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theuren Vaters zur Rache aufrufe, nicht soviel vermöge als dieser Schauspieler, der so fein gestimmt ist, dass er, durch blosse Phantasie erregt, die Fiction als Wahrheit empfindet und Wort und Gebehrde diesem Traum der Leidenschaft, der ihn bewegt, anzupassen weiss. Hätte er den Grund und Antrieb zu der Leidenschaft wie ich, ruft er aus, er würde durch seine Beredsamkeit - den Schuldigen zur Raserei bringen, selbst den Schuldlosen bange machen, den Nichtwissenden erstaunen!" Ihm selbst hätte es wohl im Uebermass des innern Sturmes zu Gebot gestanden, den König mit den schärfsten Vorwürfen zu bedrängen, aber unvermögend war er, den innern Sturm, die Aufwallung des Zorns zu bändigen, um durch die Macht der Rede zum Ziel zu gelangen. Mit bitterem Spott verhöhnt er sich daher, dass er noch nicht das Wort zur Anklage finden konnte, zur Zeit, da schon die Rache selbst sollte vollbracht sein. Ergriffen von dem Ausdruck des Gefühls, von der Macht des Wortes, steigt in ihm der Plan auf, sich dieses mächtigen Wortes als Mittel zu bedienen, um den König zu überführen. Er dichtet nun Verse, die, in ein Schauspiel eingeschoben, die Schuld dem Mörder vorhalten sollen. Eine exquisite Inquisition, bei welcher der Richter, ohne selbst im Spiel zu sein, in langsamer Folge die Wirkung der Streiche beobachten kann. Die List gelingt, der König bekennt sich schuldig. Hamlet hat seine Geistesthat vollbracht, und kindisch eitel jubelt er darüber auf. Der gerechte Zorn, der Gedanke an Rache folgt als Zweites nach.

Es liegt hier der Knotenpunkt des Stückes; eine Wendung tritt nun ein. Bis hierher handelt Hamlet consequent. Zweifel hatten sich in ihm erhoben über die Wahrheit der Geisterbotschaft, durch eine List hat er sich Gewissheit über das Verbrechen verschafft. Mit welcher Intensivität war er bei seiner Aufgabe! Gleich einem, in seiner Kunst erfahrenen Pionier verfolgte er mit der Spannung seiner ganzen Seele die Wirkung seiner Minen, den Ausgang seiner List. Sie war ihm geglückt. Allein der Erfolg erschreckt ihn und setzt ihn ausser sich; er vergisst über dem Mittel den Zweck, für den er sich gemüht; ja, in dem Augenblick, wo er des Mörders gewiss ist und ihm das Schicksal gefügig den König in die Hand giebt, verschmäht er die Rache, er lässt den entscheidenden Moment zum Handeln entschlüpfen. Den König hat er nun aber aufgeweckt und, wie er weiss, zum energischen Vorgehen gereizt. In der zweiten Hälfte des Stückes ist es dieser, welcher nun gegen Hamlet auftritt, bis endlich beide in das gemeinsame Verderben stürzen.

Warum aber versinkt Hamlet so urplötzlich nach seiner Gei

stesthat, der Entlarvung des Verbrechers, in scheinbare Apathie und überlässt das Weitere dem Zufall?

Er ist sich bewusst, dass der König, seinem Charakter gemäss und durch seine Lage gezwungen, darauf denken muss, ihn aus dem Wege zu räumen. Er weiss gewiss, der Schlag wird nun gegen ihn sich wenden; daher ist sein Plan nun, aufzulauern, Nichts zu thun, die Pläne des Königs zu errathen und zu vereiteln, kurz, die Defensive zu ergreifen. Aber indem er sich vertheidigt, hofft er auf einen günstigen Augenblick, auf eine Blösse seines Gegners, um ihm den endlichen Stoss zu versetzen. In diesem Sinne, stolz auf diese Thatkraft seines Geistes, ruft er aus: „Der Spass ist, wenn mit seinem eignen Pulver der Feuerwerker auffliegt, und mich trügt die Rechnung, wenn ich nicht eine Klafter tiefer grabe und sprenge sie bis an den Mond." Rosenkrantz und Güldenstern fängt Hamlet in der That, indem er tiefer gräbt; doch mit dem König wäre dies ihm nicht geglückt, hätte das Schicksal Laertes' Klinge nicht in seine Hand geführt.

Von dem Augenblick an, in welchem Hamlet Klarheit gewonnen über des Königs Verbrechen, unmittelbar nach dem Schauspiel beginnt er offen zu drohen; mit selbstbewusster Kühnheit stachelt er die Energie des Königs gegen sich auf, anstatt die eigne zu gebrauchen. Dieser, der eben mit seinen Höflingen die Verabredung getroffen, die Gefahr, die ihm in Hamlet droht, auf das schleunigste zu beseitigen, hat sich auf die Knie niedergeworfen, um von Gott Ruhe und Gnade zu verlangen. So trifft ihn Hamlet auf dem Weg zu seiner Mutter allein im Gebet. Rasch an's Werk. Es ist, als ob eine Hand von oben auf den Mörder zeigte. Dennoch lässt er sich die Gelegenheit entschlüpfen. Er geht vorüber, lässt dem König das Leben. Warum? Nicht etwa weil er nicht seine Aufgabe ausführen will; im Gegentheil, er ist nicht nur bereit und willig dazu, sondern, erhitzt durch Leidenschaft und Phantasie, überbereit und überwillig, glaubt er nicht grausam genug zu sein, würde er den Vater, der in der Maienblüthe seiner Sünden dahinfuhr, an einem Betenden rächen.

Man hat die Ursache, die Hamlet am Handeln verhindert, darin finden wollen, dass der Instinkt oder die Leidenschaft, oder wie man es nennen will, die Naturkraft im Geiste und das Denken nie zusammentreffen. Hamlet habe im Handeln den esprit d'escalier, einen Zustand, der an das Krampfstottern erinnere. Es wäre indess doch seltsam, wenn Shakespeare sich zum Vorwurf einer grossen tragischen Dichtung eine solche Geistesdeformität gewählt hätte. In

Bezug auf die eben besprochene Stelle möchte ich im Gegentheil sagen, bei Hamlet traf hier Naturkraft und Denken wohl zusammen, er hielt aber die handelnde Kraft gewaltsam zurück in der Ueberreiztheit seiner Stimmung. Hamlet ist nicht ein Mann der überlegten, pflichtgemässen, sondern der leidenschaftlichen, unüberlegten That und des allzufein ausgesponnenen Gedankens. Deswegen sagt er: Gieb mir den Mann, der nicht unterthan den Leidenschaf ten ist, dess' Blut und Urtheil ist so gut geeint", u. s. w. Denn durch seine Leidenschaft und nervöse Erregtheit, die ihn wie durch buntes Glas die Dinge in verändertem Schein sehen lässt, verliert er den klaren Blick, das Urtheil, das den Weg durch die Welt kennzeichnet. Wie Hamlet beabsichtigt, hält er zwar der Mutter ihre That vor, aber allzuheftig wiederum, so dass der Geist ihn zur Mässigung mahnen muss. Und in der Hitze dieser Strafrede tödtet er anstatt des Königs wie rächt sich hier der Zufall, der ihm vorhin so gefällig war den alten Polonius!

Es widerspricht dieses Faktum der Ansicht Derer, welche meinen, Hamlet habe, als er hinter dem betenden König stand, nur sich selber weiss gemacht, er sei nicht grausam genug, weil er in Wahrheit zu feige gewesen. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte ihn die Feigheit auch jetzt abhalten müssen, den König, wie er wähnte, zu ermorden. Herr Vischer glaubt, Hamlet habe seine Rache nur verschoben, weil ihm die Idee eines Gerichts vorgeschwebt habe. Jedoch gegen diese Auffassung spricht wiederum, dass Hamlet den König hinter dem Vorhang ermorden wollte, ein Verfahren, das doch auf das gerade Gegentheil eines öffentlichen Gerichts hinausläuft.

Rathlos für den Augenblick durch den missglückten Stoss, der Polonius getroffen, lauert Hamlet auf eine günstige Gelegenheit.

Des Geistes Mahnung vermag ihn wohl im zähen Festhalten seines Vorhabens zu bestärken, aber nicht zur Eile im raschen Vollzug zu begeistern. Die Absicht des Königs, die ihm wohl bekannt. war, ihn nach England zu senden, kommt ihm erwünscht. Voll Misstrauen gegen diese Sendung, findet er eine kühne Freude daran, die Pläne gegen sich wirken zu lassen, um sie durchkreuzen zu können. Es gelingt ihm, er kehrt zurück, und es liegt eine Art Muth oder vielmehr muthvolle Hartnäckigkeit darin, wiederum zurückzukehren, um wiederum eine Klafter tiefer graben zu müssen als sein Gegner.

Auf dem Weg nach England trifft Hamlet auf die Schaar Soldaten, die gegen Polen ziehen, die um ein Nichts, ein Phantom des Ruhms, zum Grabe gehen wie in's Bett. Hamlet bricht hier in

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die Worte aus: Wie jeder Anlass mich verklagt und spornt die träge Rache an. Nun, sei's viehisches Vergessen oder sei's ein banger Zweifel, welcher zu genau bedenkt den Ausgang, ein Gedanke, der, zerlegt man ihn, ein Viertel Weisheit nur und stets drei Viertel Feigheit hat, ich weiss nicht, warum ich noch lebe, um zu sagen, dies muss geschehen, da ich doch Grund und Willen und Kraft und Mittel habe, um es zu thun. Von Stund an trachtet nach Blut Gedanken oder seid verachtet!" Es liegt in diesen leidenschaftlich ungeduldigen Worten ein innerer Widerspruch, der nur durch eine specielle Beziehung derselben gehoben werden kann. Wie kann Hamlet zugleich des thierischen Vergessens und des allzugenauen Bedenkens sich beschuldigen! Jedoch in der Eigenschaft seines Geistes, die über dem Mittel den Zweck ihn oft vergessen liess, mag dieser Vorwurf allerdings begründet sein. So war er mit ganzer Seele in seinem Plan, durch ein Schauspiel den König zu entlarven, befangen, dass er darüber den Entschluss der Rache selbst hatte fahren lassen. Das thierische Vergessen seines Endziels, vereint mit einem zu subtilen Ausspinnen seiner Mittel, wirft er sich vor und muntert sich auf in den Schlussworten dieser Scene, nur den Zweck zu betrachten.

Aber weder die List noch das Zuwarten hätten Hamlet an das Ziel geführt. Eine blutige Rache kann in der Aufwallung eines empörten Gemüths geschehen, wenn die Unmittelbarkeit der That die Reflexion nicht aufkommen lässt, oder in der Befriedigung eines langgehegten Hasses, der seinen Gegenstand nicht aus den Augen verliert, bis er die erlittene Unbill gesühnt hat. Wer sich dagegen wie Hamlet in eine systematisch überlegte Vorbereitung so sehr vertieft, und durch den Erfolg derselben nicht augenblicklich entflammt wird auf Stoss zu Gegenstoss, dem wird nach dem verpassten rechten Moment seine Rache entfremdet entgegentreten; sie gewinnt etwas von dem Ansehen einer aufgetragenen Execution. Einer solchen ruhig entschlossenen Grausamkeit im Vollbringen wäre Hamlet nie fähig gewesen. Es bedurfte daher des Schmerzes über den Tod der Mutter, des erneuten Grimms gegen den Verbrecher und des Nahens des grimmen Schergen-Todes, um das fliegende Feuer der Thatkraft zu erregen, das Hamlet charakterisirt. Mit tragischer Gerechtigkeit spricht Shakespeare über seinen Helden das Urtheil, indem er ihn, der im Rechten und Tüchtigen nicht durch das Leben zu gehen vermochte, auch an seiner Subtilität und eigenthümlichen Wesenheit scheitern lässt. Aber mit besonderer Sympathie schildert er seinen Untergang. Mit welcher Meisterschaft

zeichnet er die verklärte Ruhe, die über Hamlet in den letzten Scenen kommt, da er fühlt, die Entscheidung naht! Es ist, als ob er mit einem melancholischen Lächeln auf den Lippen die Worte niedergeschrieben habe, in denen er die geistige Ueberhebung Hamlet's zeichnet, der spöttelnd den plumpen Osrik traktirt, während ihn eben dieser Osrik in die Falle führt. Er fühlt wie Horatio für Hamlet. Horatio selbst aber, welche wunderbare Erscheinung! Shakespeare stellt ihn wie eine Standarte des Rechten neben Hamlet auf, damit man nicht irren solle, wenn Hamlet's verführerische Seltsamkeit, das geistige Zuviel und Zuwenig, das ihm eigen ist, den Zuschauer bezaubert, als einen Massstab, nach dem Hamlet's Thun sich messen lässt.

Wer aber war Horatio? Was treibt er in der Welt? Wie steht es darinnen? Woher kommt er, wohin geht er? Von allem dem weiss man nichts, obgleich er als Busenfreund des Helden durch das ganze Stück hindurch im Vordergrund steht. Dabei ist er mehr typisch als subjectiv gezeichnet. Durch diese Ungewissheit und Unpersönlichkeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, die über ihm liegt, gewinnt die Rolle Aehnlichkeit mit der Aufgabe, welche in gewissem Sinn der Chor in der antiken Tragödie vertritt. Sein Zweck ist nicht Selbstzweck, er erklärt Personen, Facta, und nur, indem er für Andre da ist, zeichnet er sich selbst. Der Chor bei den Alten indess ist, da er, wie Horatio, nicht in die Handlung eingreifen, nur Theilnahme äussern soll, eine charakterlose Person, Horatio dagegen das Prototyp eines charaktertreuen Mannes, das Muster einer edlen, nicht sentimentalen, aber aufopfernden Freundschaft. Er ist der Chor der Alten, allein in das Gemüthvolle und Charaktervolle umgesetzt.

II.

Es ist gegen Hamlet die Anklage der Härte erhoben worden, und Niemand kann ihn wohl dieses Fehlers ledig sprechen. Den Mord, den er an Polonius verübt, nimmt er ziemlich leicht; eine Fügung des Himmels, wähnt er, habe Polonius in seinen Weg gestellt, so dass er fallen musste. Der Wahnsinn Ophelien's und ihr Ende drückt nicht auf sein Gewissen, weil er dieses Unheil nicht gewollt, wenn schon verschuldet hat. Die Ursache dieser Unempfindlichkeit für das Schicksal von Personen, die minder nahe seinem Herzen stehen, mag darin liegen, dass Hamlet, in Folge seines Ungeschicks zum praktischen Handeln, die Aufgabe, die ihm ge

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