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Dramen des Briten fast einen bedeutenderen Zulauf fanden, als ein ähnlicher Cyclus der deutschen Classiker, der in diesem verflossenen Theaterjahre gespielt wurde.

Mag vor Allem jener echte Beschützer der Kunst sich den schönen Lorbeer dieses Sieges auf's Haupt drücken, der in Zeiten, wo fast allgemein die Bühne nur leichte Vergnügungen bietet, den schwer ernsten Bestrebungen seines Theaters den unwandelbaren Schutz fürstlicher Huld bewahrte.

Ludwig Devrient als König Lear.

Von

Hermann Ulrici.

Ludwig Devrient war nach dem Urtheil des grossen Publi

kums wie der Kenner und Kritiker einer der ausgezeichnetsten Shakespeare-Darsteller der neueren Zeit, zwar nicht aller Shakespeare'scher Heldenrollen, - zum Macbeth, Othello, Coriolan fehlte. ihm die Leibeskraft und Leibesstatur, aber den Lear, Richard III., Mercutio, Jago, Hubert, Shylock, Falstaff hat er bis zum Ende seiner künstlerischen Laufbahn gespielt. Ich erinnere mich seiner von der Berliner Bühne her, also aus der spätern Zeit seines Lebens, sehr deutlich, der überaus hageren Gestalt von mittlerer Grösse, des geistreichen Gesichts mit der gebogenen, scharf zugespitzten Nase, dem feingeschnittenen Munde und den grossen feurigen Augen, der eigenthümlichen Beweglichkeit des Körpers, der langen, mageren, aber so ausdrucksvollen Hände. Diese Hände und die mächtigen Augen, verbunden mit einem entsprechenden Mienenspiel, waren ihm die Hauptmittel, ja fast die alleinigen Mittel der Darstellung. Durch Haltung und Stellung des Körpers konnte er nicht imponiren, denn er besass keine imposante Körperlichkeit; durch Kraft und Fülle der Stimme konnte er keine Wirkung erzielen, denn er besass keine wohlklingende, metallreiche Stimme, der Ton derselben, obwohl mannichfaltiger Modulation fähig, hatte vielmehr stets etwas Scharfes und schlug daher, zu stark angeschaut, leicht in das

Schneidende, Gellende, Kreischende um; und heftige, unmässige gewaltsame Bewegungen des Rumpfes wie der Arme und Beine brauchte er nie, wo sie nicht schlechthin nothwendig waren, ohne Zweifel eingedenk der goldenen Regeln, welche Hamlet den Schauspielern ertheilt. So blieben ihm nur diejenigen Organe des Leibes zur Benutzung übrig, die gleichsam in unmittelbarster Beziehung zur Seele und dem seelischen Leben stehen. Daher war sein Spiel ebenso sehr eine Vergeistigung des leiblichen als eine Verleiblichung des geistigen Ausdrucks: auf diesem Uebergewicht, dieser Macht und Herrschaft des Seelischen, Geistigen über das Sinnliche der Erscheinung beruhte vornehmlich der eigenthümliche Zauber seiner künstlerischen Produktion.

Eine seiner ausgezeichnetsten Leistungen war deshalb die Darstellung des Lear, eine Rolle, in welcher das höchste Gewicht des tragischen Leidens einem so geringen Maasse des Handelns und des Widerstandes wie in keinem andern Drama gegenübersteht, in welcher Alles darauf ankommt, dieses Leiden, diesen tiefen, erschütternden, zerrüttenden Seelenschmerz, dem der König erliegt, zum vollen Ausdruck zu bringen. Ich hebe indess diese Rolle auch darum besonders hervor, weil ich an die Betrachtung derselben einige Bemerkungen über die so vielfach angefochtene erste Scene des ersten Akts die Exposition des Stücks- anknüpfen möchte, welche mir die Vergleichung von Devrient's Spiel mit dem anderer berühmter Darsteller an die Hand gegeben hat. Soviel ich mich erinnere, zeigte Devrient bei seinem ersten Auftreten in der angeführten Scene keine Spur von Trübsinn, von finsterer Laune, von schroffem, despotischem Wesen; mit dem Ausdruck königlicher Würde und Machtvollkommenheit paarte sich vielmehr ein Zug der Milde, der Befriedigung, der Heiterkeit. In der That muss ja dem Charakter des Königs ursprünglich ein heiteres Element, eine Neigung zu Scherz und Lust angehört haben; das ergiebt sich zur Evidenz aus seinem Verhältniss zum Narren, den er offenbar fast ebenso sehr liebt wie dieser ihn. In dieser Stimmung froh, sich der Last der Regierung entledigen zu können, ohne Ahnung der furchtbaren Zukunft, die ihm droht, schickt er sich an, den Akt zu vollziehen, der so verhängnissvoll für ihn werden sollte. Der Entschluss, der Krone zu entsagen und das Reich unter seine drei Töchter zu theilen, steht längst bei ihm fest. Das geht zur Evidenz hervor aus den ersten Worten, mit denen das Stück eröffnet wird und denen Shakespeare gewiss nicht ohne Absicht die so bedeutsame Stellung an der Spitze des Ganzen gegeben hat.

Denn auf die Bemerkung Kent's: „Ich dachte, der König hätte den Herzog von Albanien lieber als den von Cornwall", erwidert Gloster: So schien es uns immer; allein jetzt, bei der Theilung des Königreichs, zeigt sich's nicht, welchen der Herzöge er am meisten schätzt; denn die Theile sind so gleichmässig abgewogen, dass auch die schärfste Prüfung keine Bevorzugung des einen vor dem andern entdecken kann." Die Theilung war mithin bereits vollzogen, es war bereits bestimmt und genau abgemessen, was und wie viel jede der drei Töchter erhalten solle. Dies bestätigt der König ausdrücklich, fast wiederum mit den ersten Worten, die er spricht, wenn er sich die Landkarte geben lässt, auf welcher die Gränzen des jeder Tochter bestimmten Gebietes bereits eingezeichnet sind, und wenn er mit dem Blick auf sie erklärt: „Wisst, dass in drei Theile wir unser Königreich getheilt" (Know we have divided in three our kingdom). Er fügt hinzu:,,We have this hour a constant will to publish, our daughters' several dowers" etc. Die Theilung war also sein fester Wille, sein längst gefasster und festgehaltener Entschluss, den er wahrscheinlich nur darum als constant ausdrücklich bezeichnet, um anzudeuten, dass trotz der Einreden und Bedenken, die dagegen erhoben worden oder sich erheben lassen, er unerschütterlich dabei verharre. Es war mithin nur seine Absicht in dieser Stunde" den längst feststehenden Entschluss auszuführen, die längst abgetheilten Gebiete des Reichs seinen Töchtern und Schwiegersöhnen zu übergeben, keineswegs erst jetzt jeder Tochter zuzumessen, was sie nach dem Maasse ihrer Liebe oder vielmehr ihrer blossen Liebesbetheuerungen verdienen werde. Dass man dennoch allgemein diese allerdings fast kindisch" zu nennende Intention dem König gegeben, hat seinen alleinigen Grund in der Aufforderung, mit der er plötzlich an seine Töchter sich wendet:

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„Sagt mir, meine Töchter,
(Da wir uns nun der Macht, des Landbesitzes,
Der Sorge für den Staat begeben wollen),

Sagt, welche von Euch uns am meisten liebt,
Damit wir unsre reichsten Gaben spenden,

Wo die Natur mit dem Verdienst wetteifert."

Allein diese Aufforderung und insbesondere die letzten Worte können offenbar nicht ernst gemeint sein. Denn abgesehen davon, dass sie den oben angeführten Thatsachen widersprechen, steht ch Lear's eignes Verfahren in offnem Widerspruch mit ihnen

Denn unmittelbar nachdem Goneril gesprochen, bevor Regan und Cordelia sich geäussert und den Stärkegrad ihrer Liebe der doch den Maassstab für die Vertheilung der ,,Gaben" bilden soll bezeichnet haben, erklärt er auf Goneril's Rede: „All dies Gebiet von diesem Strich bis hier, Mit schatt'gen Wäldern etc. vermach' ich Dir.“ Und ebenso erhält Regan, ohne Rücksicht auf ihre die Schwester noch überbietende Liebeserklärung, das ihr beschiedene Theil, noch ehe Cordelia ein Wort gesagt hat. Offenbar also war die ganze Aufforderung nur ein plötzlicher Einfall, auf den Lear kam und den er ausführte, um die Zeit auszufüllen, bis die Fürsten von Burgund und Frankreich, nach denen er Gloster ausgesendet hatte, eintreten würden. Das innere Motiv des Einfalls war wohl der Wunsch, durch die öffentliche Versicherung der Töchter von ihrer Liebe und Pietät sich zu vergewissern, dass seine Thronentsagung keine Gefahr für ihn berge. Die Worte aber: „Damit wir unsre reichsten Gaben spenden etc." fügte er wohl nur in ironischem Sinn hinzu, mit lächelndem Munde, um das gerade Gegentheil anzudeuten und seiner Ueberzeugung die er ohne Zweifel hegte Ausdruck zu leihen, dass alle seine Töchter ihm gleich sehr in Liebe und Verehrung ergeben seien. Um so mehr überrascht ihn daher der strenge, schroffe Ernst, mit dem Cordelia indignirt über das Benchmen ihrer Schwestern, welche die Gelegenheit begierig ergreifen, um ihre heuchlerische Liebe in ungemessenen Ausdrücken zur Schau zu stellen, ihrerseits die Sache auffasst. Erstaunt bittet er sie, noch einmal zu sprechen, ihre Rede zu bessern, und erst als sie ihm erklärt, dass, wenn sie sich vermähle, ihr Gatte die Hälfte ihrer Liebe und ihrer Pflicht mit sich nehmen werde (als ob die Liebe zum Vater und die Liebe zum Gatten sich gegenseitig ausschlössen!), da überkommt ihn die Heftigkeit seines cholerischen Temperaments, und bewältigt vom aufbrausenden Zorn den er, wie Goneril später bemerkt, auch in seinen besseren kräftigeren Jahren nie zu zügeln gewusst, enterbt und verstösst er Cordelia, und ladet damit den Schein auf sich, als sei er von Anfang an ernstlich gemeint gewesen, je nach der Erklärung seiner Töchter seine Gaben" zu vertheilen. (Das Motiv dieses Zorns wie der letzte Grund seiner Aufforderung an die Töchter ist allerdings der falsche Begriff, den er vom Wesen der Liebe hegt. Aber dieser ihm selbst unbewusste Grund steht in keinem Zusammenhang mit der Frage, um die es sich hier handelt.)

Ich kann nicht mit Bestimmtheit behaupten, dass Ludwig

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