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(Bosw. 264). Im übrigen scheint er sich ganz der Führung der Familie Thrale anvertraut zu haben, mit der er alle Sehenswürdigkeiten von Paris besichtigte. Dabei scheint die Pracht der Paläste und Kirchen einigen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Größeres Interesse brachte er den sozialen Verhältnissen entgegen, der Einrichtung von Kranken- und Armenhäusern, Gefängnissen, der Verpflegung elternloser Kinder; am besten scheint er sich aber mit den wilden Tieren in den Menagerien, die sich damals die Großen Frankreichs hielten, unterhalten zu haben: sorgsam notierte er alles mögliche Getier, für das Boswells zoologische Kenntnisse nicht ausreichten und dessen Aufzählung ihm daher wegen der schlechten Schrift Johnsons große Mühe bereitete.

Mit den Menschen selbst aber ist Johnson in keine Verbindung getreten; er wandelte völlig fremd unter Fremden, weshalb er auch mit ihrer Eigenart durchaus nicht vertraut wurde. In einem Brief aus Frankreich schrieb er, daß er daselbst keine Bekanntschaften geschlossen habe (Bosw. 258), und nach seiner Rückkehr sagte er zu Boswell, daß er mit den Franzosen selbst nicht in nähere Berührung gekommen sei (Bosw. 246), was sich um so besser verstehen läßt, wenn man erfährt, daß Johnson in Paris fast nur lateinisch sprach, da ihm, wie Boswell bemerkt, die Aussprache des Französischen schwer fiel (Bosw. 264; vgl. auch Bosw. 259).

Seine Eindrücke, die er mit nach Hause brachte, faßte er kurz in folgenden Äußerungen zusammen. Paris sei keine so feine Stadt als man erwarten sollte, das Leben scheine ihm dort nicht behaglich und angenehm zu sein (Bosw. 258). In Frankreich gäbe es nur Reiche und Arme, während der Mittelstand gänzlich fehle (Bosw. 259, 261, 264, X 170 Misc. II 289) — es war das 15 Jahre vor dem Ausbruch der französischen Revolution. Frankreich sei in allem noch schlechter als Schottland außer im Klima (Bosw. 264), dem er einen wohltuenden Einfluß auf seine Gesundheit zuschrieb (Bosw. 259, 263). Und sein Gesamturteil über den Nußen dieser Reise lautete: What I gained by being in France was learning to be better satisfied with my own country (Bosw. 400). So urteilte Johnson selbst über die Bedeutung seiner Reise nach Frankreich, die auf seine Stellung zu Land und Leuten kaum irgend welchen Einfluß ausübte. Johnson war bereits 65 Jahre alt, als er die Reise unternahm, und in diesem Alter pflegen die Menschen ihre Anschauungen nicht mehr zu ändern, besonders nicht ein Mann wie Johnson, der stets sehr zäh festhielt an einmal gefaßten Vorurteilen.

Diese Verachtung der Franzosen, die er nach der Mitteilung der Miß Reynolds, der Tochter des Malers, auch nach seinem Aufenthalt in Frankreich als „rückständige, stupide und unwiffende Geschöpfe“ bezeichnete (behind

hand, stupid and ignorant creatures Misc. II 289; vgl. auch Bosw. 400), paart sich mit einer großen Bewunderung der französischen Literatur, die er vom Zeitalter der Renaissance an mit Lust und Eifer studiert hat. Man wird das in gewisser Hinsicht unvereinbar finden; denn schließlich können das doch keine so völlig stupiden Geschöpfe sein, die nach seiner eigenen Ansicht die Träger einer hohen, vielseitigen Geisteskultur sind. Die Verehrung der Literatur muß doch notwendigerweise auch eine Verehrung der Menschen mit sich bringen, die diese Literatur schufen. Bei Johnson war das Bestehen eines solchen Widerspruches jedoch durchaus möglich; er dachte nicht daran, ihn auszugleichen, „er lachte eher darüber" (Misc. II 226). Es darf aber auch nicht vergessen werden, daß diese widerspruchsvolle Beurteilung seinen Zeitgenossen weniger auffallen mußte als uns heutzutage; denn nach klassizistischer Auffassung war die Literatur nicht der Ausdruck des Charakters, der Denk- und Anschauungsweise eines Volkes. In der französischen Literatur sollte sich die französische Eigenart ebensowenig offenbaren wie in der englischen die Besonderheit der Engländer. War es doch das Verlangen der Klassizisten und somit auch das Johnsons —, daß in der Literatur jedes Individuelle, jedes Besondere, jedes Nationale unterdrückt werden sollte, damit der allgemeine Geist der Menschheit um so reiner und abgeklärter zum Ausdruck komme. Die französischen Sitten, Gewohnheiten und Lebensauffassungen offenbaren den Franzosen, die französische Literatur aber zeigt nur den Menschen. So konnte es kommen, daß Johnson die Franzosen als Volk geringschäßte, die französischen Autoren aber verehrte und liebte, obwohl auch ihnen gegenüber seine englischen Vorurteile oft genug zur Geltung kommen.

II.

Johnsons Urteil über die französische Literatur im allgemeinen und über verschiedene ihrer Erscheinungsformen.

1. Johnson über die französische Literatur im allgemeinen.

Johnson ist einer der letzten englischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, die sich nicht allein in ihrem Schaffen nach den Regeln und Gesehen der Franzosen richteten, sondern die auch selbst immer wieder die französische Literatur studierten, um sich dort Anregung und Stoff zu ihren Werken zu suchen. Denn seitdem der Klassizismus seinen Einzug in England gehalten hatte, war für alle, die sich schriftstellerisch betätigen wollten, die Kenntnis der französischen Literatur ebenso notwendig wie diejenige der Antike. In die Glanzzeit des englischen Klassizismus, in die Zeit, in der der französische Einfluß auch in die weiteren Kreise des Volkes gedrungen war, fällt Johnsons Jugend.

Die erste eingehende Bekanntschaft Johnsons mit der französischen Literatur dürfte wohl in die Zeit zwischen dem 16. und 18. Lebensjahre fallen, die, wie Leslie Stephen (S. 6) hervorhebt, die Hauptperiode seines Studiums gewesen zu sein scheint. Es ist dies die Zeit, in der er zu Haus bei seinem Vater weilte, um sich mit dem Buchhandel vertraut zu machen, wobei sich ihm Gelegenheit zu eifriger Lektüre bot, so daß er, als er die Universität bezog, über eine erstaunlich große Belesenheit verfügte, und später im Alter von 54 Jahren behaupten konnte, daß er mit 18 Jahren bereits ebenso viel gelesen gehabt hätte, als jezt.1)

Daß er in diesem Lebensabschnitt auch die gelesensten Autoren Frankreichs kennen lernte, ist mehr als wahrscheinlich; ist doch ein Buchhändlerladen der beste Barometer für den jeweiligen Zeitgeschmack. Sehr bezeichnend für die damalige Hegemonie der französischen Literatur in England ist die Tatsache,

1) I. Sir, in my early years I read very hard. It is a sad reflexion, but a true one, that I knew almost as much at eighteen as I do now (Bosw. 123). Wenn diese Aussage auch nicht wörtlich genommen werden darf, so beweist sie doch sehr viel für jene Zeit, bevor er die Universität bezog.

daß Johnson seine literarische Tätigkeit mit Übersetzungen aus dem Französischen eröffnete. Diese Erstlingsarbeiten sind auch ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr der junge Autor von dem Glauben erfüllt gewesen sein muß, daß die Kenntnis der französischen Sprache und Literatur für einen an= gehenden Schriftsteller unerläßlich war. So wird schon das Verlangen, ein Mann der Feder zu werden, ihn zu eifrigem Studium der Franzosen ange= spornt haben.

Seine große Belesenheit in der französischen Literatur bezeugen übereinstimmend mehrere seiner Freunde, die uns Berichte über ihn hinterlassen haben. So sagt Mrs. Piozzi in ihren ,,Anecdotes": Johnson was a great reader of French literature (Misc. I 334). Ganz entsprechend schreibt Tyers: With French authors he was familiar (Misc. II 363), und bei Boswell, der den Bericht eines ungenannten Freundes anführt, lesen wir: He spoke often in praise of French literature (Bosw. 503).

Wenn nun das in seinen uns überlieferten Urteilen über die französische Literatur enthaltene Lob keineswegs ein uneingeschränktes ist, so muß immer berücksichtigt bleiben, wie ängstlich Johnson stets darauf bedacht war, keinem fremden Volke eine Überlegenheit über England in irgend einer Be= ziehung offen einzuräumen: England überragt für ihn alle anderen modernen Nationen. Vor allem aber ist es ihm darum zu tun, daß bei Vergleichen zwischen England und den fremden Völkern die Überlegenheit über Frankreich hervortritt. 1) An den Gedanken müssen wir uns von vornherein gewöhnen, daß es Johnson, der, wie Carlyle sagt, nichts weiter sieht und kennt als England, der der John Bull des geistigen Europa ist", 2) unmöglich ist, die Bedeutung der französischen Literatur für ihn im besonderm und für England im allgemeinen in vollem Umfange anzuerkennen. Als ein Selbstbekenntnis können jene Worte Johnsons in R. 93 betrachtet werden, daß es keinen Kritiker gäbe, der bei einem Vergleich zwischen den Schriftstellern des eigenen Landes und denjenigen eines fremden Volkes ein einwandfreies Urteil fällen könnte (VI 140).

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Er war der Ansicht so erzählt Maxwell von Johnson in seinem kurzen Bericht, den Boswell wiedergibt, daß die Engländer ihren Boden sowohl als auch ihren Geist besser pflegten als irgend ein anderes Volk;

1) Durch dieses Verhalten Johnsons wird man an Addison erinnert, bei dem diese Auffassung jedoch nicht so tendenziös hervortritt und daher einwandfreier erscheint. Wie Johnson stellt auch Addison die Alten über die Modernen, unter denen er die Engländer höher schätzt als die Franzosen (Spectator N. 463); siehe Sander S. 68. 2) His interests are wholly English; he sees and knows nothing but England; he is the John Bull of Spiritual Europe: let him live, love him, as he was and could not but be! (Carlyle IV 103).

doch gab er zu, daß die Franzosen, obgleich sie in keinem Gebiet der Literatur das Höchste geleistet hätten, in jedem doch sehr hoch ständen (Bosw. 176). Diese Anschauung, daß sich die Franzosen in allen Literaturzweigen ohne wirklich gründliche Erschöpfung irgend eines Teiles betätigt hätten, liegt auch den übrigen zusammenfassenden Urteilen Johnsons zugrunde. So pflegte er zu sagen: „Die Franzosen zeichnen sich dadurch aus, daß sie ein Buch über jeden Gegenstand besißen" (Bosw. 503).1) Ein ander Mal läßt er sich folgendermaßen über die Franzosen vernehmen: The French writers are superficial, because they are not scholars, and so proceed upon the mere power of their own minds; and we see how very little power they have (Bosw. 125). Auf dasselbe läuft es ungefähr hinaus, wenn er den Unterschied zwischen einem Engländer und einem Franzosen also definiert: „Ein Franzose muß immerzu sprechen, ob er nun etwas von der Sache versteht oder nicht; ein Engländer dagegen begnügt sich damit nichts zu sagen, wenn er nichts zu sagen hat“ (Bosw. 433).o) Am deutlichsten kommt das Verhältnis der beiden Literaturen, wie er es sich vorstellt, in der folgenden Äußerung zum Ausdruck: There is, he said, perhaps more knowledge circulated in the French literature than in any other. There is more original knowledge in English (Bosw. 531).

Diese Urteile besagen also kurz folgendes: Die Franzosen gehen in die Breite (ihre Phantasie läßt sie über alles schreiben), ohne in die Tiefe zu dringen (sie sind keine gründliche Gelehrten); während die Engländer, wenn sie auch nicht wie jene auf allen Gebieten tätig waren, auf manchen um so gründlicher und hervorragender gearbeitet haben.

In einem in diesem Zusammenhange beachtenswerten Aufsatz in Id. 91 geht Johnson von der Bemerkung aus, daß es doch sehr widersinnig sei, die an und für sich schon so schwierige Erlangung einer gründlichen Bildung dadurch zu erschweren, daß man sich sein Wissen bei einem fremden Volke hole, während man es doch viel bequemer im eigenen Lande erlangen könne. Das aber geschähe in England; denn während die fremden Autoren die Gunst der Engländer genössen, würde die einheimische Literatur verachtet.

1) Vgl. Mrs. Piozzi: His dislike of the French was well known to both nations, I believe, but he applauded the number of their books and the graces of their style (Misc. I 216).

*) Diese Oberflächlichkeit des Schaffens wurde den Franzosen häufig zur Last gelegt. Baillet (1649-1706) in seinen ,,Jugemens des Savants" sagt (S. 154), als er von den Fehlern und Mängeln spricht, die den Frauzosen von anderen Nationen vorgeworfen würden: D'autres ont publié que le grand vice des François étoit de se contenter d'éfleurer les Sciences sans les aprofondir, de vouloir tout embrasser sans rien retenir, de vouloir goûter de tout, sans vouloir digérer rien de solide, en un mot de ne savoir les choses que superficiellement.

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