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Einleitung.

Prisca iuvent alios, ego me nunc denique natum
Gratulor. Ovid ars III 121.

Der Satz, den wir als Motto für unsere einleitenden Bemerkungen gewählt haben, mag auch ihren Ausgangspunkt bilden und uns den richtigen Gesichtspunkt für die Beurteilung des in mehr als einer Beziehung einzig dastehenden Gedichtes andeuten. Mit jubelnder Freude bekennt sich Ovid in diesen Worten als ein Kind seiner Zeit; sie sind der Niederschlag jenes wohligen, angenehmen Gefühles, das den eleganten Weltmann bei dem sorgenlosen und behaglichen Genusse aller der Freuden und Annehmlichkeiten erfüllt, wie sie das Leben in dem glänzenden Rom damals so überaus reichlich bot. Es ist eine eigenartige Ironie des Geschickes, dass gerade der Mann, der wohl am meisten für die zahllosen Freuden der einzigen Stadt empfänglich war, gerade in dem Gedichte seinem Jubel darüber Ausdruck gab, das später zum grossen Teil an seiner Verbannung Schuld werden sollte, in der ihm all das, was bisher sein Glück ausmachte, mit einem Male genommen wurde.1) Daran aber dachte er nicht, als er mit diesen Worten freudig im Genusse seiner Zeit sich selbst beglückwünscht, dass er jetzt erst geboren sei. Jetzt fühlt er sich nur als Kind seiner Zeit, den die Fortschritte der Gegenwart mit freudiger Bewunderung erfüllen. Freilich ist es nicht der bis ins Unsinnige getriebene Luxus, nicht die mit ebenso verschwenderischer Pracht wie bis zum Frevel gesteigerten

1) Es liegt nicht der mindeste Grund vor, daran zu zweifeln, dass die Liebeskunst an Ovids Verbannung mit schuld war, wenn man sich auch nicht dem Aurelius Victor anschliessen darf, der in den tres libelli der ars amatoria die einzige Ursache des Exils erblickt (epit. I 27; vgl. Apoll. Sidon. carm. 23, 158). Ovid selbst bezeichnet das Gedicht als prima causa (ex Pont. IV 13, 42), vgl. trist. III 1, 4. 7. ex Pont. II 9, 73. III 3, 70. Oft in trist. II etc. Dass es aber nicht die einzige Ursache war, geht mit Sicherheit schon daraus hervor, dass seit dem Erscheinen des Gedichtes bis zur Verbannung etwa zehn Jahre vergangen waren: die unmittelbare Ursache war daher eine andere (der geheimnisvolle und oft besprochene error).

Dimensionen arbeitende Bauwut seiner Zeit,1) die ihm die Gegenwart so begehrlich erscheinen lässt: das was ihn entzückt, ist der cultus, die verfeinerte Lebensart, das Raffinement des Lebens, welches an die Stelle der alten rusticitas getreten ist. Mit sichtlichem Behagen malt sich daher das verwöhnte Weltkind des öftern die alte gute Zeit aus mit ihren schlichten Zuständen, da man noch auf kunstlosen Rasenplätzen vor der ebenso kunstlosen Scene sass, die noch nichts wusste von dem Luxus der kostbaren Essenzen, mit denen man später die Bühne besprengte, und den mächtigen Tüchern, die über dem ganzen Zuschauerraum ausgespannt willkommenen Schutz gegen die heissen Strahlen der Sonne gewähren.) Er gefällt sich in dem Gedanken, wie das Kapitol sich so verändert hat, dass man glauben möchte, ein anderer Juppiter wohne auf ihm. Die strohgedeckte Kurie der alten Zeit lockt ihm ein mitleidiges Lächeln ab, und er vergisst nicht, die bescheiden ländlichen Verhältnisse jener längst entschwundenen Tage durch das Weiden von Euanders Rindern auf dem nun so stolzen Palatin ebenso wohlgefällig wie anschaulich zu schildern.3) Gewiss sprechen auch andere Dichter gern von den Zuständen des alten Rom), aber kaum einer mit solch sichtlicher Freude, dass diese Zeit bäuerlicher rusticitas überwunden ist, wie gerade Ovid. Daher ist ihm denn alles zuwider, was an diese rusticitas erinnert. Mit dem frivolen Spotte des überlegenen Freigeistes macht er sich über Vulcanus lustig, den bäurischen Gatten der graziös koketten Venus, das typische Urbild eines rusticus. Köstlich ist das Bild, wie Venus vor ihrem Buhlen Mars den hinkenden Gang des plumpen Gemahles nachahmt und sich über die von harter Arbeit schwieligen Hände mokiert. wenn Ovid sagt, Venus sei dem Liebesverlangen des Mars gegenüber nicht rustica gewesen, so hat gerade diese Litotes in diesem Zusammenhange etwas höchst pikantes, wie jeder leicht empfinden wird. 5)

Und

Noch mehr spottet der Dichter über die rusticitas des weiblichen Geschlechtes. Zwar die Treue der keuschen Penelope ist ein zu stereotyp überlieferter Zug ihres Wesens, als dass Ovid sie hätte antasten mögen.") Um so spöttischer spricht er dagegen von der Andromache, deren unharmonisch lange Gestalt 7) seinen Lesern gewiss von der Bühne her geläufig war. Als Gattin eines rauhen Kriegsmannes erscheint sie in rauhem groben Kleide); auch wundert sich der Dichter darüber nicht, doch hört man leicht aus seinen Worten heraus, wie wenig begehrenswert sie ihm erschien. Und Tekmessa gar, die erbeutete Gattin des grossen Ajax, ist nichts für seinen verfeinerten, raffinierten Geschmack. Beide Damen gelten ihm als höchst langweilig und griesgrämig. Dass sie mit ihren

1) III 123-126. Vgl. Hor. carm. II 18. 2) I 103-108. 3) III 115-120. 4) Vgl. zu III 115-120. 5) II 565–570. 6) III 15; doch vgl. I 477: Penelopen ipsam, persta modo, temporé vinces. 7) II 645. 8) III 109.

Gatten die Freuden des Lagers genossen hätten, möchte der Übermütige bezweifeln, wenn ihre Söhne ihm nicht das Gegenteil bewiesen. Aber dass sie mit ihren Männern zärtlichen Liebesgeplauders gepflogen hätten, weist er mit der komischen Ironie ungläubig rhetorischer Frage zurück, und ein Schmeichelwort wie 'mein Schatz' kann er sich auf den Lippen der Tekmessa schlechterdings nicht denken.') Dem entsprechend sieht er die rusticitas am schlimmsten verkörpert in dem legitimen Ehestande, der ihn als eine durchaus langweilige und philisterhafte Einrichtung abstösst, und den er daher in wenig ermutigender Weise ausmalt. kleinlich ist das Misstrauen des Mannes, der bei seiner Frau nach verborgenen Liebesbrieflein fahndet.2) Die mehr passiven Liebesbezeugungen der legitimen Gattin, die beim ersten Wunsche des Mannes 'standesamtlich und honett' nachgiebt, sind ihm nicht delikat und pikant genug 3); er bedauert sie, dass sie sich mit einem Manne begnügen muss, kann aber dabei nicht unterlassen, an ihrer moralischen Kraft, dies auszuführen, einen leisen Zweifel zu äussern.*) Nach seiner Ansicht wird die legitime Ehe durch Zank und Streit charakterisiert: dos est uxoria lites.")

Wie

Daher nimmt es niemand Wunder, dass er gegen Menelaus für die schöne Helena offen und rückhaltlos Partei ergreift. Menelaus ist selbst schuld an der Untreue seiner Frau: wie konnte er so wahnsinnig sein, solch liebeheischend junges Weib mit dem in Jugendblüte und Schönheit strahlenden Fremdling allein zu lassen! So that Paris nur das, was jeder Verständige an seiner Stelle gethan haben würde, und folgerichtig kommt der Dichter zu dem Resultate: Helenen ego crimine solvo.) Man beachte: auch hier heisst es wieder et adest non rusticus hospes. Menelaus ist der Typus eines rusticus, über den Paris den thatsächlichen und nach des Dichters Meinung auch den moralischen Sieg davonträgt.

So ist es also die philisterhafte rusticitas, der Ovid die Fehde erklärt als einem seiner Zeit unwürdigen Zustande. Sein Ideal ist der cultus, und wie cultus puer und culta puella seine Lieblingswörter sind, so will er es in seinem Gedichte auch nur mit solchen zu thun haben. Wenn nun aber auch Ovid unter cultus die raffiniert verfeinerte, die zahllosen Freuden der Weltstadt mit der Wollust des ausgesprochenen Gourmands auskostende Lebensweise der genussfreudigen Halbwelt versteht, so warnt er doch ebenso eindringlich vor den nur allzu leicht möglichen Auswüchsen und Verirrungen dieser von ihm verherrlichten Kunst des Geniessens. Das ganze Gedicht predigt den Genuss und die Wollust mit rückhaltloser Offenheit. Aber nur die Wollust will er gelten lassen, die beide geniessende Teile mit gleicher Wonne befriedigt, und so gelangt er zwar folgerichtig, aber sehr im Gegensatze zu dem Ge

1) III 517-524. 2) II 597. 3) III 585. 6) II 359-372. III 254.

4) II 388. 5) II 155.

schmack seiner Zeit zu dem absprechenden Urteile über die Knabenliebe.') Wenn der cultus nach anderer Seite hin übertrieben wird, führt er zum Stutzertum und zur Geckenhaftigkeit. Auch hiervon mag Ovid nichts wissen. Er spricht seine Freude aus über die mundities, die zierlich anmutige Sauberkeit, und giebt eingehende Vorschriften Jünglingen 2) und Mädchen ), wie sie sich zu kleiden und die Regeln täglicher Ästhetik zu beachten haben, dass die Zähne blendend weiss sind, dass nicht unschöne Haare die Glieder entstellen, dass nicht unappetitlicher Geruch des Atems den nahe Stehenden belästige, und sonstige unzählige Vorschriften, die vorhandenen Reize zu erhöhen und fehlende geschickt zu ersetzen. Aber ebenso verhasst sind ihm die Stutzer und neumodischen Gecken, die mit dem Brenneisen das Haar kräuseln und mit einem Eifer, der einer bessern Sache wert wäre, jedes überflüssige Härchen ängstlich entfernen), und nachdrücklich betont Ovid auch hier die mundities und erinnert an die forma neglecta eines Theseus, Hippolytus, Adonis.")

Diese äusserliche mundities, die Ovid von seinen Schülern beider Geschlechter verlangt, findet ihr Gegenstück in der feinen Bildung, die nach seiner Meinung unerlässlich gefordert werden muss. Das ist wohl zu beachten und wieder ein Ergebnis seines feinen, weltstädtisch verwöhnten Geschmacks. Nirgends verirrt sich sein Vers bis in das Innere des lupanar, er erklärt nachdrücklich, dass er nichts wissen will von den feilen Dirnen, die ihre Reize jedwedem verkaufen "), und verlangt entgegenkommende Zärtlichkeit. So ist also Ovid nicht der Verkünder des Genusses, der nur in der Befriedigung rein physischer Triebe sich genug thut, sondern nach seiner Lehre muss zu dem rein sinnlichen Genuss auch ein geistiger, mindestens aber ästhetischer hinzukommen. Nicht genug, dass er seinen Schülern zeigt, wie man ein süsses Gift mit möglichstem Behagen geniessen kann, er will dieses Gift auch in glänzend geschliffenem kostbaren Pokale darreichen. Seine Schüler sind daher fein gebildet und zumal rhetorisch gut geschult; den Wert glänzender Dialektik zu betonen, liegt dem Ovid ja besonders nahe. Daran erinnert er denn mehrfach seine Schüler), ja er schreibt das Glück, das Odysseus bei zwei Meergöttinnen hatte, zumal seiner gewandten Zunge zu und der einschmeichelnden Beredsamkeit, mit welcher der körperlich durchaus nicht schöne Mann zu erzählen wusste.) Nach solcher geistigen Bildung zu streben, ist aber um so mehr zu empfehlen, als ja die Schönheit ein 'gebrechliches Gut' ist und sich mit den Jahren mehr und mehr verliert, da bleiben denn nur die ingenuae artes.") Nicht nur die 'beiden Sprachen'

1) II 683: odi concubitus qui non utrumque resolvunt; hoc est cur pueri tangar amore minus. Vgl. Gebhardi, Berlin. Ztschrft. f. G. W. 1875, p. 73. 2) İ 513-524. 3) III 133 ff. 4) I 505-508. 5) I 509-512. 6) II 685-688. 7) Vgl. z. B. I 459 ff. 8) II 123 ff. Vgl. die Anm. zu V. 127. 9) II 113-122.

muss der Jüngling erlernt haben 1), je mehr gesellschaftliche Talente ihm zu Gebote stehen, um so grösser sind seine Aussichten. Eine schöne Stimme und geschmeidige, zum Tanzen gelenke Glieder werden als solche höchst angenehmen Zugaben genannt.")

Noch eindringlicher sind die Lehren, die der Dichter den Mädchen giebt, sich die Bildung ihres Geistes und ihrer gesellschaftlichen Vorzüge angelegen sein zu lassen.3) Das Mädchen soll singen können: die neusten Arien aus dem Theater oder die besonders beliebten Weisen der Egyptischen Musik werden, so versichert der erfahrene Dichter, ihren Eindruck nicht verfehlen. Natürlich verlangt man von der docta puella auch, dass sie mit dem Plectrum die Zither gar anmutig zu schlagen wisse, und mit galanter Liebenswürdigkeit erinnert der Dichter seine musenfrohen Leserinnen an die himmliche Kunst eines Orpheus, Amphion, Arion.

Die Hauptsache aber ist doch die litterarische Bildung, die Belesenheit in den Klassikern der Zeit. Es ist eine artige und höchst interessante Auswahl von namhaften Dichtern, mit denen vertraut zu sein, Ovid von seinen Schülerinnen fordert. Wie natürlich, stehen die Griechen obenan und Kallimachus erscheint als erster in dem glänzenden Fünfgestirn. Ihm zunächst steht der Koische Dichter, Philetas, den manche gar über Kallimachus stellten.") Gern sehen wir auch den Anakreon, den liebenswürdigen alten Sänger von Teos, unter dieser Schar, und dass die heisse Poesie der Aeolischen Sappho nicht fehlt, finden wir gerade in diesem Zusammenhange durchaus verständlich. Auch die komische Muse ist durch Menander würdig vertreten.

In entsprechender Weise werden dann fünf Glanznummern aus dem Programm lateinischer Belesenheit der römischen Damen hervorgehoben. Liebenswürdig wie immer gedenkt Ovid zunächst seines Herzensfreundes Properz: seine Gedichte soll das Mädchen nicht nur kennen, sondern sie muss sie auch mit Anmut vorzutragen wissen. Die Poesie des vom Glücke so verwöhnten, dann so beklagenswerten Cornelius Gallus ebenso wie die des milden, von Ovid hochgeschätzten Tibull werden als zur Bildung unentbehrlich genannt, und die Epik wird durch die Argonautica des P. Terentius Varro Atacinus und die Aeneide Vergils vertreten.

Das ist eine reichliche Auswahl litterarischer Kenntnisse, die Ovid von seinen Schülerinnen verlangt, und mit ebenso liebenswürdiger Schalkhaftigkeit wie zuversichtlicher Bescheidenheit knüpft er daran die Hoffnung, dass ein zartes Mädchen vielleicht auch einmal aus seinen, des Meisters in der Liebe, Dichtungen etwas vortragen möchte, sei es nun aus der Ars, oder den Amores, oder den Heroiden.

Man sieht, das Milieu, in dem wir uns befinden, ist geistig angeregt und ermangelt durchaus nicht einer gewissen feineren Bildung.

1) II 122. 2) I 595. 3) III 315 ff.

4) Vgl. zu III 329.

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