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monströs ist auch sein Charakter in der Sage: er wird der Mörder Heinrichs VI. und seiner Anhänger, er vergiftet seine Gattin, und schließlich wird ihm auch die Ermordung seiner Brüder Eduard und Clarence zugeschrieben. Auch bei Margarete beginnt die Sage mit einer Anschwärzung. Wenn es auch kein eigentliches Problem zu lösen gab, so begannen sich doch früh genug verleumderische Zungen bei ihren Gegnern zu regen; es werden ihr allerlei Grausamkeiten und Vergehen während des Krieges zugeschrieben, auch unpatriotisches Verhalten gegenüber den Feinden des Landes; ferner werden ihr Geldgier und allerlei lächerliche Maßregeln, um Anhänger zu gewinnen, vorgeworfen. Ihr wird schließlich die ganze Schuld an dem Unglück der Rosenkriege zugeschoben.

Wenn sich auch der Ursprung der einzelnen Sagenmotive nicht immer mit Bestimmtheit feststellen läßt, so wird doch schon eine Übersicht über die Fälle, in denen wir ihre Herkunft genau kennen, genügen, um zu zeigen, daß hier die verschiedensten Möglichkeiten in Frage kommen können. Die Sage ist in der Hernahme ihrer Motive nicht sehr wählerisch; wo sich ihr Passendes bietet, da greift sie zu: Gegenwart und Vergangenheit, Einheimisches und Fremdes, Geschichte und Volksglaube sind ihr in gleicher Weise willkommen. So wird in der Sage von Margarete die Verhöhnung des toten York nach der Schlacht bei Wakefield in eine Verhöhnung des lebendigen York nach Muster der Christusverhöhnung im Mathäus Evangelium umgewandelt. Wenn Macbeth sich bei weisen Frauen Rat holt, so stammt auch dieses Motiv aus der Bibel: Saul sucht in gleicher Absicht die Hexe von Endor auf (1. Sam., 28).

Für mehrere Motive ist die Sage der alten Geschichte verpflichtet. Wenn Aethelstans Mutter vor ihrem Zusammentreffen mit dem jungen Königssohn träumt, ein Mond steige aus ihrem unbefleckten Schoß empor, der mit seinen Strahlen ganz England erleuchte, so werden wir dabei an den ganz ähnlichen Traum erinnert, den Mandane, die Mutter des

Cyrus hatte, als sie aus ihrem Schoß einen Baum emporwachsen sah, der ganz Asien beschattete. Beide Träume weisen prophetisch auf die zukünftige Größe des Sohnes hin, den die Mutter empfangen soll.

Die Tennisball-Anekdote in der Sage von Heinrich V. ist, wie wir gesehen, eine Übertragung aus der Alexanderliteratur. Macbeths Verhalten in der Sage: die Beseitigung des milden Vorgängers durch Mord, seine Gewalttaten, um sich auf dem angemaßten Throne zu halten, seine absolute. Regierung und schließlich sein Sturz, vornehmlich infolge eines Frevels, welcher den lange zurückgehaltenen Unwillen des Volkes gegen ihn entflammt: das alles ist eine Nachbildung der Tarquiniussage bei Livius, und ebenso ist Margarete in ihren Intriguen gegen Glocester genau nach Muster der Tullia in derselben Sage gebildet worden.

Nicht weniger bedeutend sind die Entlehnungen aus der neueren Geschichte. So werden auf die Person Alfreds verschiedene administrative Einrichtungen übertragen, deren Keime sich schon früher bei seinem Volke und dessen Stammesgenossen nachweisen lassen. Wie die Mythen über Heinrichs V. Leben als Kronprinz teilweise durch Übertragung von Vorgängen aus dem Leben Eduard II. und dem seiner eigenen Brüder entstanden sind, haben wir bereits gesehen. Züge, die dem Volksglauben und der Mythologie entnommen sind, finden sich besonders zahlreich in der Sage von Macbeth: die Abkunft Macbeths von einem Dämon, sowie sein Tod durch die Hand eines Ungeborenen sind weit verbreitete Sagenmotive, das erstere erinnert sehr an die Fabel von der Geburt Merlins bei Galfred von Monmouth. Auch der sich verirrende König und der wandelnde Wald sind alte Märchenzüge, die schon lange vor Macbeth in Schottland heimisch waren und die erst durch gelehrte Historiker an Macbeth angeknüpft wurden. Die Gestalten der 'weird-sisters' und die ihnen beigelegten Funktionen entstammen ebenfalls einem alten Volksglauben, der auf die nordischen Nornen zurückgeht.

Wenn die Leiche des von Richard ermordeten Heinrichs VI. bei der Annäherung des Mörders zu bluten beginnt, so ist das ebenfalls volkstümlich.

Die Geister, die Richard in der Nacht vor der Entscheidungsschlacht heimsuchen, entstammen dagegen nicht der Volkssage, sondern sind der antiken Tragödie des Seneca. entlehnt.

Zum Schluß dieser Übersicht über die Quellen der sagenhaften Elemente sei noch eines Faktors gedacht, der hier und da neue Motive hat entstehen lassen, nämlich Mißverständnisse, Irrtümer und Undeutlichkeiten in der Darstellung. So beruht die Sage, daß Macbeth im Kampfe gegen die Engländer gefallen sei, auf einer Entstellung normannischer Historiker des 12. Jhds., die Siwards Einfall vom Jahre 1054 und Malcolms Angriff vom Jahre 1057 verschmolzen hatten, so daß Malcolm zum Schützling und Lehnsträger Englands wurde.

Alle Sage entsteht allmählich: einzelne Sagenmotive setzen sich zunächst an den Helden an, neue kommen hinzu, jedoch oft ohne Zusammenhang, ja im Widerspruch mit einander; die Darstellung ist lückenhaft, von Einheit und psychologischer Charakterzeichnung fehlt zunächst jede Spur.

Erst nach einer bestimmten Zeit entsteht ein einheitliches Bild, ein Ganzes: die zerstreuten Berichte und Andeutungen werden zusammengefaßt und mit einander verbunden; Widersprüche werden getilgt, indem divergierende Darstellungen kombiniert und in Einklang gebracht werden; etwa noch vorhandene Lücken in der Darstellung werden ausgefüllt, sodaß der Kreislauf im Leben der Helden geschlossen wird, dieses jedoch nicht immer aus der Erinnerung des Volkes, sondern die heimatliche Geschichte wird häufig nach Analogieen der antiken Geschichte ergänzt. Bereits vorhandene Motive werden weiter gesponnen, verwickelte historische Verhältnisse sucht man zu vereinfachen, unverstandene und dunkle geschichtliche Ereignisse zu motivieren, weitausschauende geschichtliche Überlegung weiß jetzt sogar

von späteren Ereignissen den Maßstab für frühere Geschehnisse herüberzunehmen.

Aber das wichtigste in einer derartigen Zusammenfassung ist die eigentliche Charakterzeichnung des Helden, die sich jetzt vernotwendigt; die psychologische Motivierung seines Denkens und Tuns. Dabei ist in den meisten Fällen wieder eine Anlehnung an antike Muster nicht zu verkennen, wie bei Macbeth und Margarete an die Tarquiniussage des Livius. Der Held wird jetzt Mittelpunkt der Darstellung, der treibende Faktor in allen Geschehnissen. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Margarete und Richard. Jene wird jetzt die aktive Ursache aller Kriegsgreuel, die eigentliche Friedensstörerin, der böse Genius Englands, dieser nicht nur die Hauptfigur, sondern auch der Anstifter in allen Ereignissen seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges.

Die Darstellung selbst läßt sich von einer allgemeiner Idee tragen, von einem bestimmten geschichtsphilosophischen Gedanken durchziehen, auf den alles abgestimmt wird, wobei dann auch wieder antike Reminiszenzen im Spiel sind. So wird sowohl in der Sage von Margarete als auch in der von Richard das Motiv der göttlichen Rache ganz besonders betont: jedes Verbrechen findet seine Sühne, die Tragik des Lebens wird als die gerechte Strafe des Himmels hingestellt. Andererseits ist es das unerbittliche Schicksal, das Richard immer tiefer dem Verbrechen in die Arme treibt, so daß es für ihn kein Entrinnen mehr gibt: eine Auffassung, die zumeist dem Seneca entlehnt ist. Ganz ähnlich verhält es sich bei Macbeth: bei ihm zieht ein Verbrechen immer ein neues nach sich, bis schließlich das Maß seiner Untaten erschöpft ist, und auch ihn die Strafe des Himmels ereilt.

Zu einer derartigen Zusammenfassung und Darstellung waren natürlich nur Männer mit humanistischer Bildung und geschichtsphilosophischem Verständnis fähig. Eingehende Kenntnis der antiken Literatur und besondere Belesenheit in den römischen Historikern, vor allem in Livius, können

wir in der Tat bei allen denen konstatieren, denen wir die erste Zusammenfassung aller sagenhaften Elemente und die erste psychologische Charakterzeichnung des Sagenhelden zu verdanken haben: so bei dem humanistisch gebildeten Matthaeus von Paris, der uns das erste geschlossene und einheitliche Bild von der Sagengestalt Alfreds liefert; weiter bei dem schottischen Gelehrten und Historiker Hector Boëthius, dem Mitbegründer und ersten Rektor der Universität Aberdeen, der der Sage von Macbeth ihre endgültige Gestalt gab; und schließlich bei Polydor Vergil, jenem humanistisch gebildeten Geistlichen aus Italien, dem ersten Vertreter der Renaissance-Geschichtsschreibung in England, der die Sagen von Margarete und Richard zum endgültigen Abschluß brachte.

Bei der Sage von Heinrich V. kann man von einer Zusammenfassung im obigen Sinne durch einen Gelehrten und Historiker nicht reden, da, wie wir gesehen, die einheitliche psychologische Charakterzeichnung erst Shakespeares Werk ist; alle Vorgänger scheiterten an dem Widerspruch zwischen dem der Ausschweifung ergebenen Thronfolger und dem späteren Musterkönig.

Von der Zusammenfassung und Verschmelzung aller sagenhaften Elemente zu einem einheitlichen Bilde des Helden ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur ersten künstlerischen Darstellung der Sage in Novelle, Roman, Epos oder Drama. Sämtliche Königssagen soweit sie überhaupt poëtisch behandelt wurden sind zuerst in dramatischer Form künstlerisch zur Darstellung gelangt: Alfred zuerst in einer lateinischen Tragikomödie in Versen von William Drury Alvredus sive Alfredus, Tragi-Comoedia', gedr. Douay 1620; Macbeth und Margarete zuerst bei Shakespeare; Heinrich V. in dem vor-Shakespeareschen Drama The Famous Victories', und Richard III. in dem lateinischen Drama des Dr. Legge Richardus Tertius'.

Alle diese Dramen lehnen sich mehr oder weniger eng an schon vorhandene Bühnenformen an.

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