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interessanten Erlebnisse und Begegniffe, und wenngleich selbst verständlich unter diesen auch diejenigen, welche sich auf Künstler und Kunstwerke beziehen, die ihnen gebührende Berücksichtigung erfahren haben, so hat er doch, wie er selbst sich ausdrückt, ihnen nicht mehr Raum gewidmet, als etwa dem Erzähler in gemischter gebildeter Gesellschaft gestattet sein dürfte. Bilden sie auch den eigentlichen Grundstock, gleichsam den rothen Faden der Mittheilungen, so werden sie doch fort und fort von Erzählung kleiner Abenteuer, Skizzen interessanter Personen, Naturschilderungen, Zügen aus dem Volksleben, Bemerkungen über das staatliche und kirchliche Leben u. s. w. durchbrochen und umspielt, und sie selbst stets in solcher Form geboten, daß sie nicht minder unterhalten als belehren und in kurzen Andeutungen viel Bildendes und Anregendes enthalten.

Die meisten dieser Briefe sind aus und über Pisa geschrieben, wo sich bekanntlich der Autor durch Auffindung unbekann ter Kunstschäße und Hervorziehung vergessener Meister, sowie durch richtigere Deutung und vollkommnere Reproduction und Vervielfältigung gekannter Werke außerordentliche Verdienste erworben hat. Einige derselben beziehen sich jedoch auf die dahin führende Reise und die dabei berührten Städte, wie Verona, Mantua, Bologna u. f. w., andere auf Städte der Umges gend und sonstige Kunststätten, namentlich Volterra, Lucca, Prato und Florenz. Alle die Gemälde, Sculpturen, Bauwerke, welche hierbei kürzer oder ausführlicher besprochen werden, auch nur namentlich anzuführen, würde nicht ohne eine Ueberschreitung des uns zugemessenen Raums geschehen können. Ich bemerke daher nur, daß der Autor als Kunsthistoriker mit besonderer Liebe solcher Werke gedenkt, die uns die Kunst im noch unvollendeten, aber zukunftschwangern Zustande früherer Entwickelungsperioden zeigen, ohne darum dem Laien sein regeres Interesse für die vollkommenern Leistungen zu verargen. „Ich kann“, fagt er in dieser Beziehung mit unbefangenem Urtheil,,, niemand einen Vorwurf machen, wenn er nur das Vollkommene liebt. Es gleichen jene alten Wandmalereien mehr Kindern und Frauen, die eben durch das, was sie alles sein könnten, unsere Phantaste so reizen, daß wir ganz vergessen, daß wir bei unserer Freude thätig sind. Wie ganz anders vor einem Bilde von Leonardo, Rafael, Michel Angelo oder vor einem durchgebildeten Manne! Da nehmen wir in Demuth hin, oder auch wenn du willst in Bequemlichkeit. So unterscheiden sich auch unsere Dichter, und der Umstand, daß sich im Genießen der größte Theil der Menschheit leidend verhält, sichert dem in der Erscheinung Vollendetern seine umfassendere Wirksamkeit." An einer andern Stelle bemerkt er mit Beziehung auf ältere Malereien richtig: ,,Uebrigens wurde mir unter anderm flar, daß für die Anschauungsweise der Künstler jener Zeit durchaus andere Geseze gegolten haben, als später und heute, und es fiel mir Goethe's Ausspruch ein: die Kunst ist lange bildend, ehe sie schön ist, und doch so wahre große Kunst, ja oft wahrer und größer, als die schöne selbst. Dicht nebeneinander sahen wir Schönes und Häßliches, und beides mit gleicher künstlerischer Theilnahme behandelt." Gleichwol ist, wie der Verfasser hätte hinzufügen können, das eigentliche den Künstler zum Schaffen und Bilden antreibende Princip auch auf den frühern Stufen der Kunstentwickelung stets und überall der im Keime und in der Knospe, wie in der Blüte und Frucht sich regende Schönheitsdrang: denn zu allen Zeiten liegt dem echt künstlerischen Schaffen das Verlangen zum Grunde, dasjenige, was dem Künstler gerade als das Höchste und Unabweisbarste gilt, ¡so vollkommen als möglich direct oder indirect zur Anschauung zu bringen: und nur das von innen Herausleuchten dieses Trachtens und Strebens gibt auch den minder vollkommenern Leistungen ihre oft unvergleichliche Bedeutung und Wirkung.

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Nächst der Kunst hat der Verfasser besonders den kirchlichen Verhältnissen ein lebendiges Intereffe gewidmet, und er zeigt hierbei ebenso viel Bereitwilligkeit, die Vorzüge und_Lichtseiten des Katholicismus anzuerkennen, als Offenheit in der Aufdeckung feiner Kehrseiten und Nebelstände. Uebrigens ist er den legtern 1864. 1.

gegenüber mehr Demokrit als Heraklit und unerschöpflich in der Mittheilung erheiternder Züge, welche die Naivetäten der Priester und den Aberglauben des Volks charakterisiren. So schreibt er unter anderm:,, Der Italiener ist bigot, aber nur mit der Phantasie, daher er in die komischsten Widersprüche verfällt. In den genannten Arcaden (zur Kirche della Madonna di S.-Luca zu Bologna) wiederholt sich mehrfach ungefähr folgende mit großen Buchstaben geschriebene Mahnung: «Schreib, o Wanderer, deinen Namen nicht an die Säulen und Wände dieses Säulenganges; denn außerdem, daß dich die festgesette Strafe trifft, ziehst du den Zorn der allerheiligsten Madonna auf dich, der alle diese Säulen und Wände gehören.» Deffenungeachtet war doch auf dem ganzen fast stundenlangen Wege kein Pläßchen mehr an irgendeiner Wand oder Säule, das bequem noch einen Namen hätte faffen können, anderer Dinge nicht zu gedenken. Und nun sollte aber einer die Wunderkraft des Bildes in Zweifel ziehen! Wehe dem!" Troß diesem „Wehe dem!" erlaubt sich unser Wanderer zuweilen, die guten Leute auf die mislichen Seiten ihrer Gläubigkeit aufmerksam zu machen. So kann er nicht umhin, den Pisanern, als sie ihrem Schußheiligen S.-Ranieri für den durch eine Procession von ihm erwirkten Regen Weihgeschenke und Dankopfer bringen, zu erzählen: Bei großer Dürre hatte man im Allgäu auch einmal um Regen gebetet; es ging nach Wunsch, ja so sehr, daß die anhaltende naffe Witterung alle Frucht verdarb; da sagte ein alter Bauer beim Gespräch darüber im Wirthshaus: Und sollte mir das Camisol am Rücken verbrennen, wenn ich über den Büchel gehe, um Regen bitte ich Ihn nie wieder! Und da er dieser Erzählung den frommen Wunsch beifügt, es möge ihnen nicht ebenso ergehen und ihnen noch ein lustiges Geschichtchen von ihrem Heiligen zu erzählen weiß, so lassen sie sich's gefallen.

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Wie gut sich überhaupt die katholische Frömmigkeit mit der Heiterkeit zu vertragen weiß, darüber erzählt er Folgendes: ,,Es wurde im Dom gepredigt, um das Volk zur Dankbarkeit gegen den Heiligen zu ermuntern. Da tritt gerade ein Bauer mit seinem Esel, dem er Del als Opfergabe aufgeladen hatte, an und, aus Bequemlichkeit, in die Kirche. Während das Del abgenommen wird, fängt der Esel sein freischendes Geschrei an, sodaß der Prediger unterbrochen wird. Aber wie wenig ist ihm dies eine Störung! «Hört ihr's», «meine Christen», ruft er, «selbst die unvernünftige Bestie bringt ihr Lob und Danklied dem Herrn; wollt ihr hinter ihr zurückbleiben? Wollt ihr?» und nun spricht er ruhig weiter, als sei nichts vorgefallen." Von der Art und Weise, wie die italienischen Priester predigen, gibt der Verfasser eine sehr lebendige Schilderung. Das Theater", sagt er,,,ift beim Italiener der Typus aller ästhetischen Anregung, und von diesem Gesichtspunkt aus muß auch der Kanzelredner betrachtet werden, der nicht ruhig, wie die unsern, stehend, mit wenigen gemessenen Handbewegungen seine Rede vorträgt, sondern bald sigend, bald stehend, rechts und links gehend, bald zur Gemeinde, bald zu dem an der Kanzelbrüstung befestigten Crucifir gewendet, spricht, und nicht nur mit dem Munde, sondern mit allen beweglichen Gliedmaßen, sodaß oft die Kanzel unter ihm zittert, und mit so vielen Mienen und Gesten, daß es der Worte kaum bedarf, ihn zu verstehen. Er stemmt die Arme unter, er klatscht in die Hände, er zittert am ganzen Körper, wenn er Furcht, er bückt sich tief, wenn er Demuth bezeichnen will, Revolution und Erdbeben schreibt er mit rotirens den Armen in die Luft, die aufgehende Sonne malt er mit seiner eigenen, vom Siz aufstehenden Gestalt. Du kannst dir keine Grenze denken, die er nicht überschritt, wenn es ihm darauf ankommt, lebendig zu schildern und seine Zuhörer und Zuschauer zu fesseln. Er springt aus dem Ton der gewöhnlichen Rede in den erhabensten um und wiederum scherzend und achselzuckend in jenen zurück, ja schließt oft kurz abbrechend in solcher Weise eine ganze Rede." Auch von dem Inhalt solcher Reden gibt uns der Autor ein sehr ergößliches Beispiel; doch müssen wir auf deffen Mittheilung verzichten. Vieles von dem, was uns hier erzählt wird, mag jeßt bereits anders geworden sein oder

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einer Umwandlung entgegengehen; um so mehr aber ist es ers wünscht, Zustände von solcher Eigenthümlichkeit und Ergößlichkeit vor ihrem völligen Erlöschen in der Erinnerung erhalten zu sehen.

Die Briefe der zweiten Reise (im Jahre 1837) datiren aus Venedig, Padua, Ravenna, Urbino und Rom; fie berühren also zum Theil Orte, die sonst von den Reisenden wenig berücksichtigt werden. Sie sind nach ihrer allgemeinen Haltung und Lebensanschauung durchaus den vorigen ähnlich. Der Kunst ist in ihnen verhältnißmäßig ein etwas größerer Raum gewidmet; doch ziehen auch sie leicht und zwanglos alle fich darbietenden Lebensintereffen in Betracht. In bunter Reihenfolge erzählen fie uns von Venedigs Pracht und Verfall, von der Insel Torcello mit ihrer untergegangenen Stadt und dem großen Mosaik bilde im dortigen Dom, von den Giotto'schen Wandgemälden in der Kapelle der Arena zu Padua, von des Verfassers für die Kunstgeschichte sehr wichtigen Entdeckung der Avanzo'schen Wandmalereien in der Georgskapelle neben S. - Antonio, von dem Mangel an öffentlichen Vergnügungsorten, von den alten byzantinischen Bau- und Kunstdenkmälern in Ravenna, namentlich vom mufivischen Votivgemälde in S.-Vitale und S.-Apollinare und dem Baptifterium, von einer dortigen Proceffion, bei der eine Chriftuspuppe in Husarenuniform herumgetragen wird, vom Grabmal des Theodorich, dem Grabmal Dante's u. f. w.; ferner von der schönen Natur, dem schönen Menschenschlag und den intereffanten Erinnerungen an Rafael zu Urbino, von den dortigen alten Freecomalereien in S.Giovanni, Battista, und endlich von der Ankunft im ewigen Rom, von dem Zusammensein mit Thorwaldsen, Veit, Overbeck u. s. w., von seinem dortiz gen Leben, von einem herrlichen Abend im Mausoleum und einem kleinen Abenteuer mit einer dort getroffenen jungen Nōmerin u. s. w., bis ihn die zu Rom ausbrechende Cholera und das drohende Absperrungssystem zu schleuniger Rückkehr nöthigt.

Mit dieser Rückreise beschäftigt sich in mehr einheitlicher, zusammenhängender Form als der gelegentlicher Briefe die dritte Abtheilung. Das Bild, welches uns hier der Autor von den endlosen, aber immer neuen Scherereien und Drangsalirungen, welche fich die Orts- und Sanitätsbehörden ihm und seiner Reisegesellschaft gegenüber erlaubt haben, ist bei dem Humor und der unverwüßtlichen Heiterkeit, mit welcher der Autor seine Schicksale getragen und wiedergegeben hat, eine fortlaufende Tragikomödie, zugleich aber auch ein höchst charakteristisches Sittenbild von den damaligen Zuständen des Kirchenstaats und dem niedrigen Bildungsstande der Bevölkerung. Der Leser wird es nicht ohne großes Ergößen, aber auch nicht ohne ein gelindes Entseßen zu lesen vermögen, und schließlich nothgedrungen in die Bedenken einstimmen, mit denen der Autor auf einen gedeihlichen Fortgang der jeßigen Bewegungen blickt.

Von gleichem Interesse wie diese Mittheilungen aus dem Süden, find die aus dem Norden in den Briefen aus England und Schottland. Liegt es auch in der Natur der Sache, daß hier der Verfasser mehr als flüchtiger Beobachter erscheint, so find doch auch diese Bilder reich an charakteristischen Zügen, schlagenden Bemerkungen und beherzigenswerthen Winken. Für alles, was ihm begegnet, zeigt er ein offenes, unbefangenes Auge, enthusiastische Bewunderung des wirklich Großen und Schönen, aber auch Kritik und Ironie dem blos Anspruchsvollen und Ueberschäßten gegenüber. Die Gegenstände seiner Schilderung find: der Landfig von S. C. Hall, dem Leiter des ,,Art Journal", das Haus eines Duäfers, die englischen Mäßigkeitsvereine, die Unionhäuser der Armenpflege, römische und nors mannische Baudenkmale, die Licht- und Schattenseiten der englischen Eisenbahnen, die Merkwürdigkeiten von Dork, die Temperance- Hotels, die Schönheit Edinburghs, zwei Tage in den schottischen Hochlanden und die Rückreise über Liverpool, Chester, Derbyshire, Chatsworth und St.-Leonards. An Beschäftigung für Geist und Gemüth fehlt es überall nicht. Besonders wird man fich an der Schilderung von Edinburgh, an der wilden Fahrt des Postillons und der Sonntagsbetrachtung erfreuen. 2.

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8. 10 Ngr.

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5. Ein Vermächtniß. Roman von Chariel. Hamburg, Hoffmann und Campe. 1863. 8. 1 Thlr.

Wir beziehen das „neu“ unsers Titels nicht allein auf die Jahreszahl 1863, welche sämmtliche vorbezeichnete Werkchen tragen, sondern auch auf die Namen ihrer Verfasser, die uns wenigstens in der deutschen Literatur ziemlich neu klingen, sodaß wir es hier wol mit lauter Erstlingen zu thun haben, Nr. 1 abgerechnet, das auf dem Titel ein,,Opus III" trägt; doch auch damit versehen mag ein. Verfasser noch verzeihen, unter die Neulinge gerechnet zu werden, wenn er so auftritt wie der hier betreffende. Und so hätten wir denn wieder einmal einen Zus wachs im Garten der Belletristik, in dem man sich ohnehin schon vor dem üppigen Wuchern der Sträucher, Blumen- und Blattpflanzen, wie selbst des Unkrauts kaum mehr zu orientiren vermag. Nur hier und da erheben sich noch einzelne prächtige Blütenbäume, die von allen Lustwandlern des Gartens gesucht, gefehen und begrüßt werden; was aber so auf den Beeten bunt durcheinanderwächst, das vermag kaum noch die Hand des Gärtners in verwandte Gruppen zu sondern und zu ordnen, und meist entscheidet der Zufall darüber, ob dies und jenes zusammensteht und vor andern bemerkt wird.

Wir haben diesen Zufall auch bei der heutigen Zusammenstellung walten lassen, denn im Grunde haben die vorliegenden Bücher außer dem obenerwähnten Merkmale wenig Gemeinsames als den Zweck, dem Bedürfniß momentaner Unterhaltung zu dienen.

In,, Leicht geschürzt“ (Nr. 1) bietet C. Spielmann seinem ziemlich materialistischen Motto folgend: „Möge ich der Tafelfreunde so mannichfaltige haben, als die Speisen verfchieden find“, allerdings sehr Verschiedenes für verschiedenen Geschmack. Une sagt die erste Erzählung,,Hortensie“ in ihrer Skizzenhaftigkeit noch beffer zu als die unendliche Breite, welche in dem,, Wanderbuche eines alten Landstreichers" und dem Genrebild aus dem kleinstädtischen Alltagsleben: „Die Damen von Jägerburg", waltet. Hortensie in eine fofette Abenteurerin, die mit wenig Pinselstrichen lebenswahr gezeichnet und vor uns hingestellt ist: es gibt solche Frauen und solche Schicke fale und wir bewunderten anfangs den Verfasser um seiner Kärze willen, mit der er sich die Gelegenheit entgehen. ließ, seinen reichen Stoff zu einem größern Roman zu gestalten; um so mehr waren wir aber erstaunt, in den folgenden Skizzen und Erzählungen eine Redseligkeit und Weitschweifigkeit zu finden, welche die gegebenen realistischen Genrebilder aus dem Alltags- und Vagabundenleben fast ungenießbar machte.

An Nr. 2:,,Novellen“, hat der Verfaffer derfelben, Mar Fuchs, noch einen besondern Zweck geknüpft. Er hat den Reinertrag seines Buche für den augsburger Pensions Verein für Arbeiter und deren Witwen bestimmt. Auch er bietet sehr Verschiedenes. Die erste Erzählung:,,Herzog Arnulf I. von Baiern", spielt nach dem Tode König Konrad's I. 919, und bes handelt den Streit des Titelhelden und des Herzogs Heinrich von Sachsen um die deutsche Kaiserkrone. Hier hat sich der Verfasser treu an das Historische gehalten, doch sieht es damit bedenklicher in der Erzählung „Ulrich Schwarz, der Bürgermeister von Augsburg“ aus. Es wird hier ein Stück aus der

reichsstädtischen Geschichte des 15. Jahrhunderts vorgeführt, das man erst sorgfältiger untersuchen muß, che man gleich den Verfaffer verdammt und selbst Partei nimmt. Der Adel und die alten Patricier waren um jene 3eit (1474) immer die ersten Rebellen, die in einer Stadt Unfrieden anfingen, sobald fle_fich in ihren alten Vor- und Unrechten, den Privilegien ihrer Willkür gefährdet sahen, und wenn sie dann über die Ungerechtig Feiten zünftiger Bürger und ihres Bürgermeisters" schrien, und felbft Kaiser Heinrich III., der doch den ewigen Landfrieden stiftete, ihnen recht gibt, und die Stadt mit 6000 Goldgulden dafür straft, daß sie die Pferde der adelichen Herren zurückbehielt, die ihre Schulden nicht bezahlen wollten, so sollte doch ein Schriftsteller des 19. Jahrhunderts nicht mit darüber schreien und aus dem Sieg des alten Patricierthums und der Adelspartei einen Sieg der guten Sache machen. Die leßte Erzählung: 3wei Arbeiter", ein Sittenbild aus unserer Zeit, ist zwar ein wahres, aber ziemlich triviales Gemälde, und zeigt uns der Verfaffer gleich dem vorigen einen ziemlich überwun denen patriarchalischen Standpunkt, wennschon wir seinen guten Willen, ehren.

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Die Verfasserin von,, Herzog von Buckingham“ (Nr. 3), Anna Goetsch, widmet mit kindlicher Liebe ihr erstes Buch" ihrer Mutter. Da die Verfasserin demnach noch jung zu sein scheint, so wundert es uns um so mehr, daß sie die Zeit der größten Greuel aus der englischen Geschichte, die Zeit Richard's III. zum Stoff eines ersten Romans gewählt. Uebrigens hat die Verfasserin dabei nicht nur ernste Studien gemacht, sondern auch den gegebenen Stoff poetisch ausgeschmückt und zeigt in ihrer ganzen Schreibweise ein wohl zu beachtendes Talent.

Ueber die „Briefe des deutschen Yorik an Elisa“ (Nr. 4) und den Zweck dieses nur vier Bogen starken Schriftchens sind wir uns eigentlich völlig unklar. Den Titel versucht der ungenannt gebliebene Verfasser, der zugleich sich selbst für den Helden und deutschen Vorik ausgibt, in einem als Vorrede geschriebenen Briefe zu erklären:

,,Daß der Verfaffer fich Vorik nennt und eine Nachahmung des englischen Schriftstellers L. Sterne hiermit darzubieten scheint, resultirt theils aus der Aehnlichkeit mit den Verhältnissen und Zuständen jener classischen Briefe, theils aus dem Umstande, daß die gemeinschaftliche Lectüre der Schriften Sterne's gerade bei den handelnden Personen an der Reihe war, als sie um den nordischen Theetisch allabendlich sich versammelt hatten. Es ist mithin die Annahme der Namen weder eine Apotheose des Autors, noch eine weiter gesuchte Vergleichung, sondern ein vollständiges Ergebniß des zur Form sich gestaltenden Inhalts."

Wer Sterne's„Empfindsame_Reise durch Frankreich und Italien" nicht gelesen, dem fehlt für das vorliegende Schrift: chen die nöthigste Unterlage, und es möchte heutzutage doch viele gebildete Leser geben, die nicht Zeit und Geduld genug besaßen zu dieser classischen Lecture, die unsern gegenwärtigen Anschauungen und Interessen so wenig gemäß ist, und wer der englischen Sprache nicht mächtig ist, dem ist die vorliegende Broschüre ebenso wenig anzurathen, denn nur theilweise ist den vielen englischen Citaten die deutsche Ueberseßung beigefügt. Ebenso ist es mit den seltenern französischen. Dennoch wollen wir nicht sagen, daß es nicht mehr deutsche Leser geben wird, welche der Ueberseßung nicht bedürfen, als solche, welche das überschwengliche Deutsch des Verfassers und seinen Standpunkt zu verstehen und zu goutiren vermögen. Dies Gemisch von Mystik, Unmoralität und Sentiment, das zur Zeit, da Sterne schrieb, die Herzen noch sympathisch rühren konnte, fann heute doch nur noch einen widerwärtigen oder gar keinen Eindruck hervorbringen. Ein alter verheiratheter Mann, der eine junge verheirathete Frau liebt, seine eigene Tochter zur Vertrauten dieses unfittlichen Verhältnisses macht, das er als,,den Willen des Heilandes" bezeichnet, ist uns doch kein poetischer Held

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mehr! Endlich, als Vorik scheidet, um als Missionar nach Nisbath Bath zu gehen, schreibt er an Elisa (die geliebte Frau):

„Elisa und Yorik haben sich verlobt für den Fall, daß sie einmal, und wäre es auf ihren leßten Lagerstätten, frei sein sollten, also im Glauben auf Hoffnung, da nichts zu hoffen war (Röm. 4, 18). Mit dem gegenseitigen Gelöbniß ist Ruhe in die bewegten Gemüther eingefehrt, und mit der Sicherheit eines wenn auch fraglichen künftigen Befißes relativ doch ein Glück erreicht. Will der Heiland diesseits die Bänder lösen, mit welchen sie gebunden sind, so geschehe sein Wille; unser gemeinsames Gebet jedoch gehe nur auf den Heimgang. Noch einmal also, Elisa, bist du bereit, wenn du frei werden solltest, dich deinem Vorik, sei es auch auf dem Todtenbette, antrauen zu lassen, wie du erklärt hast, so nimm auch mein Jawort hier schriftlich, und ich wünsche für die Trennung nur noch einen Ring als Symbol dieses unsers ungewöhnlichen seltenen Berlöbnisses. Lehne dich an meine Brust in Gedanken, wie an jenem Sonntage auf jener Wiese im Entzücken über des Frühlings Schönheit und Wonne. So lange dies Herz schlägt, dessen Klopfen du damals gehört haft, so lange wirst du an mir deinen Freund, deinen Bräutigam haben. Nun aber muß auch eine normale bürgerliche Stellung der Anfang unserer neuen Zeit werden. Du, mein Seraphim, lebst zur Zeit fort deinen Kindern und deiner Pflicht, und mich wird der Heiland gürten, ob auch mich dahin führen, wohin ich nicht will (Joh. 21, 18). Daß er uns räumlich trennen muß, liegt in der Natur unserer Liebe, die, obwol eine Liebe ohnegleichen, doch die Liebe zweier Creaturen ist. Dafür werden unsere Seelen von der Phantasie über Meere und weite Räume getragen werden und Briefe hin und her ausgetauschte Gedanken und Gefühle vermitteln."

Dies zum Beweise, daß unser obiges Urtheil wol kein zu scharfes ist und daß wir der blühenden Phantaste des Verfassers einen andern Inhalt gewünscht hätten. Ueberaus ansprechend aber find die beigegebenen Gedichte, und befunden ein sehr hübsches lyrisches Talent. Eine derselben möge hier folgen:

Die Nacht mit ihren Schwingen
Fächelt die Blüten zur Ruh',
Es wiegen die Weste und fingen
Das Schlummerlied dazu.

In jeder Wiege ein Pärchen,
Verdeckt mit grünem Flor,
Die Mücke schwirrt ein Märchen
Noch der und jener ins Dhr.

Und jeder füßt die Locke
Gin Elf in grüner Tracht,
Es wünscht die Abendglocke
Allen noch gute Nacht.

Und als beim lezten Schalle
Wieder mein Blick sie traf,
Da waren die Blüten alle
Gesunken in tiefen Schlaf.

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„Ein Vermächtniß“ (Nr. 5) von Chariel ist ein Gegenstück zu dem vorhergehenden; auch zu diesem und zu Sterne könnte Herr Neeram, ein amerikanischer Kaufmann, wie bei Werther's Leiden" sagen: Guter Werther, heutzutage gibt's ganz andere Leiben!" Chariel schreibt als ein zweiter Sealsfield; der Schauplay seines Buchs ist Amerika, wie es scheint ein Sklavenstaat Südamerikas, aber Orts- und Gegendnamen find nicht genannt,,,Santa-Clara bei ***“ ist die einzige Bezeich nung. Chariel hat Sealsfield's bündige Kürze, sein glänzendes und prachtvolles Colorit, feine scharfe, mit wenig Worten und Strichen abgemachte Charakterisirung von Menschen und Zuständen; dem Stoffe nach ist aber sein Roman ein amerikanifirtes,,Soll und Haben". Ein junger Kaufmann, Armahn,

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nur

bekommt eine Stelle in dem großen Handlungshause einer großen amerikanischen Stadt. Die Briefe, die er von dort an einen Freund schreibt, bilden mit wenig andern dazwischengeschobenen den Inhalt des Buchs. Armahn hat es mit verschiedenen Principalen zu thun und beschreibt das amerikanische Geschäftsleben fo genau, nur interessanter durch Stoff und Schreibweise, wie Freytag das deutsche. In dem Riesenhause „Trubatius, Hinkent und van Damm" wird er fast überhäuft mit Arbeit, wie es Hinkent selbst ist, der Tag und Nacht keine Ruhe hat auf Gewinn bedacht, verzichtet er auf jeden Lebensgenuß, und Armahn schreibt:,,It denn aber denen wol zu helfen, die sich an ein starres Metall anflammern! Aus Gräbern ist es heraufs gestiegen, und ihm folgt ein finsterer Geißt. Unbegreifliche Gewalt, mit der dieser Dämon ringsumher alles bezwingt! Ich aber troße ihm, um so eigener Kraft bewußt zu werden! Eines Kerns, vor dem die ganze Welt zurückprallt!" Aber wo bleibt dies Gelübde? Er verlobt sich mit Mathilde, einer Gesellschaf= terin in Hinkent's Hause und heirathet fie. Geld verdienen, das ist jest die Losung; Geld verdienen und Geld ausgeben.“ Da sest ihn ein altes Fräulein, das ihn heimlich geliebt, zum Universalerben ein. Der erschütterte Armahn will nach Deutschland zurück, seine Erfahrungen für andere benußen, glücklich im Vaterlande leben; aber seine Frau weigert, sich, ihre Heimat zu verlassen, er bleibt und wird Theilnehmer der obigen Firma. Er wird reich und lebt in Genüssen aller Art, ohne je befrie digt zu sein. Seine Frau, die ihm nicht genügen kann, will er doch durch Einschränkungen nicht unglücklich machen. Er schreibt darüber: Wo der Ernst des Lebens nicht Wurzel geschlagen hat, bevor die Sinnlichkeit in Glut gerathen, da wird der Boden ausgedörrt; was dann noch wächst, schießt schnell empor; doch schneller noch ist es wieder verblüht. Laß mich darum dreißig Wachskerzen anzünden, statt eines Lämpchens: alles was fo ein kleines Weibchen hat, diese Perlchen, diese Steinchen, das lebt ja nur im lichten Element!" Aber diese Frau wird ihm untreu, mit dem Bruder des Mädchens, das er selbst ent= fagend liebte, sein Kind wird geraubt und als Sklave verkauft, die Krisis bricht herein, der Concurs ist da.

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Die Reformen des Zaren Alexander sowol, wie auch neuerdings der polnische Aufstand haben die Aufmerksamkeit im ers höhten Grade auf Rußland gelenkt. Diesem Umstande verdanfen eine Menge von Büchern ihr Erscheinen, welche mehr oder minder Licht über die russischen Zustände zu verbreiten suchen, zum Theil auch wol den Stoff zur Agitation benugt haben. Mehrere solcher Werke liegen uns vor und behandeln Rußland und seine Zustände von den verschiedensten Seiten, zum Theil in Form von eigenen Erlebnissen, zum Theil in objectiven Schilderungen. Es wäre unrecht, den einzelnen Schriften ein gewiffes Intereffe abzuftreiten; doch im allgemeinen bieten fie Atofflich wenig Neues von Wichtigkeit und hauptsächlich Bekanntes, nur in verschiedener Form. Der russische Barbarismus, feine Militärwirthschaft und die Beamtenbestechung treten vornehmlich als diejenigen Gegenstände hervor, die hier von den Autoren behandelt worden find; daneben ist mancher schäßenswerthe Beitrag zur Kenntniß der fernerliegenden russischen Gebiete, wie Sibiriens, Orenburgs und des Kaukasus, mit durchgeflochten. Zu bemerken ist jedoch, daß sämmtliche Schriften noch das alte Nikolaus'sche Rußland behandeln und die Wirkungen, welche das humane, fittigendere Regiment Alerander's bisher hervorgebracht hat, nirgends berührt worden find oder fein konnten. Gerade dies wäre aber von besonderm Interesse; denn wenn auch vieles in Rußland noch so sein mag wie unter dem Zaren, der mit eiserner Faust Millionen von Menschen unter

dem empörendften Sklavenjoch hielt und dessen Größe sich in nichts weiter kennzeichnet, als in einer Tyrannei ohnegleichen, so können doch acht Jahre eines moralisch bessern Regiments gerade wohlthätig nach denjenigen Richtungen gewirkt haben, welche in den uns vorliegenden Schriften hauptsächlich ins Auge ge= faßt sind und durchaus nur die bekannten Schattenseiten Rußlands betreffen. Es würde aber von doppeltem Interesse sein, hierüber unbefangene Mittheilungen zu erhalten, da durch das Auftreten der Rufsen in Polen, durch dies echt Nikolaus'sche gewaltsame System der höchsten Verachtung gegen den Menschen und die menschliche Würde im Auslande längst wieder die gute Meinung verwischt ist, welche einige Jahre infolge der refor= matorischen Thätigkeit oder besser gesagt Absicht Alexander's II. plaßgegriffen hatte. In der Hauptsache scheint das russische System noch immer dasselbe zu sein, nach denselben Grundsägen gehandhabt zu werden.

Wundern kann es nicht, daß die abstoßendsten Seiten dieses Systems von Polen geschildert werden. Die Polen haben sich von Rußland nie freundlicher Behandlung schmeicheln können und neuerdings tritt das Moskowiterthum auf, als wolle es die Reste dieser unglücklichen Nation mit allen nur erdenks lichen Mitteln der Gewalt gänzlich ausrotten. So haben denn die Polen keine Ursache, Rußland zu schonen, und was fie erlebt, ist auch nichts anders als eine empörende Behandlung, wie sie mit dem Begriff,,russisch" wol noch lange Zeit verbun den sein wird. Troßdem ist von diesen Schilderungen das rein persönliche Motiv in Abrechnung zu bringen, welches mehr oder minder fanatisch die allgemeinen Zuslände nach persönlichen Erfahrungen bemißt.

Besonders mit solcher persönlichen Stimmung erfüllt ist das Buch:

1. Meine Kerker in Rußland. Denkwürdigkeiten von J. Gordon, Bürger der amerikanischen Freistaaten. Aus dem Polnischen überseßt von Paul Fuchs. Zwei Theile. Leipzig, Kollmann. 1863. Gr. 16. 1 Thlr.

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Der jeßige Bürger der amerikanischen Freistaaten" erzählt darin feine Erlebnisse von 1846-54, die allerdings nicht eben angenehm find. Als neunzehnjähriger Mensch wurde er wegen seiner verdächtigen und im Wirthshause geäußerten Pos lengesinnung verhaftet, auf die Citadelle nach Warschau geschickt, dann nach Kiew transportirt, um in einer Strafabtheilung zu dienen. Wie überhaupt das Ganze erfüllt ist von polnischem Enthusiasmus und tiefstem Russenhaß, so werden auch die einzelnen Erlebnisse in diesem Geifte erzählt. Dadurch wird das Buch sehr phrasenhaft und verliert viel an überdies wenig durch stofflichen Inhalt gebotenem Interesse. Später schickte man dies Opfer der russischen Willkür nach Orenburg in ein Regiment, und als man ihn später begnadigt, um als ehrlicher Soldat in der Krim mitfechten zu können, benußt der junge Mann vernünftigerweise die Gelegenheit einer freien Marschroute, um nach Polen zu entwischen und dann weiter nach Amerika zu gehen. Die eingeflochtene Beschreibung der Kirgis sen und ihrer Zustände bietet wenig dar, was nicht schon allgemeiner bekannt sei.

Ein ähnliches Werk ist

2. Meine Erlebnisse in Rußland und Sibirien während meines Aufenthalts daselbst, meiner Gefangenschaft und Flucht. 1843-46. Von Rufin Piotrowski. Nach dem Polnischen von L. Königk. Zwei Bände. Posen, Merzbach. 1862. Gr. 8. 2 Thlr. 15 Ngr.

Der Verfasser ging im Jahre 1843 als polnischer Emissar aus Frankreich nach Galizien, dann nach Podolien; in Kami niec trieb er unter der Maske eines französischen Lehrers revolutionäre Agitation, ohne daß jedoch ersichtlich wird, zu welchem Zweck und in welchem Plane dies geschah. Was der Verfaffer darüber mittheilt, sieht nur nach der Laune zum Aufwies geln aus. Die Rufsen verstehen damit keiner Spaß und sie haben

nicht unrecht, einen Aufwiegler, der leichtsinnig unter ihren Augen sein Wesen treibt, unschädlich zu machen. Piotrowski wird also eines schönen Tags gefangen, inquirirt, muß gestehen, daß er ein verkappter Pole ist und gewühlt hat, also: fort nach Sibirien! Der Verfasser, der seine Reise von Paris aus in der gewöhnlichen Manier eines Touristen und ohne besonderes Intereffe beschrieben hat, erzählt nun weiter seinen Transport nach Sibirien und sein Leben daselbst. Der ganze zweite Band ist mit Studien und Mittheilungen über Sibirien ziemlich gefüllt, und dies ist der werthvollste Theil des Werks. Die Schilderungen, auf Autopsie beruhend, erstrecken sich über das Leben der Deportirten daselbst, über die ursprünglichen Bewohner Sibiriens, sein Klima, seine Industrie, Verwaltung, Geseze u. s. w., die in vieler Hinsicht werthvolles Material enthalten. Ein bes sonderes Kapitel widmet der Verfasser den Polen in Sibirien, die nach einem eigenen System daselbst colonifirt und ruffificirt werden, und deren Zahl er auf etwa 50000 schäßt, welche lediglich infolge der Revolutionen seit 1831 deportirt wurden. Neuerdings dürfte diese, offenbar nicht zu hoch gegriffene Zahl merklich gestiegen sein. Selten sieht von diesen Colonisten einer sein Vaterland wieder. Selbst wenn ein Pole nur zu fünf Jahren Deportation verurtheilt wurde, so wird er nach Ablauf dieser Zeit durchaus noch nicht frei, sondern hat dann erst eine Befferungszeit von abermals fünf Jahren in Irkutsk auf ,,Pochielenin" zu bestehen, dann wieder fünf Jahre aus Gnade" in Tobolsk, wo er unter Polizeiaufficht kommt. Wird er nochmals,,begnadigt", so wird er wieder fünf Jahre in ein russisches Gubernium internirt, dann kann er erst nach seiner Heimat zurück, aber erst wieder nach fünf Jahren nach seinem väterlichen Hause, wenn dies noch steht, wo er dann mindestens noch fünf Jahre unter Polizeiaufsicht ist. Wer sonach auf fünf Jahre nach Sibirien deportirt wurde, ist auf 30 Jahre kein freier Mensch mehr. Man kann sich denken, wie der Verfasser dies Nikolaus'sche System_verherrlicht. Das Buch schließt mit der fabelhaft klingenden Flucht von Sibirien über den Ural, die Wolga, Archangel, Schlüffelburg, Petersburg, Riga nach Ko nigsberg, wo der Verfasser allerdings abgefaßt" wird und ausgeliefert werden soll, indeffen aus Mitleid Gelegenheit erhält, zu entspringen und drei Jahre später wieder nach Frankreich zu kommen.

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Gleichfalls von einem Polen ist das Werk verfaßt: 3. Die Bergvölker des Kaukasus und ihr Freiheitskampf_gegen die Russen. Nach eigener Anschauung geschildert von TheoPhil Lapinski (Tefik Bei). Zwei Bände. Hamburg, Hoffmann und Campe. 1863. 8. 2 Thlr. 15 Ngr.

Lapinski ging nach Beginn des orientalischen Kriegs nach Konstantinopel in der Absicht, ein Freicorps von Polen anzuwerben und damit die Kaukafier zum neuen Aufstand gegen die Ruffen zu bewegen, den Kampf mit ihnen gemeinsam zu führen. Der Plan kam allerdings, weil er wenig Unterstügung von der Pforte fand, nur kläglich zur Ausführung, doch ward Lapinski als Tefik Bei Oberst und Commandant einer polnischen Schar in Kaukasten, mit welcher er zwei Jahre lang, im Verein mit den Abasen, die fälschlich gemeinhin Tscherkeffen genannt wer den, den Russen Scharmüßel lieferte, ohne daß jedoch besondere Folgen daraus entsprangen. Als die Verbündeten abzogen aus der Krim, rückten die Russen gemächlich wieder in Kau kafien ein, nachdem sie noch den entscheidenden Schlag bei Kars gegen die Türken geführt. Aber das Werk hat in doppelter Be ziehung Anspruch auf Theilnahme; einmal sind die Abenteuer des Autors während dieses Gebirgskriegs sehr interessant und gestatten rollen Einblick in die Art und Weise desselben, andererseits sind reiche Landes- und Sittenfchilderungen damit verflochten, welche das Bekannte über die Kaukasier und ihr Land vielfach ergänzen, berichtigen und bestätigen. Wiederholungen find freilich nicht selten; doch im allgemeinen ist das Buch sehr anziehend und lehrreich geschrieben, wiewol der polnische Haß und der Unmuth über die theilweise vereitelte Hoffnung auf eine

Unternehmung im Großen die Urtheile über Nußland und die Türkei erfüllt. Das Résumé des Werks ist schließlich der Nachweis, daß die Wiederherstellung Polens im europäischen Intereffe geboten ist, um der furchtbaren Macht Rußlands, welche halb Asien schon verschlungen und die der Verfasser schon bis nach Indien und China sich in nächster Zukunft erstrecken sieht, in Europa einen Damm entgegenzuseßen.

Die beiden übrigen uns vorliegenden Werke sind von Rufsen verfaßt und deshalb objectiver. Namentlich ist dies der Fall mit

4. Lebensbilder aus Rußland und was ich sonst erlebte und beobachtete. Von einem alten Veteranen. Mit drei An= fichten aus Orenburg. Riga, Kymmel. 1863. Gr. 8. 1 Thlr. 15 Ngr.

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Dieser alte Veteran", ein Deutscher, der 1813 in rusfische Militärdienste trat und seitdem Russe blieb, schrieb aus Neigung zur Thätigkeit viele,,,eine Unzahl“ von Auffäßen für die Blätter der russisch deutschen Ostseerrovinzen. Es waren Schilderungen russischer Zustände, Jagd- und Kriegsbilder, national - ökonomische Skizzen, geologische Beobachtungen, Reisen u. s. w., von denen der Verfaffer hier eine Auswahl getroffen hat. Die Arbeiten fesseln durch Einfachheit und Treue der Schilderung und greifen zuweilen tiefer in die Schilderung rufsischer Zustände ein. Von besonderm Intereffe ist das Kapitel über die Emancipation der Bauern in Beziehung zur neuen Rechtspflege, weil es das einzige ist, welches neuere Fragen Rußlands berührt. Der Verfaffer meint, daß durch das „frü here (corrumpirte) Beanitenwesen und durch das unbeschränkte Bojarenthum einer frühern alten Zeit" den Bauern der Begriff für Recht und Unrecht verloren gegangen sei und deshalb die jeßige Emancipation fie zu einer Art Rebellion verleite. Indessen ist er ein Freund dieser liberalen Politik, wenn er auch die Schwierigkeiten, die ihr entgegenstehen, nicht abzuleugnen sucht. Ueber das Gouvernement Orenburg, wo der Autor frü her einen höhern Beamtenposten bekleidete, werden höchst anziehende Schilderungen überwiegend national-ökonomischen und ethnologischen Charakters gegeben, darunter auch eine Beschrei bung der kostbaren und großen Steinsalzlager von Ilezkaja Scaschitta bei Orenburg.

Trefflich und von ganz eigener Art ist das Werk:

5. Aus dem Volksleben Rußlands. Aus dem Russischen des Schtschedrin (Saltikoff). Berlin, H. Müller. 1863. 8. 1 Thlr. 71⁄2 Ngr.

In den Jahren 1856 und 1857 erschien in einer moskauer Zeitschrift eine Reihe von Artikeln über das Beamtenleben in Rußland, die ein so allgemeines Aufsehen erregten, daß fie ge= sammelt und in den Buchhandel gegeben wurden. Merkwürdig ist dabei, daß diese kleinen, allerliebsten, in der echten, frischen russischen Weise, wie die zarten Turgenew'schen Novellen, geschriebenen Auffäße die Corruption und Bestechlichkeit der Beamten in Form von den verschiedensten Selbstgeständnissen und mit einer beißenden Ironie schilderten und die kaiserliche Censur die Publication solcher Schriften gestattete. Es scheint, als habe die Regierung sogar diese volksthümliche Zeichnung der Beamtencorruption gewünscht, um ihr einen Schlag zu verseßen. Der Verfasser ist der jeßige Vicegouverneur Saltifow, der unter dem Namen Schtschedrin sich durch dies Werk einen wohlverdienten Ruf erworben hat. Er kennt alles, wie es im,,Gou vernement" ist, wie der Jsprawnik, der Landrath, die Bauern plündert, wie das Volk diese Polizeiwillkür auffaßt, wie die niedern Beamten thun, was ihr Vorgeseßter thut und mit einer Gemüthlichkeit ohnegleichen auch wol selber Ukase fabriziren und die Leute besteuern, wenn sie vor Plackereien sicher sein wollen. Die Skizzen sind voller Humor und novellenartig geschrieben; das Volksleben Rußlands wird darin mit den feinsten Farben gemalt, der Grund des Uebels ebenso geistreich wie in wohlwollender Ironie angedeutet. Das Buch verdient auch in

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