsamkeit.“ *)
Weber Lessings Prosa.

(11r Band. S. 151. u. ff.)

Das Wichtigste, was Lessing für die deutsche Litteratur geleistet hat, die späteren seiner Schauspiele ausgenommen, findet sich in seinen prosaischen Schriften. Auch da, wo ihr Inhalt nur wenige Leser interessiren kann, zeichnen sie sich durch einen Styl aus, den Lessing sich selbst nach den Bedürfnissen seines eignen Geistes gebildet hat. Hätte er sich ein bestimmtes Muster zur Nachahmung gewählt, so würde er nicht mit dieser hinreißenden Leichtigkeit jeden Stoff zu bearbeiten gelernt haben. Die natürliche Sprache des wirklichen Lebens ist die Grundlage des lessingischen Styls. Was irgend Affectation, oder Pedantismus genannt werden kann, ist ihm völlig fremd. Aber kein Styl kann auch weiter entfernt seyn von matter Schöngeisterei und oberflächlicher Geschwäßigkeit. Lief, aber nicht nach angenommenen Schulbegriffen, in den Gegenstand einer Untersuchung einzudringen; jeden Begriff so klar und bestimmt als möglich dem gesunden Verstande zu vergegenwärtigen; mit strenger Consequenz ein geprüftes Urtheil an ein anderes anzuknüpfen; aber auch dem Wize die Freiheit zu gönnen, einen Gedanken während er immer klarer und überzeugender hervortrittt, fast muthwillig wie einen Fangball hin und her zu werfen, und den Leser, der Belehrung sucht, so zu unterhalten, daß er wie im Spiele zu dem Resultate hingelenkt wird; das war das Ziel, nach welchem Lessing, wenn er eine Abhandlung schrieb, nicht sowohl geflissentlich, als aus unwillkürlicher Neigung strebte, weil es der Natur seines Geistes gemäß war, so und nicht anders seine eignen Gedanken sich selbst zu verdeutlichen. Lessing's Prose ist classisch, wenn gleich nur in ihrer Art. Auf jede wissenschaftliche Untersuchung angewandt, würde sie eine familiäre Umständlichkeit nöthig machen, deren der Verstand nicht immer bedarf. Auch möchte wohl Jeder, wer sich den lessingischen Styl, die interessante Klarheit, Bestimmtheit und Leichtigkeit abgerechnet, zum Muster nehmen wollte, in eine Affectation verfallen, die gerade das Gegentheil eines wesentlichen Zuges eben dieses Styls ist. Aber in dem Unnachahmlichen der lessingischen Prose, die nie prunkt, zuweilen die kühnsten Sprünge macht, und doch nie ihr Ziel verliert, offenbart sich die Kraft des Genies, das uns mit sich fortreißt, während es nur sich selbst Genüge thun will.

Fast Alles, was Lessing.in Prose geschrieben hat, gehört in das

*) Geschichte der Poesie und Beredsamkeit seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Von Friedrich Bouterwek. 12 Bände. Göttingen 1801-1820.

didaktische Fach; denn das Raisonniren war ihm noch mehr Bedürfniß, als das Dichten. Zum Erzählungsstyl scheint er kein vorzügliches Talent gehabt zu haben. Aber wie weit er es in der oratorischen Prosa hätte bringen können, zeigen die polemischen Blätter, tie er in seinen lezten Lebensjahren unter dem Titel Anti-Goeze herausgegeben hat, um seine Bekanntmachung der wolfenbüttelischen Fragmente eines Ungenannten gegen den hamburgischen Hauptpastor Goeze zu vertheidigen. Wie ein reißender Strom, dessen Wellen doch immer klar bleiben, ergießt sich die Beredsamkeit in diesem Anti- Goeze. Ein Theoretiker könnte aus diesen kleinen Streitschriften eine treffliche Beispielsammlung von allen oratorischen Figuren zusammentragen, die rührenden ausgenommen. Unter den eigentlichen Abhandlungen Lessing's zeichnet sich durch Cultur des Styls der Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerei und Poesie, und nächst dieser die Abhandlung über das Wesen und den Styl der äsopischen Fabel vorzüglich aus. Aber einen polemischen Charakter hat fast Alles, was Lessing im didaktischen Fache geschrieben hat. Die Neigung, Vorurtheile zu widerlegen, und Irrthümer aufzudecken, die sich einen Schein von Wahrheit zu geben gewußt hatten, war bei Lessing so vorherrschend, daß sie fast unvermeidlich zuweilen in Streitlust und, wenn der Angriff übereilt war, in Rechthaberei ausarten mußte. Lessing's Meinung, daß ein kritischer Schriftsteller das Wahre von selbst finde, wenn er nur erst Jemanden habe, mit dem er streitet, war einer der gewagten Einfälle, die er gern verfocht, als ob sie Wahrheiten wären, weil es ihm leichter war, einen solchen Einfall zu vertheidigen, als Andern, ihn zu widerlegen. Diese polemische Tendenz würde auch dem didaktischen Style Lessing's eine zurückstoßende Härte geben, wenn nicht der heitere Wiz und der Eifer für Wahrheit und gesunden Verstand fast immer wieder gut machten, was die Streitlust in seinen Schriften verdirbt.

Wäre Lessing weniger streitlustig gewesen, würde auch seine Kritif nicht die durchgreifende Wirkung gethan haben, die nicht leicht ausblieb, wohin er seine Waffen wandte. Was Bodmer leisten wollte, aber mit seinem beschränkten Verstande nicht vermochte, der Kritik, die in der gottschedischen Schule zu einer frostigen Schulmeisterei geworden war, einen neuen Geist einzuhauchen, der belebend und erfrischend in die Litteratur eindränge, leistete Lessing in vollem Maße. Er ist es, der

in Deutschland die Altäre gestürzt hat, an denen man die französischen Dichter als vollendete Geschmacksmuster verehrte. Seine hamburgische Dramaturgie hatte vorzüglich den Zweck, dem Publicum über die Anmaßungen der französischen Dramaturgie die Augen zu öffnen. Niemand hat vor Lessing gezeigt, daß die Meinung, das französische Trauerspiel folge denselben Grundfäßen, •wie das griechische, auf Mißverständnissen und einer Verwechselung von Nebensachen mit dem Wesen einer tragischen Dichtung beruhet, und daß selbst nach der Poetik des Aristoteles, auf deren Autorität die französischen Dramaturgen sich unablässig berufen, die bewunderten Stücke von Corneille und Racine

zu einer willkürlich geregelten Gattung gehören. Lessing ergriff jede Gelegenheit, die Deutschen aufmerksam auf Shakespeare zu machen, und Wieland's Uebersehung dieses größten aller dramatischen Dichter der neueren Zeit als eine der vorzüglichsten Bereicherungen der deutschen Litteratur zu empfehlen. Auch die spanischen Schauspiele, über die man in Deutschland, ohne sie zu kennen, ganz wie die Franzosen zu urtheilen pflegte, zeigte er in einem andern und günstigern Lichte. Das franzö= sische Theater ohne Schonung der herrschenden Vorurtheile zu kritisiren, wurde Lessing besonders durch die zufällige Form veranlaßt, die er seinen dramaturgischen Grundsäzen geben mußte, als er sie in die Recen= sionen der Theaterstücke verwebte, die in Hamburg aufgeführt wurden; denn die Armuth der dramatischen Litteratur der Deutschen nöthigte damals die Directoren deutscher Theater, die große Lücke mit Uebersezungen französischer Stücke auszufüllen. Gegen die Lustspiele der Franzosen hatte Lessing wenig zu erinnern. Das Lob, das er ihnen ertheilt, bewies hinlänglich, daß er im mindesten nicht gegen die französische Litteratur überhaupt eingenommen war. Seine strenge Kritik des französischen Trauerspiels mußte um so mehr Eindruck machen, da sie von einem Manne kam, der weit entfernt von der Vertheidigung der Regellosigkeit war, und die Werke der alten Tragiker und die Poetik des Aristoteles so fleißig studiert hatte, wie irgend ein Gelehrter seiner Zeit. Aber vieles ließ auch Lessing's Dramaturgie zu wünschen übrig. Seine Vorliebe zur Poetik des Aristoteles, die er für ein eben so unfehlbares Werk, als die Elemente Euklid's erklärte, war so groß, daß er, um diesen von ihm gefeierten Alten in keinem Punkte Unrecht haben zu lassen, sich in philologische Subtilitäten verwickelte, deren Resultate doch problematisch blieben und ihrem Vertheidiger das Ansehen eines Sophisten gaben. Auch darf man wohl dazu lächeln, daß Lessing zum Beschluffe seiner Dramaturgie, wo er sich selbst das Genie abspricht, ernstlich versichert, das ganze Verdienst seiner dramatischen Dichtungen gründe sich auf sein Bestreben, in jeder Hinsicht den Vorschriften des Aristoteles Genüge zu leisten. Aber noch mangelhafter mußte Lessing's Kritik durch die Art werden, wie sie sich selbst nach und nach aus polemischen Bruchstücken entwickelte, die sich zwar immer enger an einander anschlof= sen, aber zu keinem Ganzen wurden. Ein allgemeines, alle schönen Künste umfassendes Princip scheint er nicht einmal gesucht zu haben, weil er das Gesetz der Nachahmung der Natur, nach der Lehre seines Aristoteles, nie bezweifelte. Voll festen Glaubens an die Zulänglichkeit dieses Gesetzes warf er nicht nur auf das Ideale in der Kunst kaum einen Seitenblick; er ließ sich auch hinreißen von dem Naturalismus Diderot's, nach welchem Schönheit in der Kunst nichts weiter als interessante Natürlichkeit ist. Deswegen war auch Lessing's Ansicht der heroischen Tragödie der Franzosen, und selbst der Griechen, nur einseitig. Ueber das Ideale in den plastischen Künsten ging ihm erst ein Licht auf, als er seinen Laokoon schrieb. Dessen ungeachtet fängt erst mit Lessing in der deutschen Litteratur diejenige Kritik an, die keine Vorurtheile duldet, nicht eigensinnig an gewissen Mustern hängt, das Wesent

liche von dem Zufälligen und Conventionellen unterscheidet, dem Genie auf die Spur zu kommen sucht, aber es nicht mit unnüßen Fesseln belastet, und nicht durch frostige Bemerkungen, befouders über Regelmäßigkeit und Unregelmäßigkeit, das Gefühl des Schönen selbst abtödtet. Ueber den wahren Zweck des Lustspiels, das man, um es moralischer zu machen, beinahe um alle Heiterkeit gebracht hätte, hat Lessing zuerst richtige Begriffe aufgestellt. Der wahre Unterschied zwischen poetischer und mahlerischer Schönheit ist durch seinen Laokoon zum ersten Male aufgeklärt. Auf mehrere bis dahin wenig beachtete Gesichtspunkte der Kritik hat er in seinen Beiträgen zu den Litteraturbriefen hingewiesen. Ermüdend wird sein Ladel nur da, wo er sich unaufhörlich auf Kleinigkeiten einläßt, zum Beispiel bei seiner Beurtheilung der längst vergessenen Uebersegnng des Horaz von Lange, und bei seinen antiquarischen Streitigkeiten mit dem Philologen Kloß. Der einzige große Dichter, gegen den er nicht ganz gerecht war, ist Klopstock, von dem er zwar öfter mit Bewunderung spricht, aber, aus Abneigung gegen alle religiöse Schwärmerei, auf eine so zweideutige Art, daß selbst das Lob zuweilen bitterer Spott zu seyn scheint.

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mit

Freundschaft theilt so köstlich; ihr Mitgenuß vermehrt den Reichthum der Seele, welche ihr die Fülle in ihrem Innern aufschließt. Alfred! nie vergesse ich den Ausdruck von inniger Zufriedenheit, welchem Helner am Abend des andern Tages die Gefühle, Ideen und Entschließungen meiner unterirdischen Selbst- Unterredung vernahm. Aber auch ich gab ihm diese freiwillige Rechenschaft mit einem frohen Bewußtseyn von Kraft, das ich lange nicht empfunden hatte. Der Ermannung des Abends war ein heiterer Schlummer gefolgt, und bey'm Erwachen sah ich mit Ruhe, und nicht mit Reue auf sie zurück. Es giebt moralische Trunkenheit, wie physische, lieber Alfred: in beyden Feucht der exaltirte Mensch die überspannten Kräfte an Unternehmungen aus, welche, gleich begonnen, zuweilen glücken, wie große Loose, aber später von der Nüchternheit verworfen, beweint oder verlassen werden. Solcher moralischer Trunkenbolde werden dir noch manche in dem großen

*) Das goldene Kalb. Eine Biographie. 4 Bände. Gotha, bei Becker. 1803.

Gasthofe der Welt begegnen: lasse dich nie mit ihnen ein! sie zertrümmern und du bezahlst.

Mann! sagte Helner, wie ich geendigt hatte, und drückte mir kräftig herzlich die Hand.

Und dein Freund!

Mann! ächter Mann sagt alles. Denn der sich lebenslänglich mit der Puppe der Leidenschaft schleppt, ist ein schwaches Werkzeug, und kein Mann! Sie bricht seinen Nerv; Selbstherrschaft beseelt ihn mit Thatkraft, Geist, Muth und ächter Herzlichkeit, Die weibliche Kokette ist ein verächtliches Geschöpf; aber der kokettirende Mann und das ist auch der, welcher unaufhörlich dem Ideale nachseßt, und alle Heiliginnen auf Abschlag der zu findenden Gottheit anbetet, denn der schönere Vorwand ist um nichts besser, als das schöne Gewand, welches Häßlichkeit verbirgt, ohne sie hinwegzunehmen ist das schwächste und verächtlichste Wesen unter der Sonne.

Ich griff an meine Brust und lächelte.

Du zeigst auf die, kaum noch nicht geheilte Wunde. Ich will sie nicht reizen du kennst den Freund. Aber Arzneh darf er gewiß in die noch offne gießen; und Wahrheit ist Arzney. Du bist jezt fähig und werth, sie zu hören. Ich schwieg so lang ich mußte; ich fühle mich glücklich, zu sprechen, da ich darf. Du hast die Quarantaine überstanden, wie ich hoffte: war auch der lezte Kampf vielleicht der schwerste und schmerzlichste, so war er es doch, der den Sieg auf immer verbürgt. und was dir noch auszufechten übrig seyn mag, das wirst du bestehn. Sich erholende Kraft gewinnt durch Uebung und Widerstand; aber die gebundene wird auch durch die Last einer Feder tiefer niedergedrückt. Waffenbruder! rief ich.

Der bin ich, wie ich es immer war. Wir hielten schon so manche Gefahr im schönen, fest vereinten Bunde aus. Keine soll uns schrecken, wie uns keine trennen wird.

Keine! du warst immer mein Netter.

Durch dich selbst. Rettung ist unmöglich, wenn der Bedrohte sie nicht will. Du rangst mit den Wellen; ich warf dir das Brett zu. Daß du es faßtest war dein Werk, und konnte nur dein Werk seyn. Diese innige Kraft in deinem Wesen band mich unauflöslich an dich: nur durch sie wurde unsere Vereinigung geschloffen. Ich nahm das edle Vermögen in dir durch die Hülle der Schwärmereh wahr: weißt du noch, daß mein erstes Wort an dich eine Warnung vor dir selbst, und vor mir enthielt? Schon damals sah ich deutlich voraus, welche Prüfungen deiner warteten; das edle Metall mußte durch Flammen geläutert werden, und gieng es zu Grund, so war es nicht edel, und ich hätte ja ich darf es als Mann dem Manne sagen ich hätte dich bedauert, aber nicht vermißt.

Wie oft mußte ich dir lächerlich erscheinen, oder erbärmlich. Keines von beyden. Gustav! der höhere Mensch hat mit Fantomen zu kämpfen; genialische Anlagen gähren und kochen in wildem Strudel, gleich tobenden Wassern: aber, wenn die Kraft wirklich streitet, so ist

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