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ten Namen, in enger Beziehung zu der landschaftlichen oder völkischen Umgebung stehen, aus der ihre Schöpfer stammten; der reiche bibliographische Apparat, die Kartenskizzen der französischen Landschaften, Abrisse der Lokalgeschichte, würden diese mehrbändige Auswahl (von v. Bever, Paris, Delagrave) zu einem ausgezeichneten Wegweiser machen, wenn nicht ein augenmörderischer Druck, wie er in französischen Büchern leider keine Seltenheit ist, eine längere Lektüre unmöglich machte.

Sieht man sich weiter und etwas genauer in dem regionalistischen Gedankenkreise, unter den Persönlichkeiten seiner Vertreter und vor allem unter den Ergebnissen ihres Wirkens und Schaffens um, so ist der Eindruck ein sehr ungewisser, zwiespältiger; es ist der Eindruck einer klug angelegten und eifrig gepflegten Pflanzung, der aber zum raschen Gedeihen doch die rechte Atmosphäre fehlt, und die daher noch wenig Ausgereiftes, nur erst vereinzelte Erträge von sicherem Wert aufweisen kann. Unter den mehr als 2000 Autoren, die eine 1913 erschienene Bibliographie (de BeaurepaireFroment, Pour le Régionalisme, documents bibliographiques) mit über 3000 Werken verzeichnet, sind viele zu Unrecht für den Regionalismus reklamiert, Schriftsteller, die nur sehr lose mit ihm zusammenhängen, oder denen eine eingehende Untersuchung ihrer angeblichen Bodenständigkeit völlige Indifferenz nach dieser Seite nachweisen könnte; eine sehr grosse Zahl von Namen und Buchtiteln aber dürfte auch französischen Literaturkennern ganz neu sein. Man kann andererseits aber wiederum unmöglich übersehen, dass diese regionalistische Literatur und Propaganda in ihren Zielen und Ergebnissen vieles mit dem Geist und Material der volkskundlichen Arbeit gemeinsam hat, dass der Regionalismus gleichsam eine populär-staatswissenschaftliche und administrativ-organisatorische Unterstützung der Folklore zu leisten vermag, dass zwischen ihnen Wechselwirkungen bestehen, die sich auch wollte man sich Mühe darum geben datenmässig beobachten liessen.

Bezeichnend für die Auffassung von dem Verhältnis des literarischen und administrativen Regionalismus ist die aus seinem Kreise gegebene Rechtfertigung gegen den seitens der Kritik erhobenen Vorwurf, es fehle jenem noch an greifbaren und überzeugenden Erfolgen: Die intellektuelle Dezentralisation müsse nicht Grundlage und Anfang, sondern Ziel und Ende der ganzen Bewegung, eine Blüte, nicht die Wurzel sein, die administrative Dezentralisation müsse ihr voraufgehen; erst wenn das Volkstum der Landschaften in der Selbstverwaltung lebendige Aktivität und Bewegungsfreiheit gewonnen und das Geistesleben durchtränkt habe, seien auch die Bedingungen für eine Renaissance der Provinzen, für eine neue Literatur

geschaffen, die nicht mehr „eine Literatur von Versailles" wie unter dem ancien régime, noch eine Literatur von Paris, wie unter der Republik und dem Kaiserreich, sondern eine wahre Literatur von Frankreich sein werde.1) Die aus einer gewissen territorialen Autonomie erarbeitete Eigenkultur der Région werde dem Lande und der Welt auch in einer bodenständigen Provinzliteratur Zeugnisse von dem anderen Frankreich geben können, das im Wettbewerb mit dem in dem hauptstädtischen Kunst- und Schriftleben repräsentierten Frankreich bestehen werde.

Gut gemeint, aber nicht durchaus überzeugend wirkt weiterhin der Eifer, mit dem das regionalistische Programm jede politische Parteinahme und Politik überhaupt ablehnt, eine taktisch kluge Beschränkung, durch die ihm die Sympathie aller Kreise gewonnen oder erhalten werden müsste. Dass diese Reserve und ihre guten Wirkungen möglich sind, hatte das frühere Verhalten der provenzalischen Feliber bereits erwiesen, in deren Bund sich katholische Geistliche mit Protestanten, Freigeister und überzeugte Republikaner zusammenfanden.2) Ja, der Regionalismus glaubt seinerseits eine Versöhnung aller feindlichen Prinzipien im Gesellschaftskörper herbeiführen zu können, was im besten Falle kaum mehr sein dürfte als die Bekundung guten Willens und eine der für alle Reformpropaganda typischen Hyperbeln. Ein Aufruf für die Kommunalwahlen (1906) versicherte ausdrücklich: Frankreich sei ein republikanischer Staat aber mit einem monarchischen Verwaltungsrégime; es sei endlich nötig, dass die Demokratie ihre Formel präzisiere; die Dezentralisation allein, die den Kommunen, dem Département, der Région, dem Syndikat, der Korporation, sie sei welche sie sei, Unabhängigkeit gebe, könne aus den Franzosen erst ein Volk von freien Männern machen. Wahlzeitstimmung!

Man bekennt sich also wohl zu der bestehenden Staatsform, man betont, an die Politik nicht rühren zu wollen, will aber unter Politik nur die diplomatischen und militärischen Angelegenheiten, die man samt der Justizpflege wie bisher der Zentralgewalt lässt, verstanden wissen. Man hält an dem theoretischen Ideal oder der Fiktion eines aller Politik entzogenen Verwaltungslebens fest. Ist aber Verwaltungs-Geschichte und -Entwickelung nicht auch immer Verwaltungspolitik? Dazu kommt, dass dabei ganz sachgemäss Anlehnung an die Lehren früherer Historiker und Sozialpolitiker gesucht wird, man zitiert

1) Brun, Litt. prov., p. 67/68. Maurice Barrés, Scènes et doctrines du nationalisme, Paris, Juvèn, s d., p. 507.

2) Koschwitz, Ueber die provenzalischen Feliber und ihre Vorgänger, 1894, p. 34.

Tocqueville u. a. Ch. Brun auch beruft sich auf Louis Blanc,1) dessen utopistischer, mit dem modernen Sozialismus bereits in Fühlung stehender Republikanismus doch so kläglich scheiterte, als es galt, ihn in verwickelten Verhältnissen praktisch zu erproben. „Die politische Einheit", hatte er gesagt,,,ist die Kraft, die administrative ist ein Despotismus."

Das demokratische Wappenschild des Regionalismus hat aber eine Kehrseite oder ein Feld, dessen Farbe nicht ganz deutlich zu erkennen ist. Denn das Fundament seiner Verwaltungsreformvorschläge soll die Beseitigung der republikanischen Départementseinteilung bilden, das Ergebnis die möglichst überlieferungsgetreue Wiederherstellung der alten Landschaften im Stil des ancien régime sein, und er vertritt damit in diesem Punkte auch jene historische Auffassung, dass die grosse Revolution schliesslich ebenso und mehr als die alte Monarchie Zentralisation organisiert und gewirkt habe. Und in der Tat wurde mit der revolutionären Départementseinteilung, wie sie der Konvent erstrebte, bewusst und absichtlich, der Todesstreich gegen die Reste des aristokratischen Feudalwesens im Lande geführt, der natürliche oder traditionelle Zusammenhang der herrschaftlichen Gebiete weltlicher und kirchlicher Lokalhoheiten zerrissen, die u. a. auch für die Gruppierung der kleinen Dialektgemeinschaften massgebend und zusammenhaltend gewirkt hatten. Der Konvent wollte die Despotie der grossen Herren vernichten, die republikanische Bekehrung der Nation von der Zentrale aus durchführen und arbeitete damit auch an der Störung, ja an der Zerstörung der kleinen völkischen Einheiten, des Eigenlebens der ethnologischen Gruppen. Mit dieser Vervollkommnung der Zentralisation ward tatsächlich auch der Untergang der schon durch das klassizistische Geistesleben und durch die Aufklärungsliteratur erstickten populären Ueberlieferungen gefördert, wenn nicht endgiltig besiegelt, der Untergang populärer Dichtungen, Bräuche, Mundarten, aller landschaftlichen Volkstümer, aller der Schätze, die erst jetzt wieder durch die Sammelarbeit eines halben Jahrhunderts nur als schöne Trümmer in gelehrter Folklore gerettet werden konnten. Der Regionalismus ist also etwas conservatoire, will das nach seiner Einsicht gute Vergangene neu beleben, darf daher auf einen Halt unter den Nationalisten rechnen.

Er ist aber auch anderer Sympathien sicher. Man könnte ihn -wenn eine politische Kennzeichnung angebracht ist auch als christlich und sozial ansprechen. Auf den Bändchen der Bibliothèque régionaliste findet man wohl Namen, die in der Welt des katholischen

1) Lescœur, p. 201.

Klerus zu Hause sind, vereinzelt auch das Zeichen der Gesellschaft Jesu, aber kaum je etwas Provozierendes in ihrem Inhalt, unter den schöngeistigen Schriftstellern hie und da wohl nationalistische Heisssporne wie Bazin oder Barrès. Daneben aber stellen die Regionalisten in ihre Reihen auch Autoren, die wie Zola (La terre) sonst ihre geistigen Antipoden sind. Kurz: sollte dem französischen Regionalismus gegen seine ausgesprochenen Absichten eine politische Parteifarbe zuerkannt werden, so wäre es die katholisch-liberale oder freiheitlich-religiöse, die Farbe des sozial-modernisierten, auch diplomatisierenden Katholizilmus im neuen Frankreich.

Begreiflicherweise bedient sich der moderne Regionalismus zur Kennzeichnung der Zentralisation gern der rhetorischen und amüsanten Pointen, mit denen auch sonst dies Thema bedacht wurde.1)

Von Lamen nais (1848) stammt das viel zitierte Wort über Paris: Une tête énorme sur un corps grêle, von Mirabeau der Satz: C'est l'apoplexie au centre, et la paralysie aux extrémités, und in Ausführung dieser medizinischen Bilder spricht der Regionalist von der Notwendigkeit de décongestionner intellectuellement la France. Neu ist auch der Vergleich der Zentralisation mit einem Schwert, dessen Griff in der Hauptstadt liegt, und das mit seiner Spitze in den ganzen übrigen Staat reicht. Die Departementseinteilung, ihre alle Originalität und Initiative der Provinz unterdrückende Schematik ist ebenso witzig und spitzig kritisiert worden. Die Frage, was ,,Province" sei, beantwortet ein Journalist3) mit den boshaften Worten: Cette portion assez considérable de territoire qui commence aux fortifications de Paris et s'étend jusqu'à l'Océan, jusqu' aux Alpes, jusqu'aux Pyrenées et jusqu'à la mer latine eine einförmige, inhaltlose Einheit. ,,Wir sind ein Volk, das man an die Regierung verkauft hat", schalt Barrès in einer Conférence auf diese Uniformität, und andere Regionalisten zitieren ein Ministerwort aus der Zeit vor der Schulreform, gegen ein die lokale Individualisierung hemmendes Unterrichtssystem, wonach an denselben Tagen 3 Uhr nachmittags in allen Lyzeen und Collèges Frankreichs lateinischer Aufsatz geschrieben wurde.

Als bedeutsamster und ernsthaftester Zeuge für den Regionalismus, den administrativen wie den literarischen, darf aber Hippolyte Taine angerufen werden, mit seiner Auffassung der grossen Revolution im allgemeinen, wie mit seiner Kritik der Départementsorganisation und seiner Kunstphilosophie, seinen literar-historischen

1) Vgl. Lescoeur, p. 198 ff. Brun, Régionalisme, p. 17.

2) Brun, Régionalisme, p. 230.

3) Brun, Litt. rég., p. 37.

Theorien im besonderen. Man kennt heute Taine als den erfolgreichen Verbreiter der historischen Auffassung, die mit Tocqueville, der ja auch zu den von den Regionalisten reklamierten Historikern zählt, die Revolution schärfer kritisiert hat, als man es vor ihm in Frankreich im allgemeinen gewöhnt war. Gibt er auch zu, dass Monarchie, Adel und Klerus, nachdem sie verlernt hatten, Wohltäter der Nation zu sein, den Untergang, den die Revolution ihnen bereitete, verdienten, so brandmarkt er doch zugleich die ,,Karolingische Anarchie", in welche die revolutionären Ideologen, Schönredner und Terroristen den Staat versetzten. Die administrative Neuerung aber, die sich im Gefolge der grossen politischen Umwälzung vollzog, die Départements und Kommunen Frankreichs vergleicht er mit Hôtels garnies: tous bâtis sur le même plan et administrés d'après le même règlement, aussi passables l'un que l'autre, avec des logements dont les prix sont fixés par un tarif uniforme sur tout le territoire; en sorte que les 36 000 hôtels communaux et les 86 hôtels départementaux se valent, et qu'il est devenu indifférent d'habiter dans celui-ci ou dans celui-là1) und das Schema der Kommunenverwaltung dünkt ihn so, als ob 36 000 nach dem Modell zugeschnittene Röcke an 36 000 Wesen von ganz verschiedener Art und Gestalt verteilt wären, ein Bild, das er auch allgemein für das Verhältnis von Verfassung und Nation anwendet. Die Egalité im Streit mit der Liberté!

Stellt man zu dieser historisch-politischen Auffassung Taines literaturwissenschaftliches System, seine Lehre von der notwendigen Abhängigkeit des Menschen, auch aller seiner geistigen Fähigkeiten und Leistungen, von Rasse, Milieu und Moment, so erhält man ein vollkommenes Analogon für die Denkweise der Regionalisten, auch für ihre Landschafts- oder Heimatskunst, die sie im Schrifttum und Dichtung, in der Malerei und Musik beanspruchen.

Die Einzelheiten der regionalistischen Landneuteilung sind, der Natur der Sache gemäss, so kompliziert, dass sie nur in grossem Rahmen ausführlich behandelt werden könnten. In allen Verwaltungseinrichtungen verlangen sie u. a. Berücksichtigung der klimatischen und Rassenverschiedenheit jeder Gegend, Anpassung an deren Sitten und geschichtliche Entwickelung, Bodenbeschaffenheit, industrielle Neuerungen, Bevölkerungsdichtigkeit, Sprachverhältnisse. Auf parlamentarische und private Anregung sind solche Pläne auch wirklich ausgearbeitet worden; sie fallen sehr verschieden aus. Wie schwankend und unsicher die Ansichten in diesen praktischen Versuchen erscheinen, beweist schon die Zahl der dabei vorgeschlagenen Landes

1) Auch Lescœur, La Division et l'organisation du territoire français, p. 199.

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