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Zellen-Studien

von

Dr. Theodor Boveri.

Heft 1.

Die Bildung der Richtungskörper bei Ascaris megalocephala
und Ascaris lumbricoides.

Mit 4 lithographischen Tafeln.

(Aus dem zoologischen Institut zu München).

Jena,

Verlag von Gustav Fischer.

1887.

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Einige Untersuchungen über die tierische Zelle, speziell den Zellkern und dessen Teilung, mit denen ich seit zwei Jahren beschäftigt bin, gedenke ich nebst den allgemeinen Betrachtungen, die sich mir dabei aufgedrängt haben, unter dem gemeinsamen Titel,,Zellen-Studien" der Öffentlichkeit zu übergeben.

Das Feld, auf dem sich diese Arbeiten bewegen, ist trotz der bewunderungswürdigen Leistungen und der großartigen Errungenschaften des letzten Jahrzehntes noch immer ein unabsehbares, und zwar nach zwei Seiten: in die Breite und in die Tiefe. Unbekannte Objekte erforschen, bekannte mit besseren Hilfsmitteln und erweiterter Fragestellung untersuchen diese beiden Wege werden Neues zu Tage fördern. Dazu kommt noch ein dritter Pfad, der vor allen anderen Erfolg verspricht, - das Experiment.

Alle Untersuchungen der letzten Jahre an tierischen und pflanzlichen Zellen, mit Ausnahme derer CARNOY'S, weisen mit Entschiedenheit darauf hin, daß das Wesentliche der karyokinetischen Teilung in der Spaltung der chromatischen Elemente in zwei Hälften, von denen jede einem andern der beiden zu bildenden Tochterkerne zu teil wird, gesehen werden muß. Wie weit dieser Satz gültig ist, und unter welchen Variationen der Vorgang im einzelnen Falle verläuft, wie es mit der Form und Zahl der Elemente sich verhält, wie diese sich bilden, sich teilen und im Tochterkern auflösen, wie sie sich gruppieren und bewegen, das festzustellen wird Sache ausgedehnter vergleichender Untersuchungen sein. Nur auf solche Weise können wir zu einem allgemeinen Teilungsschema und zu einer gemeinsamen Terminologie gelangen,

die, wie sich jetzt schon ermessen läßt, von derjenigen FLEMMING'S verschieden sein wird').

Vor allem sind es die Wirbellosen, denen wir heutzutage unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Es sind zwar auf diesem Gebiete, ganz abgesehen von den ersten denkwürdigen Arbeiten BUTSCHLI'S, SCHNEIDER'S, O. HERTWIG'S u. a., beträchtliche Anfänge gemacht; PLATNER und in hervorragender Weise VAN BENEDEN haben unsere Kenntnisse wesentlich bereichert, und die ausgedehnten Untersuchungen CARNOY's erstrecken sich ja ausschließlich auf Zellen der Wirbellosen. Allein so wertvoll die Forschungen des letztgenannten Autors auch infolge des reichen Materials, das sie behandeln, sein mögen, so vermissen wir in denselben doch jene Sorgfalt und minutiöse Genauigkeit, welche bis jetzt fast nur den Zellen des Salamanders zu teil geworden sind und diesem Objekt, trotzdem der Verlauf der Teilung hier offenbar verwickelter ist als in vielen anderen Fällen, noch immer den Anspruch bewahren, den Typus der Karyokinese zu repräsentieren.

In Sonderheit ist es die Bildung, Konstitution und Bewegung der achromatischen Figur, und im Anschluß daran die fast noch völlig in Dunkel gehüllte Mechanik der Teilung, worüber wir bei den Wirbellosen die Aufklärung suchen müssen, welche die im übrigen so günstigen Amphibienzellen, wie es scheint, nur in sehr beschränktem Maße gewähren können. Gerade hier werden am fruchtbarsten die experimentellen Untersuchungen eingreifen, wie sie in neuester Zeit von den Brüdern HERTWIG 2) so erfolgreich begonnen worden sind.

Es ist ein Zufall, daß meine Untersuchungsobjekte zum Teil mit denjenigen CARNOY'S identisch sind. Kurz nachdem ich an den Hodenzellen von Astacus meine Studien begonnen hatte, erschien das CARNOY'sche Werk: La cytodiérèse chez les arthropodes 3), und während ich die Ascarideneier untersuchte, folgten seine beiden Arbeiten: La cytodiérèse de l'oeuf 4), von denen sich

1) Meiner Meinung nach sind die FLEMMING'schen Bezeichnungen schon für die von ihm neuerdings beschriebene,,heterotypische Teilung" nicht mehr zutreffend.

2) O. u. R. HERTWIG, Über den Befruchtungs- und Teilungsvorgang des tierischen Eies unter dem Einflufs äufserer Agentien. Jena 1887.

3) La Cellule, tom. I, fasc. 2.

4) La Cellule, tom. II, fasc. 1, und tom. III, fasc. 1.

die erste mit Ascaris megalocephala, die zweite mit einer Reihe anderer Nematoden beschäftigt.

Dieses Zusammentreffen war sowohl mir selbst von Wert, als es auch für den Fortschritt unserer theoretischen Erkenntnis der Karyokinese nicht ohne Bedeutung sein dürfte. Die genannten Arbeiten CARNOY's besitzen ja alle drei einen sehr revolutionären Charakter, der in dem Satze: „Les phénomènes de la caryocinèse sont variables; aucun d'eux n'est essentiel" kaum scharf genug zum Ausdruck gelangt. CARNOY'S Resultate widersprechen allen als konstant betrachteten Erscheinungen und scheinen die durch eine Reihe der vorzüglichsten Untersuchungen mühsam erworbene Einsicht in das Wesen der karyokinetischen Prozesse mit einem Schlage illusorisch zu machen. Eine Nachprüfung seiner Befunde mußte früher oder später unternommen werden; sie wird zum Teil durch meine Arbeiten geliefert. Indem ich für einige der CARNOY'schen Objekte den Nachweis führen werde, daß seine Angaben irrtümlich sind, daß gerade seine extremsten Fälle sich völlig unter das Schema der Karyokincse einreihen lassen, wird nicht nur ein Teil der Hindernisse, welche seine Untersuchungen einer einheitlichen Auffassung in den Weg legen, beseitigt, sondern wir lernen dabei auch die Gründe, durch die er zu seinen Anschauungen geführt worden ist, so weit kennen, um auch für andere seiner Objekte einen Irrtum als höchst wahrscheinlich nachweisen zu können.

Befestigt sich auf solche Weise auch immer mehr die Überzeugung einer die ganze organische Welt umfassenden Gleichartigkeit der karyokinetischen Erscheinungen, so dürfen wir doch die Möglichkeit selbst fundamentaler Abweichungen von dem, was wir jetzt kennen, nicht aus den Augen verlieren. Zwar nicht Regellosigkeit haben wir nach den bisherigen Erfahrungen zu erwarten, wohl aber könnten wir bei gewissen Zellenarten auf Eigentümlichkeiten stoßen, die für diese ebenso wesentlich und gesetzmäßig wären, wie für andere der uns bekannte Teilungsmodus. Gerade solche spezifische Merkmale bestimmter Zellenarten aber wären imstande, über die Bedeutung der Teilungsphänomene und der Bestandteile von Zelle und Kern überhaupt Licht zu verbreiten. Erst in allerjüngster Zeit hat WEISMANN) in seiner ideenreichen Schrift über die Bedeutung der Richtungskörper, von

1) WEISMANN, Über die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung. Jena 1887.

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