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zeugt ist, kein rechtschaffner Mann sey: aber dennoch ist es wahr; er ist keiner. Allein er ist nicht deswegen kein rechtschaffner Mann, weil er keine Religion hat, sondern weil er spottet. Wer giebt ihm das Recht, über Dinge zu spotten, die unzählige Menschen für die heiligsten auf der Welt halten? Was kann ihn entschuldigen, wenn er durch Spöttereyen arme Blödsinnige um ihre Ruhe, und vielleicht noch um ein mehreres bringt? Er verräth Lieblosigkeit, wenigstens Leichtsinn; und handelt unrechtschaffen an seinem Nächsten. Denn auch so gar ein Christ, der gegen Mahometaner über den Mahomet spotten, weiter nichts als spotten wollte, würde kein rechtschaffner Mann seyn. Er lehre, wenn er glaubt, daß seine Lehren anschlagen werden; und sey überzeugt, daß jede unwahrheit, die er aufdeckt, sich ohne sein Zuthun von selbst verspotten wird.

Bey dem allen scheinet es, als habe es Herr Cramer selbst empfunden, daß er hier nicht eigentlich mit einem Manne ohne Réligion, sondern mit einem Religionsspotter zu thun habe; und zwar auch nur mit diesem in so fern er spottet, und nicht in so fern er keine Religion hat. Denn was ist sein Polidar, den er in dem ersten Zusage seines Beweises, zu einem Exem= pel eines Mannes ohne Religion macht, anders, als ein Reli gionsspåtter? Und zwar noch dazu einer von den allerdümmsten, dem man unmöglich einen Funken Menschenverstand zugestehen kann; denn er spottet über Lehren, die er niemals unter: sucht hat, und macht Lehren lächerlich, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie es verdienen. Und das heißt ein Mann ohne Religion? Es gemahnt mich nicht anders, als wenn man einen Lahmen beschreiben wollte: ein Lahmer sey ein Mensch ohne Flügel. Der Beschluß künftig.

XXII. Den 29. May. 1760.
Beschluß des 106ten Briefes.

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Ich wende mich zu dem zweyten Beweise. Ein Recht: schaffner muß eine gründliche Erkenntniß von den Gegen: „ftånden haben, gegen welche man rechtschaffen handeln muß. Indem er zu dieser Erkenntniß kömmt, gelangt er ,,auch zur natürlichen Erkenntniß Gottes; und durch diese Lessings Werke VI.

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„zum Wunsche einer Offenbarung. Alsdann hat er die Pflicht, eine vorgegebene Offenbarung, ohne sorgfältige ,, Untersuchung nicht zu verwerfen, vielweniger zu verspotten. ,,Thut er es; so ist er (vermöge des ersten Beweises) nicht ,, rechtschaffen. Das ist ein Beweis? Und ein zweyter Be weis? Wenn doch Herr Basedow so gut seyn wollte, ihn in eine follogistische Form zu bringen. Doch er fühlt es selbst, daß dieses Geschwäge auf den ersten Beweis hinausläuft; daß es weiter nichts ist, als der erste Beweis, auf den Religions: spotter näher eingeschränkt. Und in wie fern der Say von diesem gilt, darüber habe ich mich erklärt. Er gilt von ihm, nicht in so fern er keine Religion hat, sondern in so fern er spottet.

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Also der dritte Beweis: Wegen der Macht der Leiden, ,,schaften ist nicht zu erwarten, daß ein Mensch, der weder „geoffenbarte noch natürliche Religion hat, die gesellschaft: „lichen Pflichten zu erfüllen geneigt sey, und also in dieser ,, eingeschränkten Bedeutung ein rechtschaffner Mann seyn „könne. Man hat aber bessern Grund es zu hoffen, wenn ,,er die Religion in seinem Verstande für wahr hålt, und fein Herz zur Ausübung derselben gewöhnt. Auch dieses Raisonnement ist kein Beweis unsers Sages. Herr Basedow hat für gut befunden, meine Einwendung dagegen gar nicht zu verstehen. Ich sage nehmlich: Hier ist die ganze Streitfrage verändert; anstatt zu beweisen, daß ohne Religion keine Rechtschaffenheit seyn könne, sucht man nur taliter qualiter so viel zu erschleichen, daß es wahrscheinlicher fey, es werde eher ein Mann von Religion, als ein Mann ohne Religion rechtschaffen handeln. Aber weil jenes wahrscheinlicher ist, ist dieses darum unmöglich? Und von der Unmöglichkeit ist gleichwohl in dem Sage die Rede: Es kann keine Rechtschaffenheit ohne Religion seyn. Herr Basedow sagt selbst, es solle diesem Beweise der zweyte Zusag zur Einleitung dienen. Und wie lautet der zweyte Zusag? Der Mensch hat eine natürliche Teigung zu denen Handlungen, die wenn sie aus dem rechten Grunde ge schehen, rechtschaffen heissen. Aber diese Teigung ist im „hohen Grade schwach und unzuverläßig. Warum ist sie

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so schwach und unzuverläßig? Wegen der Gewalt der Lei: denschaften. Und diese zu bändigen, das lehrt uns nur die Religion? Oder haben wir nicht auch hinlängliche Gründe, unsere Leidenschaften der Vernunft zu unterwerfen, die mit unfern Verhältnissen gegen ein höchstes Wesen in gar keiner Verbindung stehen? Ich follte es meinen. Haben wir nun dergleichen: so kann jene natürliche Neigung zu rechtschaffnen Handlungen, so schwach und unzuverläßig sie wegen der Leidenschaften immer seyn mag, wenn wir diese ihre Hindernisse aus dem Wege räumen, auch ohne Religion stark und zuverläßig werden. Und kann sie das, wie steht es um den Cramerschen Beweis? Ist es nicht offenbar, daß er ihn durch diesen Zusag selbst untergraben hat? Herr Basedow sage nicht: Aber die Religion giebt uns noch mehrere Gründe, unfre Leidenschaften zu bemeistern 2c. Das gebe ich zu. Das gebe ich zu. „Allein, habe ich damals schon erinnert,,, kömmt es denn bey unsern Handlungen blos ,, auf die Vielheit der Bewegungsgründe an? Beruhet nicht ,,weit mehr auf der Intension derselben? Kann nicht ein einzi,,ger Bewegungsgrund, dem ich lange und ernstlich nachgedacht „habe, eben so viel ausrichten, als zwanzig Bewegungsgründe, „deren jedem ich nur den zwanzigsten Theil von jenem Nach,,denken geschenkt habe? Wenn Herr Basedow das nicht ver steht: so kann ich ihm freylich nicht helfen; und man muß ihm erlauben, so lange zu schwagen als er will.

Und wahrhaftig, sein Geschwäge erregt ordentlich Mitleiden. Er räumt es ein, daß ein Mann ohne Religion ein sehr unbestimmtes Wort sey; aber doch, meinet er, habe Herr Cramer nicht nöthig gehabt, es zu bestimmen. Und warum nicht? „Der ,,Herr Hofprediger, sagt er, trägt im Nordischen Aufseher „kein System vor, und hat die Absicht nicht, allen möglichen „Chicanen eines Widersachers auszuweichen. Sonst hätte er ,, allerdings ausdrücklich anzeigen müssen, ob er unter einem „Manne ohne Religion, einen solchen verstehe, der gar keine ,,hat, oder nur denjenigen zc. Kann man eine grössere Absur dität sagen? Deswegen, weil der Herr Hofprediger kein System schreibt, darf er unter eben demselben Worte, bald das, bald

jenes verstehen? Herr Basedow wird nie ein System schreiben: ich wette darauf.

In dem ersten Beweise, fährt er fort, meinet Herr Cramer einen Mann ohne alle Religion; in dem zweyten einen leichtsinnigen Spötter der Religion; und in dem dritten wieder einen Mann ohne alle Religion. Als dem Verfasser eines Wochenblats, versichert er, sey ihm diese Vertauschung erlaubt gewesen; und ich verdiene den Abscheu der Welt, und habe das schwärzeste Laster begangen, weil ich Bösewicht geglaubt habe: ,,Der Nordische Aufseher müsse und wolle in dieser ganzen Ab„handlung den Sag: ohne Religion ist keine Rechtschaffen„heit, in einer und derselben Bedeutung verstehen.“

Das habe ich leider geglaubt. Ja ich habe sogar geglaubt, daß Herr Cramer unter einem Manne ohne Religion, blos einen Mann verstehe, der die christliche Religion in Zweifel ziehet. Denn ich Bösewicht segte voraus, Herr Cramer werde doch etwas haben sagen wollen; er werde doch lieber etwas falsches (das ihm aber wahr scheine), als gar nichts haben sagen wollen. Nun aber, da uns Herr Basedow sein Wort giebt, daß Herr Cramer wirklich gar nichts habe sagen wollen: muß ich mich freylich auf den Mund schlagen. Sie glauben nicht, wie ich mich schäme! Wollte doch der Himmel, daß ich mich vor den Augen der Welt verbergen könnte!

Hundert und siebender Brief.

G.

Herr Cramern muß es also hier gegangen seyn, wie es allen gehet, die ihre Gedanken unter der Feder reif werden lassen. Man glaubt eine grosse Wahrheit erhascht zu haben; man will sie der Welt ins Licht segen; indem man damit bes schäftiget ist, fängt man selbst an, sie deutlicher und beffer einzusehen; man sieht, daß sie das nicht ist, was sie in der Entfernung zu seyn schien; unterdessen hat man sein Wort gegeben; das will man halten; man dreht sich igt so, igt anders; man geht unmerklich von seinem Ziele ab; und schließt endlich damit, daß man etwas ganz anders beweiset, als man zu beweisen versprach; doch immer mit der Versicherung, daß man das Ver

sprochene bewiesen habe. Amphora coepit inftitui, currente rota urceus exit.

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Ohne Religion kann keine Rechtschaffenheit seyn! diesen groffen Sag wollte Herr Cramer beweisen, um alle Gegner der Religion, wo nicht auf einmal in die Enge zu treiben, doch wenigstens so zu brandmarken, daß sich keiner seiner Entfernung von der Religion mehr öffentlich rühmen dürfe. Der Vorsag war vortrefflich, und eines eifrigen Gottesgelehrten würdig. Schade nur, daß sich die Wahrheit nicht immer nach unsern guten Absichten bequemen will. Nicht will? D sie wird müssen; wir verstehen uns aufs beweisen. „Denn, sagt Herr Cramer, ein „Mensch, welcher sich rühmet, daß er keine Pflicht der Rechts schaffenheit vernachläßige, ob er sich gleich von demjenigen be,,frent achtet, was man unter dem Namen der Frömmigkeit ,,begreift, ist - ein Lågner, muß ich sagen, wenn ich nicht „strenge, sondern nur gerecht urtheilen will; weil er selbst ge„stehet, kein rechtschaffener Mann gegen Gott zu seyn.“ Da steht der Beweis; und er ist noch dazu schön gesagt. Nun will Herr Cramer weiter gehen. Aber indem überlegt er feinen Beweis noch einmal: „Ein Rechtschaffener sucht alle Pflichten „zu erfüllen, auch die Pflichten der Religion; nun sucht ein Mann ohne alle Religion diese nicht zu erfüllen, ergo „Denn er hält sie für keine Pflichten:" fällt ihm ein, ehe er sein Ergo ausdenkt.,,Er hält sie für keine? das ist etwas „anders. So fällt mein Beweis in die Brüche. Ich striche ,,ihn gern aus, wenn ich nicht alles ausstreichen müßte. Ich „muß sehen, wie ich mir helfe." Geschwind schlägt er also die Volte, und schiebt uns für einen Mann ohne alle Religion, einen Religionsspötter, einen Dummkopf unter, der über Lehren spottet, die er niemals untersucht hat.

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kann doch kein rechtschaffner Mann seyn?

wird ihn dafür erkennen.

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,,Und so einer

Kein Mensch

,,Kein Mensch? Ja, nun habe „ich zu wenig bewiesen. Vorhin zu viel, izt zu wenig: wie „werde ich es noch machen, daß ich mich mit meinem frommen ,,Parodoro durchbringe?" So denkt er, und schleicht sich stillschweigend aus dem Parodoro in die angrenzende Wahrheit. Anstatt zu beweisen, daß ohne Religion keine Rechtschaffenheit

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