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weis von klarem Beschliessen und Handeln werde nicht unbenützt bleiben, ja nur zu sehr ausgebeutet werden. Er zieht es, wie wir gesehen, vor, zu solchem Beweise Hamlet's Wahnsinnrolle zu wählen, sein kluges Ueberführungsmittel aber wie erklärt er es? Shakespeare, da er einmal seinen Stoff benützte, um eigenen, inneren und äusseren Lebenserfahrungen dramatische Form zu geben, wünschte auch Anspielungen auf die damaligen Londoner Theaterwirren und die eigenen Gedanken über das Bühnenwesen vorzubringen; zu diesem Zweck führte er Schauspieler in das Stück ein; nun fragte es sich aber, wie lassen sich denn überhaupt Schauspieler in die Hamletfrage einfügen? Der Dichter kam auf den ganz plausibeln Einfall, die Aussagen des Geistes durch die Beobachtung des Königs bei Aufführung eines Stücks von gleichem Inhalt zu controlin, so dass nun die Unterhaltungen Hamlet's mit den Schauspielern als das Secundäre, nur episodisch Eingeschaltete erscheinen."

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Ich frage, ob es erlaubt ist, so mit einem grossen Dichter umzugehen. Nicht ein Schein von einem Grunde liegt vor, anzunehmen, dass dieser Schritt Hamlet's nicht streng bezweckt im Plane des Dichters liege. Rümelin selbst giebt sich nicht einmal die Mühe, auch nur ein Sophisma auszusinnen, um uns plausibel zu machen, dass hier ein Einschiebsel, nein vielmehr ein Einschiebsel um eines Einschiebsels willen anzunehmen sei. Was in der weiten Welt bleibt denn hier übrig, als die Frage an den Verfasser, ob er denn meint, er habe nicht bereits genug Proben seines destructiven Scharfsinns gegeben? Er nannte sich einen Realisten; dies ist nicht Realismus, sondern Materialismus; der (angeblich) philosophische weiss nur von Atomen, die ein Wirbel zusammengeblasen, der ästhetischkritische nichts Besseres und scheint sich wie jener dabei recht wohl zu gefallen.

Ein bischen Phantasie wird immer nichts schaden, wenn man Werke der Phantasie erklärt. Auf den Einfall, den Schuldigen durch Aufführung eines Schauspiels zu entlarven, wäre die reine Logik wohl nicht gekommen; Hamlet ist nicht Kiesewetter, noch Krug. Da ist nun noch so eine Stelle, wo die unverständige Phantasie vorausgesetzt ist, um zu verstehen. Ueber den vielbesprochnen Monolog Sein oder Nichtsein sagt Rümelin, der Gedankengang habe etwas ganz Eigenthümliches; aus den beiden Prämissen: die Uebel des gegenwärtigen Lebens sind gross und gewiss, was nach dem Tode sein wird, ist ungewiss, sollte man den Schluss erwarten: also wäre der Tausch wohl zu wagen; denn aus demselben

Grunde, aus dem wir ein gewisses Gut dem ungewissen vorziehen, sollte man auch das erste fragliche Uebel gewisser wählen, als das gegenwärtige und gewisse. Hamlet zieht den entgegengesetzten Schluss und konnte auf keine naivere Weise verrathen, wie die Lust am Leben mit siegreicher Sophistik auch den ärgsten Pessimisten noch zu täuschen weiss." Da müsste aber Hamlet ja aus der menschlichen Natur weit herausgetreten sein, wenn wir nicht vielmehr gerade den Schluss von ihm sollten erwarten dürfen, den er wirklich zieht. Die Phantasie verhundertfacht in ihrem Zauberspiegel das vorgestellte Gut wie Uebel. Nur zu gern ziehen wir ein ungewisses Gut dem gewissen vor dem Hund mit dem Stück Fleisch in der Fabel gleich; nur zu geneigt sind wir umgekehrt, das fragliche Uebel für unendlich schrecklicher, als das gegenwärtige und gewisse, anzusehen und daher das letztere uns gefallen zu lassen, träg und feig fortzuschleppen

dem deutschen Bund in der Wirklichkeit gleich.

Zwei Punkte bleiben übrig, bei denen ich in Zweifel bin, ob Shakespeare absichtlich unterlassen oder gefehlt hat. Es ist, wie Rümelin richtig hervorhebt, nirgends deutlich ausgesprochen, wie es sich eigentlich mit dem Erbrechte verhält, durch welche Form, welchen Modus der Brudermörder den Neffen aus der Thronfolge verdrängt und auf die Zukunft vertröstet hat. Die Verkürzung Hamlet's um sein Recht an den Thron wird von diesem ein paarmal berührt, aber man gewinnt auch keinen Blick in den Grad der Kraft, den das Motiv des gekränkten Rechts- und Ehrgefühls in seinem Gemüthe besitzt. Wollte Shakespeare durch diese Unterlassung uns sagen, dass in seiner edlen Natur die sittliche Empörung eine ungleich stärkere Sprache führt, als der Ehrgeiz? Ferner: wir erfahren nie, ob Hamlet sich bestimmte Gedanken bildet über die Art seines Vorschreitens. Deutlich ist zwar und hier aus meinem früheren Aufsatze bereits wiederholt, dass er an einen Akt denkt, der in gewissem Grade den Charakter eines vor Zeugen vollzogenen Gerichtes tragen soll, dass er dabei vorhat, seine That durch eine Rede zu rechtfertigen; aber damit wissen wir immer noch nicht, ob er nur im gegebenen Momente rasch mit eigner Hand das Werk zu vollbringen, oder ob er daran denkt, einen Anhang zu sammeln, wie Laertes, mit bewaffneter Schaar wie dieser den König zu überfallen; einmal, am Schluss des Gesprächs mit der Mutter, spricht er von tiefen Plänen, von Minen, die er gräbt oder zu graben nur beabsichtigt? Die Sache ist nicht leicht zu nehmen. Der König hat seine Leibwachen, der Ausgang ist allerdings recht sehr zu bedenken. Ist es nur thatloses Vertrauen auf die Vorsehung, wenn

Hamlet sich passiv nach England schicken lässt, oder, da er eben in jenem Momente von den tiefen Plänen spricht, beabsichtigt er, wie Malcolm im Macbeth, Richmond in Richard III., am fernen Ufer ein Heer zu sammeln? Wenn nun Shakespeare darüber schweigt, will er uns sagen, dass Hamlet wohl bald Dies, bald Jenes denkt, das Eine und Andere bald wieder verwirft, bald wieder aufnimmt? Dass er, Hamlet, uns darüber nichts mitzutheilen hat, weil er selber nichts weiss? Hätte aber Shakespeare nicht eben dies, dass Hamlet ohne Resultat an verschiedenen Plänen herumkommt, allerdings ihn uns sagen lassen sollen? Oder durfte er annehmen, dies errathe sich gar leicht von selbst? Ich gestehe, dass ich hier vor der Hand mit einem non liquet abbrechen muss. Es handelt sich übrigens dabei auch von Horatio; man sollte doch erwarten, dass Hamlet mit ihm bespreche, was er zu thun gedenkt, denn eingeweiht ist er in das Geheimniss.

Rümelin findet nicht nur den Helden räthselhaft und unfasslich", sondern ebenso die andern Charaktere,, schillernd und ungreifbar". Ein Räthsel ist ihm vor Allem Polonius, und es ist der Mühe werth, etwas dabei zu verweilen, weil gerade dieser Charakter uns dienen kann, ein Bild von Shakespeare's fein, tief planvoll fortschreitender Zeichnung zu geben, die uns gleichsam zuruft: wartet noch, schiebt euer Urtheil auf, das wahre Licht wird auf die zuerst vortretenden Züge durch die nachrückenden fallen! Wie er zum erstenmal auftritt, erscheint er ganz vernünftig in den Lehren, die er seinem Sohn auf den Weg giebt, ebenso in der Warnung seiner Tochter, nur mässig lässt er hier im spielenden „Todthetzen eines armen Wortes" den Euphuisten heraus; wir sollen erst später, doch bald genug, das Material erhalten, woraus sich der sonnenklare Schluss ergiebt, dass die vernünftige Predigt ein auswendig gelerntes Theaterstückchen, höchst würdiges Stück Vaterrolle des alten Gecken ist; denn in den Aufträgen an Reinhold zeigt er doch wahrlich etwas Anderes, als, wie Rümelin meint, die Klugheit des erfahrnen Weltmanns. Hier ist so eine Stelle, wo man etwas genauer lesen muss, als der Realist gelesen hat. Shakespeare will uns ja vielmehr zeigen, dass der graue Halbschelm" Windungen, Krümmungen, Schliche liebt, wo der gerade Weg ausreicht, dass ihm an des Sohnes Ehre und Tugend in Wahrheit nichts liegt, wenn nur er, der Papa, sich an seiner Pfiffigkeit, an seinem Geschwätze weiden kann. Reinhold selber stutzt ja, da der alte Sünder erlaubt, er könne im Nachfragen nach der Aufführung des Sohnes soweit gehen, dass er ihm, um zu sondiren, bei Dritten nachsage, er kenne

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ihn als Hurer. Das würd' ihm Schande bringen, gnäd'ger Herr;" sagt er; „Mein Treu nicht" u. s. w., antwortet der Herr Oberkämmerer. Was ruft er aber Reinhold zum Schlusse nach? Und dass er die Musik mir fleissig treibt!" Die paar Wörtchen erst enthalten den ganzen Schlüssel: der Sohn darf spielen, trinken, raufen, fluchen, zanken, in saubre Häuser „,videlicet Bordelle" gehen, wenn er nur Musik treibt; ächte Cavalierserziehung! Danach ist nun also die erste Scene, sind die weisen Lehren des Vaters an den scheidenden Sohn zu beurtheilen: der alte Comödiant hat das Zeug natürlich auswendig gelernt; Rümelin dreht es um und findet alles Spätere unwahrscheinlich, weil ihm Polonius dort als würdiger Mann erschien; der feine Shakespeare, der Schalk, täuscht den Erklärer, der an ihm den Schalk machen wollte und es mit etwas zu groben Fingern anfing. Wenn dann die hochkomischen Züge, im Geschmacke einer Zeit, die grellere Originale gewiss auch am Hof, als unsere Zeit, kannte, sich in ihrer köstlichen Klarheit entfalten, wenn der grosse Hauptpfiffikus und Witzkopf erst im Galakleid als ganzes Prachtexemplar sich entwickelt, so hat natürlich der Dichter niedrig Komisches eingelegt, ohne an die sonstige Haltung, die er der Rolle gab, zu denken". Wie man sich auch nur den Spass so verderben mag!

Dass Laertes im Rachedurst zu einem Schurkenstreiche sich verführen lässt, soll unwahrscheinlich sein, als ob nie die Leidenschaft das Gewissen verdunkelt hätte.

Ophelia nimmt Rümelin gegen die bekannte Nachsage Göthe's und Tieck's mit der leichten Wendung in Schutz: sie ist nicht sinnlicher, als wir bei einer jungen Hofdame verzeihlich finden; dass er sie reizend, liebenswürdig, mitleiderregend nennt, das verliert allen Werth durch diese zweideutige Bemerkung. Für den wunderbar rührenden Flor, den süssen Nebel, die holde Dämmerung, worin das ganze grundgute, wehrlose Wesen schwimmt, das nur lieben. kann, hat er keine Worte. Ich erwähne bei diesem Anlass eine - kleine Broschüre von Leop. Feist „Ueber das Verhältniss Hamlet's und Ophelia's", die über den Charakter des unglücklichen Geschöpfes wie über Gang und Bedeutung der Liebe zwischen ihr und dem Helden für den Fortschritt der Handlung das Beste, Treffendste sagt, was ich bis jetzt irgendwo gefunden. Nun aber noch ein Hauptstück! Ophelia's Wahnsinn ist nach Rümelin ungenügend motivirt

„ein Naturereigniss, dessen Prämissen uns nicht gegeben werden". Ein weibliches Gemüth, das reine Hingebung ist, dem alle Widerstandskraft selbständiger Charaktere fehlt, sieht in plötzlichen

Stössen ihre ganze Liebeswelt zertrümmert, den Vater durch den Geliebten erschlagen, sieht zugleich mit Blicken dunkler Ahnung in einen Abgrund, in welchem entsetzliche Geheimnisse brüten, und dies Weib soll sich mit dem Gemeinplatze trösten, dass „nach normalem Loose der Sterblichen die Eltern vor den Kindern sterben" u. s. w. Armes Kind! In welch' kalten Wassern sollst du zum zweiten Mal ertrinken!

Die Charakterfrage ist in der Beurtheilung einer Tragödie nur Vorarbeit der Schicksalsfrage. Hamlet ist im höchsten, besten und reinsten Sinne Schicksalstragödie oder, wenn man das Wort nicht anthropomorphisch missverstehen will, Vorsehungstragödie. Es versteht sich, dass diese zweite, wichtigere Frage bei einem Drama, das der Zufall zusammengewürfelt hat, gar nicht eintreten kann. Hamlet, der Weltverächter, begeht die schöne Inconsequenz, auf eine waltende Weltordnung zu bauen, die auch ihn führt, auf ein ewiges Gesetz, das Handlung und Handlung, Zufall und Handlung, Handlung und Unterlassung ineinanderflicht und aus diesem Gewebe seine gerechten Gerichte wirkt; ob er Recht oder Unrecht, ob er vielleicht in dem Sinne, wie ich in der erwähnten Untersuchung zu zeigen gesucht, sowohl Recht als Unrecht hat mit diesem Vertrauen, das Mitschuld an seinem Aufschube trägt, und das ihn, den zum Handeln doch stets noch Entschlossnen, dennoch zum gehofften Ziele führt: das sind Untersuchungen, wovon hier natürlich nicht mehr die Rede sein kann. Wie der König, Allen an Klugheit, dem Helden unbedingt an Entschluss überlegen, mit all seinen Ränken sich selbst sein Grab gräbt, Polonius, Rosenkranz und Güldenstern ihren Vorwitz, ihre ausholende Pfiffigkeit, zudringliche Geschäftigkeit büssen, Laertes in die eigne Schlinge fällt, die Königin zu erfahren hat, was es heisst, an der Seite eines Giftmischers leben, wie alle diese schuldigen Hände daran arbeiten müssen, dem Helden in dem Augenblick, wo er seine Säumniss, sein zweckwidriges Thun mit dem Leben zahlt, doch noch das Richtschwert in die Faust zu drücken: die bewundernswerthe Schlingung dieses Knotens, dieser Organismus, worin Alles ineinandergreift und wechselwirkend die Einheit, das gemeinsame Schicksal zu Tage fördert ohne eine Spur von transcendentem Eingriff: Rümelin wird nicht sagen, es sei nicht seines Amtes gewesen, sich damit zu befassen, da er sich auf einzelne Bemerkungen habe beschränken wollen; nein, es blieb kein Interesse, kein Sinn dafür übrig, weil das Interesse dahin ging, das Drama zu zerstücken.

Es kann nicht bestritten werden, dass Shakespeare da und dort

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