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Eine Übereinstimmung mit den „Caractères" weisen auch einzelne sich auf das Individuum beziehende Vorschriften und Beobachtungen Johnsons auf. Unerträglich ist nach des Philosophen Imlac Ansicht der Gedanke, daß man sich bei einem Unglück etwas vorzuwerfen hat. Auch La Bruyère betrachtete es als das größte Unglück des Menschen, sich etwas vorzuwerfen zu haben. 1)

Man soll sich hüten, warnen uns beide gleichmäßig, die Menschen nach einer zu kurzen Bekanntschaft und Prüfung zu beurteilen. 2)

Wie La Bruyère hat auch Johnson die Erfahrung gemacht, daß die meisten Menschen zu langwieriger, mühevoller Arbeit unfähig seien, daß sie alles im Sturm nehmen möchten; aber solche Stürmer erreichten nicht so viel, als die langsam und mit ruhiger Überlegung vorgingen.")

Erwähnt sei auch die von beiden gleichmäßig gemachte Beobachtung,

1) Während sich Rasselas, die Prinzessin und Imlac in einer Pyramide befinden, wird ihre Gefährtin Pekuah, die aus Furcht vor Gespenstern, die dort spuken könnten, im Freien geblieben war und auf der anderen Rückkehr wartet, von Arabern geraubt. Die Prinzessin macht sich die größten Vorwürfe, daß sie ihrer Begleiterin erlaubt habe, zurückzubleiben. Da hält ihr Imlac vor, wie sie denn den Vorwurf ertragen hätte, den sie sich hätte machen müssen, wenn durch ihre Schuld ihrer Dienerin ein Unglück zugestoßen, wenn diese aus Angst in der Pyramide gestorben wäre. How comfortless is the sorrow of him who feels at once the pangs of guilt and the vexation of calamity which guilt has brought upon him?..., how would you have borne the thought, if you had forced her into the pyramid and she had died before you in agonies of terror? (Rasselas, Chap. XXXIII, XI 95). La Bruyère: Il n'y a pour l'homme qu'un vrai malheur, qui est de se trouver en faute, et d'avoir quelque chose à se reprocher (Oeuvres II 64, 136).

2) Il ne faut pas juger des hommes comme d'un tableau ou d'une figure, sur une seule et première vue: il y a un intérieur et un cœur qu'il faut approfondir (Oeuvres II 91, 27). Johnson: Nothing therefore is more unjust than to judge of man by too short an acquaintance, and too slight inspection (R. 70, V 444).

3) La plupart des hommes pour arriver à leurs fins, sont plus capables d'un grand effort que d'une longue persévérance: leur paresse ou leur inconstance leur fait perdre le fruit des meilleurs commencements; ils se laissent souvent devancer par d'autres qui sont parti après eux et qui marchent lentement, mais constamment (Oeuvres II 64, 137). Johnson: Few minds will be long confined to severe and laborious meditation; and when a successful attack on knowledge has been made, the student recreates himself with the contemplation of his conquest; vorher hat er in demselben Aufsatz gesagt: He that should steadily and resolutely assign to any science or language those interstitial vacancies which intervene in the most crowded variety of diversion or employment, would discover how much more is to be hoped from frequency and perseverance. than from violent efforts and sudden desires (R. 108, VI 236).

daß die meisten Menschen in ihrer Jugend so leben, daß ihrer ein elendez, frankes Alter wartet. 1)

Beachtung verdient besonders noch die Übereinstimmung in der Ansicht, daß kein Mensch die Gegenwart genieße, daß jeder sein Glück in der Zukunft jehe, und so das Leben vergehe mit Wünschen für die kommende Zeit. La Bruyère: La vie est courte et ennuyeuse: elle se passe toute à désirer. L'on remet à l'avenir son repos et ses joies, à cet âge souvent où les meilleurs biens ont déjà disparu, la santé et la jeunesse. Ce temps arrive, qui nous surprend encore dans les désirs; on en est là, quand la fièvre nous saisit et nous éteint: si l'on eût guéri, ce n'étoit que pour désirer plus longtemps (Oeuvres II 18, 19).2) In ganz ähnlicher Weise schildert Johnson die Menschen, die ihre Wünsche und Pläne immer weiter hinausschieben, biz das Leben sie schließlich verläßt: We see men pleasing themselves with future happiness, fixing a certain hour for the completion of their wishes, and perishing some at a greater and some at a less distance from the happy time; all complaining of their disappointments, and lamenting that they had suffered the years which Heaven allowed them, to pass without improvement, and deferred the principal purpose of their lives to the time when life itself was to forsake them (Adv. 108, IX 105). No hour is devoted wholly to any present enjoyment, no act or purpose terminates in itself, but every motion is referred to some distant end; the accomplishment of one design begins another, and the ultimate wish is always pushed off to its former distance (R. 151, VII 67). 3) Während

1) La plupart des hommes emploient la meilleure partie de leur vie à rendre l'autre misérable (Oeuvres II 47, 102). He that for a short gratification brings weakness and diseases upon himself, and for the pleasure of a few years passed in the tumults of diversion, and clamours of merriment, condemns the maturer and more experienced part of his life to the chamber and the couch, may be justly reproached, not only as a spendthrift of his own happiness, but as a robber of the publick (R. 48, V 308).

2) For the hope of happiness . . is so strongly impressed, that the longest experience is not able to efface it. .,Rasselas", Chap. XXII (XI 64).

*) Johnson kommt noch öfters darauf zurück. Such is the emptiness of human enjoyment that we are always impatient of the present. . . Few moments are more pleasing than those in which the mind is concerting measures for a new undertaking (R. 207, VII 386). He [J.] said,,,nobody was content." I mentioned to him a respectable person in Scotland whom he knew; and I asserted, that I really believed he was always content. Johnson: „No, Sir, he is not content with the present; he has always some new scheme, some new plantation, something which is future" (Bosw. 365); Id. 58 (VIII 232 ff.); vgl. auch XI 64, siehe Anm. 2; Bosw. 248.

La Bruyère nur die Kinder, nimmt Johnson nur die Trunkenen hiervon aus: sie seien die einzigen, die die Gegenwart genöffen. 1)

Bemerkenswert ist ferner das Einverständnis Johnsons mit La Bruyère in der Auffassung des Lasters.

Ein Mensch mag noch so begabt sein, La Bruyère spricht ihm doch Größe ab, wenn er nicht tugendhaft ist, denn ihm fehlt dann die Klugheit: Dans un méchant homme il n'y a pas de quoi faire un grand homme. Louez ses vues et ses projets, admirez sa conduite, exagérez son habileté à se servir des moyens les plus propres et les plus courts pour parvenir à ses fins: si ses fins sont mauvaises, la prudence n'y a aucune part, et où manque la prudence, trouvez la grandeur, si vous le pouvez (Oeuvres I 125, 116). Genau so Johnson; auch für ihn kann wahre Größe sich nur auf Tugend gründen, denn Tugend ist ihm der beste Beweis für Verstand: It is therefore to be steadily inculcated, that virtue is the highest proof of understanding (R. 4, V 26). Das Laster führen demgemäß beide auf eine große Beschränktheit des Geistes zurück: Si la pauvreté est la mère des crimes, le défaut d'esprit en est le père (Oeuvres II 17, 13); so auch Johnson: Vice is the natural consequence of narrow thoughts (R. 4, V 26).

Eine politische Ansicht Johnsons erregt unser besonderes Interesse, weil sie sich mit dem Standpunkt, den Johnson in der Politik einnimmt, nicht recht in Einklang bringen läßt; sie hat daher auch die Aufmerksamkeit der Biographen unseres Moralisten auf sich gelenkt. Es ist jedenfalls beachtenswert, daß sich diese nicht aus den übrigen Anschauungen zu erklärende Ansicht bei La Bruyère findet. Als strenger Tory verteidigt Johnson mit Eifer die Machtvollkommenheit der Regierung, der Monarchie, es überrascht daher, ihn einmal sagen zu hören, daß ihm alle Regierungsformen als gleichwertig erschienen: I would not give half a guinea to live under one form of government rather than another (Bosw. 191). So hatte sich auch schon La Bruyère geäußert: Quand l'on parcourt, sans la prévention de son pays, toutes les formes de gouvernement, l'on ne sait à laquelle se tenir: il y a dans toutes le moins bon et le moins mauvais (Oeuvres I 363). Ebenso begründet Johnson seine Ansicht; auch er glaubt, daß jede Verfassung den Untertanen gleichviel

1) Les enfants n'ont ni passé ni avenir, et ce qui ne nous arrive guère, ils jouissent du présent (Oeuvres II 27, 51). Being asked, if he really was of opinion, that, though in general, happiness was very rare in human life, a man was not sometimes happy in the moment that was present, he answered, ,,Never, but when he is drunk“ (Bosw. 248).

Vorteil und gleichviel Nachteil böte: "When I say that all governments are alike, I consider that in no government power can be abused long. Mankind will not bear it. If a sovereign oppresses his people to a great degree, they will rise and cut off his head (Bosw. 191).

Es bleibt uns nun zum Schluß noch übrig, einen Blick auf die Gleichheit ihrer Anschauungen über das Bestehen eines Jenseits zu werfen, das ihnen außer Zweifel steht.') Dabei legen nun beide Wert auf dieselben zwei Punkte, aus denen sie ein ewiges Leben folgern, Schlüsse, die bei den kartesianischen Zeitgenossen La Bruyères auch sonst noch begegnen, die aber bei dem Engländer in Anbetracht der großen Beeinflussung durch La Bruyère für uns beachtenswert sind. Es entgeht beiden nicht, daß auf dieser Welt selbst die Tugendhaftesten unter dem Unglück schwer zu leiden haben, und daß die Schlechten oft ungestraft alle irdischen Genüsse genießen dürfen. Solche Ungerechtigkeit gibt ihnen zu denken.

Aus diesem Zwiespalt findet nun La Bruyère einen Ausweg, indem er sich sagt, daß diese Ungerechtigkeit ein Beweis für die ewige Glückseligkeit ist. Während ein adliger Herr ein Einkommen von so und so viel tausend Franken bezicht, haben so und so viel Familien im Winter keine warme Stube, keine Kleider, kein Brot. Angesichts solcher Mißstände ruft er aus: Quel partage! Et cela ne prouve-t-il pasclairement un avenir? (Oeuvres I 254, 26, vgl. II 273, 74). Eine solche Ungerechtigkeit hält auch Johnson unvereinbar mit der Gerechtigkeit und Güte Gottes: Since the conmon events of the present life happen alike to the good and bad, it follows from the justice of the Supreme Being, that there must be another state of existence, in which a just retribution shall be made, and every man shall be happy and miserable according to his works (Adv. 120, IX 133); One evidence of a future state is the uncertainty of any present reward for goodness (R. 52, V 337; vgl. auch „Rasselas“", Chap XXVIII, XI 76). Ein zweiter Beweis für die Unsterblichkeit folgt für beide aus der Beschaffenheit der Seele. Sie schließen: Es ist ausgeschlossen, daß die Seele Materie ist, sie ist körperlos, als solche hat sie keine Ausdehnung, besteht also nicht aus einzelnen Teilen; unter Verfall verstehen wir aber Auflösung in die einzelnen Teile; dies ist bei der Seele unmöglich, folglich ist sie unsterblich. Nachdem La Bruyère dargelegt hat, daß nach Verstandesschlüssen die Seele körperlos ist, sagt er: Il y a des êtres qui durent peu, parce qu'ils sont composés de choses très différentes et qui se nuisent réciproquement. Il y en a d'autres qui durent davantage

1) Siehe Johnsons Verhältnis zu Descartes, S. 98f.

parce qu'ils sont plus simples; mais ils périssent parce qu'ils ne laissent pas d'avoir des parties selon lesquelles ils peuvent être divisés. Ce qui pense en moi, doit durer beaucoup, parce que c'est un être pur, exempt de tout mélange et de toute composition; et il n'y a pas de raison qu'il doive périr, car qui peut corrompre ou séparer un être simple et qui n'a pas de parties? (Oeuvres II 256, 40).

Ebenso Johnson. Der Weise Imlac beweist zunächst die Körperlosigkeit der Seele und schließt dann: Immateriality seems to imply a natural power of perpetual duration as a consequence of exemption from all causes of decay: whatever perishes is destroyed by the solution of its contexture, and separation of its parts; nor can we conceive how that which has no parts, and therefore admits no solution, can be naturally corrupted or impaired (,,Rasselas", Chap. XLVII, XI 141).

Descartes.

So weit es bei Johnson überhaupt angebracht ist, von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Philosophie zu reden, kann man sagen, daß Johnson Kartesianer ist, insofern nämlich, als er wie die Anhänger des Descartes das Wesen der Seele und der Körper auffaßt und an dem Dualismus zwischen beiden festhält.1) Doch da Johnson sich mit keinem der philosophischen Systeme näher befaßt, sondern sich nur hie und da über einzelne Gedanken geäußert und nie ernstlich Kritik an ihnen geübt hat, so hätte es auch keinen Sinn, seine Anschauungen in ihrem Verhältnis zu irgend einer der philosophischen Schulen näher zu prüfen der Widersprüche und Verwickelungen. wäre sonst kein Ende. Daher begnügen wir uns damit, seine Äußerungen über die französischen Philosophen zusammenzustellen.

Im R. 95 schildert Johnson einen ehrgeizigen jungen Mann, der seine ganze Zeit und sein ganzes Können dazu verwandte, allen überlieferten Anschauungen zu widersprechen, nur um seine Fähigkeiten im Streiten über wissenschaftliche Fragen glänzen zu lassen. Dieser streitsüchtige Jüngling sagt von sich: I was equally able and equally willing to maintain the system of Newton or Descartes, I sometimes exalted vegetable to sense, and sometimes degraded animals to mechanism (VI 155). Auf das System Descartes's geht er dabei jedoch nicht näher ein. Die Methode des Descartes, nichts ungeprüft in sich aufzunehmen und zunächst an allem Überlieferten zu zweifeln, hält Johnson allen denen

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1) Vgl. vor allem „Rasselas“, Chap. XLVII; siche oben S. 97f.

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