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Smollet, einem der Hauptvertreter der realistischen Darstellungsweise gebührte das Verdienst als erster,,Gothic elements" 1) im Roman zur Anwendung gebracht zu haben; Horace Walpole, einem eifrigen Verehrer Popes und Gegner der romantischen Bewegung seiner Zeit sollte es vorbehalten sein, die erste Gothic Romance zu schreiben. So seltsam dies klingen mag, so wahr ist es: Horace Walpole, der Verfasser des phantastischen ,,Castle of Otranto", hat für Romantik und romantische Bestrebungen keinerlei Gefühl oder Verständnis besessen. Dies bezeugen nicht bloss sein ablehnendes Verhalten gegen den unglücklichen Chatterton und seine Stellungnahme gegen Miss Reeves,,Old English Baron", sondern auch vor allem seine Äusserungen über Spenser, Shakespeare, Thos. Warton, Thomson, Macpherson und Gray. I am almost afraid I must go and read Spenser", schreibt er u. a. einmal an Rev. W. Cole, „,and wade through his allegories, and drawling stanzas, to get at a picture." 2) -,,A Midsumer Night's Dream" ist seiner Ansicht nach ,,forty times more nonsensical than the worst translation of any Italian operabooks" 3) Von Thomson 4) und Macpherson 5) spricht er nur mit tiefster

1) Vergl. die Anmerkung zu S. 23.

2) Letter to Rev. W. Cole, March. 9, 1765.
3) Letter to Bentley. February 23. 1755.

4) Letter to Dalrymple. February 3. 1760.

5) Letter to W. Mason. September 17. 1776.

Letter to Miss Hannah More. November 13. 1784.

Verachtung, über Thos. Warton 1) macht er sich beständig lustig, und zu den Oden des ihm befreundeten Gray 2) weiss er nichts besseres zu bemerken, als dass sie langweilig und abstossend seien. Miss Reeves ,,Old English Baron" erscheint ihm,,totally void of imagination and interest ... and so insipid and dull, that any trial for murder at the Old Bailey would make a more interesting story" 3). Sein Lieblingsdichter ist Pope. „Pope and poetry are dead“, lässt er im Jahre 1746 verlauten. Was mag es nun wohl gewesen sein, das diesen Verächter alles Romantischen auf die Idee gebracht hat ein so ungeheuerliches Buch wie das,,Castle of Otranto" zu schreiben?

Zur Beantwortung dieser Frage sei eine Stelle aus Macaulay's,,Essay on Walpole's letters to Sir Horace Mann" 4) herangezogen. „He had“, sagt Macaulay daselbst, „a strange ingenuity peculiarly his own, an ingenuity which appeared in all that he did, in his building, in his gardening, in his upholstery, in the matter and in the manner of his writings. If we were to adopt the classification which Akenside has given of the pleasures of the imagination, we should say that with the Sublime and the Beautiful Walpole had nothing to do, but that the third province, the Odd, was his peculiar domain." - Diese Neigung zum Sonderbaren und Seltsamen, sowie die Sucht sich auf einem neuen, bisher ganz unerforschten Gebiet zu bethätigen, führten ihn dazu seine berühmten, in ihrer Art damals einzig dastehenden mittelalterlichen Samm

P. 191.

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4) Macaulay, Critical and historical essays. Leipzig 1850, vol. II,

lungen anzulegen und sich mit dem Studium der,,Gothic times and manners" zu befassen. Dieselbe Neigung, in Verbindung mit den eben erwähnten,,Gothic studies", liess in ihm den Gedanken entstehen sein Heim zu Strawberry Hill im Stile eines,,Gothic castle" zu erbauen; seine Beschäftigung mit ,,Gothic architecture" und "Gothic castles" wiederum brachte ihn darauf ein Buch zu schreiben, in dem ,,Gothic incidents" und ein „,Gothic castle in Gothic times" 1) die Hauptrolle spielen sollten. Auf diese Weise entstand die erste Gothic Romance, das einst viel bewunderte und viel gelesene,,Castle of Otranto".

Beide, Strawberry Hill und,,The Castle of Otranto", sind also einer excentrischen Laune ihres Schöpfers entsprungen, beide weisen demgemäss bei näherer Betrachtung manches gemeinsame Merkmal auf: In beiden wollte Walpole der Mitwelt zeigen, wie man Mittelalterliches mit Neuzeitlichem sehr wohl verbinden könne; in Strawberry Hill schuf er ein Schlösschen, das mit seinem mittelalterlichen Baustil und altväterischen Aussehen an einem bequemen, vornehmen Heim nichts zu wünschen übrig liess; in dem,,Castle of Otranto" bot er dem Publikum einen Roman, dessen mittelalterlicher Gegenstand und Inhalt durch moderne Form und Darstellung fesseln sollten. Bei beiden Schöpfungen ahnte Walpole zur Zeit ihres Entstehens nicht, welches die Folgen seiner Experimente sein würden: Ebenso wenig wie er bei der Erbauung Strawberry Hills daran dachte eine neue Epoche in der Baukunst heraufzuführen (was er doch in Wirklichkeit gethan hat), war es seine Absicht auf dem Gebiet des Romans reformierend oder umstürzend einzugreifen, als er sein,,Castle

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1),,Gothic times",,,Gothic manners" u. s. w. sind Ausdrücke, die in Walpoles Briefen unzählige Male wiederkehren. Unter „Gothic incidents" versteht Walpole wunderbare Ereignisse, wie sie in den Zeiten des Mittelalters für möglich gehalten wurden.

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of Otranto" der Öffentlichkeit übergab (Erst später schätzte er sein Buch höher und liess Äusserungen verlauten, wie die in der Vorrede zur zweiten Auflage, wo er darauf Anspruch erhebt eine neue Gattung des Romanes geschaffen zu haben.). Beide, Strawberry Hill und,,The Castle of Otranto" haben dasselbe Schicksal erfahren: Die staunenden Zeitgenossen waren von ihnen entzückt und betrachteten sie als geniale Meisterwerke, da sie von der anziehenden und einnehmenden Form, die Walpole ihnen zu verleihen gewusst hatte, geblendet und bestochen waren. Zeit und Geschmack haben sich seitdem geändert, und man greift wohl nicht fehl, wenn man sagt gebessert; heutzutage vermögen wir keinem von beiden länger jene Bewunderung entgegenzubringen, die ihnen am Ausgang des 18. Jahrhunderts von hoch und niedrig gezollt wurde 1).

Was dem Romane damals eine so günstige Aufnahme sicherte, war aber nicht bloss jene ebenerwähnte Formvollendung, sondern vor allen Dingen seine Ursprünglichkeit und Neuheit. Man begann zur Zeit seines Erscheinens

1) Über die Gotik Strawberry Hills äussert ein berühmter moderner Kunstkenner: „The interior, or rather that portion of it (i. e.: of Strawberry Hill) which Walpole designed, is just what one might expect from a man who possessed a vague admiration for Gothic without the knowledge necessary for a proper adaptation of its features. To Lord Orford, Gothic was Gothic, and that sufficed". (Eastlake, A history of the Gothic Revival, London 1872). Für die Berühmtheit und Popularität von Strawberry Hill zeugen die folgenden Verse, die damals in aller Munde waren: (Vergl. Eastlake.)

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gerade des realistischen Romanes mit seiner nüchternen Wirklichkeit und seinen eintönigen Einzelschilderungen aus dem Leben der Gegenwart und der Familie müde zu werden, eine Ermüdung, die noch gesteigert wurde, als die zahlreichen Nachahmer der grossen Meister des Romanes immer tiefer sanken und anfingen, sich den alten Gaunerund Abenteurergeschichten wieder zu nähern. Eine Opposition hätte gar nicht ausbleiben können. Walpoles Werk erschien nun just zur rechten Zeit; es entsprach dem Bedürfnis der Lesewelt, weil es etwas Ungewöhnliches, Neues und somit die ersehnte Abwechselung brachte.

Das Buch nun, das für die Weiterentwicklung des Romans eine so hervorragende Bedeutung gewinnen sollte, war, wie schon oben angedeutet wurde, eine Frucht der mittelalterlichen Experimente seines Autors. Der unmittelbare Anlass zu seiner Abfassung soll ein Traum gewesen sein, den Walpole im Juni des Jahres 1764 zu Strawberry Hill gehabt haben will.,,Shall I even confess to you", schreibt er hierüber an seinen Freund W. Cole,,,what was the origin of this romance! I waked one morning, in the beginning of last June, from a dream, of which, all I could recover was, that I had thought myself in an ancient castle (a very natural dream for a head filled like mine with Gothic story), and that on the uppermost bannister of a great staircase I saw a gigantic hand in armour. In the evening I sat down, and began to write, without knowing in the least what I intended to say or relate. The work grew on my hands, and I grew fond of it, — add, that I was very glad to think of anything, rather than politics. In short, I was so engrossed with my tale, which I completed in less than two months, that one evening, I wrote from the time I had drunk my tea, about six o'clock, till half an hour after one in the morning, when my hand and fingers were so weary, that I could

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