Imagens das páginas
PDF
ePub

Wollte man dafür Belege bieten, es gäbe der Beispiele kein Ende. Und wer hätte nicht bei längerem Aufenthalt in Frankreich und im Verkehr mit Franzosen schon selbst darin seine Erfahrungen gemacht? So erinnere ich mich aus den Tagen meines letzten Verweilens in der französischen Hauptstadt des folgenden Erlebnisses: ,,Eine bekannte Pariser Finanzgrösse hatte eine ihr günstige Börsenspekulation in die Wege geleitet, deren Erfolg aber dadurch vereitelt wurde, dass der dem Vater zur Börse vorauseilende Sohn den geheimen Plan zu aller Welt Ergötzen vorzeitig laut werden liess. Als nun der Vater bei seinem Eintreffen auf der Börse mit der Nachricht von der Torheit seines Sohnes überrascht wurde, suchte er sich diesen aus dem Gewühl heraus und versetzte ihm vor aller Öffentlichkeit ein paar gewaltige Ohrfeigen." Ich hätte nun diese vom Figaro in dem üblichen Kaufmannsstil gebrachte Notiz bei flüchtigem Lesen nicht so ganz in ihrer Bedeutung erfasst, wenn ich nicht am Schluss die Worte hinzugefügt gefunden hätte: „Und so musste denn der hoffnungsvolle Sprössling des Finanzmannes zu seinem Schaden die Wahrheit des Satzes erkennen:

On ne peut contenter tout le monde et son père!" jenes bekannten, an dieser Stelle ein wenig abgeänderten Satzes aus La Fontaines Fabel Le meunier, son fils et l'âne, der ersten des 3. Buches.

Abänderungen müssen sich ja natürlich, genau wie die Zitate aus unseren deutschen Dichtern, die Verse La Fontaines gar oft gefallen lassen, aber weit entfernt zu befremden, berühren uns derartige Umformungen doch eher wohltuend als ein Zeichen ungetrübter Lebensfähigkeit, wenn wir beispielsweise in den Briefen der Mme. de Sévigné lesen:

oder:

Car que faire en un lit, à moins que l'on n'y dorme?

Car que faire aux rochers, à moins que l'on ne plante?

oder an anderer Stelle:

Car que faire à la campagne, à moins que l'on ne lise? und wenn wir dabei uns der Ursprungsstelle aus der Fabel Le lièvre et les grenouilles (II, 14) erinnern, wo es von dem in seinem Lager träumenden Hasen heisst:

Car que faire en un gîte, à moins que l'on ne songe?

Was soll man erst von der Unzahl stehender Redewendungen, Witzworte und Sprichwörter sagen, die von La Fontaine geschaffen oder doch erst in eine gangbare Form umgemünzt worden sind.

Als glänzender Beleg dafür kann uns Fabel 1 aus dem 7. Buche Les animaux malades de la peste dienen, die mit ihrem 7. Vers:

Ils ne mouraient pas tous, mais tous étaient frappés,

mit dem so echt französischen

Vers 14: Plus d'amour, partant plus de joie,

Vers 31: Il est bon que chacun s'accuse ainsi que moi,
Vers 33: Que le plus coupable périsse,

Vers 35: Vos scrupules font voir trop de délicatesse,

Vers 47 in Verbindung mit 48:

Tous les gens querelleurs étaient de petits saints,
Vers 49: L'âne vint à son tour,

Vers 59: Sa peccadille fut jugée un cas pendable,

Vers 60: Manger l'herbe d'autrui! quel crime abominable

und schliesslich mit der Moralité:

Selon que vous serez puissant ou misérable,

Les jugements de cour vous rendront blanc ou noir

eine schier unerschöpfliche Reihe von geflügelten Worten bietet.

Und bei dem, man kann wohl sagen, natürlichen Triebe der Franzosen, die schönsten Fabeln La Fontaines auswendig zu lernen, und der Neigung ihrer grossen Vortragskünstler, sie bei jeder möglichen Gelegenheit zu rezitieren, genügt oft ein Wort, ja die eigenartige Betonung eines Wortes, ein ganzes La Fontainesches Gebilde aus dem Unterbewusstsein des Hörers heraufzubeschwören. Wie köstlich, wenn die Namen der beiden durchtriebenen Kumpane aus Buch 9, Fabel 17 Le singe et le chat Bertrand et Raton' von Voltaire zu Decknamen für ihn selbst und d'Alembert in ihrem gegenseitigen Briefwechsel benutzt werden, worüber er am 4. Januar 1773 an d'Alembert schreibt:

Je crois qu'il faudrait avoir l'attention de mettre au bas de ce qu'on écrit la première lettre de son nom, on quelque autre monogramme. Par exemple je signe Raton, et Raton aime Bertrand de tout

son cœur.

Und in der Folgezeit nennt er sich selbst häufig le vieux Raton, le malingre Raton, während d'Alembert wohl gelegentlich einen Brief an den Freund mit den Worten schliesst: Bertrand baise bien tendrement les chères pattes de Raton.

Und wenn dann hundertfünfzig Jahre später Scribe einem seiner wertvolleren Dramen den Titel Bertrand et Raton gibt, so will er, dass alle Welt schon beim Lesen dieser Namen errät, worauf es ihm in seinem Schauspiel ankommt, zu einer Zeit, da es der Dramatiker noch nicht darauf anlegt, das Publikum über seine Absicht möglichst lange im Unklaren zu lassen oder gar irrezuführen.

Zeitschrift für franz. und engl. Unterricht. Bd. 13.

8

Und wenn wir nun den Schüler damit bekannt machen, wie Voltaire in seinen Questions sur l'Encyclopédie und an anderen Stellen, J. J. Rousseau im Emile, Saint- Marc Girardin in seinem Buche La Fontaine et les Fabulistes, Taine in dem Werke La Fontaine et ses Fables von den Kritikern zweiten und dritten Ranges abzusehen über diese Gedichte im ganzen

um

wie im einzelnen sich ereiferten und gegenseitig befehdeten, wie sie sich zergrübelten und wie sie darüber gar nicht zur Ruhe kommen konnten, und wenn man andererseits darauf hinweist, wie anregend die La Fontaineschen Schöpfungen wiederum auf die nachfolgenden Dichter desselben Genres in Frankreich und auch in Deutschland gewirkt haben, wo vermöchte man da wohl eine belebendere Bildungsmaterie für unsere Jugend zu finden?

Gerade von diesem letzten Gesichtspunkte übrigens aus dürfen wir die schon auf niedrigster Stufe gelesenen Fabeln hier vor dem Abschluss des Bildungsganges überhaupt unseren Schülern von neuem vorführen. Da liest dann der Primaner noch einmal das ihm wohlbekannte erste Gedicht der ganzen Sammlung La cigale et la fourmi; aber im Anschluss daran teilen wir ihm jetzt die ironische Umkehrung Ratisbonnes La fourmi et la cigale mit:

La cigale ayant grand' faim,
A la fourmi, sa voisine,
Son amie et sa cousine,
Demandait un peu de grain.
>>Je vous le rendrai, ma belle,
Quand je le pourrai, dit-elle,
Et surtout, foi d'animal,
Vous aimerai très fidèle.
Aimer, c'est le principal.<
Sur-le-champ la fourmi donne
Tout ce qu'elle a rassemblé
Pour l'hiver et pour l'automne:
Des miettes, des vers, du blé.
»Mangez, dit-elle, à votre aise;
Mais que faisiez-vous l'été ?«

[blocks in formation]

Hierauf lesen wir die gleichfalls auf die entgegengesetzte Moral führende Fabel Lachambaudies La cigale, la fourmi et la colombe:

»Eh bien! dansez maintenant!<<

A dit la fourmi cruelle.

La colombe survenant:
»Pour la cigale, dit-elle,
J'ai des graines à son choix.
Si la pauvre créature
Ne reçut de la nature

Pour tout trésor que sa voix,
De faim faut-il qu'elle meure?
Vous travaillez; à toute heure
Elle chante les moissons:
Ainsi, tous nous remplissons
La loi que Dieu nous impose.<<
L'oiseau, sans dire autre chose,
A tire d'aile aussitôt
Part, et rapporte bientôt
Force grains dont la cigale
A son aise se régale.

O fourmi, ta dureté

A l'égoïste peut plaire:
Colombe, moi je préfère
Ta tendre simplicité.

Ein weniger bekanntes Gedicht La coulisse et la banque (,,Die Pfuschmaklerbörse und die Bank") von Ferrier wäre dann noch als eine sehr gelungene Parodie zu der La Fontaineschen Fabel zu erwähnen, und auch die Bearbeitungen von Hagedorn und Gleim könnten als belehrende Proben deutschen Ursprungs mit Nutzen zur Verlesung kommen. Neben Lachambaudies wertloser Weiterspinnung des aus den Unterklassen her gleich wohlbekannten Le corbeau et le renard wird man gewiss auch die Umkehrung der mehrfach angefochtenen Moral dieser Fabel in der Lessingschen Version erwähnen. Wie nahe liegt dann ferner ein Vergleich zwischen dem wundervollen Le savetier et le financier (VIII, 2) und Hagedorns Nachbildung mit dem so unglücklich zum savonnier verwandelten savetier. Und wie drängt sich doch das Nebeneinanderhalten von des Franzosen Le meunier, son fils et l'âne (III, 1) und Hebels ebenfalls überaus gefälliger, aber so echt deutscher Erzählung des gleichen Inhalts auf, die bemerkenswerter Weise genau mit derjenigen unter den. fünf Fortbewegungsarten der drei Geschöpfe,,des alten Müllers, des jungen Müllers und des Esels" aufhört, mit der La Fontaine angefangen hat.

Indes verlohnt es sich, neben der Fabel auch noch andere Literaturgebiete zu betrachten, um dort La Fontaines schier unerschöpflichem Einflusse nachzuspüren. Ich denke dabei vor allem an die Komödie

Mme. Cherbuliez' Le savetier et le financier und an Desfontaines aus der Fabel L'amour et la folie (XII, 14) entstandene komische Oper. Und indem ich die blosse Zitierung La Fontainescher Gedichte im Drama, so die von Le corbeau et le renard durch die kleine Louison in Molières Malade imaginaire (II, 11), die von Le chêne et le roseau in Sandeaus Mademoiselie de la Seiglière (II, 4), die yon Les deux pigeons in Scribes Adrienne Lecouvreur (II, 5), nur streife, möchte ich doch noch daran erinnern, welche bedeutsame Rolle der Dichter ganz persönlich in Gustave Droz pikantem Roman Monsieur, Madame et Bébé spielt, und an die Worte Daudets (Daniel Eyssettes) aus Le petit Chose, wo er beim Bericht über seine Unterrichtstätigkeit in der Klasse der Kleinen sagt:

Alors, comme aujourd'hui, le bonhomme La Fontaine était mon saint de prédilection dans le calendrier littéraire, et mes romans ne faisaient que commenter ses fables.

Wie weit schliesslich auch noch auf den Niederschlag, den die Schöpfungen des Dichters in der bildenden Kunst, beispielsweise in der Buchillustration Dorés und in der Malerei und Plastik sonst gefunden haben, mit Nutzen eingegangen werden könnte, wage ich als gänzlich unorientiert nicht zu beurteilen. Von dem gut orientierten Lehrer dürfte zweifellos auch auf diesen Gebieten eine nicht zu unterschätzende Anregung ausgehen.

Welche Fülle der Belehrung aber erst eröffnet sich, wenn man zurückschreitet zu den Quellen La Fontaines, zu den Quellen für seine Stoffe und der Art ihrer Verarbeitung im indischen Pantschatantra, in arabischen und persischen Fabelbüchern, in den Erzählungen der Griechen Äsop und Babrios und der Römer Horaz und Phädrus und in den alten französischen Ysopets, sowie auf der anderen Seite zu den Quellen für seine Wortschöpfungen, vor allem bei Rabelais, dem er stellenweise an Kühnheit der Erfindung gleichkommt, dann bei Clément Marot, bei Mathurin Régnier und bei Vincent Voiture, über die er selbst sich in einem Briefe an den Satiriker Saint-Evremond äussert:

J'oubliais maître François, dont je me dis encore le disciple, aussi bien que celui de maître Vincent et celui de maître Clément.

Und wie geht an solchem Beispiel dem Schüler der Sinn auch für die literarische Tradition auf, die bei unserem Nachbarvolke sich, wenn auch nicht immer und nicht in allen Literaturgattungen, doch oft mit Nutzen geltend gemacht hat. Und wenn so in einem Teil des Wortschatzes unseres Dichters die älteren Perioden des französi

« AnteriorContinuar »