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Stolz aufzugeben; sie blüht auf und sinkt zusammen mit dem Geliebten, mit dem sie geistig eins wird: die englische ordnet sich demüthig unter, ist gehorsam bis zum Tode, begehrt nur Liebe, aber bleibt immer unwandelbar sie selbst mit allen Fehlern und Tugenden; im äussersten Kummer und in höchster Freude bleibt sie gelassen, und ihr Herz kann das Entsetzlichste überdauern, ohne zu brechen. Das englische Weib scheint nie Frau zu werden; es bleibt immer mädchenhaft. Die deutsche Frauenliebe ist schwärmerisch, verzehrend, und sie ergreift und verklärt oder vernichtet das ganze Wesen; die englische ist von der gleichen Gefühlsstärke und Treue, aber nicht von der gleichen Wirkung. Man denke an die Gestalten unseres grössten Frauendichters, an Gretchen, Clärchen, Marie Beaumarchais, Stella; man denke an Schiller's Amalie und Luise, an Grillparzer's Frauengestalten, und halte dagegen die Desdemona, Cordelia, Hermione, Imogen. Wie jene, so bilden auch diese unter sich eine Familie, und Imogen ist das Juwel darin. Sie ist von den Frauen Shakespeare's die mindest einseitige und herbe; sie ist die am reichsten ausgestattete; immer aber ein durchaus englisches Ideal.

Die ganze Art und Gewöhnung unserer ersten Darstellerinnen nun ist der Nachbildung solcher Charaktere nicht günstig: ihr Ideal ist das der deutschen Frau; sie erstreben das Grosse, Mächtige und die Darstellung des durchsichtigen, tief begründeten Zusammenhanges geistiger und gemüthlicher Eigenschaften. Und wieder, die zweiten Liebhaberinnen werden selten das hohe Geschick des Spiels (oder die glückliche natürliche Unbefangenheit) besitzen, welche die Rolle der Imogen erfordert, und nur zu leicht die echte und zarte Naivetät, welche uns an dieser Frauengestalt entzückt, durch die landläufige und fachmässige verderben, für welche man sie zu engagiren pflegt. Hier, offenbar, liegt eine grosse Schwierigkeit. Aber man begegnet ihr, aus den angegebenen Gründen, mehr oder weniger bei allen Shakespeare'schen Stücken, und es ist notorisch, dass fast durchgängig die weiblichen Rollen derselben schlechter gelingen, als die männlichen: wie denn Shakespeare, eben um der gelassenen, unpathetischen Haltung seiner Frauen willen, bei den Schauspielerinnen nur wenig beliebt ist. So wäre es denn an der Zeit, dass man sich dieses Umstandes überhaupt und allgemein bewusst würde, damit das Studium unserer Darstellerinnen die erwünschte Richtung zu nehmen anfinge.

Dies wäre das Eine. Das Andere ist die Behandlung der kriegerischen Scenen, die Shakespeare hier und sonst mit so grosser

Vorliebe einführt. Man behandelt sie in der Regel so wenig liebevoll und so unzweckmässig, dass sie lächerlich werden und jeder vortheilhaften Wirkung verlustig gehen. Und doch treten sie in der Regel eben da ein, wo eine Aufmunterung des Interesses höchst erwünscht, jedes Zurücksinken desselben höchst gefährlich ist. Wenn Shakespeare, der Meister in der Berechnung der theatralischen Effecte, es nicht verschmähte, zur Verstärkung der Gesammtwirkung, in seinen Zuschauern auch die elementare Leidenschaft des Kampfes gelegentlich anzusprechen: so haben wir alle Ursache, in den kriegerischen Scenen die Illusion so weit zu treiben, als nur immer möglich. In diesem Punkte hatten wir uns hier schon musterhafter Leistungen zu erfreuen. Die Schlacht in Heinrich IV. war zu solcher Mannichfaltigkeit und doch so zusammenhangsvoll disponirt, so vortrefflich eingeübt (bis auf den Moment und die Art des Fallens des Getroffenen), der Kampf wurde mit einem so täuschenden Schein von Realität ausgeführt, dass nicht nur die Zuschauer in die höchste Leidenschaft aufgeregter Theilnahme, sondern die Darsteller selbst in einen wahren Kampfeszorn geriethen. Damit war denn der Schluss auf's Würdigste vorbereitet, und der Ernst des Stückes kam zu seinem vollen Gewichte. Also auch für den Cymbeline darf man in dieser Beziehung das Beste erwarten.

Hoffentlich bin ich im nächsten Jahre in der erfreulichen Lage, Ihnen von günstigen Erfahrungen an Schauspielern und Zuschauern, von glücklichem Vorwärtsstreben und von reicheren Hoffnungen zu berichten.

W. Rossmann.

Ueber die Shakespeare - Aufführungen in Stuttgart.

Unser Shakespeare-Repertoire besteht im Ganzen aus 14 Stücken, bei deren jeweiliger Vorführung einzig nur die gute Absicht thätig ist, dem Publikum wieder einmal einen Shakespeare" zu geben. Dass diese gute Absicht nicht häufiger sich geltend macht, ist zu beklagen, doch stehen leider bei allen Hoftheatern über, oder mindestens neben den hohen Kunstinteressen noch höhere Rücksichten, welchen gebührende Rechnung getragen werden muss. nennen wird nicht nöthig sein, denn sie gruppiren sich ersichtlich genug schon um das Wort „Hoftheater". Müssen wir es beklagen, nicht oft genug in den grossen Spiegel schauen zu können, welchen Shakespeare für alle Zeiten der Natur vorgehalten, so wollen wir doch andererseits dankbar anerkennen, dass man uns seine Tragödien nicht nach der Laune eines Darstellers dürftig zurecht geschnitten, sondern möglichst unverkürzt vorführt. Es ist dies, auch den deutschen Klassikern gegenüber, ein Vorzug unserer Bühne, auf den sie gewissermaassen stolz sein dürfte, wenn das Gefühl, Recht zu thun, eine Berechtigung zum Stolze verliehe.

Die amtliche Uebersicht des vergangenen Theaterjahres zählt sechs Shakespeare'sche Lust- und Trauerspiele auf: Die bezähmte Widerspänstige (zwei mal), Viel Lärmen um Nichts, Othello (zwei mal), Lear, Hamlet und Romeo und Julie. Weshalb uns Macbeth, König Johann, Richard III, Heinrich IV, Julius Caesar, Der Kaufmann von Venedig, Der Sommernachtstraum und Was Ihr wollt

vorenthalten wurden, davon verlautet in der amtlichen Uebersicht natürlich nichts. Der Leser mag die Gründe selbst auffinden und sich zurechtlegen; einer der entschiedensten ist zweifelsohne der Mangel einer jugendlichen, hinreichend begabten Schauspielerin. Von glaubwürdiger Seite höre ich versichern, dass in Bälde Wie es euch gefällt und Coriolan zur Darstellung gelangen sollen. Möge es sich bewahrheiten und so diese Bereicherung des ShakespeareRepertoirs die klaffende Lücke der vergangenen Saison decken. Die grossen politischen Ereignisse dieses denkwürdigen Sommers, die so Manches umgestaltet haben, müssen folgerichtig auch eine Umgestaltung des deutschen Theaterwesens herbeiführen. Mit den Thronen der annectirten Residenzstädte sind auch ihre Hoftheater, mindestens als solche, gefallen. Wie lange wird es währen, so wirft ein zweiter Sturm neue Trümmer zu den alten. Doch der Freund der dramatischen Kunst und der dramatischen Künstler selber, werden sie über den Beginn einer neuen Periode klagen? Die grossen Summen, welche aus den Schatullen der Fürsten in den Etat ihrer Theater flossen, kamen mit wenigen Ausnahmen in erster Linie und zum grössten Theile nur der Oper zu gute. Mit dem Hinwegfall dieser Zuschüsse wird sich das Publikum der pompösen Ausstattungen entwöhnen müssen, sich vom Schaustück zum Schauspiel wieder zurückfinden, und das Volk sich wieder an seinen Dichterheroen erheben, an Schiller und Goethe, an Shakespeare, den es sich erobert hat und als sein ewiges Eigenthum betrachten darf.

Eine Charakteristik Hamlet's für

Schauspieler.

Von

W. Rossmann.

Die Darsteller des Hamlet sind, sammt ihrem Publikum, der Hamlet-Literatur nicht in gleichem Maasse zu Danke verpflichtet wie die Leser der Tragödie. Auf den ersten Blick zwar könnte es scheinen, als müsse den Einen zu Gute kommen, was für den Vortheil der Andern erarbeitet wurde; aber es giebt einen so beträchtlichen Unterschied zwischen Lesepublikum und Schaupublikum, zwischen Lesedrama und Spieldrama, dass dies nicht ohne Weiteres der Fall zu sein braucht, ja dass vielmehr ein Misskennen desselben, wie für die Production selbst, so für die Beurtheilung und die Darstellung von erheblichem Nachtheile sein muss. Denn gewiss, wer ein für die Aufführung geschriebenes Stück so auslegt, als wäre es bloss bestimmt, wie irgend ein anderes Erzeugniss der Literatur gelesen zu werden: der ist, wie sehr er auch das Verständniss des Einzelnen fördern mag, gar leicht in Gefahr, dem Schauspieler gerade diejenigen Einsichten zu verlegen und zu verschliessen, die ihm nöthig sind, um sein Spiel wirksam zu machen.

Nun finden wir die bedeutenderen Ausleger der Hamlet-Tragödie in der Ansicht einig, dass in diesem Stücke, entgegen dem bekannten Fundamentalsatze des Aristoteles, nicht die Charaktere der Handlung wegen da seien, sondern dass umgekehrt die Handlung nur Anlass und Gelegenheit gebe, um den Charakter Hamlet's sich ex

Jahrbuch II.

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