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zufällige Formbildung handeln kann. Unser abnormer Weidenbaum hat uns gezeigt, dass bestimmte Formen vorwiegend an bestimmten Stellen auftreten. Dass aber hierbei keine so große Regelmäßigkeit zu beobachten ist, wie sonst, wie etwa in dem früher von mir mitgeteilten Falle von Tanacetum corymbosum (Biol. Centralalatt, XVI, Nr. 13 ff.), liegt jedenfalls daran, dass der Weidenbaum infolge der unregelmäßigen und planlosen Gefügeerschütterungen, die er erlitten hat, auch zu einer großen Unregelmäßigkeit in der Gefügefestigkeit seiner einzelnen Regionen gelangt ist. Indessen ist doch insofern annähernd normales Verhalten zu konstatieren, als der obere, den Schädigungen unzugängliche Teil des Baumes durchweg normale weibliche Kätzchen trägt. Ich konnte nur zwei kleine Aeste von diesem Teil erlangen. Einer trug neben 16 normalen weiblichen Kätzchen 6 mit männlicher Spitze, 1 Kätzchen, dessen Spitze Blüten der Form 2 unserer Abbildungen trug, während seine übrigen Blüten normal waren, 1 verkümmertes Kätzchen mit Blüten von der in Figur 2 dargestellten Form, und 1 anderes verktimmertes Kätzchen, bei dem einige wenige Blüten dieser Form unter den übrigen zerstreut waren. Ein anderer Ast, der gleich dem vorigen verzweigt war, hatte 21 normale weibliche Kätzchen und 1 mit männlicher Spitze. Diese beiden Aeste dürften vielleicht einigermaßen den Charakter des oberen Teils des Baumes repräsentieren. Dem Auge erscheint dieser Teil als rein weiblich, indessen hat auch er, wie unsere beiden Aeste uns zeigen, Erschütterungen seines Gefüges erlitten, aber nur geringe.

Ueber den vermeintlichen Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens1).

Von Dr. G. Brandes,
Privatdozenten für Zoologie in Halle a./S.
Mit 7 Figuren.

Die in den folgenden Blättern mitgeteilten Ergebnisse zoologischer Studien sind nicht positiver sondern negativer Art: ich gedenke nachzuweisen, dass Ansichten, die seit langer Zeit eine allgemeine Verbreitung gefunden haben, weil sie auf gut verbürgte Thatsachen gestützt schienen, völlig unhaltbar sind, da das zu ihren Gunsten ins Feld geführte Beweismaterial sich bei gründlicher Quellenforschung als in jeder Hinsicht nichtssagend entpuppt hat. Derartige Nach

1) Ich habe diesen Gegenstand schon in der Julinummer der Leopoldina behandelt; da ich aber seitdem noch einige weitere litterarische Irrtümer in Betreff der Anpassung des Individuums aufgefunden habe und da ich außerdem der Ueberzeugung bin, dass die hier angeregte Frage weitere Kreise interessieren wird, so glaube ich, dass eine nochmalige Veröffentlichung in erweiterter Form nicht unangebracht ist.

prüfungen sollten bei der Fülle der interessanten, aber vielfach überraschenden Thatsachen, welche die Lebensweise der Tiere berühren, in viel höherem Maße an der Tagesordnung sein, aber unsere moderne Zoologie wandelt andere Bahnen, sie beschäftigt sich nur noch in den seltensten Fällen mit dem lebenden Gesamtorganismus. Erfreulich sind ja allerdings die Erfahrungen nicht, die man bei solchen Untersuchungen macht: man wird gegen alles skeptisch, wenn man sich nicht einmal mehr auf Männer von allgemein anerkanntem Ruf verlassen kann aber man hat andererseits auch die Genugthuung, durch das Ausmerzen falscher Ansichten, auf die möglicherweise weittragende Schlüsse aufgebaut sind, der Wissenschaft einen wirklichen Dienst zu leisten.

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Die Frage, mit der ich mich eingehend beschäftigt habe, lautet: hat die Art der Nahrung wirklich einen direkten Einfluss auf die Struktur des Vogelmagens, wie das von den verschiedensten Seiten behauptet wird?" Es ist das eine Frage, deren Beantwortung für unsere Ansichten von der Entstehung der Arten wie Jeder zugeben wird von großer Bedeutung ist.

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Der verstorbene Semper schreibt in seinem vielgelesenen, reizvollen Werke „Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere" folgendes'): „Besser angestellt sind einige Experimente, welche beweisen, dass durch direkten Einfluss der Nahrung gewisse Strukturverhältnisse der Tiere vollständig verändert werden können. Der englische Anatom Hunter fütterte absichtlich eine Seemöve (Larus tridactylus) ein ganzes Jahr lang mit Körnern; und es gelang ihm auf diese Weise die ursprünglich weiche innere Magenhaut ihres auf Fischnahrung eingerichteten Magens so vollständig zu erhärten, dass sie in ihrem Aussehen und Struktur der harten sogenannten Hornhaut des Körnermagens einer Taube glich. Dr. Edmondstone versichert uns, dass dieses Experiment alljährlich von der Natur ausgeführt wird; die Heringsmöve (Larus tridactylus]2) der Shetlandsinseln ändert die Struktur ihres Magens alljährlich zweimal, je nachdem sie sich im Sommer an Getreidekörner, im Winter an Fische zu gewöhnen hat; dieselbe Möve hat dann thatsächlich im Sommer den Magen eines Körnerfressers, im Winter den eines fleischfressenden Raubvogels. Derselbe Naturforscher hat die gleiche Veränderungsfähigkeit der Struktur des Magens bei den Raben beobachtet; Ménétriés gibt das Gleiche für eine Eule (Strix grallaria) an.

1) Internationale wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 39. Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere von Karl Semper, Professor an der Universität Würzburg Mit 106 Abbildungen in Holzschnitt und 2 lithographischen Karten. Erster Teil Leipzig. F A. Brockhaus. 1880. Seite 83.

2) Bei uns pflegt man Larus canus als Heringsmöve zu bezeichnen, in England dagegen für gewöhnlich Larus argentatus, unsere Silbermöve, zuweilen aber auch Larus tridactylus.

Diese Experimente reichen aus zum Nachweise, dass der Magen eines fleischfressenden Vogels (Eule, Möve, Rabe) in den eines Körnerfressers umgewandelt wird, wenn ihm die hierzu notwendige Nahrung während längerer Zeit gereicht wird. Es liegt selbstverständlich nahe, zu fragen, ob denn auch das Umgekehrte stattfinden könne, d. h. ob der Körnermagen in den weichhäutigen Magen eines Fleischfressers umgewandelt werden könne. Die Experimente des Dr. Holmgrén beweisen in der That, dass bei Tauben, wenn hinreichend lange mit Fleisch gefüttert, allmählich der Körnermagen in einen echten Raubvogelmagen (sic!) umgewandelt wird.

Es war mir nicht möglich, eine größere Zahl wirklich glaubwürdiger oder experimentell festgestellter Angaben1) zu sammeln, und ich glaube, dass ich nicht viele wirklich wichtige und benutzbare Mitteilungen dieser Art übersehen habe".

Außerdem führt Semper in einer Anmerkung (S. 254) des weiteren aus, wie eine solche Umwandlung zu denken ist, und zwar geschieht dies in einer Weise, dass jeder Leser meinen muss, die geschilderten Vorgänge seien bis ins einzelne gewissenhaft verfolgt. Es möge auch dieser Passus hier folgen.

„Der Strukturwechsel, welcher dabei im Magen der Tauben und Möven vor sich geht, als Folge des ihn bedingenden Funktionswechsels, besteht in Folgendem. Der Magen der von Fleisch sich nährenden Vögel hat eine verhältnismäßig schwach entwickelte Muskulatur und weiche Schleimhaut, welche sich in langen Schläuchen in die umgebenden Magenhäute einsenkt; diese Schläuche sind die den Magensaft absondernden Drüsen. Bei den körnerfressenden Vögeln ist die Muskulatur des Magens ungemein kräftig entwickelt; statt der weichen Schleimhaut bedeckt eine dicke braune Haut die Innenfläche des größten Teils des Magens, während der kleinere vordere Abschnitt dieselbe weiche Haut und Drüsenschicht aufweist, wie sie überall im Raubvogelmagen vorkommt. Jene braune Haut des Körnermagens der Taube ist sehr fest; sie senkt sich mit langen feinen Fäserchen in die Höhlungen von Schläuchen ein, welche senkrecht in die Muskelhaut des Magens hineintreten. Wenn nun durch Fleischnahrung der Taubenmagen hinreichend lange beeinflusst wurde, so zieht sich jene braune Haut (eine sogenannte Cuticula) ganz aus den Schläuchen heraus und wird ausgestoßen; diese scheiden nun keine feste Substanz mehr, sondern nur noch eine Flüssigkeit aus und werden somit zu echten Drüsen. Es wäre interessant zu untersuchen, ob das von diesen nun im Körnermagen produzierte Sekret auch chemisch auf seine verdauenden Eigenschaften dem Verdauungssaft im Raubvogelmagen gleichzustellen wäre. Umgekehrt soll bei den Möven, welche an Körnernahrung gewöhnt werden, das sonst flüssig aus den Drüsenöffnungen 1) Die Sperrung rührt von mir her.

des Magens ausfließende Sekret erstarren und eine mehr oder minder dicke feste Haut im Innern des Magens bilden".

Mir stiegen von Anfang an Zweifel an der Richtigkeit der von Semper mitgeteilten Thatsachen auf, und ich bemühte mich schon vor Jahren, die betreffenden Original mitteilungen der Gewährsmänner aufzufinden, aber ohne Erfolg: in den mir zugänglichen bibliographischen Werken (Scientific papers und Bibliotheca zoologica) waren auf diesen Gegenstand bezügliche Abhandlungen der genannten Autoren nicht angegeben 1).

Ich versuchte daher vorläufig einmal, die angestellten Experimente zu wiederholen. Eine junge Nesttaube wurde isoliert und 7 Monate lang nur mit rohem Fleisch gefüttert, auch wurde ihr nicht die Möglichkeit geboten, Sand und Steinchen zu verschlucken. In ihren Aeußeren, vor allem in Schnabel- und Zehenbildung zeigte sie keinerlei auffallende Abweichungen, ihr Benehmen dagegen war eigentümlich zu nennen: sobald man nämlich an den Käfig herantrat und ihr den Finger entgegenhielt, biss sie kräftig hinein und versuchte ihn hinunterzuwürgen. Als ich das Tier dann tötete, fand ich einen typischen Muskelmagen, der allerdings völlig leer war. Es scheint mir, als ob das Fleisch überhaupt nicht bis in den Muskelmagen gelangt, sondern schon im Drüsenmagen völlig aufgelöst und von dort aus als Speisebrei direkt in den Dünndarm hineingepresst wird. In Figur 1 habe Fig. 1.

Fig. 2.

0

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---S

Fig. 1. Querschnitt des Muskelmagens einer
7 Monate lang mit Fleisch gefütterten Haus-
taube.

Fig. 2. Querschnitt eines Falkenmagens.
S = Sehnenspiegel.

ich den Querschnitt durch den Muskelmagen dargestellt, der deutlich die beinahe ein Millimeter dicke Cuticula zeigt, die sich sehr hart anfühlte und auf das innigste mit der darunter liegenden weißlichen Drüsenschichte verbunden war, ebenso sieht man, dass die beiden Muskelbäuche außerordentlich kräftig entwickelt sind und keine Spur

1) Es ist gar nicht genug zu rügen, dass bei so wichtigen Thatsachen die Quellenangabe unterblieben ist. In einem populären Werke sollte man sich ja auf das Mitgeteilte unbedingt verlassen können, also keine Litteraturnachweise nötig haben, aber wenn Thatsachen, die von vornherein verständlich sind, mit dem Quellennachweis belegt werden (cf. z. B. Anm. 5 auf S. 252), so verdienten es in viel höherem Maße solche, die Jedermann in Erstaunen versetzen.

von Degeneration verraten. Wie ein wahrer Raubvogelmagen", in den nach Semper's Darstellung der Taubenmagen durch Fleischfütterung umgewandelt worden ist, aussieht, möge die Figur 2 erläutern, in der ich den Querschnitt eines Falkenmagens abgebildet habe: man bemerkt auch hier eine Cuticula, die aber weich und viel dünner ist, eine Drüsenschichte und eine dünne Muskelschichte, die wie beim Muskelmagen vom Sehnenspiegel aus entspringt.

Dieses negative Resultat, das ich gar nicht anders erwartet hatte, ließ mich nun aber doch wünschen, unter allen Umständen die Holmgrén'schen Originalabhandlungen einzusehen, zumal ein negatives Ergebnis einem positiven gegenüber niemals Beweiskraft beanspruchen kann.

Professor Tycho Tullberg in Upsala war so liebenswürdig, mir auf meine Bitte hin, zwei Sonderabdrücke von Arbeiten zu senden, in denen Holmgrén die Ergebnisse seiner Experimente mitteilt. Sie sind beide sehr versteckt in den Verhandlungen des Aerztevereins von Upsala erschienen, sodass man sich nicht wundern kann, wenn unsere Bibliographien die Titel nicht enthalten 1).

Zu meinem größten Erstaunen fand ich aber in keiner der beiden Holmgré n'schen Arbeiten derartige Behauptungen, wie sie Semper zu reproduzieren vorgibt, im Gegenteil: die Resultate der Holmgrén'schen Experimente decken sich im großen und ganzen mit den meinigen. Allerdings muss ich zugeben, dass der Schwedische Physiologe die Vermutung ausspricht, der Taubenmagen sei durch geeignete Versuchsanordnung und lange genug fortgesetzte Fütterung wirklich in einen Magen, der dem eines wahren Raubvogels gleicht, umzuwandeln, aber er sagt ausdrücklich, dass seine Versuche keine Beweiskraft in dieser Hinsicht beanspruchen könnten. Er fütterte nämlich zuerst eine Anzahl von Tauben nur mit Fibrin, und dabei stellte es sich heraus, dass schon nach 6-8 Tagen der Muskelmagen an Dicke und Festigkeit merkbar verloren hatte, aber Holmgrén fügt selber hinzu, dass dies vielleicht die Folge der stets bei der Fibrinfütterung auftretenden allgemeinen Abmagerung sein möchte.

In seiner zweiten Mitteilung berichtet Holmgrén über die Resultate einer anderen Versuchsreihe. Er fütterte sechs völlig ausgewachsene Tauben mehrere Jahre lang nur mit Fleisch. Die Tiere zeichneten sich in Folge der veränderten Lebensweise durch stärkere Entwicklung der Krallen und des Schnabels aus, besonders charakteristisch war es, dass die Spitze des Oberschnabels wie beim Raubvogel sich nach unten krümmte. Die Tauben legten auch ganz normaler Weise Eier und brüteten, als aber nach 3 Wochen die Jungen nicht auskrochen,

1) Frithiof Holmgrén, 1. Physiologiska undersökningar öfver dufvans magar. Aftryck ur Upsala Läkare - förenings Förhandlingar. Upsala 1867. 2. Om köttätande dufvor. Ebenda, mit 1 Taf. 1872.

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