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Protozoenstudien.

III. Über eine Süßwasserart der Gattung Multicilia Cienkowsky (M. lacustris nov. spec.) und deren systematische Stellung.

Von

Robert Lauterborn.

(Aus dem Zoologischen Institut der Universität Heidelberg.)

Mit Tafel XII.

Im Jahre 1881 wurde von CIENKOWSKY (3) unter dem Namen Multicilia marina ein sehr eigenartiger Organismus beschrieben, welcher durch den Besitz zahlreicher, über die ganze Körperoberfläche vertheilter Geißeln ausgezeichnet war und darum als eine Art Mittelform zwischen den Flagellaten und den ciliaten Infusorien ein erhöhtes Interesse gewann. Da CIENKOWSKY'S Arbeit in russischer Sprache geschrieben ist, und daher auch nur einem beschränkten Kreise der Zoologen zugänglich sein dürfte, mag es nicht überflüssig erscheinen, wenn ich hier den Passus über Multicilia in extenso mittheile, zumal ich auch in Folgendem noch öfters darauf zurückzukommen haben werde1.

CIENKOWSKY giebt von Multicilia folgende Beschreibung:

>>Multicilia besteht aus einer nackten Anhäufung farblosen Protoplasmas, mit zerstreuten Geißeln auf der Oberfläche versehen. Im Inneren finden sich weder Kerne noch kontraktile Vacuolen; auch eine Mundöffnung fehlt. Die Fortbewegung geschieht langsam rotirend und ist durch schwache Bewegungen der Geißeln bedingt. Daneben ist der Körper schwacher Kontraktionen fähig und kann auch seine Form verändern, doch ist nie ein Einströmen des Plasmas in die neuentstandenen Pseudopodien zu beobachten, wie es bei Amöben geschieht. Die Geißeln sind etwas länger als der Körper. Feste Nahrung wurde im Inneren der Multicilia nie bemerkt. Bis jetzt nur eine einzige Art, Multicilia marina,

1 Ich verdanke die Übersetzung des betreffenden Theils der CIENKOWSKY'Schen Arbeit der Freundlichkeit des Herrn cand. zool. JOUKOWSKY in Heidelberg.

zwischen Entomorpha im Hafen des Klosters1. Dasselbe Thier habe ich später auch im Schwarzen Meer, in der Krim und bei Odessa gefunden, aber nur in einer sehr beschränkten Anzahl von Exemplaren. So viel mir bekannt ist, giebt es in der Abtheilung der Flagellaten keine Art, die auf der ganzen Oberfläche mit Geißeln versehen wäre und kann darum Multicilia als einzige Vertreterin einer besonderen Familie der Flagellaten gelten. So lange nicht der Begriff » Geißel« und Cilie genau begrenzt ist, kann Zweifel entstehen, ob dieses Thier nicht einfach zu den Ciliaten zu rechnen ist. Dieser Zweifel kann nur durch zukünftige Beobachtung der Entwicklungsgeschichte von Multicilia gelöst werden.

Diagnose: Protoplasmatischer Körper von veränderlicher Form, ohne Kern und kontraktile Vacuole. Viele Geißeln.«

Wenige Jahre später (1884) fand GRUBER (5) im Hafen von Genua die nämliche oder doch eine sehr nahe verwandte Form und beschrieb dieselbe, ohne von CIENKOWSKY'S Arbeit Kenntnis zu haben, nach einem einzigen Exemplare als Polymastix sol. In einer späteren Arbeit (6) kommt GRUBER noch einmal auf diese Form zurück, wobei er seine frühere Beschreibung in mehreren Punkten ergänzt und in einer Nachschrift hierzu sich von der Identität der Gattung Polymastix mit Multicilia überzeugt, nachdem schon vorher BÜTSCHLI (2) Polymastix als Synonym zu Multicilia gezogen hatte.

Im März dieses Jahres hatte ich nun das Glück in den an interessanten Thierformen so reichen Diatomeenrasen des Altrheins bei Neuhofen einen Organismus aufzufinden, welcher sich bei näherer Untersuchung als eine neue Art der bisher nur aus dem Meere bekannten Gattung Multicilia erwies; wegen ihres Vorkommens im Süßwasser mag dieselbe darum den Namen Multicilia lacustris führen. Natürlich benutzte ich nach Möglichkeit die so unerwartet gebotene Gelegenheit den interessanten und bezüglich seiner systematischen Stellung noch so unsicheren Organismus etwas eingehender zu untersuchen, wodurch ich im Stande bin die Beobachtungen meiner Vorgänger nach mehreren Richtungen hin zu erweitern und zu vertiefen. Wenn hierbei nicht alle Organisationsverhältnisse gleich eingehend geschildert werden konnten, so liegt das daran, dass mir trotz eifriger Bemühungen nur relativ wenige (etwa 20-25) Exemplare der Multicilia lacustris zu Gesicht kamen, deren Isolirung aus den Anhäufungen zahlloser Diatomeen dazu noch mit einigen Schwierigkeiten verknüpft war.

Der protoplasmatische, auf seiner ganzen Oberfläche mit langen Geißeln bedeckte Körper der Multicilia lacustris besitzt im All

1 Gemeint ist das Kloster auf den Solowetzky'schen Inseln im Weißen Meere, wo sich eine Zoologische Station befindet.

2 Etwa 6 km südlich von Ludwigshafen am Rhein.

gemeinen eine kugelige Gestalt, welche indessen öfters auch in eine mehr ovale übergehen kann, da der Organismus schwach amöboider Bewegungen fähig ist. Sein Durchmesser beträgt 0,030-0,040 mm. Eine besonders differenzirte Hülle ist nicht vorhanden und bildet die oft auch schon im Leben sehr deutlich hervortretende Alveolarschicht Taf. XII, Fig. 4 av) des Plasmakörpers die Begrenzung nach außen. Das Innere der Multicilia lacustris war bei allen untersuchten Individuen erfüllt von zahlreichen grünen Körpern, die indessen keine Zoochlorellen sind, sondern lediglich die Zellkörper eines Chlamydomonas, die als Nahrung von außen aufgenommen wurden.

Auf der ganzen Oberfläche dieses kugeligen Körpers erheben sich zahlreiche ziemlich lange Geißeln, welche meist annähernd radiär angeordnet sind und dadurch der Multicilia ein sehr charakteristisches, fast heliozoenartiges Aussehen verleihen. Die Länge dieser Geißeln, welche ihren Ursprung aus der äußersten Schicht des Körperplasmas nehmen, beträgt durchschnittlich das 1,5-2 fache des Körperdurchmessers, doch finden sich daneben öfters auch bedeutend kürzere (Taf. XII, Fig. 4 u. 2). Sie erscheinen stets vollkommen homogen, bei hoher Einstellung hell und glänzend, bei tieferer dunkel und sind in ihrer ganzen Ausdehnung überall gleich breit, d. h. gegen das freie Ende hin nicht merklich verschmälert, verhalten sich somit in ihren optischen Eigenschaften ganz wie die Geißeln typischer Flagellaten, z. B. einer Euglena.

Auch in ihren Bewegungserscheinungen bieten die Geißeln der Multicilia große Ähnlichkeit mit denjenigen der Flagellatengeißeln dar, doch scheint es, als wenn sie so lebhafte Schlängelungen und Windungen, wie sie z. B. die Geißel einer Euglena häufig zeigt, nicht zu vollführen im Stande wären. Nur selten und meist nur auf kurze Zeit sind sie ganz gerade ausgestreckt und dann ohne merkbare Bewegung; gewöhnlich sieht man sämmtliche Geißeln der Multicilia langsam hin- und herschlagende oder pendelnde Bewegungen ausführen, wobei ihr freies Ende sich oft stark bogenförmig hin- und herkrümmt oder sich mehr oder weniger lebhaft schlängelt, ja bisweilen sogar ösen- oder schlingenförmig umbiegt (Taf. XII, Fig. 4 oe). Durch die vereinte Thätigkeit dieser Geißeln kommt auch die Fortbewegung der Multicilia zu Stande, wobei das Thier langsam um seine Achse rotirt. Die hierbei erzielte Geschwindigkeit ist übrigens ziem

1 Eine genaue Zählung der Geißeln ist nicht gut durchführbar; an mit Osmiumsäure fixirten Exemplaren konnte ich ca. 40-50 wahrnehmen.

lich gering, denn ein Exemplar, das ich genauer kontrollirte, legte in 25 Sekunden nur einen Weg von 0,090 mm zurück.

Ein Einziehen der Geißeln wurde in keinem Falle beobachtet, eben so wenig das Entstehen einer neuen Geißel. Äußeren Eingriffen widerstehen dieselben kräftig, da sie an sehr stark gedrückten oder selbst vollständig zerquetschten Thieren keine besondere Veränderung erleiden; eben so erhalten sich die Geißeln auch bei Zusatz von Alkohol, der den Organismus rasch tödtet, abgesehen davon, dass sie sich an ihren freien Enden spiralig einrollen. Kurz, die ganze optische Erscheinung, die Art und Weise der Bewegung, das Verhalten gegen Reagentien etc. Alles lässt wohl zweifellos erkennen, dass bei Multicilia wirkliche Geißeln vorhanden sind, und nicht etwa nur fadenförmige Pseudopodien, wie man vielleicht bei oberflächlicher Betrachtung annehmen könnte, denn letztere werden ja bei Rhizopoden und Heliozoen eingezogen, sobald ein stärkerer Druck auf sie einwirkt, und lassen sich auch nur sehr schwer einigermaßen ausgestreckt fixiren.

Bei gewissen Gelegenheiten kommt es indessen bei Multicilia auch zur Bildung wirklicher Pseudopodien; so bei der Nahrungsaufnahme, wie unten näher geschildert werden wird. Auch sonst, d. h. wenn keine Nahrung aufgenommen wird, sieht man bisweilen, dass sich zwischen den Geißeln kurze stummelförmige, oft etwas gekrümmte Plasmafortsätze erheben, die nach einiger Zeit oft wieder eingezogen werden; es ist wahrscheinlich, dass aus ihnen die bei der Nahrungsaufnahme thätigen Pseudopodien sich entwickeln. GRUBER (6) hat ähnliche Plasmafortsätze bei Polymastix sol beobachtet. Ja sogar wirkliche Pseudopodien, mit deren Hilfe sich Multicilia nach Art der Rhizopoden fortbewegte, habe ich unter gewissen anormalen Bedingungen sich bilden sehen. Unterwirft man nämlich die Multicilia einem immer stärker werdenden Druck, indem man das mit Wachsfaßchen versehene Deckglas immer mehr dem Objektträger anpresst, so verliert der Körper des Thieres seine kugelige Gestalt und nimmt lappige Umrisse an. Hierbei zeigte sich an einem von mir etwa zwei Stunden lang beobachteten stark komprimirten Thiere die sehr auffallende Erscheinung, dass an verschiedenen Stellen nach einander das Plasma bruchsackartig über die Oberfläche hervorquoll, sich hier in Gestalt eines anscheinend vollkommen homogenen Peudopodiums eine Strecke weit längs des Randes ausbreitete, worauf der grtine Inhalt des Körpers in dasselbe nachströmte. Indem sich dieser Vorgang öfters wiederholte, rückte Multicilia ganz wie ein Rhizopode langsam vom Platze. Die Geißeln erschienen hierbei nicht betheiligt, da sie größtentheils auf einem der vorherrschenden Bewegungsrichtung

entgegengesetzten Bezirk des Körpers vereinigt ohne lebhaftere Bewegung verharrten. Übrigens darf hierbei nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Fortbewegung mittels der Geißeln schon durch die starke Pressung, welcher der Organismus unterworfen wurde, ausgeschlossen war.

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Wenden wir uns nun zur inneren Organisation. Wie bereits hervorgehoben wurde, entbehrt der kugelige Körper der Multicilia einer besonderen Hülle; auch wurde keine Differenzirung des Plasmas in Ekto- und Entoplasma beobachtet. Die Alveolarschicht, welche den Körper nach außen begrenzt, tritt sowohl im optischen Durchschnitt als auch bei Ansicht von der Fläche in letzterem Falle als sehr feinmaschiges Netzwerk - deutlich hervor, besonders an den mit Osmiumsäuredämpfen fixirten Exemplaren. Sie enthält stets zahlreiche kleine glänzende Körnchen eingelagert, die aber ziemlich ungleichmäßig vertheilt sind (vgl. Taf. XII, Fig. 4). Das Innere des Körpers war bei allen untersuchten Individuen derart vollgepfropft mit verschieden großen grünen Zellen einer Chlamydomonas-Species, dass die Untersuchung sehr erschwert wurde. Kerne fanden sich bei den von mir daraufhin untersuchten Exemplaren der Multicilia lacustris in der Mehrzahl vor; das auf Taf. XII, Fig. 3 abgebildete Exemplar enthielt fünf Nuclei. Im Leben ist von ihnen wegen der zahlreichen Nahrungskörper nur ab und zu an günstigen Stellen etwas zu sehen; viel deutlicher treten sie hervor, wenn man die Multicilia stark presst oder selbst zerquetscht und mit Essigsäuremethylgrtin (oder einem ähnlichen andern Farbstoff) färbt. Dann erscheint jeder Kern als rundliches Bläschen, welches in seinem Inneren einen relativ großen »Binnenkörper« (Nucleolus) umschließt, der manchmal eine verwaschen netzig-wabige Struktur erkennen lässt. Einen ähnlich gebauten Kern fand GRUBER (6) in der Einzahl bei Polymastix sol, während CIENKOWSKY für Multicilia marina das Vorhandensein eines Kerns bestimmt verneint eine Angabe, die wohl zweifellos den thatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht.

Kontraktile Vacuolen wurden bei Multicilia marina (Polymastix sol) weder von CIENKOWSKY noch von GRUBER beobachtet, doch scheint mir trotzdem ein Fehlen noch keineswegs sicher zu sein. Bei Multicilia lacustris fand ich auf der ganzen Oberfläche unmittelbar unter der Alveolarschicht sehr zahlreiche kleine Vacuolen, welche sich langsam kontrahirten. Dieselben sind indessen nur sehr schwer und nur bei Anwendung stärkster Systeme etwas deutlicher wahrzunehmen (vgl. Taf. XII, Fig. 4).

Die Nahrungsaufnahme geschicht bei Multicilia lacustris

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