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Vorfoderungen ihr beide erfüllt habt, wenigstens

für mich.

Heidelberg, September 1818.

Herzlichen Dank für Deine Herzensworte über den Shakspeare. Im Ganzen sind wir einverstanden über Wortstellung; Du hast mündlich solche Schlegel-Perioden mitverdammt, wo zierlich und langweilig endlich das Verbum eintritt, und wir wenigstens am Schluß erfahren, wovon die Rede ist. Nur kann man auf der Gegenseite zu weit gehen, und das geschah an den von Dir bemerkten Stellen, bei meinem Vater aus zu großer Consequenz, bei mir aus Unbeholfenheit. Unser Verkehrtes liegt nicht in Regel und Grundsaß, sondern in der Anwendung an einzelnen Stellen. Unsre Fehler können gewöhnlich durch Umstellung und Glättung getilgt werden; die Schlegelschen nur durch Umschmelzung. Was Schlegel über Sprache und Wortstellung kritisiren mag, fümmert mich nicht (seine Stärke und Größe steckt anderswo); er will eben in der Poesie das Nervlose, wie seine mühsam hervorgedrückten und dann zierlich geleckten Poesien beweisen. Was aber dem wärmsten und phantasiereichsten unsrer jest lebenden Dichter anstößig ist, das muß auch Ver

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stockte aufmerksam machen, und zu den Verstockten gehören Gottlob die Vosse nicht.

Shakspeare's Zeitalter war ein herrliches; das gesellschaftliche Leben hatte eine Bildung, von der heut zu Lage nur wenige wissen, und selbst in den gezierten jener Zeit lag Fülle von Kraft. So war es bei jedem hervorstrebenden Volke, bei den Spaniern zur Zeit ihrer Blüthe, bei den Portugiesen; und selbst die Holländer führten um die Zeit des Abfalls und nachher ein wahrhaft großes Leben. Wie prosaisch sind jeßt die Engländer geworden, seitdem sie vom Gewinn jener großen Zeit zehren! Ich will von nun an jede Gelegenheit wahrnehmen, alles Charakteristische vom Leben jener Zeit in der Kürze zu erzählen, wobei der weitschweifige Nathan Drake mein Führer sein soll.

Heidelberg, 16. Oktober 1818.

Gestern Abend hat meine Mutter mich von Weinheim (an der Bergstraße) abgeholt, wo ich vier selige Herbsttage zugebracht. Der Herbst war mir von jeher die liebste Jahrzeit, wie der Abend die liebste Tageszeit; und nun ein Herbst wie dieser, wo jeder folgende Lag die früheren zu übertreffen strebt! Da ist denn recht breit und tief gefaulenzt worden

von dem Augenblick an, als ich, nach dem Schluß meiner Hamlet-Anmerkungen, mit Grimm *) denZauberwagen bestieg, der uns in sein Feenschloß brachte. Schon vor 7 Uhr jedes Morgens bestiegen wir die Weinberge, bald diesen, bald den, erfreuten uns der im Chal liegenden Nebelstadt und des blauen Himmels über uns, bewillkommten die hübschen Winzerinnen, lasen und sangen und jubelten mit ihnen, sorgten dafür, daß ihnen Herz und Kehle geschmeidig blieben, und so ging es den ganzen Tag hindurch, bis eine angenehme Müdigkeit uns im erquicklichen Schlaf die Traumwelt aufschloß. Himmel, welch ein Hunger saß in uns, wenn wir Mittags und Abends um die Haustafel uns sammelten! und welch eine Lafel! Nichts als Spanferkel, Schnepfen und Feldhühner, und dazu der edelste Rheinwein von 1802 und 1811. Und nun laß mich mit ernster Freude hinzufügen, Du edler Jean Paul, nie waren wir so recht innig froh, ohne daß Deiner gedacht ward, und ich weiß noch nicht zu sagen, ob in der kräftigen Erinnerung an Dich das Gefühl der Ehrfurcht, oder der Liebe, oder des Dane

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*) Professor Albert Grimm, Verfasser mehrerer Jugendschriften.

fes vorwaltete; aber das weiß ich, daß oft die Augen sich feuchteten, wenn wir von Dir sprachen.

Sollte Cherubim als Singular nicht zu vertheidigen sein? Daß es falsch ist, lehrt die hebräische Grammatik; aber alte Kirchenlieder und überhaupt geistliche Bücher haben's. Drum möchte ich nicht, Du tilgtest es im Siebenkäs.

Was mich zeither warm und angestrengt beschäftigt hat, ist die Ergründung von Hamlets Handlungsweise. Schlegel hat unstreitig Recht, daß er in Hamlet einen philosophischen Grübler erkennt, der über dem Streben, alle möglichen Fälle der Zukunft zu erschöpfen, das Handeln vergißt, und zu Grunde geht. Aber wie kommt er dazu? Das erklärt Schlegel so wenig, wie Göthe im Wilhelm Meister, noch Hegel, im Gespräche mit mir, der Hamlet für ein zartes Gemüth ansieht, das aus einer Art von jungfräulicher Scheu vor Blut und Mord die vom Geist auferlegte Rache unterläßt. Schlegel und Göthe stehn sich übrigens schnurstracks entgegen, indem Göthe im Hamlet einen Ausbund von Trefflichkeit erkennt, Schlegel dagegen ihm arge Fehler, z. B. Lug und Trug gegen sich und andere, tückische Schadenfreude, und dergleichen aufbürdet. Daß ich Göthen beitrete, versteht sich. Da ich aber einige Er

scheinungen in Hamlets Charakter, die nicht am hellsten strahlen, nicht wegleugnen kann, z. B. die Härte, mit der er Ophelien begegnet, die Pfiffigkeit, womit er seine beiden Schulfreunde opfert, sein Benehmen bei Opheliens Grabe: so habe ich mich nach einem Schlüssel umgesehn: und den finde ich in Hamlets erstem Monologe, und in der Schlußscene des ersten Aufzuges, von dort an, wo der Geist verschwindet. Ich halte es nämlich für durchaus falsch, daß Hamlet seinen Wahnsinn bloß spiele. Nein, er ist wirklich wahnsinnig; nur packt ihn der Wahnsinn nicht dermaßen, wie den bereits kindischen Lear; er behält volle Kraft zu denken und zu grübeln, während sein Herz in Stücke zersprungen und aufgelöset ist. Sein Hang zum philosophischen Grübeln ist äußerst ge= schickt, gleich anfangs, bezeichnet durch seine Lust, nach Wittenberg zurückzukehren, dem Ort der Geis stesfreiheit; nachher offenbaren ihn die spätern Mo nologen und die ersten Unterredungen mit Rosenkranz und Güldenstern. Aber wie tobt und kocht und raset daneben sein Herz! Ich kann nie ohne Schaudern den ersten Monolog lesen, worin alle Gefühle zerrissen erscheinen (wie auch Sprache und Metrum), nur Eines nicht, die Erinnerung an seinen edelen Vater. Wie durch Wahnsiun verkörpert steht dieser

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