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Luovo ihre Hand zu reichen. Das Bild, das bei dieser Gelegenheit von Mrs. Radcliffe entworfen wird, ist ein überaus buntbewegtes und mannigfaltiges. Fluchten, Verfolgungen, Entführungen, Zweikämpfe und Schiffbrüche wechseln in rascher und oft zusammenhangloser Folge mit Liebes-, Kloster- und Räuberscenen; glänzende Festlichkeiten mit farbenprächtigen Naturschilderungen und Darstellungen friedlichen Hirtenlebens. Die Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten, die dadurch in den nicht sehr umfangreichen Roman hineingekommen sind, mögen hier durch eine kurze Inhaltsangabe des nur wenige Seiten langen 13. Kapitels illustriert sein: Hippolitus betritt bei Nacht eine alte Ruine; vernimmt darin das Todesröcheln eines sterbenden Menschen; gewahrt durch ein zerbrochenes Fenster, wie Banditen einen schwerverwundeten Mann (wie sich nachher herausstellt, seinen zukünftigen Schwager Ferdinand) ausplündern; eilt von dannen und befindet sich auf einmal in einem hohen Gewölbe; hört in dem Raume nebenan eine weibliche Stimme, schlägt eine Thür ein und entdeckt eine ohnmächtige Frauengestalt, in der er seine Geliebte Julia erkennt; behorcht zwei Räuber, die sich den Besitz des Mädchens streitig machen; sieht, wie der eine den andern niederstösst; fällt den Überlebenden an und erschlägt ihn; versucht mit Julia zu entfliehen; kommt dabei in eine unterirdische Gruft, in der die Leichen der von den Banditen getöteten Reisenden in Haufen herumliegen; beobachtet durch ein Kellerloch den Kampf der Räuber mit einem Soldatenaufgebot; entwischt mit Julia durch einen unterirdischen Gang; gelangt durch eine Fallthür in den angrenzenden Wald und gerät dort in die Gewalt des Herzogs von Luovo, während Julia in einer nahen Höhle spurlos verschwindet.

Auf der Suche nach Julia begegnen dem Herzog von Luovo die seltsamsten Abenteuer. Einmal trifft er mit

seinen Begleitern auf eine grosse Räuberbande, deren Anführer sein eigner Sohn ist. Erinnert dieser Vorfall an ein von den alten italienischen Novellisten öfter verwendetes Motiv, so fordert der folgende zu einem Vergleich mit Walter Scotts Ivanhoe heraus. Im Lauf der weiteren Verfolgung Julias kommt nämlich der Herzog an ein Kloster, dessen Pförtner ihm die Aufnahme verweigert, weil die Brüder bei ihren Gebeten und Bussübungen angeblich nicht gestört werden wollen. Als er sich dann mit Gewalt Zutritt verschafft, findet er die heilige Schar nicht etwa in der Kirche oder in einsamer Zelle, sondern im behaglichen Refektorium, wo unter dem Vorsitz des bausbäckigen Priors eben eine lustige Schwelgerei von statten geht. Wem fiele bei dieser Stelle nicht sofort die ergötzliche Scene zwischen Richard Cœur de Lion und Friar Tuck 1) in Scotts obenerwähntem Romane ein?

Bei einer ihrer wilden Fluchten gelangt Julia in die unterirdischen Gewölbe des verschlossenen Flügels von Mazzini und trifft dabei mit ihrer totgeglaubten Mutter zusammen, die hier von dem verbrecherischen Marquis lebendig begraben worden ist, damit er in zweiter Ehe die von ihm geliebte Maria de Vellorno heiraten konnte. Die wunderbaren Erscheinungen in diesem Teile des Schlosses rühren, wie sich nun zu unserer grossen Enttäuschung herausstellt, von dem Aufenthalt der unglücklichen Gefangenen daselbst her. Von nun ab drängen sich die Ereignisse in rascher Folge. Zur selben Zeit, wo Julia und ihre Mutter sich anschicken den Kerker von Mazzini zu verlassen, vergiftet die ehebrecherische Maria ihren Gemahl, den Marquis, und giebt sich darauf selbst den Tod. Am Ende des Romanes wird dann noch kurz berichtet, wie Julia und Hippolitus nun ein Paar werden, und das

1) Vergl. Ivanhoe, cap. XVI.

Möbius, The Gothic Romance.

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Glück der Familie Mazzini zu Neapel neu emporblüht, während das Schloss, der Schauplatz so unerhörter Frevel, in Schutt und Trümmer zerfällt.

In jeder Hinsicht überlegen sind den zwei eben besprochenen Werken die Romane,,The Romance of the Forest" und,,The Mysteries of Udolpho". Beide, ,,The Romance of the Forest" wie,,The Mysteries of Udolpho", beruhen auf demselben Motiv: Ein schönes tugendhaftes Mädchen, über dessen Familie (bezw. Herkunft) ein dunkles Geheimnis schwebt, wird von seinen tyrannischen Hütern in einem alten halbverfallenen Schloss gefangen gehalten und erlebt dort allerlei seltsame und grauenhafte Begebnisse, bis es ihm schliesslich gelingt, aus seinem unheimlichen Aufenthaltsort zu entkommen und nach neuen Abenteuern das über seiner Familie (bezw. Herkunft) ruhende Geheimnis zu ergründen. Da die Behandlung des vorstehenden Motives in den zwei Romanen eine sehr ähnliche ist, und diese auch sonst viele gemeinschaftliche Merkmale aufweisen, haben wir es hier für angebracht gehalten beide nebeneinander in vergleichender Darstellung zu besprechen.

Von dieser Ähnlichkeit bemerkt man zunächst allerdings wenig, wenn man die Einleitungen der beiden Werke nebeneinanderhält. — Während nämlich die ersten Kapitel des älteren Romanes die nächtliche Flucht La Mottes aus Paris und die geheimnisvolle Geschichte der ihm von Banditen aufgedrungenen Heldin Adeline bringen, wird im Anfang des jüngeren Werkes das heitere Stillleben beschrieben, das St. Aubert mit Weib und Tochter Emily auf seinem Landsitz an der Garonne führt. Farbenprächtige Landschaftsschilderungen, zu denen die wunderbare Lage des Schlösschens der glücklichen Familie und später nach dem Tode der Mutter die Reisen Emilys mit dem kränklichen Vater reichlich Gelegenheit bieten, füllen die

folgenden Kapitel des Romanes an, in denen u. a. ein gewisser Valancourt eingeführt wird, der für Emily bald eine nicht unerwiderte Neigung fasst. Mit dem in der Nähe von Chateau-Le-Blanc eintretenden Tod des alten St. Aubert, der ein mit diesem Schlosse zusammenhängendes Geheimnis mit sich ins Grab nimmt, und der Abreise Emilys mit ihrer Tante und deren Gemahl Signor Montoni nach Italien findet das freundliche Bild ein jähes Ende.

Soweit die einleitenden Ereignisse der beiden Romane, denen so von vornherein der Reiz des Geheimnisvollen und damit der der Spannung verliehen ist. Neue Reize dieser wie auch anderer Art bringt nun das folgende mit sich, das bald in düsteren, bald in heiteren Naturschilderungen schwelgt. Wie in,,The Romance of the Forest" die Fahrt durch den gerade in voller Frühlingsschönheit prangenden Forst von Fontanville in trefflicher Darstellung veranschaulicht wird, so bringen,,The Mysteries of Udolpho" eine wunderbare Beschreibung der Reise über die Alpen und durch Oberitalien. Lange aber dauern diese Herrlichkeiten nicht an, denn von dem Forste von Fontanville gelangen Adeline und die Familie La Motte in eine alte halbverfallene Abtei, und von den glänzenden Festlichkeiten Venedigs Emily und Montoni nach dem unheimlichen Apenninschloss Udolpho. Mit dem Eintreffen der neuen Bewohner beginnt in den weiten verlassenen Gebäuden bald ein reges Treiben, andere Ankömmlinge stellen sich ein; Marquis de Montalt und Adelines zukünftiger Geliebter Theodore in der Abtei, Montonis Freunde und Parteigänger mit ihren Söldnern in Udolpho. Stunden höchster Gefahr und Aufregung brechen nun für die armen Heldinnen herein. Von aller Hilfe abgeschnitten und von ihren verächtlichen Beschützern im Stiche gelassen, sehen sie sich zu gleicher Zeit den Nachstellungen nichtswürdiger Elender preis

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gegeben und in eine Reihe furchtbar grauenhafter Abenteuer verwickelt. Die Betrachtung der letzteren und zwar zunächst der des älteren Romanes wird uns jetzt im folgenden eine Weile zu beschäftigen haben.

Von Sorge und Erschöpfung übermannt ist die bedauernswerte Adeline eines Abends eben in einen kurzen Schlummer versunken, als sie von sonderbaren, immer wiederkehrenden Traumgebilden nicht wenig beunruhigt wird. Wie gross ist aber ihre Bestürzung, als sie am Abend darauf in der Wand ihres Zimmers eine geheime Thür entdeckt, durch die sie in eine bisher noch nie betretene Zimmerflucht gelangt, die ganz der gleicht, die sie nachts zuvor in ihren Träumen gesehen hat. Von der machtvollen Erinnerung jener Träume und der grauenhaften Umgebung fast überwältigt, schickt sie sich eben zitternd an die unheimlichen Räume zu verlassen, als sie vor sich auf dem Fussboden einen alten blutbefleckten Dolch und nicht weit davon, unter altem Gerümpel, eine bestaubte, zusammengerollte Handschrift liegen sieht. Kurz entschlossen nimmt sie dieselbe an sich und eilt nach einem letzten Blick in die neuentdeckten Gemächer damit in ihr nahes Zimmer zurück. Die folgenden Nächte verbringt sie mit der Lektüre der gefundenen Handschrift. Soviel sie aus den verblichenen Schriftzügen derselben entnehmen kann, hat sie Aufzeichnungen eines unschuldigen Gefangenen vornehmer Abkunft vor sich ihres eigenen Vaters, wie sich später herausstellt der auf Anordnung eines anderen in der alten Abtei eingesperrt und ermordet. worden ist. „Adeline paused, while her tears fell fast. While she sat musing, her fancy, which now wandered in the regions of terror, gradually subdued reason. There was a glass before her upon the table, and she feared to raise her looks towards it, lest some other face than her

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