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Aber damit noch nicht genug. Die Damen, die sich Ovid als seine Leserinnen und Schülerinnen denkt, verfügen auch über gesellschaftliche Talente aller Art. Sie verstehen in graziösem Tanze die gelenken Glieder zu regen und sind geschickt in den mannigfaltigen Arten des Würfelspiels und allerlei Bewegungsspiele draussen im Freien.

Auf solcher Höhe litterarischer und gesellschaftlicher Bildung stehen die Damen, in deren Sphäre uns die Ars führt. Von diesen Vorzügen abgesehen sind es lockere, recht lockere Dämchen, sämtlich dem Stande der Libertinen angehörig und schon äusserlich daran kenntlich, dass sie das insigne pudoris, die vittae und instita, welche der Kleidung der ehrbaren Frauen eigen sind, nicht tragen.1) Mit ihnen springt der Dichter in oft frivoler, mindestens leichtfertiger Weise um. Man erkennt den blasierten Weltmann, wenn er seinen lauschenden Hörern versichert, dass schlechterdings jedes Mädchen zu haben sei, und mit der ihm eigenen psychologisch feinen Beobachtungsgabe erkennt er leicht, wie selbst die zunächst Spröde sich doch darüber freut, dass man ihren Reizen nachstellt.") Mit übermütiger Laune versichert er, dass selbst eine Penelope schliesslich nachgeben würde.") Der Mann freilich muss die Initiative ergreifen, das kann man schon von dem in erotischen Abenteuern erfahrenen Juppiter lernen, der zu seinen Geliebten kam, nicht aber wartete, bis diese zu ihm kamen.) Von grosser Wichtigkeit ist dann, dass der Mann Ausdauer zeigt und sein Ziel nicht aus dem Auge verliert. Diese Lehre kann der Dichter nicht eindringlich genug wiederholen, und viele Beispiele dienen ihm dazu, sie zu begründen.")

Leichtfertig genug behandelt der Dichter auch die Mittel, die den Liebenden zu seinem Ziele führen sollen. Am einfachsten und bequemsten sind die Versprechungen. Man mag ruhig das Blaue vom Himmel herunter versprechen, ob man es zu erfüllen vermag, braucht einen nicht weiter zu kümmern. Mit ruhigem Blute kann man dabei alle möglichen Götter zu Zeugen anrufen, denn Juppiter lacht über die Schwüre der Liebenden, wie ein alter Erfahrungssatz der erotischen Poesie lautet "), und hat selbst bei der Styx der Juno oft falsch geschworen.")

Aber freilich auch hier wiederholt sich die alte Klage antiker Erotik, dass die Mädchen sich damit nicht begnügen, und dass der Liebhaber sich zu Geschenken wird entschliessen müssen, wenn er Erfolg haben will.) Solche Tage, an denen es sich nicht vermeiden lässt, das Mädchen zu beschenken, wie z. B. ihr Geburtstag, sind dem Liebhaber atrae dies.") Bitter beschwert sich der Dichter über die aurea saecula: nur nach Golde drängt alles, und wenn er nur

1) I 31, mit der Anmerkung.

2) I 343 ff. 3) I 477. 4) I 709-714. 6) Vgl. zu I 633. 7) I 631 ff. Vgl. 442 ff.

5) Vgl. zumal I 470 ff. II 177 ff. 666 ff. 8) Vgl. Goethe, Faust I 2321: Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reussiren! 9) I 418.

reich ist, findet selbst der barbarus Gehör.1) Est ist die ständige Klage der römischen Erotiker, dass nicht mehr zärtliche Gedichte das Herz des Mädchens erobern, sondern das Gold. Selbst Homer von allen Musen begleitet würde ohne Geschenke nichts ausrichten.*) Trotzdem will Ovid den Dichtern das schöne Vorrecht erhalten wissen, dass ihnen der Mädchen Herzen durch den Zauber der Lieder auch ohne Geschenke sich erweichen lassen, und weiss dies gar sinnig zu begründen: sind es doch die Dichter, die das Lob ihrer Schönheit singen; so ist durch Dichtermund eine Nemesis, Cynthia, Lycoris, Corinna allberühmt geworden. Schliesslich kommt er zu dem Resultat, dass es geradezu ein Verbrechen sei, von den docti poetae etwas zu verlangen, fügt aber gleich in komischer Klage hinzu, dass sich kein Mädchen vor diesem Verbrechen fürchte.) Doch giebt es auch Geschenke, die mehr nach dem Sinne des Dichters sind, Körbchen mit Früchten oder Weinbeeren und ähnliches, was Ovid in höchst anmutigen Versen ausmalt.)

Versprechungen und Geschenke sind nicht die einzigen Mittel, das Herz des Mädchens zu erobern; auch das Liebesgedicht ist bereits genannt, neben dem der erotische Brief eine grosse Rolle spielt.5) Hüten muss man sich aber vor allzu grossem Vertrauen seinen Freunden gegenüber, was der Dichter in längerer durch Rede und Gegenrede höchst belebter Darstellung begründet.") Die wenig erfreuliche Moral dieses Passus ergänzen wir noch durch die Bemerkung, dass der Dichter das Gesetz der Mitschuldigen vertritt. Das zeigt sich z. B. in der Auseinandersetzung, ob man auch mit der Zofe der Geliebten erotische Abenteuer wagen dürfe. Entweder, so meint Ovid, fange gar nicht an, oder führe es bis zu Ende durch, denn wenn sie erst einmal deine Mitschuldige geworden ist, kann sie dich nicht mehr verraten.) Vgl noch III 491.

Das Gedicht will ein Lehrbuch der Liebe sein. Welche Art von Liebe gemeint ist, darüber klärt uns der Dichter wiederholt auf. Nur um die Liebe zu den leichtfertigen Libertinen handelt es sich, und des öftern verwahrt sich der Dichter dagegen, dass man seine Lehren auch auf ehrbare Mädchen anwenden möchte. Nur die sind seine Leserinnen und Schülerinnen, welche die vitta und instita nicht tragen.8) Nil nisi lascivi a me discuntur amores.) Er singt von der Venus tuta, von der vom Zwange des Gesetzes befreiten freien Liebe 10); diese gilt ihm aber als ein Spiel 11) oder als eine Jagd, bei der das Mädchen die ersehnte Beute ist.12) Noch häufiger aber wendet er das der Erotik überhaupt so geläufige Bild an, nach dem die Liebe ein Kriegsdienst ist, ein Bild, das er ja schon in den Amores mit glänzender rhetorischer Technik durchgeführt hatte.18)

3) III 533 ff.

1) II 276. Vgl. 163f. 2) II 279 f. Vgl. auch III 405 ff. 4) II 263 ff. 5) I 455 ff. III 469 ff. 9) III 27. 10) I 33. II 599: en, luditur; in nostris instita nulla iocis. 13) Näheres zu II 233.

6) I 739-754. 7) I 375 ff. 8) I 31. II 600. iterum testor: nihil hic nisi lege remissum 11) II 600. III 809. 12) I 253. 263. II 2.

Es wäre überaus verkehrt, die bisher auseinandergesetzten Anschauungen und Maximen dazu verwerten zu wollen, über den Charakter Övids selbst das Verdammungsurteil auszusprechen. Wenn je, so muss man bei der Beurteilung dieses Gedichtes beachten, dass Theorie und Praxis himmelweit von einander verschieden sind, und dass es sehr wohl denkbar ist, dass man Verse macht, die bei moralisch-ängstlichen Gemütern Anstoss erregen, und dass man dabei doch ein ganz ehrenwerter Mann sein kann. Warum sollen wir dem Ovid nicht glauben, wenn er dem erzürnten Machthaber versichert (trist. II 353) crede mihi, distant mores a carmine nostro, vita verecunda est, musa iocosa mea. Auch hier gilt, was Plinius sagt (ep. IV 14): ex quibus (sc. hendecasyllabis) tamen si nonnulla tibi paullo petulantiora videbuntur, erit eruditionis tuae cogitare summos illos et gravissimos viros, qui talia scripserunt, non modo lascivia rerum sed ne verbis quidem nudis abstinuisse. Und er beruft sich auf das Vorbild des Catullus (carm. 16):

nam castum esse decet pium poetam
ipsum, versiculos nihil necesse est,
qui tum denique habent salem ac leporem,
si sunt molliculi ac parum pudici

et quod pruriat incitare possunt etc.

Auch Plinius (ep. V 3) verteidigt die petulantia seiner Verse in der nämlichen Weise wie es Ovid that (trist. II 427 ff.): Beide stellen einen langen Katalog von Männern auf, die in ihren Gedichten auch nicht die Parole der Keuschheit befolgt hätten, ohne dass man darum ihren Charakter angreifen dürfe.1)

Die Liebe, als deren Meister Ovid sich bekennt, bedarf nun der Kunst ebenso wohl wie das Rudern des Kahnes und das Lenken des Wagens.) Ovid ist aber der gegebene Mann dazu, diese Kunst zu lehren, durch seine ausgedehnte persönliche Erfahrung auf diesem Gebiete. Auf diese beruft er sich wiederholt. Usus opus movet hoc.") Ausdrücklich sagt er ), dass er seine 'Liebeskunst' durch lange Erfahrung zu Stande gebracht habe. Er selbst hat als armer Dichter geliebt und ist daher gerade berufen, den Unbemittelten in der Liebe ein Lehrer zu sein.") Daher weiss er auch von persönlichen erotischen Erlebnissen zu berichten), und verrät uns das Entzücken, mit dem ihn der Anblick einer nackten blendendweissen Schulter erfüllt.) Und ein weiterer Grund, dass er gerade geschickt sei zum Lehrer in der Liebe, ist seine göttliche Berufung. Freilich haben ihm nicht die Musen die Lippen gelöst wie dem Sänger von Askra ), aber Venus selbst hat ihn als artificem tenero praefecit Amori), und unter ihrem beständigen

1) Vgl. Mart. I 4, 8: 4) III 791. 5) II 165. persönlicher Art: II 547 ff.

lasciva est nobis pagina, vita proba. 2) I3f. 3) I 29. 6) III 245. 666. 7) III 309. Weitere Andeutungen 738. III 51. 8) I 27. 9) I 7.

Schutze und Beistande geht ihm das Werk flink von der Hand.1) Ja sie erscheint ihm leibhaftig, ihm Anweisungen gebend, und vollzieht seine Dichterweihe durch das Geschenk eines Blattes aus dem Myrtenkranze, der ihr Haar schmückt.) Neben ihr ist es Erato, die Muse zärtlicher Poesie, die der Dichter um Beistand bittet, den sie ihm nicht versagt.") Und Amor selbst ist dem Dichter ein freundlicher Gott, unter dessen Schutze sein Werk gedeiht. Mit besonderer Vorliebe und Kunst schildert Ovid diese von der Dichtung so oft ausgeprägte holde Gestalt. Er ist ein lieblich schöner Knabe mit einem Flügelpaar, das oft vom Weine feucht ist, er trägt den gefürchteten Bogen mit dem beflügelten Geschoss, und erscheint auch mit der Fackel, dem Symbole der Liebesglut. So zart er ist, ist er doch wild und oft ungefüge, aber da er noch ein Knabe ist, hofft der Dichter seiner Herr zu werden.1)

Wenn so dieses Dreigestirn, Venus, Erato, Amor dem Dichter erotischer Poesie zumal seinen Schutz angedeihen lässt, so ist ihm doch auch der Dichtergott Apollo günstig, der sich auch herablässt, ihm in leibhafter Erscheinung zu nahen.")

Mit glänzender, staunenerregender Virtuosität hat der Dichter seinen Stoff behandelt. Wenn man sich auf den Standpunkt des Dichters zu stellen vermag und das Gedicht nur als solches betrachtet, wird man unbedenklich zugeben müssen, dass es ein Kunstwerk allerersten Ranges, ja dass es Ovids weitaus am besten gelungene Schöpfung ist. Zur Würdigung des künstlerischen Wertes von Ovids Ars ist manches gute geschrieben worden. Hier können nur einige Gesichtspunkte kurz erörtert werden. Da sind eine Menge von glänzenden Bildern weltstädtischen Treibens, die der Dichter bald ausfürlich wie ein wohl ausgeführtes Gemälde vor uns entrollt, bald mit ein paar flüchtigen Strichen nur leise skizzierend aber doch anschaulich genug uns vorführt. Wie stehen dem Dichter die Worte zu Gebote, wenn er uns Rom als den Sammelpunkt all der unzähligen freundwilligen Mädchen schildert, die liebeheischend und gewährend sich in der Hauptstadt umhertreiben. Zahllos sind

1) I 30. II 15. III 769. 2) III 43. 3) II 16. 425. 4) Die Belegstellen für die hier angedeuteten Momente sind der Reihe nach folgende: II 18. I 233. 21. 169. 22. 9. 10. 5) II 493. Vgl. ferner I 232 (Bacchus) 264 (Thalea) 203 (Mars). 6) Am besten Ribbeck in der Geschichte der Römischen Dichtung II 2 p. 263-271.

Vgl. Bernhardy RL. p. 490: „Beide (die ars amatoria und die remedia amoris) zeigen eine gleich sichere Hand, dieselbe Klarheit der Anlage, die feinste Korrektheit und Grazie des Stils; noch mehr glänzen sie durch die fast spielende Herrschaft über das Objekt, durch ausgezeichneten Scharfsinn und liebenswürdige Laune." Hermann Paldamus, Römische Erotik (Greifswald 1833) p. 73: „Der Wert aber, welchen jene Bücher ewig behaupten werden, besteht neben der geistvollen Form in einer unnachahmlich tiefen und richtigen Auffassung des weiblichen Charakters von gewöhnlichem Schlage etc. Daher das psychologisch unübertreffliche Ausmalen aller weiblichen Schwächen, und wie oft auch der Vergleich des weiblichen Herzens mit einer Festung gemissbraucht ist, hier passt er: Ovid lieferte eine vollkommene erotische Strategik." Dann sei noch genannt Manso in den Nachträgen zu Sulzers Theorie der schönen Künste III St. II p. 339 ff.

Ovid, ars amatoria ed. Brandt.

II

sie wie die Ähren auf den Feldern von Gargaros, die Trauben des weingesegneten Methymna, die Fische im Wasser, die Vögel auf den Bäumen oder die Sterne am Himmel.1) Ein andermal führt uns der Dichter an den Eingang des Theaters; hier ist erst ein Leben, ein Drängen, so dass der Dichter wiederum einen Vergleich braucht, um uns eine anschauliche Schilderung zu geben. Zahllos wie die Ameisen oder die Bienen drängen sich die Mädchen ins Theater, um dort zu sehen, doch ebenso um gesehen zu werden.*) Mit glänzenden Farben schildert Ovid einen Triumphzug.) Er führt uns ferner nach Bajae: nicht durch ausgeführte Darstellung, vielmehr durch epigrammatische Kürze weiss er hier in dem einen Distichon

hinc aliquis vulnus referens in pectore dixit:
non haec, ut famast, unda salubris erať

sein Ziel zu erreichen.")

Damit ist die Zahl der Bilder weltstädtischen Treibens, die uns Ovid in seiner Ars vorführt, keineswegs erschöpft; das Leben in den Porticus und den Tempeln, den Haupttummelplätzen der römischen Demimondainen, im Circus und der Arena steht greifbar deutlich vor unseren Augen.5) Nicht minder sind es Scenen und kleine Genrebildchen aus dem täglichen Leben, die uns Ovid mit vollendeter Meisterschaft schildert. Er führt uns zu einem römischen Gelage, und wenn er sagt, dass oft Amor des Bacchus Hörner niederdrückt, so deutet er damit neckisch an, dass nicht nur um des Weines willen ein solches Gelage aufgesucht wird. Hier kann der Liebende die Wünsche seines Herzens in versteckten Worten aussprechen, mit dem Weine werden auf dem Tische geheime Liebeszeichen gemalt, man trinkt und achtet dabei darauf, genau die Stelle des Bechers mit den Lippen zu berühren, an der sie eben getrunken hat. Es würde über den Raum dieser kurzen einleitenden Bemerkungen hinausgehen, alle diese feinen Gemälde und Bilder eingehend zu analysieren.")

Mit wenigen Strichen, aber meisterhaft hingeworfen ist das Bild, das uns das Vorsprechen des Hausierers malt.) Die Begehrlichkeit des Mädchens wird durch das Wort emax vortrefflich geschildert; nun packt der Hausierer seinen Kram vor den lüsternen Augen der Eiteln aus, während du missvergnügt dabei sitzt. Wie raffiniert versteht sie es, das Geld aus deinem Beutel herauszulocken. Nur einmal ansehen sollst du dir die Herrlichkeiten, und wenn du es thust, sucht sie mit Küssen deine Schwachheit zu bestürmen, dass du ihr davon kaufst. Dabei entwickelt sie eine glänzende Beredsamkeit: nur diesmal kaufe es mir, dann bin ich zufrieden für lange Jahre; und gerade jetzt brauche ich es so sehr notwendig,

1) I 57 ff. 2) I 89 ff. 3) I 213 ff. III 387. templa I 75 ff. III 393. III 395. 6) Gelage I 229 ff. 565 ff.

4) I 255-259. 5) porticus I 67 ff. circus I 135 ff. III 396. 7) I 421 ff.

arena I 164 ff.

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