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gelegt und eingehend begründet habe1), so halte ich es doch für angebracht, in dieser Hinsicht noch einmal das Wort zu ergreifen, denn erstens sind mit dem hier zu besprechenden Gegenstande Fragen verknüpft, die vielleicht ein allgemeineres Interesse beanspruchen dürfen, und zweitens sind gerade neuerdings wieder andere, meinen Anschauungen widersprechende Mitteilungen über die Abdominalanhänge der Insekten veröffentlicht worden. Zum besseren Verständnisse des Sachverhaltes schicke ich folgendes voraus.

Am Hinterleibe zahlreicher weiblicher Insekten (Orthopteren, Rhynchoten, Hymenopteren u. a.) kommen Legebohrer resp. Legestachel vor, von denen der bekannte Bienenstachel ja auch nur eine besondere Modifikation darstellt. Die Legeapparate werden in der Regel aus 6 Fortsätzen oder Gonapophysen (Ovipositoren) zusammengesetzt. Auch bei männlichen Insekten treffen wir häufig zu den Seiten der Geschlechtsöffnung 2 ähnlich gestaltete Fortsätze an, die man wohl als Parameren bezeichnet hat.

Die Frage handelt sich nun darum, ob derartige Geschlechtsanhänge als Abdominalextremitäten anzusehen sind, ob man in ihnen mithin ehemalige zur Lokomotion dienende Gliedmaßen von früheren myriopodenähnlichen d. h. polypoden Stammformen erblicken darf, oder ob die Geschlechtsanhänge der Insekten lediglich als einfache, später entstandene Hautwucherungen aufzufassen sind.

Die erstere Meinung hat Verhoeff in einem kürzlich erschienenen Aufsatze 2) ausgesprochen, letztere Ansicht wurde von mir vertreten. Die richtige Beurteilung der Gonapophysen ist nun dadurch ein wenig erschwert, dass am Hinterleibe niederer Insekten außer den Genitalfortsätzen auch noch griffelartige Zapfen, die sog. Styli, vorkommen können, die nach Verhoeff dann sekundäre Anhängsel der Beine resp. der Gonapophysen darstellen sollen.

Wenn ich die Gonapophysen auf einfache zapfenförmige Erhebungen der Hypodermis zurückgeführt habe, so gründet sich diese Ansicht vor allem auf entwicklungsgeschichtliche Befunde, welche die Untersuchung zahlreicher Insekten ergeben hat. Ich bemerke, dass gerade die Entwicklungsgeschichte geeignet ist, in derartigen fraglichen Fällen vielfach einen Aufschluss zu gewähren, weil bei Insektenembryonen sehr häufig noch an den Abdominalsegmenten deutliche Gliedmaßenanlagen auftreten. Diese Gliedmaßenanlagen liefern nun aber, wie ich gezeigt habe, niemals die Gonapophysen; sie gehen vielmehr zu Grunde, und erst viel später und unabhängig von ihnen kommen die Geschlechts

1) Heymons R., Zur Morphologie der Abdominalanhänge bei den Insekten. Morpholog. Jahrbuch, Bd. 24, Heft 1, 1896.

2) Verhoeff C., Zur Morphologie der Segmentalanhänge bei Insekten und Myriopoden. Zool. Anzeiger, Nr. 511 u. 512, 1896.

anhänge zum Vorschein, die bei den Insekten als einfache Hypodermiswucherungen angelegt werden.

Mit der Hypothese, zu der nun Verhoeff neuerdings seine Zuflucht zu nehmen scheint, dass etwa eine latente Anlage von der embryonalen Extremitätenanlage zurückgeblieben sein möchte, lässt sich meiner Ansicht nach nichts ausrichten. Denn erstens ist, wie ich nachweisen konnte, in vielen Fällen selbst beim besten Willen gar keine Beziehung zwischen Gonapophyse und embryonaler Extremität ausfindig zu machen (Gonapophysen entstehen selbst dann, wenn Abdominalgliedmaßen fehlen), und zweitens ist es wohl an und für sich schon etwas bedenklich mit den fraglichen latenten" Gebilden, die sich unserer Kenntnisnahme so gänzlich entziehen, etwas erklären zu wollen.

In dem vorliegenden Falle scheint mir aber zu einem derartigen gewagten Erklärungsversuch überhaupt gar keine Veranlassung vorzuliegen. Ich finde es sehr wohl verständlich, dass bei Insekten im Umkreise der Geschlechtsöffnungen seiner Zeit Hautpapillen und Fortsätze entstehen konnten, die sich allmählich vergrößerten, beim Fortpflanzungsgeschäft von Nutzen wurden und sich dann zu den Legeapparaten und Kopulationsanhängen umgestaltet haben, wie wir sie bei den jetzigen Insekten antreffen.

Die Fähigkeit der Insekten und aller Arthropoden überhaupt, Hautpapillen und Fortsätze zu produzieren, ist ja bekannter Weise eine außerordentlich große. Ich erinnere daran, dass solche Anhänge dann in sehr vielen Fällen gerade eine Förderung der Respiration oder eine Erleichterung des Fortpflanzungsgeschäftes zu bezwecken pflegen. Als Beispiele für die letztere Erscheinung seien genannt die Haltezangen männlicher Ephemeriden, die man verständigerweise meines Wissens bisher auch noch niemals von Myriopodenbeinen abzuleiten versuchte. In ähnlicher Weise finden wir bei männlichen Libellen außer den üblichen Gonapophysen des neunten Segmentes auch an der Basis des Hinterleibes, am zweiten Segmente, noch besondere Begattungsanhänge vor. Ich glaube, dass es nicht erst des Hinweises auf die Entwicklung der betreffenden Anhänge bedarf (sie werden bei Aeschna als Hautverdickungen angelegt, die erst kurz vor der Metamorphose auftreten), um zu verstehen, dass es sich bei den Kopulationsapparaten der Libellen lediglich um besondere, der eigenartigen Lebensweise dieser Tiere angepasste, Einrichtungen handelt, nicht aber um Ueberbleibsel von Beinen einer polypoden Urform.

Die hier für die Kopulationsanhänge der Libellen ') im besonderen gegebenen Erklärungen, gelten nun meiner Ansicht nach für die Ge

1) Auch die Gonaphysen weiblicher Libellen, auf welche Verhoeff zur Stütze seiner Theorie sich besonders berufen hat, haben ontogenetisch gar nichts mit Gliedmaßen zu thun.

schlechtsanhänge der Insekten im allgemeinen. Diese Auffassung ist es, die aber gerade neuerdings von Verhoeff lebhaft bekämpft und sogar mit Bestimmtheit für „sicher falsch" erklärt wurde, denn er habe nachgewiesen, dass die Parameren vieler Käfer „nicht nur als Extremitäten angesehen werden müssen, sondern ihrem anatomischen Baue nach thatsächlich solche sind".

Sehen wir davon ab, dass sich mit derartigen kategorischen Behauptungen wohl in Fragen relativ wenig ausrichten lässt, die der Diskussion von jeher ein weites Feld geboten haben, so bemerke ich, dass ich den Nachweis, richtiger die ziemlich willkürliche Deutung, die Verhoeff den Parameren männlicher Käfer gegeben hat, keineswegs als zutreffend anerkennen kann.

Die hervorgehobenen Gründe, unter denen die Zusammensetzung der Parameren einzelner Insekten aus 2 Gliedern als besonders wichtig dargestellt wird, sind als beweiskräftig jedenfalls nicht anzusehen. Ich kann die Ansicht auch nicht unterdrücken, dass Verhoeff hierbei den Wert einer Gliederung an und für sich überschätzt hat. Eine Gliederung vermag auch an Anhängen hervorzutreten, die sicher keinerlei Beziehung zu paarigen Extremitäten besitzen, sondern unpaar sind. Ich verweise hier auf den medianen Schwanzfaden der Ephemeridenlarven, auf die mittlere Schwanzborste von Lepisma und Machilis, Gebilde, die nur eine verlängerte (11.) Rückenplatte des Abdomens darstellen und doch ungemein reich gegliedert sind. Dass schließlich in das gegen das Körperinnere frei geöffnete Grundglied dann auch einmal ein Muskel eindringen kann, ist selbstverständlich. Eine Gliederung oder Segmentierung pflegt überhaupt im Tierreiche sich überall dort zu zeigen, wo ein Körper oder ein Körperanhang eine gewisse Länge erlangt hat und dabei doch seine Beweglichkeit bewahren soll1). Auch die langgestreckten Gonapophysen weiblicher Insekten, bei denen Verhoeff, wie er meint besonders hervorheben

1) Wie leicht übrigens eine Gliederung bei Hautfortsätzen einzutreten vermag, dürften gewisse Fälle zeigen, in denen außergewöhnlicher Weise an normal ungegliederten Anhängen eine Segmentierung eingetreten war. Ein bemerkenswertes Beispiel in dieser Hinsicht ist mir vor einiger Zeit von dem Privatdozenten Dr. Hesse (Tübingen) mitgeteilt und zur Veröffentlichung freundlichst überlassen worden. Bei einer sehr jungen, aus dem Ei gezüchteten Larve von Phryganea grandis zeigte sich eine der gewöhnlich einfach fadenförmigen Tracheenkiemen deutlich gegliedert, ähnlich wie dies für die Kiemenanhänge der Sialis-Larven die Regel darstellt. – Die interessante Beobachtung ist im Tübinger zool. Institute von Gräfin M. Linden ausgeführt worden. Sicherlich dürfte es sich im vorliegenden Falle nicht um Atavismus, sondern um eine Art Neuerwerbung, soweit sich von einer solchen sprechen lässt, handeln, gerade wie die Gliederung der Sialidenkiemen auch nicht als von den polypoden Vorfahren ererbt anzusehen ist.

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zu sollen, eine Gliederung nicht hat entdecken können, würden sicherlich eine solche schon längst erlitten haben, wenn nicht Starrheit und Festigkeit bei den Legebohrern gerade die Hauptsache wäre, die dann durch eine stärkere Chitinisierung erzielt worden ist. Ich habe geglaubt, diese eigentlich ziemlich leicht verständlichen Verhältnisse hier noch einmal beleuchten zu sollen, weil, wie angedeutet, neuere Forscher trotz Formenkenntnis in dieser Hinsicht noch immer Schwierigkeiten erblicken können.

Bei den Insekten ist das Verhalten nun ein derartiges, dass gerade innerhalb der niederen Gruppen (Thysanuren, Orthopteren) die Gonapophysen bei beiden Geschlechtern ausnahmslos einfach bleiben. Gerade hier, wo offenbar primitivere und ursprünglichere Verhältnisse noch zu Tage treten, haben nun die bisherigen ontogenetischen Untersuchungen das Resultat geliefert, dass eine Beziehung der Geschlechtsanhänge zu Extremitäten nicht vorhanden ist. Man wird darauf hin gewiss mit ziemlicher Sicherheit den Schluss ziehen dürfen, dass auch bei höheren Insektengruppen, z. B. Käfern, die Gonapophysen ebenfalls keine andere morphologische Bedeutung besitzen.

Dass der bei vielen männlichen Insekten vorkommende Penis nur eine Hautausstülpung darstellt, wird allseitig anerkannt und sein Ursprung aus einer medianen Hautpapille ist sogar schon von Haase1) bei niederen Formen ausdrücklich festgestellt worden. Wir werden aber Verhoeff nicht beipflichten können, wenn er nun neuerdings den Insektenpenis in einen prinzipiellen morphologischen Gegensatz zu den in seiner Umgebung befindlichen accessorischen Chitinstücken stellen will2), Ein solcher Gegensatz ist von vorneherein um so unwahrscheinlicher, als es sich sowohl in dem einen wie in dem anderen Falle nur um besondere die Kopulation erleichternde Einrichtungen handelt.

Ein sicherer ontogenetischer Nachweis, dass die Gonapophysen der Insekten aus Extremitäten hervorgegangen sind, ist bisher überhaupt noch in keinem einzigen Falle erbracht worden, und ehe dies nicht geschehen, halte ich es für bedenklich, zu Gunsten einer solchen Abstammung phylogenetische Spekulationen anzustellen.

Verhoeff ist zu seiner gegenteiligen Anschauung nun besonders dadurch veranlasst worden, dass sich an den Genitalsegmenten der Thysanuren außer den Geschlechtsanhängen die schon erwähnten Styli vorfinden. Haben die letzteren, wie Verhoeff meint, mit den Extremi

1) Haase E., Die Abdominalanhänge der Insekten mit Berücksichtigung der Myriopoden. Morpholog. Jahrbuch, Bd. 15, 1889.

2) Die Meinung des genannten Autors, es wäre sein Standpunkt in dieser Frage von mir nicht richtig anerkannt worden, ist eine durchaus irrige.

täten nichts zu thun, so muss dies, wie er von seinem Standpunkt aus folgerichtig schließt, also wohl bei den ersteren der Fall sein. In meiner zitierten Arbeit habe ich zwar den in dieser Hinsicht gezogenen Schluss bereits für einen irrtümlichen erklärt, halte es aber doch zur besseren Klärung der Sachlage noch für erforderlich, gewisse niedere Insektengrupppen zum Vergleich heranzuziehen.

Wäre die von mir bekämpfte Ansicht richtig, und wären die Gonapophysen wirklich einmal aus Extremitäten hervorgegangen, so würde man wohl erwarten können, irgendwo bei einem der zahlreichen niederen Insekten und Myriopoden Uebergänge von Gangbeinen zu Gonapophysen anzutreffen. Das ist aber nicht der Fall. Einfach organisierte Myriopoden wie die Symphylen und Pselaphognathen besitzen gar keine Geschlechtsanhänge und diese Eigenschaft wird allgemein als ein primärer Zug dieser Formen anerkannt. Wenn wir uns nun die unbekannten polypoden Vorläufer der Insekten vorstellen, so wird man wohl zweifellos am besten thun, auch ihnen den Besitz derartiger ursprünglicher Eigenschaften beizulegen d. h. im vorliegenden Falle also anzunehmen, dass sie ebenfalls noch keine Kopulationsfüße besessen haben.

Gehen wir jetzt zu denjenigen Insekten über, die nach allen bisherigen Erfahrungen, ihrem Bau, ihrer Organisation u. s. w. noch einstimmig als die einfachsten und niedrigsten Formen angesehen werden, so kommen wir zu Tieren wie Campodea und Japyx. Am Abdomen mit Ausnahme des ersten Segmentes sind die Beine bei diesen Hexapoden bereits rückgebildet und fehlen an dem kritischen Genitalsegmente sogar vollkommen. Eine Umwandlung von Lokomotionsorganen zu Genitalanhängen hat demnach nicht stattgefunden. Auch die einfach organisierten Collembolen besitzen noch keine Spur von Gonapophysen, während im Umkreis der Genitalöffnung von Japyx wenigstens schon kleine Hautpapillen sitzen.

Während nun den genannten niedersten Insekten eigentliche Gonapophysen noch durchweg fehlen, so sind doch gerade die Campodeiden und Japygiden ausnahmslos in dem Besitze von Styli, und ich glaube, diese Thatsache wird, wenn sie auch noch nicht allein entscheidend ist, doch wenigstens unbedingt als ein Hinweis darauf gelten können, dass, wie ich bereits bei früherer Gelegenheit hervorgehoben, die Styli im Gegensatze zu den Gonapophysen die ursprünglicheren Gebilde sind.

Gonapophysen kommen in der Reihe der Insekten zum ersten Male bei den Thysanuren zum Vorschein, bei Formen, die in ihrer ganzen inneren Organisation und auch in ihrer Entwicklung, wie ich demnächst zu zeigen hoffe, den genuinen Orthopteren überaus nahe stehen.

Aber selbst bei den Thysanuren, bei den weiblichen Individuen von Lepisma und Machilis sind die Gonapophysen im Gegensatze zu

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