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Auch Kanten und Ecken werden unter den soeben namhaft gemachten Bedingungen bei der Regeneration wieder erzeugt; doch kann die Kante durch eine Ecke, die Ecke durch eine Kante vertreten werden. Ecken und Kanten stehen sich einander also viel näher als beide und Flächen von Krystallen. Mag man der Regenerationsflüssigkeit künstliche Formen anbieten, welche man will, niemals verlassen die verwendeten Alauna bei ihrer Regeneration die oktaedrische Grundform, so lange sie ihrer Freiheit überlassen sind.

Es ist sehr wohl möglich, mit der Kenntnis der krystallographischen Gesetze die Frage der regenerativen Umbildung irgend welcher künstlicher Alaunkörper auf rein geometrischem Wege den Grundzügen nach zu lösen, nachdem man einmal die Gesetze der Regeneration kennen gelernt hat. Niemand aber konnte vom rein theoretischen Standpunkte aus voraussagen, dass die künstliche Kugel aus Alaun bei der Regeneration 26 Flächen entwickeln werde. Auch war es theoretisch nicht sicher, dass bei der Regeneration der Kugel etwa nur acht Flächen sich entwickeln würden.

Künstliche Kugeln aus Salpeter lassen bei der Regeneration ein Salpeterprisma hervorgehen (rhombisches System).

Von den Erfahrungen, welche durch die Untersuchung der Regeneration des Alauns gewonnen worden sind, lassen sich zwar auf die regenerativen Vorgänge bei anderen Krystallformen weitgehende Vermutungen aufstellen. Ecken, Kanten, Flächen werden sich bei diesen im allgemeinen an die Regenerationserscheinungen des Alauns anschließen. Aber im einzelnen bleibt doch ein großer Spielraum offen. Zur Sicherstellung wird es daher unumgänglich sein, jeden besonderen Krystall auf seine Regeneration zu untersuchen, eine große Aufgabe, bei deren Erledigung auch die Untersuchung der Umbildung künstlicher Formen nicht wird fehlen dürfen. Erst dann, und es wird Jahrzehnte dauern, bis die Aufgabe von vielen Forschern erfüllt sein kann, lässt sich das ganze Gebiet der KrystallRegeneration überblicken und die Kenntnis der Krystalle selbst als eine vervollständigte bezeichnen. So lange bei jedem Krystalle diese Aufgabe noch nicht erfüllt ist, ist eine Lücke in seiner Kenntnis vorhanden.

Man kann über die Regeneration der Krystalle nicht Erwägungen anstellen, ohne auch zu Fragen allgemeiner Art geführt zu werden. Am nächsten liegt die Vergleichung mit der Regeneration auf dem Gebiete der Pflanzen und der Tiere. Dem hierüber in der I. Untersuchungsreihe S. 66 gesagten ist hier nichts hinzuzufügen.

Künstliche Kugeln, Ellipsoide und bikonvexe Linsen aus Alaun erinnern in ihrer Form so sehr an viele Eier, Keime, Fortpflanzungskörper aus dem Tier- und Pflanzenreiche, dass schon aus diesem äußerlichen Grunde Veranlassung geboten wird, die Entwicklung jener mineralischen Körper mit der Entwicklung der organischen Keime in Vergleichung zu bringen. Auch hierüber ist in den Schlussbetrachtungen der I. Untersuchungsreihe bereits die Rede gewesen (S. 79), Dass Kinder den Eltern ähnlich sich gestalten, allgemeiner gesagt, dass der Nachkomme dem Vorfahren ähnlich sich ausbildet, hat, wie dort bemerkt worden ist, die gleiche allgemeine Grundlage, wie die Erscheinung, dass aus einem Alaunei ein Alaunoktaeder hervorgeht. Die allgemeine Grundlage ist darin enthalten, dass die bei

derlei anorganischen und organisierten Gebilde je stofflich und strukturell miteinander zusammenhängen.

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Eine Mutterlauge zwar ist noch kein Ei. Jene ist eine Lösung, nicht aber das Ei. Das physikalische Molekül" einer Mutterlauge ist zwar wahrscheinlich keine höhere, durch Verbindung von Molekülen entstandene Einheit, als das „,chemische Molekül" des betreffenden Gases. Aber wenn in der Mutterlauge der erste Krystallisationskern auftritt, so sind dessen „Krystallmoleküle" jedenfalls zusammengesetzter als das physikalische Molekül der Flüssigkeit. Aus einer labilen ist eine verwickelte feste Struktur geworden, wie sie in jedem Krystalle sich ausprägt. Auch im Ei ist eine oder sind mehrere Strukturen befestigter Art vorhanden. Wenn das Beispiel der Krystalle zeigt, wie aus einer labilen, flüssigen Struktur ohne Stoffänderung eine feste Struktur sich ausbilden kann, so lässt sich dies Beispiel sehr wohl verwerten für die Vorstellung der Möglichkeit, wie aus einer organischen Lösung nicht bloß organische Krystalle, sondern selbst einfachste Organismen hervorgehen können. Und wenn ein Ei mit befestigter Struktur auch nicht unmittelbar mit der Mutterlauge verglichen werden kann, so kann es doch sehr wohl verglichen werden mit dem aus der Mutterlauge hervorgegangenen Krystallisationskerne und mit einem künstlich aus dem Krystalle geschnittenen eiförmigen Körper, weniger seiner äußeren Form wegen, als der Struktur und des Stoffes wegen: der stoffliche und strukturelle Zusammenhang ermöglicht die Vergleichung in erster Linie.

Ein Froschei entwickelt sich dadurch zur Endform des Frosches, dass es in viele einzelne Teile (Zellen) sich zerlegt, nach Richtungen, die den drei Richtungen des Raumes entsprechen; dass diese Zellen wachsen und durch damit in Verbindung stehende Substanzverschiebungen die Endform schließlich herbeiführen. Ein Krystallkeim aber, oder, um bei dem konkreten Falle zu bleiben, ein Alaunei, entwickelt sich dadurch zum fertigen Krystalle und Oktaeder, dass, im Zusammenhange mit der Struktur des Alaunes und der Alaunmutterlauge, eine durch sie bestimmte Apposition desselben Materials erfolgt. Ein stofflicher und struktureller Zusammenhang besteht also zwischen Mutter und Kind, wie zwischen dem Alaunei und dem fertigen Oktaeder, indem auch jenes, das Alaunei, einem Alaunkrystalle entstammt. Auf die in dem Froschei auftretenden SubstanzDifferenzierungen, die etwas besonderes darstellen, braucht hier kein Gewicht gelegt zu werden. Von einer solchen Differenzierung bleiben auch beim Frosche vor allem ausgeschlossen die Germinalteile, als Keime der künftigen Generation. Kurz, das spätere Wesen ist in seinem Keime strukturell und stofflich bei den Anorganismen und Organismen vorgebildet.

Noch auf eine andere Eigenschaft des Alauneies möchte ich bei dieser Gelegenheit hinzuweisen nicht unterlassen, da sie in enger Beziehung steht zu vielfach in den letzten Jahren untersuchten ähnlichen Erscheinungen am Ei der Tiere. Zerlegt man ein Alaunei in zwei oder in noch so viele einzelne Teile (Furchungskugeln des tierischen Eies), rundet sie ab und bringt sie in die Regenerationsflüssigkeit, so gehen aus den einzelnen Teilen niemals halbe u. s. w. Oktaederembryonen hervor, sondern unter allen Umständen ganze, mit allen typischen 26 Flächen versehene,

aber von kleineren Durchmessern; aus ihnen wachsen sodann lauter fertige Oktaeder heran. Dieses Ergebnis findet darin seine Begründung, dass in jedem einzelnen Teile die stoffliche Beschaffenheit und die physikalische Struktur des Alauns ganz und gar enthalten ist.

Nicht allein zur weiteren Vervollkommnung der Lehre der individuellen Entwicklungsgeschichte und zur Klärung der in neuester Zeit vielfach erörterten Fragen der Epigenese und Evolution erweist sich das Steinreich unerwarteterweise nützlich, sondern auch auf die Lehre der Abstammung der Organismen, die Phylogenie, wirft es ein eigentümliches Licht, das zur weiteren Aufhellung jener Lehre beizutragen geeignet ist.

Man unterscheidet bekanntlich sieben Krystallsysteme, das trikline, monokline, rhombische, trigonale, tetragonale, hexagonale und kubische. Diese sieben Systeme aber bestehen aus 32 Symmetrieklassen. Von ihnen gehören zwei Klassen dem triklinen, drei dem moneklinen, drei dem rhombischen, sieben dem trigonalen, sieben dem tetragonalen, fünf dem hexagonalen und fünf dem kubischen Krystallsysteme an.

Künstliche Kugeln aus Krystallen von Phosphor, Silicium, Eisen, Kupfer, Blei, Quecksilber, Gold, Platin, Bleisulphid, Fluorcalcium, Kaliumplatinchlorid, Eisenoxydoxydul u. s. w. werden bei der Regeneration unter den geeigneten Bedingungen zu einer Form sich entwickeln, welche der 32. Symmetrieklasse (hexakisoktaedrische Klasse) angehört.

Künstliche Kugeln aus Diamant, Zink blende, Fahlerz, Boracit, oxalsaurem Aluminium-Natrium-Kalium u. s. w. werden unter den geeigneten Bedingungen bei der Regeneration zu einer Endform sich umbilden, welche der 31. Symmetrieklasse (hexakistetraedrische Klasse) angehört.

Künstliche Kugeln aus Zinnjodid, Pyrit, Kobaltin, Smaltin werden wie die Alaune bei der Regeneration unter den geeigneten Bedingungen zu Formen heranwachsen, welche der 30. Symmetrieklasse (diakisdodekaedrische Klasse) angehören.

Künstliche Kugeln aus Krystallen von Kupferoxydul, Chlorammonium, Chlorkalium, Chlornatrium, Chlorsilber werden bei der Regeneration unter den geeigneten Bedingungen zu Formen sich ausbilden, welche der 29. Symmetrieklasse (pentagonikositetraedrische Klasse) angehören.

Künstliche Kugeln aus Krystalleu von Barymnitrat, Strontiumnitrat, Bleinitrat, Natriumchlorat, Natriumbromat, essigsaurem Uranylnatrium, Natriumsulfantimoniat u. s. w. werden bei der Regeneration unter den geeigneten Bedingungen zu Formen sich gestalten, welche der 28. Symmetrieklasse (tetraedrisch - pentagondodekaedrische Klasse) angehören.

Alle die genannten Beispiele gehören ausschließlich den fünf Symmetrieklassen eines einzigen, des VII. Krystallsystemes an. In derselben Weise würden zahlreiche Beispiele aus den übrigen 27 Symmetrieklassen anzuführen sein 1).

Die Ausgangsform von künstlichen Kugeln ist aus dem Grunde gewählt, weil sie die einfachste Ausgangsform ist und am leichtesten die Entwicklungsstufen zur Endform erkennen lassen wird.

1) Vergl. solche in P. Groth, Lehrbuch der physikalischen Krystallographie, 1895, S. 333-521.

Die Nutzanwendung, die aus diesen Vorlagen gemacht werden kann, ergibt sich leicht.

Niemand wird zu der Annahme hinneigen, alle die vielen verschiedenen Krystallformen seien durch reale Umwandlung aus einer einzigen Grundform, also aus Transformation hervorgegangen; sondern man ist versichert, jede von ihnen sei selbständig in ihrer Struktur und in ihrer Form, wie es durch die jedesmalige chemische Beschaffenheit des Gegenstandes bedingt wird.

Hat man ein Recht, denselben Gedankengang auf die organischen Reiche zu übertragen? Er würde dahin auszusprechen sein, dass vielleicht in derselben Weise, wie die künstlichen Kugeln jener Stoffe unabhängig von einander zu ihren zugehörigen krystallinischen Endformen sich entwickeln, alle organischen Keime, mögen sie nun dem Pflanzenreiche oder dem Tierreiche angehören, ebenfalls unabhängig voneinander zu den bezüglichen Endformen der fertigen Pflanzen und Tiere sich ausgestalteten. Der Zwang zur Ausgestaltung läge in allen Fällen in der Beschaffenheit der Ausgangsformen und ist von deren chemisch-physikalischen Eigentümlichkeiten abhängig. Auch im Pflanzen- und Tierreiche gibt es verschiedene Axensysteme, durch welche die einzelnen Gestalten teils miteinander übereinstimmen, teils voneinander abweichen. Die verschiedenen Gestalten des Pflanzen- und Tierreiches weichen ferner voneinander ab durch ihre Form, durch ihre Organisation, Entwicklungsart; die stoffliche Grundlage ist bei den verschiedensten Gestalten nahe verwandt, besonders im Anfange, während späterhin sehr bedeutende Differenzierungen auftreten können; wenn auch verwandt, so ist die stoffliche Grundlage der verschiedenen Pflanzen und Tiere doch keineswegs identisch.

Bis zu diesem Punkte liegen für die Durchführung der Vergleichung anscheinend keine erheblichen Schwierigkeiten vor. Und doch erreichen sie sofort eine unüberwindliche Höhe, wenn wir den Versuch z. B. bei der Klasse der Säugetiere zu Ende führen. Das Säugetierei kann sich nur innerhalb einer bereits vorhandenen Mutter entwickeln. Die Mutter, deren Existenz erklärt werden soll, wird also durch jenen Versuch bereits als vorhanden vorausgesetzt. Denn jener Versuch stellt die Keime als das Frühere, die fertigen Gestalten als das Spätere auf. In Wirklichkeit ist aber bei den Säugetieren die Endform notwendig das Frühere, der Keim das Spätere. Schon dieser Widerspruch ist so schwerer Art, dass es nicht mehr erforderlich ist, nach anderen, ferner liegenden Einwendungen zu suchen. Man erkennt, es zerschellt an dieser Klippe die Hypothese des selbständigen, natürlichen Ursprunges der lebenden Wesen, welche auf Grundlage der Vergleichung mit der anorganischen Natur bis zu einem gewissen Grade einleuchtend erschien.

Am Schlusse meiner Darlegungen angelangt, kann ich nicht umhin, den Wunsch auszusprechen, es möchten an der weiteren Erforschung des Gebietes der Regeneration der Krystalle, sei es nun noch an der Alaunreihe, oder vor allem an den vielen noch unbearbeiteten anderen Krystallen, deren Durchforschung dringend not thut, nicht allein Mineralogen und Chemiker, sondern auch Biologen sich beteiligen. Man darf die Kluft zwischen dem Reiche der Anorganismen und dem der Organismen sich

nicht so groß vorstellen, wie zwischen Himmel und Hölle, wo ein Uebertreten von dem einen in das andere Reich unter allen Umständen untersagt ist. Die Regeneration der Krystalle, für sich allein schon ein interessanter Abschnitt der allgemeinen und speziellen Krystallographie, gewinnt, wie obige Ausführungen zeigen, durch die unmittelbare Beziehung zur Regeneration und Entwicklungsgeschichte der beiden organischen Reiche doch noch in sehr hohem Grade an Bedeutung, um so mehr, wenn man von dem Ringen Kunde hat, in welchem gegenwärtig die Geister um. gewisse allgemeine Verhältnisse der Entwicklungsgeschichte begriffen sind. Möchten daher die früheren Versäumnisse, die einer mehr als halbhundertjährigen Ruhe entsprechen, nunmehr von einem um so regeren Eifer nachgeholt werden. Ohne Zweifel werden noch viele schöne Ergebnisse den Fleiß des eifrigen Forschers belohnen" 1).

Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften
Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien.

Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 8. Oktober 1896.

Das c. M. Herr Prof. R. v. Wettstein übersendet eine Abhandlung, betitelt: „Die europäischen Arten der Gattung Gentiana aus der Sektion Endotricha Froel. und ihr entwicklungsgeschichtlicher

Zusammenhang".

Der Verfasser hat sich zur Aufgabe gestellt, durch monographische Untersuchungen solcher Pflanzengruppen, welche in der Gegenwart reiche Ausgliederung von Arten zeigen, daher Neubildung von Arten in jüngster Zeit annehmen lassen, einerseits die Beantwortung der Frage nach der Entstehung der Arten in induktiver Weise zu fördern, andrerseits durch Verwertung der sich hiebei ergebenden Erkenntnisse zu endgiltigen Resultaten bezüglich der Systematik solcher Formenkreise zu gelangen. Zunächst gelangten die einschlägigen Untersuchungen über die Gattung Euphrasia zu einem Abschlusse2); an diese schließen sich nun die vorliegenden an. Sie betreffen jene Sektion der Gattung Gentiana, welche nach Froelich Endotricha, nach Grisebach Amarella genannt wird. Die eingehende Untersuchung konstatierte für Europa 22 Arten und 5 Hybride, an die sich in Asien und Amerika noch weitere 14 Arten anschließen. Der morphologische Vergleich, die Untersuchung der Verbreitungsverhältnisse der einzelnen Arten, sowie endlich der Kulturversuch ließen zu einer mit allen Thatsachen im Einklange stehenden Vorstellung von den phylogenetischen Beziehungen der Arten gelangen, welche auch in der

1) Schon in der I. Untersuchungsreihe habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass das Studium der regenerativen Erscheinungen im Pflanzen- und Tierreiche sehr weit vorgeschritten ist. Ich verweise hier auf die Berichte von Dietrich Barfurth in Merkel und Bonnet, Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. IV, 1894, 1. Kapitel: Regeneration und

Involution.

2) Monographie der Gattung Euphrasia. Leipzig (Engelmann), 1896.

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