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eifert dagegen, dass jedes einzelne Lebensgeschehnis physikalisch-chemischer Art sei, um es schließlich selbst für physikalisch-chemisch zu erklären. Der allgemeine Horror vor „Vitalismus" hat offenbar Roux in diesen Zirkel hineingedrängt; er steht damit ja nicht allein; wie viele andere hat nicht die allgemein herrschende methodologische Unklarkeit ähnlich verstrickt! Da den von mir mehrfach empfohlenen hervorragenden Ausführungen E. du Bois-Reymond's, sowie meinen eignen sich ihnen eng anschließenden Erörterungen eine Zerstreuung dieses methodologischen Dunkels bisher nicht gelang, wünsche ich diesen für Weiterbildung oder Stagnation der Biologie entscheidenden Erfolg der neuen vortrefflichen Schrift F. Dreyer's recht von Herzen, leider freilich, ohne an die Erfüllung meines Wunsches recht fest glauben zu können1).

Wir verlassen die Diskussion des Roux'schen Nachwortes ohne den Teil desselben, der sich auf meine Auffassung der Zweckmäßigkeit bezieht, berührt zu haben. Denn es wird zur Klarlegung dieser meiner Auffassung selbst zweckdienlicher sein, sie kurz in

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1) Wir haben Roux' Worte rein logisch zergliedert, dann sind und bleiben sie in sich widerspruchsvoll. Verständlich, denke ich, wird diese Sachlage bei psychologischer Analyse des Gedankenganges unseres Forschers: er darf kein anderes als chemisch-physikalisches Einzelgeschehen im Bereich der Lebensvorgänge zulassen, das „Leben“ ist ihm notwendigerweise eine Kombination dieser; so schreibt es das moderne Dogma vor, dem er durchaus ergeben ist. Wird aber einmal mit dem Dogma Ernst gemacht, wird einmal, wie ich das ich denke mit Recht hinsichtlich der Regulierung der Froschblastomere that, ein Lebensgeschehnis wirklich als physikalisch nachgewiesen, so befällt ihn eine gewisse nun sagen wir Enttäuschung, ein Missbehagen, eine Ahnung, so etwas könne „das Leben“ dann doch wohl nicht sein, und eben dieses unbestimmte Gefühl treibt ihn einem unbestimmten Begriff in die Arme, da er sich anderen Ausweg selbst verschloss. Wir sind weit entfernt, Roux jenes Missbehagen am modernen Dogma, sobald es einmal greifbar vor ihn tritt, verargen zu wollen; wir halten zwar unsere Auffassung der Vorgänge am Froschei für richtig und glauben auch an die Möglichkeit vieler anderer „Eliminationen“; aber, wie sich am Schlusse dieser Abhandlung zeigen wird, stehen wir über dem Dogma, nicht unter ihm. Wenn wir daher auch von einigen Geschehnissen am Organismus die physikalische oder chemische Natur als nachgewiesen ansehen, so haben wir damit doch nicht, wie der Dogmatiker, ein Abbild dessen vor Augen, was einmal im Großen die ganze Biologie sein wird. Uns enttäuscht daher auch der Nachweis physikalischen Geschehens im Organismus durchaus nicht, aber, wie schon bemerkt, wir verstehen sehr wohl, wie er den enttäuschen, gleichsam entmutigen kann, dem so recht deutlich damit vor Augen tritt, was es heißt unter einem Dogma stehen; dass es nämlich heißt das Hauptresultat der von ihm beherrschten Disziplin vorherwissen, und nichts finden dürfen, was zu diesem vorgewussten Resultat nicht passt. Uebrigens war Roux als jüngerer Forscher kein Dogmatiker, wie mehrere treffliche Stellen seiner früheren Schriften zeigen (z. B. Ges. Abh. II, p. 141/3, 188/9).

systematischer Form darzulegen, als, im Anschluss an E. du BoisReymond oder Roux in polemischer. Von selbst wird sich dann für den denkenden Leser ergeben, in welchen Punkten die genannten Forscher mich missverstanden haben, und wieweit das an ihnen oder etwa, was ich durchaus nicht von vorherein ausschließen will, an mir selbst lag.

Im Teil VI meiner Entwicklungsmechanischen Studien' habe ich es zum ersten Male klar ausgesprochen, dass die Möglichkeit einer spezifischen neben Physik und Chemie zu stellenden Lebensgesetzlichkeitslehre, einer Vitalistik, den Grundsätzen der allgemeinen Wissenschaftsmethodologie nicht widerstreite. Wenn Keime zu dieser Anschauung sich auch bei mir selbst entwickelt hatten, so verdanke ich ihren Besitz in vollster Klarheit doch der Lektüre der oben genannten Ab*handlung von E. du Bois-Reymond „Ueber die Grundlagen der Erkenntnis in den exakten Wissenschaften", der besten neueren Schrift, welche über Wissenschaftslehre existiert. Sie zeigt uns so recht, wie viel der Biologe an dem methodischen Vorgehen in Physik und Chemie lernen kann und zu lernen hat, während unsere Modernen stets nur den Inhalt dieser Disziplinen im Auge haben und in andere Gebiete übertragen wollen, Dinge, die ja kürzlich von Dreyer1) in trefflicher und sehr eindringender Weise dargelegt wurden.

Meine Schrift die „Biologie als selbständige Grundwissenschaft" arbeitete an den in jenem Teil VI in Angriff genommenen Problemen weiter, verließ aber gleichzeitig zum Teil die dort gewonnenen Gesichtspunkte.

Wenden wir uns zunächst denjenigen Abschnitten dieser Schrift zu, die über die eigentliche Physiologie handeln. In beschränktem Maße wird hier zwar noch spezifischen Lebensgesetzlichkeiten das Wort geredet, z. B. S. 6 für das Wachsen 2), im allgemeinen aber werden die physiologischen Erscheinungen als „seltsame Kombination bekannter Wirkungsweisen (Naturkräfte)" bezeichnet. Das physiologische Geschehen ist „Mechanismus auf Basis von Struktur". Es ist klar, dass damit die Frage nach dem spezifisch Vitalen eine ganz andere Wendung erhält: man könnte analogienhaft sagen, sie sei nicht mehr auf dynamischem sondern auf statischem Gebiet zu lösen versucht worden.

Die als physiologisch bezeichneten Lebenserscheinungen lassen sich, sagte ich, wohl „begreifen" d. h. auf Erscheinungen der Physik und 1) Studien zu Methodenlehre und Erkenntniskritik. Leipzig 1895. 2) Es wäre besser gesagt worden „die Assimilation"; über diesen Begriff treffliche (leider aber auch darwinistisch „erklärte") Andeutungen im Schlussworte Roux'.

Chemie zurückführen, wenn wir die Struktur des lebenden Körpers als gegeben annehmen. Der Begriff „Struktur" sollte „alle geordneten stofflichen Verschiedenheiten" einschließen (S. 55).

Als Aufgabe der Physiologie bezeichnete ich geradezu die: aus den physiologischen Erscheinungen unter Zuhilfenahme der Erfahrungen der Physikochemie jene Struktur zu ermitteln.

Als gegeben sah ich, wie erwähnt, die physiologische Struktur an, als gegeben auch diejenige Eigenschaft derselben, vermöge welcher alles, was sich an ihr abspielt, nicht nur an verschiedenen Orten des Körpers in gegenseitiger Harmonie ist, sondern auch zur Außenwelt in Harmonie, in Anpassungsbeziehung steht. In der gegebenen Struktur war mir also zugleich die physiologische Zweckmäßigkeit der Organismen gegeben.

Die Struktur des erwachsenen organischen Körpers wird in der Ontogenie successive geschaffen, die Ontogenie geht vom Ei aus. Es erhebt sich also die Frage: wie wird aus dem Ei jene Struktur geschaffen? In meiner „Biologie" zeigt sich in den Versuchen zur Beantwortung dieser Frage ein unklares Schwanken, wie denn der § 9 überhaupt der schlechteste dieser Schrift ist1), mögen manche Einzelheiten in ihm mir auch jetzt noch zutreffend erscheinen. Es ist in diesem § 9 bald von einer der Physik koordinierten Vitalistik die Rede, bald aber auch von einem „unfassbaren Regulator", welcher denn auch in der That von mir wenigstens nicht gerade klar „gefasst“ war. Ein schüchternes Eintreten" für Vitalismus durfte E. du Bois-Reymond in der That aus diesem Paragraphen herauslesen; lassen wir ihn auf sich beruhen und halten wir uns an meine „Analytische Theorie der organischen Entwicklung", in welcher die uns jetzt interessierende Frage mit Eindeutigkeit und Bestimmtheit zu entscheiden versucht wurde. In dieser Schrift nämlich arbeitete ich eine Theorie aus, nach welcher die Ontogenie nicht minder physiko-chemisch aus der gegebenen Eistruktur folgte, als die physiologischen Erscheinungen aus der Struktur des Erwachsenen. Ich parallelisierte geradezu diese „entwicklungsmechanische Maschine" mit der physiologischen (S. 166).

Als Gegeben sah ich, wie erwähnt, die Eistruktur an, als ge geben auch diejenige Eigenschaft derselben, vermöge welcher alles, was sich an ihr und ihren Produkten abspielt, nicht nur in einer Harmonie der Möglichkeit des Geschehens (Kausalharmonie), sondern auch in Harmonie mit Rücksicht auf die Lieferung eines einheitlichen

1) Man wolle aus dieser Selbstkritik nicht entnehmen, dass ich einem anderen zugestehe, besser über „Entwicklungsmechanik" geschrieben zu haben.

Produktes steht (Kompositionsharmonie, Anal. Theor., S. 131). In der gegebenen Struktur war mir also zugleich die ontogenetische Zweckmäßigkeit gegeben.

So bietet also die Struktur des Eies eine, von mir auch im Wortlaut nachgeahmte, Analogie zur Struktur des Erwachsenen. Sie bietet aber noch mehr: da nämlich diese Struktur aus jener wird, so wird auch diese Zweckmäßigkeit aus jener und so ist denn in der gegebenen ontogenetischen Eistruktur auch die physiologische Harmonie und Anpassung gegeben'). Alles, was sich dereinst am Erwachsenen abspielen wird, ist nicht nur in seiner Struktur, sondern schon in dem Bau des Eies, wenigstens implicite, nach Maschinenart vorbereitet.

Die physiologische Struktur war uns also nur für die Physiologie etwas letztes: eine andere Wissenschaft, die Entwicklungsanalytik, vermag dieses „Letzte" zurückzuverlegen, wenn schon sie bei dieser Zurückverlegung über einige, durch den qualitativen Charakter des Entwicklungsgeschehens bedingte Unverständlichkeiten nicht spezifisch biologischer Natur (Anal. Theor., S. 166) hinwegsieht. Auch das spezifisch vitale der ontogenetischen Erscheinungen hat in diesen Darlegungen, wie man sieht, eine statische Lösung erfahren; es ist das „Gegebene", das der kausalen Betrachtung entrückte.

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Die „Eistruktur" ist uns jetzt das letzt-gegebene. Sie bliebe das letzte, wenn die organischen Formen mit Sicherheit konstant wären; dann wären wir jetzt am Ziele, d. h. vor dem definitiv Letzten, Gegebenen angelangt. Wie nun aber, wenn unsere Ideen von einer allgemeinen Abstammung der Formen von einander im Großen und Ganzen richtig sind? Können wir dann unser Letztes" mit Hilfe der Physikochemie noch weiter hinausschieben? Und weiter, können wir eine eventuelle Phylogenie auf Basis einer „Struktur" verstehen? Ich bringe zunächst 2 Dinge in Erinnerung.

Einmal gilt es bei jeder organischen Form, die Organisationshöhe (Typus) und die Anpassungshöhe zu unterscheiden 2).

Zum anderen erinnere ich daran, dass ich zu anderem Zwecke (Anal. Theor., S. 87 ff.) die Annahme erdachte, es sei der Kern ein Gemisch von Fermenten und in diesem Gemisch sei das eigentlich Spezifische jeder Form gegeben.

1) In zutreffender Weise hat Wolff die ontogenetische Zweckmäßigkeit gleichsam eine Vorarbeit für die Anpassungszweckmäßigkeit genannt. Bemerkungen zum Darwinismus u. s. w. Biol. Centralbl., XIV.

2) Das scheint mir nicht zur Genüge geschehen zu sein in dem Aufsatz von G. Wolff: „Bemerkungen zum Darwinismus“ etc. Diese Zeitschr., Bd. XIV.

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Der Anpassungscharakter der Formen an die Außenwelt, welcher sehr im Detail sich gegebenen Spezialverhältnissen durchaus anschmiegt, zwingt uns bei Annahme einer Descendenz, jene Außenweltsverhältnisse als umwandelnde Anstöße thätig sein zu lassen. Kennen wir doch solches Umwandlungswirken der äußeren Agentien z. B. in den Standortsvarietäten der Pflanzen thatsächlich und benötigen wir doch für Zustandekommen echter Descendenz nur der successiven Stabilität der Umwandlungsprodukte1). Ich habe früher eine solche Umwandlung einer „Form" seitens eines Agens als morphologischen Reiz 2) bezeichnet („Biologie" S. 22), um den Gegensatz des Geschehens von der physiologischen Auslösung oder Reizwirkung und auch von der dieser naheverwandten ontogenetischen oder formativen zu kennzeichnen: Durch formative Reize entstehen im Lauf der Ontogenese successiv die Organe, durch sie werden (in der Sprache meiner Hypothese) die Kernfermente partiell aktiviert; ich möchte jetzt, wieder auf dem Boden meiner Ferment-Hypothese, das Wesen des morphologischen Reizes in einem verändernden Wirken auf die Kernfermente selbst sehen. Natürlich hat diese Wendung, wie die ganze Fermentsache überhaupt, nur den Zweck, die vorliegenden Probleme einigermaßen greifbar anschaulich zu gestalten.

Wir betonten oben den Unterschied zwischen Höhe der Anpassung und Höhe der Organisation. Nur erstere ist mit Aeußerem in Beziehung und daher von Aeußerem bedingt; letztere muss, wenn überhaupt, durch innere Ursachen umgewandelt sein. Um also wieder in der Sprache unserer Hypothese zu sprechen, so ist das Fermentgemisch der Kerne, welches das Spezifische der Formen bedingt, auch einer Selbstumwandlung, durch Wirkung der Bestandteile des Gemisches auf einander fähig. 3). Dass wir hier keine naturwissenschaftliche Unmög

1) Vergl. Biologie, S. 41, Anm. Eine gewisse Art von Vererbung erworbener Eigenschaften halten wir also, wenn überhaupt Descendenz stattfand, der Anpassungscharaktere wegen für wahrscheinlich. Wie weit übrigens die Standortsvarietäten der Pflanzen und Verwandtes wirkliche Bedeutung für Descendenzprobleme haben d. h. ob sie uns irgendwie eine Etappe phylogenetischer Umwandlung vorführen, steht ganz dahin, sie sind nur der Analogie wegen genannt. Schon allein deshalb ist dem so, weil wir zur Zeit in keinem scheinbaren Umwandlungsfalle genau wissen, ob wirklich der von mir postulierte morphologische Reiz" oder ob etwa nur Dichogenie bezüglich einzelner Bildung (Anal. Theor., S. 108) oder auch irgend welche äußere rein formative Reize vorliegen. Alles im Text gesagte ist rein schematisch zu verstehen, es handelt sich nur um die Frage des Vitalismus oder Antivitalismus. Wirkliche Kenntnis von Descendenz haben wir gar nicht, nicht einmal von ihrer Möglichkeit.

2) Vergl. über die Kategorien der Reize die vortrefflichen Erörterungen bei Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie etc. II. Biol. Centralblatt, XV, S. 817 ff.

3) In streng kausaler Fassung des Ausdrucks ist hier ein beliebiges Fer

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