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Miss Clara Reeve's,,Old English Baron", oder, wie der Titel der ersten Ausgabe lautet:,,The Champion of Virtue, a Gothic Story", erschien zuerst im Jahre 1777 bei C. Dilly in London, dem die Verfasserin das Verlagsrecht für den Preis von £ 10 überlassen hatte. Das Buch erfreute sich vom Tage seiner Veröffentlichung ab einer nicht minder grossen Beliebtheit wie Walpoles,,Castle of Otranto", was schon daraus hervorgeht, dass es gleich diesem bereits im folgenden Jahre eine zweite Auflage erlebte. Die späteren Ausgaben des Romanes (von 1780 an) sind Mrs. Bridgen, einer Tochter Richardsons, gewidmet 1).

An Übersetzungen in fremde Sprachen liegen vor eine deutsche (von F. St., Nürnberg 1789) und eine französische (von De la Place. Paris 1797).

Wie Walpole bei der Abfassung des,,Castle of Otranto" eine Verschmelzung der beiden Erzählungsarten, der mittelalterlichen und der modernen, im Auge hatte, so ist es auch Miss Reeves Absicht gewesen, in ihrem „Old English Baron" eine Vereinigung von Mittelalterlichem und Neuzeitlichem, Wunderbarem und Natürlichem anzustreben. ,,This Story", äussert sie in Bezug hierauf in der Vorrede zu ihrem Roman,,,is the literary offspring of the Castle of Otranto, written upon the same plan, with a design to unite the most attractive and interesting circumstances of

1) Die Angabe im,,Dictionary of National Biography", dass bereits die 2. Auflage des Romans (1778) Mrs. Bridgen gewidmet gewesen sei, ist unrichtig. Die Widmung datiert erst vom 1. September 1780.

the ancient Romance and modern Novel; at the same time it assumes a character and manner of its own, that differs from both; it is distinguished by the appellation of a Gothic Story, being a picture of Gothic times and manners" 1). Nach einer kurzen Beleuchtung der Schwächen des,,Castle of Otranto", heisst es dann in der Vorrede weiter, dass bei dieser Verschmelzung die Verfasserin bemüht gewesen sei, die Fehler Walpoles zu vermeiden und eine Erzählung zu bieten, die trotz der Zulassung von wunderbaren Ereignissen einen glaubwürdigen Eindruck erwecken soll. Wie Miss Reeve diese ihre Aufgabe gelöst hat, wird sich bei der im folgenden vorzunehmenden Besprechung ihres Werkes zeigen, die wir jetzt mit einer kurzen Inhaltsangabe eröffnen wollen.

Walter Lord Lovel hat durch die auf sein Anstiften hin erfolgte Ermordung seines Vetters Arthur Lovel dessen Besitztümer und Güter erlangt und sie späterhin an seinen Schwager Baron Fitzowen verkauft. Dieser, ein edler, achtungswerter Mann, hat in seine Familie einen Bauernknaben Namens Edmund aufgenommen, der mit seinen Söhnen und Neffen zusammen erzogen worden ist und sich wegen seiner vorzüglichen Charaktereigenschaften des grössten Wohlwollens aller erfreut. Auf Kriegszügen, an denen er sich als Begleiter von Fitzowens Söhnen beteiligt, zeichnet er sich durch Mut und Tapferkeit aus und kehrt schliesslich ruhmgeschmückt zu seinem Wohlthäter zurück. Feinde und Neider jedoch verleiden ihm den Aufenthalt binnen kurzem dort so, dass er beschliesst Schloss Lovel baldmöglichst für immer zu verlassen. Im Begriff dieses Vorhaben auszuführen, erfährt er durch übernatürliche Ereignisse und wunderbare Zufälle, dass er nicht ein niederer Bauernknabe, sondern der einzige Sohn des ermordeten

1) Preface to ,,The Old English Baron", p. V (6th edition 1797).

Lord Lovel ist, und dass das Schloss, in dem er seine Jugend verlebt hat, ihm von Rechts wegen zu eigen gehört. Um für den begangenen Mord Rache zu heischen und seine Rechte geltend zu machen, verlässt er nächtlicherweile Baron Fitzowens Familie und stellt sich unter den Schutz eines ehemaligen Freundes seines Vaters, Namens Philip Harclay. Mit dessen Hilfe wird der Mörder zur Rechenschaft gezogen, im Zweikampf besiegt und nach einem umfassenden Geständnis des Landes verwiesen. Die feierliche Einsetzung Edmunds in alle seine Rechte und eine kurze Schilderung seines Eheglücks mit einer Tochter Fitzowens schliessen den Roman in befriedigender Weise ab.

Eine genauere Betrachtung des eben geschilderten Ganzen lehrt sehr bald, dass ,,The Old English Baron" im grossen und ganzen auf demselben Motiv beruht, das schon dem,,Castle of Otranto" zu Grunde lag. Wie dort, so handelt es sich auch hier um die Aufdeckung einer früher begangenen Unthat durch übernatürliche Ereignisse, die in der Erscheinung des Geists des Ermordeten gipfeln. In beiden Werken tritt ein junger Mann aus edler Familie als unbekannter Bauernjüngling auf, in beiden sieht er sein rechtmässiges Besitztum in der Gewalt eines anderen, in beiden wird dieser andere schliesslich vertrieben und in gebührender Weise bestraft. Auch sonst finden sich im ,,Old English Baron" noch manche Anklänge an das „Castle of Otranto", auf die wir im weiteren noch öfter Gelegenheit haben werden hinzuweisen.

So erinnert z. B. gleich die Zeichnung des Hintergrundes an Walpoles Roman: Ein mittelalterliches Schloss

diesmal allerdings nicht in Italien, sondern im Westen Englands, dessen früherer Besitzer eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Verstärkt wird der Eindruck, den dieser alte Bau auf den Leser macht, noch dadurch, dass einer seiner Flügel, in dem die Geister des ehemaligen

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Möbius, The Gothic Romance.

Schlossherrn und seines Weibes hausen sollen, seit langen Jahren abgeschlossen gewesen und nie betreten worden ist, und dass in diesem selben Flügel später die Gebeine des ermordeten Lord Lovel aufgefunden werden 1).

Die grauenhaften Ereignisse nun, die sich auf diesem Hintergrund zutragen, sind nicht nur viel spärlicher verstreut wie im,,Castle of Otranto", sondern insgesamt auch weit natürlicher und wahrscheinlicher wie dort. Schon bei einer blossen Aufzählung der Wunder unseres Romanes wird man im Stande sein die Richtigkeit dieser Behauptung sofort zu erkennen: Eine einmalige Geistererscheinung, grauenhafte Seufzer, Auf- und Zufliegen von Thüren, bleicher Lichtschimmer, sonderbare Träume und einige leere Schrecken sind in der That alles, was das Buch an Wunderbarem und Ausserordentlichem bietet. Auf welche Weise Miss Reeve dieses Material verwendet und welchen Erfolg sie damit erzielt hat, wird gleich bei der Betrachtung des ersten ihrer unheimlichen Ereignisse ersichtlich sein.

Auf Wunsch Baron Fitzowens soll Edmund drei Nächte in dem verwünschten Flügel des Schlosses zubringen und sich Gewissheit verschaffen, ob es dort wirklich nicht mit rechten Dingen zugeht. Edmund zögert nicht einen Augenblick das Wagnis zu unternehmen und sucht noch an demselben Abend die unheimlichen Räume auf, deren halbverfallener Zustand und schauerliche Einsamkeit packend geschildert werden. Doch lassen wir im folgenden die Schriftstellerin selbst reden: „He recollected. the other door, and resolved to see where it led to;

1) Mit dieser Neuerung, die unheimlichen Ereignisse nicht im ganzen Schloss, sondern nur in einem abgeschlossenen Flügel desselben eintreten zu lassen, hat, wie wir später noch sehen werden, Miss Reeve Schule gemacht. Vergl. unten: „A Sicilian Romance“, S. 63,,,The Romance of the Forest", S. 68 f.,,,The Mysteries of Udolpho", S. 76 f.

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