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lassungssünden trüge. Eben weil es mir durch Einflüsse, die mit der Kunst gar nichts zu thun haben, unmöglich gemacht wurde den Erwartungen zu entsprechen, welche sich an meinen Namen und meine Stellung knüpften, zog ich es vor diese aufzugeben, um jenen reinzuhalten. Da die mir von Sr. Majestät gestellte Aufgabe sich blos auf die sogenannten klassischen Dramen beschränkte, so konnte man mir mit bureaukratischem Recht sagen, die Stücke der heutigen Poeten zählten noch nicht zu den klassischen, gingen mich also nichts an. Aber auch mit den klassischen Dramen war ich kaum glücklicher. Ich sollte meine Thätigkeit mit Shakespeare's König Johann beginnen: König Johann kam nicht zur Aufführung. Seine Majestät wünschte König Lear in meiner neuen Bearbeitung zu sehen: man fand es schwer die Rollen neu zu lernen und erbat sich Frist bis Ende Februar. Seit Ende Februar ist schon wieder ein halbes Jahr vergangen und der alte Lear hat sich noch nicht auf der Bühne gezeigt, so dass man sagen kann: gegen Theaterintriguen kämpfen selbst Könige vergebens.

Hatte ich auf diese Weise eine Reihe von Wochen in Arbeiten verloren, die dem Theater zu dauerndem Nutzen hätten gereichen können, so war es mir auch bei den meisten anderen Stücken, die, schon früher einstudirt, nach der herkömmlichen Schablone wiederholt wurden, nicht vergönnt wesentlich fördernd einzugreifen, weil die Darstellungen klassischer Stücke so rasch auf einander folgten, dass man sich glücklich schätzen musste von jedem ein paar ordentliche Proben halten zu können, welche gerade genügten die gröbsten Fehler auszumerzen, wovon die Bühnenbearbeitungen bei uns wimmeln. Nur bei zwei Shakespeare'schen Tragödien fand ich einigermaassen Zeit, eine annähernd vollständige und harmonischè Darstellung nach eigener Auffassung zu erzielen: bei Othello und Macbeth, deren Vorführung auch vom ganzen Publikum als musterhaft anerkannt wurde. Bevor ich näher auf diese Stücke eingehe, sei es mir gestattet in ein paar Worten die Grundsätze darzulegen, welche, nach meiner Ueberzeugung, befolgt werden müssen, um Shakespeare's Dramen würdig auf deutschen Bühnen darzustellen.

Zunächst und vor Allem muss aus Respekt vor dem Dichter und vor dem Publikum, das von ihm erbaut werden soll, für Herstellung eines gereinigten, wirklich deutschen Textes gesorgt werden. Die meisten der für die hiesige Bühne eingerichteten Texte, welche mir durch die Hände gegangen sind, fand ich mehr oder minder korrumpirt und in einigen dieser Bearbeitungen" kamen sogar Sprachschnitzer vor, die man in Norddeutschland

keinem Quartaner verzeihen würde.

Für dergleichen giebt's auf

einer Hofbühne gar keine Entschuldigung.

Dann muss es bei der Inscenirung der Stücke, und besonders der Shakespeare'schen Tragödien, ein leitender Grundsatz sein, den Text so vollständig zu lassen, als es die Mittel der Bühne irgend erlauben. Je vollständiger eine solche Tragödie gegeben wird, desto mächtiger wird ihre Wirkung sein. Kürzungen und Zusammenziehungen getrennter Scenen sind nur da zu entschuldigen, wo der häufige Dekorationswechsel allzustörend eingreifen würde; Weglassung von Personen nur da, wo es der Bühne an entsprechenden Darstellern fehlt, was auf kleineren und mittleren Bühnen leicht vorkommen kann, auf einer grossen Hofbühne aber nie vorkommen darf. Endlich können, ohne Schaden, solche Scenen gekürzt oder gestrichen werden, welche nicht wesentlich in den Gang der Handlung eingreifen und auf der alten Shakespeare-Bühne, wo das Stück ohne Dekorationswechsel und sonstige Unterbrechungen binnen zwei Stunden abgespielt wurde, nur dazu dienten, die Pausen und Uebergänge unserer Zwischenakte zu ersetzen, wie z. B. die Scene zwischen dem Clown und den Musikanten zu Anfang des dritten Aktes von Othello.

Völlig verwerflich sind dagegen alle Auslassungen und Kürzungen, welche nur vorgenommen werden zu Gunsten eines Virtuosen, der die Hauptrolle spielt, oder gar aus Rücksicht auf Zeitgewinn, um das Stück nicht über die übliche Theaterstunde hinausspielen zu lassen.

Wir haben in München die angenehme Erfahrung gemacht und man wird sie überall machen, wo Gelegenheit dazu geboten wird dass das Publikum sehr geduldig und andächtig bis eilf Uhr Nachts und noch länger aushält, wenn ihm eine Shakespeare'sche Tragödie in würdiger Weise vorgeführt wird. Man will lieber etwas Ganzes als etwas Verstümmeltes sehen, und gerade bei der gedrängten, wortkargen, wuchtigen Ausdrucksweise Shakespeare's, der oft in einer kurzen Scene mehr sagt als andere Dichter in einem ganzen Drama, werden Auslassungen so leicht zu Verstümmelungen.

Freilich darf man dem Publikum nicht jeden Abend Stücke bieten, die bis eilf Uhr oder gar bis Mitternacht spielen. Die Darstellung einer Shakespeare'schen Tragödie soll einen Festabend ausfüllen, dessen Wiederholung sich nach dem leicht zu ermittelnden Bedürfniss richtet. Oder man kann durch würdige Vorführung eines Cyklus von innerlich zusammenhängenden Dramen auch eine ganze Festwoche ausfüllen, wie Dingelstedt zur Feier des

Shakespeare-Jubiläums durch die Historien mit glänzendem Erfolge gethan, und wie Aehnliches mit gleichem Erfolge Eduard Devrient in Karlsruhe durchgeführt hat. Bei solchen würdig vorbereiteten Aufführungen, welche den Charakter des Festlichen tragen, wird es nie und nirgends an einem zahlreichen und dankbaren Publikum fehlen; Zuschauer und Schauspieler werden in gleicher Weise dadurch gehoben und begeistert.

Eine Schiller'sche Tragödie mit ihrem reichen rhetorischen Schmuckwerk, ihren schwungvollen Jamben, glänzenden Monologen, zündenden Sentenzen und Schlagworten, erzwingt sich auch bei unzulänglicher Darstellung leichter den Beifall des Publikums als ein Shakespeare'sches Trauerspiel. Die Schauspieler selbst werden schon mehr durch die ihnen vertrautere Sprache des heimischen Dichters, durch seine schlankgebauten, vollaustönenden Verse getragen, und ich hab' es noch nirgends erlebt, dass ein Monolog wie Durch diese hohle Gasse muss er kommen" nicht die Mehrzahl der Hände zu klatschender Bewegung fortgerissen hätte, selbst wenn er, statt menschlich gesprochen zu werden, wie ein Aufruf zur Empörung in das Publikum hinausgedonnert wurde.

Unendlich grössere Kunst des Vortrags erfordert der wortkarge, scharf individualisirende Shakespeare'sche Dialog mit seinen oft anakoluthischen Satzbildungen, um den Beifall der Hörer zu gewinnen, zumal schon in den nicht immer gelungenen Uebersetzungen uns Manches fremdartig anmuthet, und Vieles ohne glücklich ergänzendes Geberdenspiel dem Publikum geradezu unverständlich bleibt. Hier bedarf es unter allen Umständen einer sachverständigen, sorgfältigen Leitung und Ueberwachung wozu die Zeit und Routine eines vielbeschäftigten Regisseurs nicht ausreicht wenn eine runde, lebendige Vorstellung zu Stande kommen soll. Die einzelnen Schauspieler mögen noch so tüchtig sein: ohne einheitliche Leitung werden sie es nie zu einer stilvollen Darstellung, zu einem wirksamen und harmonischen Zusammenspiel bringen. Wie die Kapelle einen Kapellmeister, so braucht das darstellende Personal einen Dirigenten, der nicht mitspielt sondern blos dirigirt.

Die Grundlage einer guten Vorstellung muss schon in der Leseprobe gelegt werden. Hier sieht man von vornherein leicht, wer seine Rolle falsch auffasst, und wer nicht, und findet bequeme Gelegenheit, sich mit den Darstellern über die Auffassung der Charaktere zu verständigen. Hiernach geht man denn mit jedem. Einzelnen unter vier Augen seine Rolle besonders durch, damit sie Alle gründlich vorbereitet und aus Einem Geiste gestimmt auf die

erste Scenenprobe kommen.

Hier merkt man nun bald, dass

Göthe's Regeln für Schauspieler", welche das goldene ABC jedes Bühnenmitgliedes bilden sollten, manchen noch völlig unbekannt sind, von Lessing's tiefer eingehenden Bemerkungen über die Kunst der Darstellung und das Verhältniss des Darstellers zum Dichter (in der Hamburger Dramaturgie) gar nicht zu reden. Der Eine gefällt sich darin dem Parterre alle Augenblicke den Rücken zuzukehren, was nie geschehen soll, ausser beim Abgehen, der Andere spricht zu laut, der Dritte zu leise, der Vierte zu schnell und undeutlich, u. s. f. - Das sind lauter Gewohnheiten, welche nur dem Mangel einer ordentlichen Leitung entspringen und sich durch ein paar freundliche Bemerkungen sehr schnell bannen lassen. Schwieriger ist es, schlechte Gewohnheiten auszurotten, die in Talentlosigkeit, wurzeln oder wie breitblätterige Sumpfpflanzen das trübe Wasser verhüllen, auf dem sie schwimmen. Es giebt talentvolle Schauspieler ohne Bildung, wie gebildete Schauspieler ohne Talent; beiden lässt sich nachhelfen; aber Schauspieler ganz ohne Talent und Bildung sind hoffnungslos und sollten auf keiner Bühne geduldet werden. Es wird in unsern Tagen viel über den Verfall der Schauspielkunst geklagt, und mit Recht; besonders hat Oswald Marbach in seinen „,Dramaturgischen Blättern"1) sehr beherzigenswerthe Worte darüber gesprochen; man irrt aber entschieden, wenn man glaubt, dass es in Deutschland an strebsamen Künstlern fehle, welche Talent und Bildung vereinen. Es fehlt solchen strebsamen, zugleich talentvollen und gebildeten Künstlern, deren ich eine ziemliche Anzahl persönlich kenne, auf den meisten Bühnen nur an Gelegenheit ihre Gaben in würdiger Weise zu entfalten, denn wo nicht durchweg strenge künstlerische Zucht herrscht, vermag der Einzelne selbst bei den löblichsten Bestrebungen wenig. Man kann mit Recht sagen, dass die Bühnenleitungen - abgesehen von einigen rühmlichen Ausnahmen einen weit grösseren Theil der Schuld an dem Verfall der Schauspielkunst tragen, als die Schauspieler selbst.

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Ich habe auf den Proben zu den Shakespeare'schen Tragödien, deren Aufführung ich vorzubereiten hatte, den Schauspielern - vom Ersten bis zum Letzten keine Bemerkung geschenkt, welche im Interesse der Darstellung zu machen mir nöthig schien, und bin doch immer vortrefflich mit ihnen ausgekommen, weil sie bald merkten, dass es mir nur um die Sache zu thun war, die ihnen

1) Leipzig, bei R. Friese. 1866.

am Ende ebenso am Herzen lag wie mir. Gerade die einsichtsvollsten Schauspieler, welche über ihre Rollen am meisten nachgedacht hatten, besprachen sich mit mir darüber am eingehendsten und bequemten gern ihre Auffassung der meinigen an, wenn ich diese als die richtigere überzeugend begründen konnte.

Zum Einstudiren eines Machwerks wie der Vicomte von Létorières" (um von den schlechten Stücken, welche unsere Hoftheater verunzieren, nicht gerade das schlechteste zu nennen), wird der allergewöhnlichste Bühnenroutinier sich besser eignen als ich, denn ich würde mich um solche Beiträge zur Entwürdigung der Kunst und der Künstler überhaupt nicht bekümmern. Anders wo es sich um die Darstellung eines Shakespeare'schen Drama's, um die höchsten Aufgaben der Kunst handelt, um die Lösung schwieriger Probleme, über welche die Ansichten der grössten Denker, Dichter und Künstler oft weit auseinander gehen. Wie könnte es verständigen Schauspielern, von welchen nicht Jeder selbst die Summe des über das betreffende Stück vorhandenen Wissens zu ziehen vermag, anders als nützlich und angenehm sein, schnell und auf die bequemste Weise das Wichtigste davon zu erfahren! Selbst der genialste Darsteller eines Hamlet, Macbeth, Othello, Lear u. s. w. kann nur dann zu einer annähernd richtigen Auffassung seiner Rolle gelangen, wenn er auch alle übrigen Charaktere desselben Stücks gründlich studirt hat, denn einer erklärt sich durch den andern, und er wird, wenn er nicht den Urtext und die ganze einschlägige Literatur genau kennt, das Bedürfniss fühlen, sich mit einem sachkundigen Manne zu besprechen, um Aufklärung über dunkle Stellen zu erhalten, oder zu erfahren, wie andere grosse Künstler vor ihm den Charakter dargestellt haben.

Unter den auf die Erklärung der dramatischen Dichtungen Shakespeare's abzielenden Werken ist dasjenige von Gervinus das verbreitetste; man darf annehmen, dass jeder gebildetere Schauspieler es gelesen hat, wenn man auch nicht verlangen kann, dass er überall mit den darin gegebenen Charakteristiken (wie z. B. mit derjenigen Falstaff's) einverstanden sei. Allein es bietet eine Menge zutreffender Bemerkungen und einige Berichtigungen landläufiger Uebersetzungsfehler, welche mehr Aufmerksamkeit verdient hätten als sie gefunden haben. Ich will nur Ein Beispiel anführen. Gervinus sagt in der Zusammenfassung seines Urtheils über Othello: „In der deutschen Uebersetzung bekennt der Mohr am Schlusse, dass er schwer zu erregen sei, aber einmal erregt „,„ únendlich raste.""

Ein einziger solcher Ausdruck kann diese Rolle

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