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Devrient die Scene in demselben Sinn verstanden oder sie diesem Sinne gemäss gespielt habe; ich bin nicht sicher, ob nicht die dargelegte Auffassung derselben, die mir selbst erst weit später aufgegangen, sich in meine Erinnerung eingemischt und das schon verblasste Bild von Devrient's Darstellung alterirt habe. Nur dessen glaube ich mich bestimmt zu entsinnen, dass Devrient, wie schon bemerkt, den Anfang der Scene mit dem Ausdruck freundlicher, heiterer Gemüthsstimmung spielte und das plötzliche unvermittelte Umschlagen derselben in's Gegentheil, das plötzliche Auflodern des Zorns, wie es gerade diesem Affekte eigenthümlich ist, stark markirte.

Deutlicher und mit völliger Bestimmtheit dagegen erinnere ich mich eines andern Punktes, in dem Devrient's Darstellung von der mancher neuerer berühmter Schauspieler entschieden abwich und den ich noch zur Sprache bringen möchte. Die Momente hervorzuheben, von denen die Geisteszerrüttung Lear's ausgeht und um sich greifend immer tieferen Schatten in seine Seele wirft, und dann den ausgebrochenen Wahnsinn selbst in voller erschütternder Wahrheit zur Darstellung zu bringen, wird mit Recht für die Hauptaufgabe des Schauspielers erachtet, der es wagt den Lear zu spielen. Von diesen Scenen, wenn sie gelingen, darf er auch die grösste Wirkung, den höchsten Beifall für sein Spiel erwarten. Darin liegt für den Schauspieler ein verführerischer Anlass, die Farben zu stark aufzutragen und nicht nur die Gewalt der Affekte, denen die Geisteskraft des Königs allgemach erliegt, zu übertreiben, sondern auch den Wahnsinn in recht handgreiflicher Weise durch grimmassirendes Mienenspiel, Verrenkungen des Körpers, seltsame, unnatürliche Stellungen und Bewegungen zum Ausdruck zu bringen. Allein eine solche Versinnlichung des Wahnsinns ist selbst durchaus unnatürlich, unwahr, und kann nur auf Denjenigen Eindruck machen, der nie einen Wahnsinnigen gesehen hat. Der Wahnsinn geht zwar nicht selten in mehr oder minder anhaltende Tobsucht über und die Tobsucht äussert sich allerdings in den heftigsten, oft sehr ungewöhnlichen Bewegungen; aber die Tobsucht lässt sich nicht auf die Bühne bringen, weil ihre Darstellung absolut unpoetisch und undramatisch wäre. Lear zeigt daher keine Spur von ihr. Lear erscheint vielmehr nur wahnsinnig, und der Wahnsinnige unterscheidet sich äusserlich in Bezug auf Haltung, Bewegung, Gebehrde in nichts vom geistig gesunden Menschen. Abgesehen von Wort und Handlung, d. h. abgesehen von den Gedanken, Meinungen, Ueberzeugungen (der s. g. fixen Ideen), die seinen Vorstellungskreis

beherrschen und seinen Willen bestimmen, giebt sich der Wahnsinn ausschliesslich oder doch vorzugsweise nur im Auge, in einem eigenthümlich starken, düstern, gleichsam mehr nach innen als nach aussen gekehrten Blicke kund. L. Devrient's Darstellung der Wahnsinnsscenen zeigte daher durchaus nichts von unnatürlichen oder aussergewöhnlichen Bewegungen; er spielte die Scenen fast nur mit den Augen, und unterstützte den Ausdruck des Blicks nur durch ein entsprechendes Mienenspiel und durch eigenthümlich bedeutsame Finger- und Handbewegungen. Dass er mit so einfachen Mitteln doch eine so grosse Wirkung erreichte, verdankte er allerdings wohl dem Umstande, dass er von Natur ein grosses, hervortretendes Augenpaar besass; Jedem, dem diese Gabe versagt ist, wird es schwer, wenn nicht unmöglich fallen, gleich glänzende Erfolge zu erringen. Aber daraus folgt nur, dass ein Solcher entweder auf die Darstellung des Lear ganz verzichten oder mit einer geringern Wirkung seines Spiels sich begnügen muss; die Rolle bietet neben den Wahnsinnsscenen noch Stellen genug dar, in denen die Meisterschaft des Künstlers sich bewähren kann und wenn sie sich zeigt, auch nicht ermangeln wird, die ersehnten Beifallszeichen dem Publikum zu entlocken. Jedenfalls darf kein Künstler, der sich den Anspruch auf diesen Namen bewahren will, jemals auf die Unkunde des Publikums spekuliren und durch eine unwahre Darstellung Effekte erzielen wollen, welche nun einmal die Natur der Sache und seine eigene Persönlichkeit ihm versagt. Dieser Grundsatz ist um so strenger festzuhalten, je entschiedener unsere realistische Zeit auf Natur und Naturwahrheit dringt und den Künstler nöthigt, alle idealistischen Elemente aus seinem Spiel zu verbannen. Denn die blosse Natur ist nur künstlerisch, wo sie in klarer unverfälschter Wahrheit auftritt, weil der Kern der Wahrheit zugleich den Keim, wenn auch nur den Keim der Schönheit in sich trägt.

Ueber die Shakespeare - Aufführungen

in Meiningen.

Von

W. Rossmann.

Meiningen, am 15. November 1866.

Ich habe das Vergnügen, Ihnen mitzutheilen, dass mit dem Regierungsantritte des Herzogs Georg auch das Meininger Hoftheater, welches gegenwärtig unter der Intendanz des Hofmarschalls Freiherrn v. Stein und der artistischen Leitung des Herrn Grabowski steht, in die Reihe der Shakespeare-Bühnen eingetreten ist. Dasselbe wird fortan den Darstellungen Shakespeare'scher Stücke eine ganz besondere Sorgfalt zuwenden, das darstellende Personal in dieser Rücksicht wählen und seine Ehre darin setzen, mit den besten Bühnen in der Bereicherung des deutschen. Shakespeare-Repertoires zu wetteifern. Ganz fremd war der Dichter unserer Bühne auch bisher nicht: wir haben Heinrich IV, Hamlet, Othello, Macbeth, den Kaufmann von Venedig, den Sommernachtstraum (nach Schlegel's Uebersetzung von Locher eingerichtet, mit Mendelssohn's Musik), Was ihr wollt, Wie es euch gefällt, Der Widerspänstigen Zähmung (von Locher eingerichtet), Viel Lärmen um Nichts, Die Comödie der Irrungen und das Wintermärchen (nach Dingelstedt), meist in wiederholten Aufführungen gesehen; und aus Anlass derselben hat der jetzt regierende Herzog, als Erbprinz, eine Garderobe für das Theater angeschafft, die wohl zu den besten und correctesten in

Deutschland gehören mag. Für die Zukunft aber gedenkt man ein festes Shakespeare - Repertoire zu begründen, zu welchem Zwecke der darstellenden Gesellschaft durch Gewährung längerer Contracte eine grössere Stetigkeit des Bestandes gegeben werden soll. Der so gesicherte Schatz wird sich dann durch eifriges Studium leicht vermehren lassen. Ueberhaupt soll zunächst das recitirende Schauspiel ausschliesslich gepflegt werden, und um die Bühne für die zahlreicher und sorgfältiger anzustellenden Proben frei zu haben, hat man sich entschlossen, die Oper einstweilen ganz aufzugeben und dafür eine Reihe historischer Concerte eintreten zu lassen. So darf man hoffen, allmählich sich erweiternd eine Bühne herzustellen, die lediglich von den Rücksichten des guten Geschmackes beherrscht sein wird.

Für diesen Winter stehen Hamlet, Julius Caesar, Othello, Lear, Cymbeline (nach Ihrer Bearbeitung), König Johann (nach Jenke's Einrichtung), Richard II und Richard III auf dem Repertoire. Was die Bühnen-Einrichtung der Stücke betrifft, so ist man hier keinesweges abgeneigt, am Original die Veränderungen vorzunehmen, welche der moderne, an eine detaillirtere und bestimmtere Inscenirung gewöhnte Geschmack und die träger gewordene Phantasie verlangen, und auch in der äusserlichen Motivirung diejenigen Hilfen eintreten zu lassen, die der realistische Sinn des Zeitalters nicht mehr entbehren mag. In Betreff des Textes aber neigt man zur strengen Observanz und ist jeder nicht unumgänglich nothwendigen Veränderung entgegen.

Mit der Darstellung des Hamlet wurde die Bühne eröffnet: sie war im Ganzen befriedigend. Besonderes Lob erwarb sich Herr Kowal, der Erste, der uns den Hamlet fast ganz zu Danke darstellte. Wir bemerkten mit Vergnügen, dass er weniger aus den Commentaren, als aus der Exposition des Stückes spielte. Er fügte seine Rolle ganz in den Zusammenhang des Sujets ein, zeigte ein unmittelbares Gefühl seiner Lage und verzichtete, sehr zum Vortheil der Gesammtwirkung, auf jene von der natürlich elementaren Stimmung abgelöste, Ostentation philosophischer Tiefsinnigkeiten, wie sie bei uns seit geraumer Zeit üblich geworden ist.

Mit besonderer Spannung sieht man der Vorstellung des Cymbeline entgegen, dem es bis heute nicht hat gelingen wollen, sich auf der deutschen Bühne einzubürgern. Von dem hohen poetischen Werthe der Dichtung innig durchdrungen, wird man Alles aufbieten, ihr hier eine bleibende Stätte zu bereiten. Es scheint freilieh nicht ganz in der Hand der Bühnenleiter zu liegen, den Ursachen

sofort abzuhelfen, welche bisher die Erfolglosigkeit des herrlichen Werkes verschuldet haben. Der Geschmack des Publikums,. durch lange Verwöhnung allzu nüchtern geworden, ist jeder lyrischen Erweiterung und Retardirung der dramatisehen Action entgegen und treibt erbarmungslos, nachdem nur mit Hast die Exposition aufgenommen, den Helden der Krisis zu. Und darin auch ferner über das rechte Maass nachzugeben, darin auch hier nachzugeben, wäre Sünde an der Poesie: wo Shakespeare lyrisch wird, hat er auch längst für das dramatische Interesse gesorgt, und es entsteht für die Bühnenleitung nicht die Pflicht des Streichens, sondern zartester Ausführung und immer wiederholter Versuche. Aber in zwei Dingen, allerdings, kann die Regie dem Misslingen vorbauen: in der Wahl und Ausbildung der Imogen und in der Behandlung der Kriegs-Scenen. Wollen Sie mir hierüber einige Bemerkungen erlauben?

Die Imogen ist wohl das vollendetste, lieblichste Frauenbild, das Shakespeare geschaffen. Aber man wird bemerken, dass dieses Ideal einer jungen Frau weder in unbestimmter Allgemeinheit gehalten, noch allzu eng individualisirt, sondern durchaus das Ideal einer englischen jungen Frau ist, welches sehr feine, aber sehr bestimmte Unterschiede von dem uns geläufigen aufweist. Die edle deutsche Weiblichkeit im Leben wie in den Schöpfungen unserer grossen Dichter trägt sich voll, stark und kräftig vor; sie ist tief, geistig umfassend angelegt und harmonisch; sie bringt ihr Pathos auf einmal ganz und deutlich zum Vorschein oder nur in den Unterschieden des Grades; sie ist bei aller Tiefe leicht zu erkennen und zu errathen, weil sie innerlich zusammenhängend ist. Die feine und edle englische Frau bewahrt sich ein kindlich sprödes Wesen, eine anmuthig ablehnende Herbigkeit, und erschliesst sich nicht leicht; geistig minder durchgearbeitet und minder bedeutend hegt sie in ihrem Innern eine Reihe oft disparater und bestimmt ausgebildeter Eigenthümlichkeiten, die in der Regel latent bleiben, aber nach und nach, auf äussere Anlässe, in überraschender Bestimmtheit und Energie zu Tage kommen. Ein freundlicher Humor überträgt die Mannichfaltigkeit und Unterschiedlichkeit dieser neben einander liegenden Eigenschaften und reizt den Beobachter, auf Entdeckung auszugehen; aber diese Natur zieht sich zurück, und wo sie von der Liebe nicht errathen wird, steigert sie sich leicht bis zur Verstocktheit. Die deutsche Frau ist schmiegsam, empfänglich, der Mittheilung und des Mitlebens bedürftig und bildet sich leicht und gern in die Seele des Mannes hinein, ohne einen edlen

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