Vorwort. Nehmt es freundlich auf, Ihr Lieben, das Büchlein, das ich Euch heute bringe, und das Euch gewidmet sein soll als ein Zeichen dankbarer Gesinnung. Sind es doch schon mehrere Jahre, dass ich in Eurer Mitte das Glück des Nehmens und Gebens geniessen darf in manchem anregenden und fördernden Gespräche bei fast täglicher Lebensgemeinschaft. In so vielem, was die Hauptfragen unseres Schaffens angeht, wissen wir uns einig; einig wissen wir uns zumal in der unbegrenzten Verehrung und der das Grab überdauernden Liebe zu unserem unvergesslichen Richard Richter. Er hat den Funken der Begeisterung zu unserem herrlichen Berufe, der in uns schlummerte, mächtig angefacht von dem Tage an, da wir zum ersten Male als junge Studenten dem Zauberflusse seiner Rede lauschten. Und als an jenem lachenden Pfingsttage, dessen Sonnenschönheit in solch bitterem Gegensatz stand zu der Wehmut unseres von Trauer zerrissenen Innern, was an Richter sterblich war, zur letzten Ruhe bestattet wurde, da hat jeder von uns, das weiss ich bestimmt, sich gelobt, weiter wirken zu wollen in seinem Geiste und dessen würdig zu bleiben, was wir in schönen Jahren von Richard Richter empfangen haben. Ja bleiben wir ihm treu, dem Manne, dessen Namen die Guten mit Ehrfurcht und inniger Dankbarkeit nennen. So haben wir in frohen Tagen wie in der schweren Zeit der Trauer innig zu einander gehalten. Möge Euch das Büchlein, das ich Euch nun in dankbarer Gesinnung vorlege, ein wenig von der Freude bereiten, die ich bei der Arbeit empfunden habe. Ihr, die Ihr um die Entstehungsgeschichte des Büchleins wisst, erwartet von mir nicht ein Werk im Sinne pedantisch-ängstlicher Philologie. Nicht, weil es mich drängte, eine philologische Arbeit zu liefern, habe ich diese Ausgabe besorgt, sondern nur um das Gedicht als solches war es mir zu thun: es schien es mir reichlich zu verdienen, eine zwar umfassende, aber nicht bis in die tiefsten Tiefen philologischer Minierarbeit hinabsteigende Erklärung zu finden. Dabei lege ich viel Wert gerade auf das Wort 'Erklärung'. Sie ist in unserer Zeit auffällig vernachlässigt worden. Schon sondern ich beabsichtigte, das Verständnis und vor allem den poetischen Genuss des einzig dastehenden Gedichtes zu fördern. Im übrigen muss meine Arbeit für sich selbst sprechen. Noch während ich mit der Abfassung des Büchleins beschäftigt war, habe ich die eine und andere Stimme von sehr urteilsfähigen Männern vernommen, dahingehend, ob es nicht etwas bedenkliches und höchst riskantes sei, das vielberüchtigte Buch einer Spezialbehandlung zu unterziehen. Dafür fehlt mir das Verständnis. Meiner Ansicht nach liegt die Sache so. Entweder ist die Ars vom poetischen Standpunkte aus betrachtet wertvoll oder sie ist es nicht. Im letzteren Falle würde ich mich nie zu einer Bearbeitung dieses Stoffes haben entschliessen können. Ist aber die erste Annahme richtig, so liegt nicht das mindeste Bedenken vor, das Verständnis eines poetisch höchst wertvollen Gedichtes zu fördern. Was ist es überhaupt, was an dem übermütigen Büchlein Anstoss erregen kann? Sicherlich nicht die paar schlüpfrigen Stellen, oder wie Ribbeck (R. D. II2 263) sagt, die „Delikatessen am Schluss des zweiten und dritten Buches". Sicherlich nicht diese, denn sie lassen sich leicht eliminieren, wie denn auch die Übersetzer sie zumeist ausgelassen haben. Wer also von ihnen wirklich eine ernste Gerährdung seiner Moral fürchtet, mag sie getrost auch in der vorliegenden Ausgabe überspringen (II 703-732. III 769-808). Nein, was wirklich Anstoss erregen kann, wäre der Ton, auf den das ganze Gedicht gestimmt ist, der Ton lüderlicher Frivolität, der das Gedicht in genialer Weise durchzieht. Nun Ovid selbst hat ja den Übermut seiner Jugend schwer büssen müssen, und das Jammern und Winseln seiner Dichtungen aus der Tomizeit könnte ja den engherzigen Moralisten mit dem so wohligen Gefühle selbstherrlicher Genugthuung erfüllen. Mir war bei der Lektüre der Ars immer das massgebend, dass wir hier ein poetisches Spiel feinsten Witzes haben, ein Kabinetstück geistvollen Scherzes, das man unbedenklich als Ovids gelungenste Schöpfung bezeichnen kann. Viel noch liesse sich anführen, um eine Bearbeitung dieses Stoffes bedenklichen Gemütern plausibel zu machen: doch wozu? Nur das eine möchte ich noch sagen. Höchst angenehm überrascht wurde ich, als am Schluss des vorigen Jahres die Übersetzung der Liebeskunst von Hugo Blümner erschien. Wenn er es riskierte, das verrufene Büchlein in freier Übertragung einem grossen Publikum vorzulegen, darf man wohl auch einem engbegrenzten Kreise von Fachleuten eine Bearbeitung des Gedichtes zumuten. Doch nun genug. Karl August Böttiger, der Gymnasialdirektor von Weimar, der Mann mit der nimmer rastenden Feder, mag hierin das letzte Wort sagen. Er sagt in seiner Sabina (Leipzig, Göschen 1803) auf Seite 40: ,,Übrigens verdienet diese Kunst zu lieben wegen ihrer wahren Originalität und als das lebendigste Sittengemälde des Augusteischen Roms gewiss einen weit höheren Rang unter dem wenigen, was die Camönen nicht bloss durch griechischen Mund den römischen Sängern offenbarten, dass nur eine einseitige und engbrüstige Moral bis jetzt eine klassische Bearbeitung dieses in seiner Art einzigen Lehrgedichts verhindern konnte." Der vorliegenden Ausgabe liegt der Text zu Grunde, wie ihn Ehwald in seiner bei Teubner erschienenen Bearbeitung gegeben hat. Kritische Bemerkungen sind im Kommentar selbst fast gar nicht zu finden; wo es unbedingt erforderlich war, ist im Anhang das Nötige kurz angegeben: die vorliegende Ausgabe verzichtet, um dies nochmals nachdrücklich hervorzuheben, auf die Kritik und will nur das Verständnis des einmal vorhandenen Textes fördern. In den Anhang verwiesen sind Ausführungen des im Kommentar Gegebenen, Zusätze dazu und weitere litterarische Nachweise. Und nun tritt deine Reise an, Ovids zierliches Büchlein in neuem Gewande. Komm zu denen, für die dieses Gewand zurecht geschnitten ist, und sieh zu, ob du bei ihnen freundliche Aufnahme findest. Leipzig, Pfingsten 1902. Dr. Paul Brandt. |