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per (Shakespeare's Hamlet, ästhet. Erläuterung" u. s. w.) ausgesprochne Behauptung auf, Hamlet sei nicht unschlüssig. Er setzt hinzu und sogar feig". Dieser Zusatz ist verwirrend und erleichtert auf schiefe Weise dem Realisten seine Polemik gegen die gewohnte, verbreitete Auffassung. Meines Wissens hat noch Niemand, der Hamlet als unschlüssigen Melancholiker auffasste, ihn auch für feig genommen; ja man hat kaum ihm selber Recht gegeben, wenn er selbst sich sagt, das zu genaue Bedenken des Ausgangs, das er sich vorrückt, enthalte stets nur ein Viertel Weisheit und drei Viertel Feigheit. Also nur: Unschlüssigkeit. Nun sehe man aber denn doch zu, wo die Künstlichkeit, wo die Gesuchtheit, die Gequältheit, die Pikanterie, die Unnatur der Auslegung ist, wo die schlichte, die natürliche Auffassung! Ein Dichter führt uns einen Prinzen vor, der gleich zu Anfang, da er zwar nur einen Theil der begangenen Frevel kennt, den andern erst dunkel ahnt, da er aber doch bereits widerrechtlich aus der Thronfolge gedrängt ist, nicht an Reagiren denkt, sondern unter Seufzern und Klagen der tiefsten Schwermuth bedauert, dass der Ewige sein Gebot gegen Selbstmord gerichtet habe; des Vaters Geist erscheint, offenbart ihm das grössere Verbrechen, legt ihm mit furchtbar ernster Mahnung die Pflicht der Blutrache auf und was ist nach den nächsten Aeusserungen der Aufregung, der Empörung sein erstes, als klares Merkzeichen für den Leser und Zuschauer den ersten Aufzug abschliessendes Wort der Reflexion, der unwillkürliche, unfehlbare Ausdruck seiner Selbsterkenntniss?

Die Zeit ist aus den Fugen; Schmach und Gram,
Dass ich zur Welt, sie einzurichten, kam!

(Schmach und Gram" für cursed spite von Schlegel noch schwach übersetzt). Nachdem er beschlossen, sich wahnsinnig zu stellen, diese seine Rolle auch angetreten, thut er in der Richtung zum vorgezeichneten Ziele über drei Akte hindurch nichts, als dass er dem König das unfreiwillige Geständniss seiner Schuld entlockt; er thut nicht nur Nichts, sondern das volle Gegentheil vom richtigen Etwas, indem er auf jede Weise den Feind zur Gegenwehr reizt; in drei Monologen, im zweiten, dritten, vierten Akte macht er sich die heftigsten Vorwürfe über seine Unthätigkeit, hetzt, spornt, peitscht sich durch jede Selbstbeschimpfung zur That; der dritte dieser Monologen, veranlasst durch den Zug des Fortinbras nach Polen, ist sogar erst in der zweiten der uns bekannten Redaktionen

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in einer Weise eingelegt, dass man nur zu deutlich die Absicht des Dichters merkt: Hamlet ist mit Rosenkranz und Güldenstern auf der Reise nach England, begegnet den norwegischen Truppen und schickt seine Begleiter voraus mit den Worten: ich komme sogleich nach, geht nur voran," um- seinen Monolog halten zu können, eine Störung der Illusion, die gerade bei Shakespeare's gewohnter fester Einhaltung derselben recht auffallen muss, aber ein Fehler, der nur um so nachdrücklicher zeigt, wie viel dem Dichter daran lag, dass sein Hamlet richtig verstanden werde; kurz vorher ist ihm der Geist des Vaters zum zweitenmal erschienen, ..den abgestumpften Vorsatz zu schärfen," und hat damit die Frage des Sohnes bejaht:

Kommt ihr nicht, euren läss'gen Sohn zu schelten,
Der Zeit und Leidenschaft versäumt zur grossen
Vollführung eures furchtbaren Gebots?

(laps'd in time and passion

wohl richtiger:

Der, sich in Zeit und Leidenschaft verlierend,
Die grosse That, die furchtbar streng befohlne,
Versäumt.)

Und der Mann soll nicht unschlüssig sein! Es ist dem Dichter nur so passirt, wenn es so aussieht! Wenn das nicht Unnatur künstlicher Auslegung ist, dann weiss ich nicht mehr, was von nun an natürlich und was unnatürlich heissen soll! Doch hören wir die Gründe. Kein unbefangener Leser wird einem Mann, der im Verlauf des Dramas, ehe er seinem Hauptgegner den Todesstoss versetzt, noch gleichsam en passant vier weitere Personen tödtet, der einem Gespenst, vor dem die Kriegsleute ängstlich zurückbeben, kühn entgegentritt und in die Einsamkeit nachfolgt, der auf ein enterndes Raubschiff allein vor der Zeit hinüberspringt, dem es keine Ruhe lässt, dass ein Anderer für einen tüchtigeren Fechter gehalten werden soll, der in jedem Worte, das er spricht, von Geist und Feuer sprüht, einen Hans den Träumer, einen aus Reflexion und Unentschlossenheit zum praktischen Handeln unfähigen Charakter erkennen."

Es ist wahr, dass die Verbindung dieser Züge mit dem der Unschlüssigkeit, Unthätigkeit einen Auschein von Widerspruch mit sich führt, und gewiss das leicheste Mittel der Lösung besteht darin, zu leugnen, was mit deutlichen Buchstaben geschrieben steht. Rmelin beruft sich hierfür nicht nur auf die genannten einzelnen

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Beispiele von Muth und energischer Leidenschaft; er behauptet positiv, Hamlet handle ununterbrochen im ganzen Stück; sich wahnsinnig stellen sei auch ein Handeln und zwar ein sehr intensives und anstrengendes. Wir Andern meinten, da, wo handeln heisst: einen Mörder niederstossen, sei sich wahnsinnig stellen, den Mörder leben und rüsten lassen, obwohl in anderer Beziehung relativ immerhin auch ein Handeln, doch eben kein Handeln. Wie verhält es sich aber mit der wiederkehrenden Selbstanklage in den Monologen? Diese ist nach Rümelin eben nur ein Beweis, wie ganz den Hamlet der Gedanke an seine Aufgabe erfüllt und begleitet; daraus auf „Feigheit“ (soll also heissen: Unschlüssigkeit, Unthätigkeit) zu schliessen, sei gerade so, wie wenn man den Melchthal im Tell der Muthlosigkeit zeihen wollte, weil er einmal sagt: was für ein Feiger, Elender bin ich, dass ich an meine Sicherheit nur dachte, oder Thekla im Wallenstein, weil sie sich einer „unedeln Säumniss" anklagt. Aber wie kann man den vorübergehenden Vorwurf, den dramatische Personen um kurzen Zögerns willen gegen sich erheben, um dann rasch zur Ausführung ihrer Entschlüsse zu schreiten, wie kann man ihn gleich achten den wiederholten, entwickelten, furchtbar leidenschaftlichen Reden, worin ein Mann sich selber schilt, der gegenüber einem schlauen, thätigen Feind nichts. zu thun weiss, als sich wahnsinnig zu stellen? (Etwas, was mehr ist, thut er zwar, das führt Rümelin nicht einmal an der rechten Stelle für sich an; davon an einer andern Stelle.)

Nun wohlgemerkt, giebt aber auch Rümelin einen Widerspruch zu und erklärt ihn auf seine Weise, nur einen Widerspruch anderer Art, der jedoch auch wieder auf den besprochnen zurückführt, wie sich zeigen wird. Habe ich seine Auseinandersetzung, die mir selbst etwas confus erscheinen will, recht verstanden, so unterscheidet er genau, genauer, als angeht, zwischen Mangel an Handeln und zweckwidrigem Handeln; den Mangel hat er vorerst geleugnet, das zweite giebt er zu. Nun ist aber ein zweckwidrig, verkehrt handelnder Held untragisch; Shakespeare, sagt Rümelin, wusste das recht wohl, wie kommt es, dass er dennoch seinen Helden confus und unzweckmässig verfahren, seltsame und unverständliche Mittel zu seinem Zwecke wählen lässt? „Der Grund hiervon ist nicht, dass der Dichter ihn so darstellen wollte," sondern das ist ihm eben so passirt. Dies wird nun so erklärt: in den alten Sagen-Hamlet trug er sich selbst, seinen Geist, Humor und seine pessimistische Stimmung über; eine so subjective Natur, wie sie der Held nun angenommen, wird aber nicht in der Disposition sein, richtig zu hau

zwar

deln; über dieser Consequenz, die sich aus der Identificirung des eignen Ich mit dem Helden ergab, übersah der Dichter die Incongruenz mit der dramatischen Aufgabe und liess ihn denn allerdings immer handeln, aber zweckwidrig handeln. Zugleich blieben in einzelnen Handlungen die rauhen Züge des Amleth.der Sage stehen, und so ist das Resultat: erstens ein unwillkürlicher Verstoss gegen das poetische Gesetz, das einen zweckmässig handelnden Helden verlangt, und zweitens ein Widerspruch zwischen einem fein und edelfühlenden, am Idealismus erkrankten, zerrissenen modernen Menschen und einem sagenhaften, altnordischen, rauh drein schlagenden Helden, einem fünffachen Mörder".

Nun aber liegt zweckwidrig Handeln und nicht Handeln doch oft eng nebeneinander. Wir müssen noch einmal auf die Unthätigkeit zurückkommen. Rümelin, nachdem er sie geleugnet, giebt

das eben ist nun seine Confusion hintennach doch einen Schein davon zu. Der Dichter konnte sich nämlich, so heisst es, nicht verbergen, dass, weun die witzigen, geistreichen, weltschmerzlichen Dialoge des subjectiven Hamlet so viel Raum einnehmen durften, dadurch allzustark retardirende Momente in die Handlung hereinkamen; -,,der Sagen-Hamlet musste sich deshalb selbst von Zeit zu Zeit der Säumniss und Unthätigkeit anklagen, und es schob sich so als vermittelndes Zwischenglied fremdartiger Elemente die Vorstellung des geistvollen, unschlüssigen Säumers herein, die dann hie und da und besonders durch den Contrast mit dem resoluten Laertes jenen Schein, als ob das Ganze doch in Einem Gusse gedacht wäre, erregte, der sich bei eingehendem Besinuen wieder schlechthin nicht halten lässt").

Also ein zweckwidrig handelnder Held: das liegt wirklich vor und ist ein Fehler, der dem Shakespeare unvermerkt zugestossen ist; ein unschlüssiger, unthätiger Held das liegt eigentlich nicht vor, scheint aber einigermassen vorzuliegen durch die genannten Monologen, die nur eingeflickte Lederstücke sind und für den Stiefel eigentlich nichts zu bedeuten haben. Der Dichter hatte mit dem subjectiven Inhalt, den er in die alte Sage eintrug, eine Sohle geschnitten, nachträglich fand er, dass sie für das Oberleder zu breit sei und nähte diese Brillen ein, die eigentlich gar nichts besagen. Vorhin galten diese Monologe als Beweise von Drang zur That, jetzt gelten sie als Nachträge, die denn doch

1) Rümelin schreibt sonst fliessend; Satzbildungen wie diese, die man unsrer Zeit in T. bei D. St. lernen konnte, habe ich nicht wieder gefunden.

auf ein Gefühl von Zeitverlust hinweisen, aber nur

des Dichters.

Zeitverlust

Nach unserem armen Verstande bereitet sich Hamlet sowohl durch Nichtsthun, als auch durch zweckwidriges Thun den Untergang. Auch dieser Zusammenhang wird nun aufgehoben. Hamlet muss tragisch endigen einfach, weil er ein innerlich kranker Mensch ist. ,,In der Sage beruft Hamlet nach der Ermordung des Königs das Volk zusammen, erzählt und rechtfertigt das Geschehene, wird darauf zum König ausgerufen und regiert lange und ruhmvoll. Dazu nun war freilich der Shakespeare'sche Hamlet nicht berufen; er musste tragisch enden, wie alle die Gestalten, in welche die Dichter einen Krankheitsstoff des eiguen Lebens ergossen haben, wie Werther, Clavigo, Faust, Eduard. Sie müssen gleichsam als stellvertretende Opfer sterben, während der Dichter andere Register seines Geistes aufzieht und neue Melodien spielt." An sich liesse sich das hören; einem Menschen wie Hamlet steht es nicht an, glücklich zu sein; so fühlen wir Moderne. Aber war Shakespeare so modern? Liess er nicht seinen zerrissensten, seelenkranksten Helden noch Lebenskraft genug, um handelnd, kämpfend es mit einer Welt aufzunehmen? Spürt man ihm und seinen Personen nicht jene wunderbare Zeit an, die mit dem tief und leidenschaftlich erregten Seelenleben einer neuen entdeckungsreichen Weltperiode noch das Bärenmark des Mittelalters vereinigte? Giebt es hier im Ernst etwas wie Werther, Clavigo, Faust, Eduard, die sich passiv verzehren oder doch auf dem Wege dazu sind? Nein, dies ist abermals nur ein Hineintragen und Auslegen, modern recht im raffinirten Sinne des Wortes.

So steht es mit dem Versuche, die scheinbaren Widersprüche im Hamlet aus Subjectivität, Planlosigkeit, Laune, regelloser Nachhülfe, kurz Unkunst des Dichters zu erklären: er verkehrt sich selbst in eine Reihe von Widersprüchen und ist verrenkter, als jede noch so sehr geschraubte Deutung der Kritik, die Plan, Einheit, Kunst im Dichter voraussetzt. Man wird sich also wohl entschliessen müssen, aus diesen Krümmen zum geraden Wege des einfachen Problems zurückzukehren, welches lautet: ist es ein unlösbarer Widerspruch, oder nicht vielmehr einer der ganz erklärlichen Widersprüche in einem Charakter, wie ein Dichter solche recht wohl kann darstellen wollen, wenn Ein und derselbe Mensch da, wo kein besonders schwieriger Knoten zu lösen ist, feurig, leidenschaft. lich, entschlossen, tapfer spricht und handelt, vor Einer grossen Lebensaufgabe dagegen, die seinem denkenden Geiste einen sol

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