Imagens das páginas
PDF
ePub

blieben, ganz anders wie bei Malone, Ritson und anderen, die Shakspeare nie loben, aber jedesmal schelten und angnarren, wenn er von der buchstäbe lichen Wahrheit abweicht, z. B. drei gleichförmige Schlachten in Eine zusammenzieht, und mehr dergleichen. Diese Leute haben mir fast den Kopf vers wirrt, die Chronik hat die Ordnung hergestellt, und aus Hume's Meisterwerk erseh' ich, daß Shakspeare nie in Hauptsachen von der Geschichte abgeht, nur aus künstlerischen Absichten in Nebenpunkten, am meisten im Johann. Shakspeare muß durch die Fackel der Historie beleuchtet werden; manche Kennt niß seßt er voraus, manches deutet er nur an, und nur den Verständigen. Nun bin ich dabei, das durchaus nothwendige zu sagen, nichts überflüssiges, und jedes an seinem Plaß. Dies erfodert scharfe Aufmerksamkeit, und anhaltenden Ferienfleiß, den ich bloß morgen durch eine kurze Fußreise nach Weinheim unterbrechen will. Durch das viele Lesen und Grübeln wühlt es in meinem Kopf durcheinander, wie die zwölf Hasen im Holsteinschen Sprichworte, die sich abarbeiten, nur auf elf Stühlen zu sißen.

Des Vaters Schrift über Stolberg ist fertig ges druckt. Ich bewundere in ihr den ruhigen Lon, der milde ist, wo Milde ausreicht, und doch eine große

Kraft im Hinterhalte ahnen läßt; manchmal aber auch derbe ist, und doch nicht durch Leidenschaft Kraft vergeudet. Wie sehne ich mich, theurer Jean Paul, über religiöse Gegenstände einmal Deinen Posaunenton zu vernehmen! Die meisten Theologen schweis gen. Wohl uns, daß wir noch Laien haben wie Du, die zu reden wissen. Das Wort hat die Welt ers

[ocr errors]

schaffen, das Wort wird sie erhalten.

Baireuth, 26. November 1819.

Mein geliebter Heinrich! Wie wirst Du mich
Beinahe Deine Gefühle hab' ich über

deuten?

mein Schweigen ausgestanden. Wanke nur aber nie Dein Vertrauen auf meine goldfeste Liebe, würs den auch meiner Briefe -wie dies wirklich gegen andere geschieht und täglich zunimmt vierteljähr lich weniger.

Meine Frau ist vorgestern nach Berlin gereiset, um die Zimmer ihres geliebten Vaters zu sehen; denn er selber ist am 1sten nach dem Besuche des Schauspieles und einem heitern Lage in der Nacht durch einen Schlagfluß hinübergegangen; wie eine Sonne am Gleicher, ging er unter ohne Dämmerung und auf einmal. - Das Werkchen Deines Vaters hat hier jeden Kräftigen -zumal in solcher politischen

-

Zwergen und Fastenzeit gestärkt. Der herr lichste Löseschlüssel zum Werke und zum Gemüthe ist S. 47 die Anrede an Stolberg: „Wie damals, mein Stolberg, wird uns sein, wann Du in der Morgenröthe des ewigen Lags aus Deiner viel schwereren Betäubung erwachst“ und S. 102. Wie ein Frucht> regen unter dem Donner erquickt jene Anrede *) den Leser und zeigt ihm weit in die Seele des Verfassers hinein. Gegen den Adel hat er überall recht, obwohl nicht immer mit den nämlichen Waffen. St.s Übertritt kann doch nur als Irrthum erscheinen, und sogar sein Verheimlichen und Fortpflanzen nur als dessen Folge, nicht als Sünde. - Auch hier ist die Vossische Prosa ein Goldbarren für den deutschen Sprachschat, so wie euer Gesammt-Shakspeare uns ihn und die Sprache zugleich erneuert. Durch eure Keckheit, den einsilbigen Britten in einen einsilbigen Deutschen zu verwandeln, gewinnt unsere Sprache wahrhaft, deren Wasser andere so wenig, wie das physische, einer Zusammendrückung fähig halten.

*) „Ja, bei Gott dem Albarmherzigen! wir werden uns wiedersehn, Stolberg und Agnes und Ernestine und Vos, unschuldiger dem Guten nachstrebend, und dadurch seliger, als einst in dem schönen Seethal Eutins! Aber welche Scham, welche Reue, du bethörter Stolberg, wird deiner Seligkeit vorangehn!"

Heidelberg, 7. December 1819.

Den Lod Deines Schwiegervaters las ich in der Berliner Zeitung: in dem Augenblicke stand mir alles vor der Seele, was Du mir über seinen Besuch mit so rührender Herzlichkeit schriebst; und da fühlte ich euren Schmerz und zugleich eure Freude, daß ihr den seltenen Mann noch einmal vor seinem Tode so recht herzlich genießen und lieben konntet. Ein solches Hinüberschlummern sollte nicht Lod genannt werbent: ἵερον ὕπνον κοιμάται, θνήσκειν μὴ λέγε tods áɣadovs. Der Bruder des Schlafes kann gar hold und lieblich sein, wenn er die reife Frucht mit linder Hand vom Baume pflückt. Aber auch furchtbar und schrecklich, wenn seine Sense die frischgrüne Ähre mäht. Mein lieber Solger mußte so früh scheis den. Er war das Bild der Gesundheit und Kraft, als wir 1803 Studentenabschied nahmen. Damals weinte er bitterlich, weil ich so siech und hinscheidend allen als ein Halbtodter vorkam. Jezt bin ich der Gesunde, und ihn deckt der Grabeshügel, und vier Kinderchen stehn weinend daran. Du theurer Jean Paul, bleibe Du uns lange; wahrlich die Deis nen können Dich noch lange nicht entbehren; und spät werde Dir das Loos des Berliner Menelaos, der

ohne zu sterben, wie Henoch, ins Elysium verseßt ward!

Mein Vater drückt Dir recht deutschkräftig die Hand für das warme Wort über seine Schrift. Stolbergs Übertritt, als Privatsache, kann nur als Irrthum gelten. Wäre sie das geblieben, nie wäre ein Wort darüber verloren; aber er wirkt noch im mer im Stillen, und grade jeßt, da sein Anhang so sehr gewachsen ist, werden mehr als je Proselyten gemacht. Ja wohl, die Anreden an Stolberg, die zeigen doch wohl, daß kein Groll im Herzen des Verfassers war, sondern vielmehr offener Zorn, der die Sache beschaut, und nicht die Perfon; der ges rade stellen will, nicht beleidigen: das Bild eines Mannes, der redlich und strenge an dem hält, was ihm Wahrheit ist, der Wahrheit als das höchste achs tet, und durch das ganze Leben nicht wankt und von ihr weicht.

Oft ergreift mich eine tiefe Wehmuth, wenn ich das Bild, das ich sonst von Stolberg in der Phans tasie trug, mit dem jeßigen aus dem Sophronizon vergleiche. Kaum meine Eltern liebte ich mehr als diesen Mann von ganz „unwiderstehlicher Anziehungskraft." Seine Religion kümmerte mich wenig, da sie mir nicht lästig fiel; von seinen Stürmen erfuhr

« AnteriorContinuar »