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Eine nur mit tolerantem Hochmuth gelten liess, der Andere aber mit tiefer Verachtung ignorirte, von den hellsten Köpfen verehrt und gepriesen, selbst von solchen mit Bewunderung beehrt wird, die ihn nicht verstehn und doch hinter der allgemeinen Meinung nicht zurückbleiben wollen, ja, dass dieser Dichter sogar die Geschlechter, für deren Bildung und Aufklärung diese Männer und ihre Genossen eine unerschütterliche Grundlage zu bereiten meinten, mit der Tiefe seiner Anschauungen und Empfindungen erbaut und ganz entgegengesetzter Wahrheiten belehrt hat. Es möchte wohl kommen können, dass selbst die Unmündigen die grossen Gelehrten in gleicher Weise auf den rechten Weg wiesen, wie Moth und Costard ihren Armado und Holophernes. Dass also in diesem heitern Scherz, der, wie in vielen Stellen deutlich ausgesprochen wird, für nichts weiter, als für einen Scherz gelten will, ein allzutiefer Sinn liegt, um denselben mit einer wegwerfenden Kritik abweisen zu können, wer vermöchte das zu leugnen? Kann aber die Tiefe der Anschauung, auf welcher dieses eigenthümliche Lustspiel beruht, das Eigenthum eines jungen oder selbst eines unreifen Dichters gewesen sein? Man hat die Planlosigkeit der ganzen Handlung als ein Symptom der Schwäche betrachtet. So wenig als ich den Vorwurf der Planlosigkeit zugeben könnte, wie schon aus dem bisher Gesagten hervorgeht, ebenso wenig möchte ich mich vermessen, zu behaupten, dass der Ausdruck einer überaus tiefsinnig ironischen Anschauung des Lebens, wie er für mich in dem. Ganzen ruht, in der bewussten Absicht des Dichters gelegen habe. Und doch wird es kaum thunlich sein, die tiefe, ernste Bedeutung, welche in einem poetisch dargestellten Scherze liegt, als etwas zu betrachten, was der Imagination des Dichters völlig fremd gewesen wäre. Wer sollte es nicht an sich selbst erlebt haben, dass zuweilen, inmitten der ausgelassensten Laune, ein tiefer Ernst, ja, selbst eine schmerzliche Empfindung von der schweren Bedeutung des Lebens dem inneren Gefühle nahe tritt und, ohne dass wir es wollen, dem Uebermuth der Heiterkeit eine ironische Färbung giebt? Oder betrachten wir die Frage von der Seite, dass ein Dichter, der im Stande ist, im Scherz oder Ernst die gegebene Situation und sei sie an sich selbst noch so abenteuerlich mit überwältigender Fülle des Lebens darzustellen, das Leben in allen seinen Bedeutungen und Richtungen bewusst oder unbewusst durchempfunden haben muss, so werden wir immer wieder zu dem Resultat kommen müssen, dass die tiefsinnige Ironie, die in diesem Drama liegt, nicht durch eine falsche Kritik hineindemonstrirt wer

den könnte, wenn sie dem Sinne des Dichters völlig fremd ge

wesen wäre.

Unter solchen Vordersätzen müssen wir, wie ich meine, die grosse Einfachheit der Anordnung weit mehr als ein Kunstwerk bewundern, als im Lichte der Schwäche betrachten. Wie viele, selbst überaus hochstehende Künstler und Dichter unterliegen nicht häufig der Gewalt ihrer Imagination, indem sie sich nicht versagen können, Alles, was ihnen dieselbe anbietet, in der Darstellung zur Erscheinung zu bringen oder mindestens in einer aufdringlichen Detailausführung geflissentlich anzudeuten. Die grosse Bescheidenheit in der Ausführung der meisten dramatischen Gemälde Shakespeare's, der überaus richtige Takt in der Vertheilung des Schattens und des Lichtes nach Massgabe der Bedeutung dessen, was in den Kreis der Darstellung gehört, ist, wie ich meine, auch an diesem Kunstwerke zu bewundern, und ich würde geglaubt haben, dass dieses als ein hervorstechendes Zeichen der Reife zu betrachten sei, wogegen der jüngere Dichter möglicher Weise jener Schwäche mit grösserer Wahrscheinlichkeit hätte verfallen können. Man hat ferner getadelt, dass durch die unvermuthet einfallende Nachricht vom Tode des Vaters der Prinzessin dem Ganzen ein unpassender und jedenfalls allzuernster Schluss gegeben werde. Ich halte diesen Schluss in doppelter Hinsicht für überaus bedeutsam und sinnreich. Wird nicht durch das plötzliche Eintreten dieser Trauerbotschaft am schlagendsten die Anschauung des Dichters bestätigt, wie nahe der bitterste Ernst und der heiterste Scherz im Leben neben einander liegen? Noch mehr: liegt nicht in diesem schweren Zwischenfall die schärfste Zurechtweisung des frivolen Leichtsinns, von dem bisher die ganze Gesellschaft beherrscht war? So nimmt denn auch die Prinzessin dieses Ereigniss auf, und die Busse, welche sie sich selbst und ihrem Freiwerber auflegt, ist, meines Erachtens, eine allzubestimmte Manifestation von des Dichters innerster Gesinnung, als dass man über dieselbe im Zweifel sein könnte; denn wer sollte sich nicht sagen, dass, wenngleich Alles, was wir im Stücke erlebt und gesehen haben, seine heitere und komische Seite haben dürfe, dennoch in anderer Beziehung ein gerechter Tadel darauf ruhn könne? Dass aber dieser nur im Hintergrunde bleiben solle, dafür hat er durch den endlichen Schluss in dem feinen Liede gesorgt, wo indessen nicht ohne Bedeutung der trübe Winter mit dem Geheul der Eulen den Gegensatz bildet gegen den heitern Frühling mit dem Rufe des Kuckuks. Soll ich nun von diesem Standpunkte aus dennoch annehmen, dass diese Dichtung

aus den früheren Jahren Shakespeare's herrühre und ich bin weit entfernt, dem geprüften Urtheile besserer Kritiker zu widersprechen so muss wenigstens eine Gewissheit daraus folgen. Nur wenn man die ungemeine Feinheit der Versification dieses Stückes betrachtet, wird man sich sagen müssen, dass der Dichter derselben, wenn noch so jung, das geübteste Ohr für den Wohllaut gehabt haben müsse. Er muss aber auch die Sprache dergestalt in der Gewalt gehabt haben, dass an eine oberflächliche, gewissermassen nur beiläufig erworbene Ausbildung gar nicht zu denken ist. Es ist überhaupt, wenn ich nicht irre, darauf noch niemals genug Aufmerksamkeit verwendet worden, dass Shakespeare einer der grössten Sprachkünstler, nicht blos seiner Zeit, sondern im Allgemeinen gewesen ist. Allerdings machte schon Pope darauf aufmerksam, dass seine dramatischen Personen alle ihre eigenthümliche Sprache führten, und dass man daher die einzelnen Rollen selbst dann von einander würde unterscheiden können, wenn auch der Name des Sprechenden nicht über den einzelnen Reden stände. So weit ausgreifend auch dieses Lob einer ungemeinen Sprachkunst ist, habe ich dennoch diese Beobachtung kaum von einem Andern genauer ausführen hören. Nun ist aber diese Bemerkung gerade bei diesem Stücke vorzugsweise zutreffend, und sie ist es namentlich in Bezug auf den Vers, wie er dem Einen oder dem Andern in den Mund gelegt ist. Neben der Feinheit und Gewandtheit, mit der diese Mannigfaltigkeit fast wie spielend hergestellt ist, muss noch eines besonderen Umstandes gedacht werden. Jedem Kenner der englischen Literatur des sechzehnten Jahrhunderts kann darüber kein Zweifel beigehn, dass die englische Sprache in damaliger Zeit der grössten Umwälzung unterlag, gleichwie dies in Deutschland zur Zeit der Reformation der Fall war, namentlich durch Luther's Bibelübersetzung. Nur fehlten in unserem Vaterlande die grossen poetischen Talente, wogegen in England nächst dem grössten unter Allen eine bedeutende Anzahl untergeordneter Sterne auf diesem Felde wirkten. Dass Shakespeare, so zu sagen, auf der Linie stand, wo sich die alte Sprache von der neueren trennte, wird kaum noch eines Beweises bedürfen. Dass er aber diesen Standpunkt mit Bewusstsein einnahm, dass nicht allein er für die Reinigung seiner Muttersprache von veralteten und unfeinen Wendungen, sondern auch für die Vertheidigung derselben gegen fremde Einmischungen, gegen überladenen Schwulst oder gezierte Gespreiztheit immerwährend kämpfte, das würde der Mühe lohnen aus vielen Stellen seiner dramatischen so

wohl als lyrischen Gedichte nachzuweisen. Und es würde nicht fehlen, dass mit einem solchen Nachweis eine Menge derjenigen Vorwürfe fallen müssten, welche selbst von Verehrern desselben gegen übelangebrachte Wortspiele (quibbles), Schwulst und Dunkelheiten in seinem Stile erhoben werden. Denn es würde sich herausstellen, dass abgesehen von seinen in der That unreifen Stücken, wie Two Gentlemen of Ver., T. Andr. und anderen die bezeichneten Wortspiele, scheinbare Dunkelheiten oder bombastische Uebertreibungen den betreffenden Personen in der Regel deshalb in den Mund gelegt werden, um gegen sie den Vorwurf einer entweder albernen und geckenhaften oder verworrenen und leidenschaftlich überspannten, ja sogar einer solchen Gesinnung anzudeuten, die schon über alle Gränzen des inneren Bewusstseins hinausschreitet. Letzteres z. B. in Lear und Macbeth. Hier ist es indessen nicht am Platze, diese Behauptungen genauer auszuführen. Vielmehr kann es sich hier nur darum handeln, dass gerade dieses Streben, die Muttersprache einerseits zu einer edleren Form zu erheben und andererseits gegen die Verirrungen der Pedanterie und Gemeinheit zu vertheidigen in dem gegenwärtigen Stücke vorzugsweise bemerkbar ist. Wozu sonst der schroffe Gegensatz der edleren Personen gegen die Narren Armado, Holophernes u. s. w.? Es verräth sich noch bestimmter in dem Gegensatz des hohlen Bombastes, mit dem die Eingangsrede des Königs auftritt gegen die Einfachheit und feine Zierlichkeit, in der die Prinzessin spricht. Selbst Biron's Reden und namentlich seine wundervolle Verherrlichung der Liebe am Ende des viertes Aktes stehn in glänzendem Widerspruch gegen des Königs allzupomphafte Reden. Dieser Vorzug verdient um so mehr Anerkennung und Preis, als selbst die besten Dichter in und nach Shakespeare's Zeit diese edlen Sprachformen nicht aufzuweisen haben. Man wird aus dieser Auslassung jedenfalls den Vorwurf gegen mich ableiten, dass ich dem Dichter ein allzubewusstloses Streben andichte; und der Vorwurf würde etwas für sich haben, wenn man dem Missverständniss unterläge, als ob diese Kunst nur auf dem Wege des bewussten Strebens zu erlernen wäre. Allerdings kann bei reichlicher Begabung durch eindringende Beobachtung und mühsame Uebung Vieles davon erlernt werden. Doch wird die Kunst immer lückenhaft bleiben und ihre Ausübung die Zeichen einer mühsamen Anstrengung nur schwer verbergen können, wenn nicht in der ganzen Individualität des Künstlers der Samen dazu schlummerte. Hier aber reicht es nicht aus, von der Allgewalt des Ingeniums, von

der Uebermacht der intuitiven Begabung zu sprechen. Vielmehr müssen diesem wie jenem Umstände zu Hülfe kommen, wodurch sie zu dem reinen Lichte wahrer Künstlerschaft ausgebildet werden können, wogegen sie, mögen sie noch so gross und mächtig sein, bei einem widernatürlichen Druck von Aussen stets die Spuren dieses Druckes an sich tragen werden. Belegende Beispiele für diese Behauptung, selbst unter den grössten Dichtern und Künstlern zu finden, würde nicht schwer sein. Und so muss ich denn der festen Ueberzeugung sein, dass, wenn Shakespeare dieses Gedicht schon in seinem 24. Jahre ausarbeitete (1588), ja selbst wenn er 27 und 28 Jahre alt war (1591, 1592), als er dasselbe schrieb, von den Fabeln über seine Jugend und früheste Erziehung gar nicht mehr die Rede sein kann. Wie hätte der schlecht unterrichtete junge Mann - und hätte er die wenigen Jahre seines Londoner Aufenthaltes etwa von 1586-1591 noch so gut benutzt

diesen tiefen Einblick in den feinen Mechanismus der Sprache gewinnen können? Wie hätte der in seiner Erziehung verwahrloste, unter dem Druck der kläglichsten Armuth seufzende, ja in der Krapüle von losem Gesindel lebende junge Mann nur eine Ahnung bekommen sollen von den zartesten Feinheiten der geselligen Sprache in den höchsten Cirkeln? Mit einem Worte, die Einsicht und Begabung, wovon hier die deutlichsten Spuren niedergelegt sind, kann nur mit der Muttermilch eingesogen sein, und dann allerdings, wenn wir uns den jungen Shakespeare meinetwegen in dürftigen Verhältnissen denken, wie er durch die Verbindungen seiner Familie, durch gebildete Verwandte, durch die Gunst der Umgebungen im Stande war, die feinsten geselligen Verhältnisse anzuschauen und zu beobachten, dann können wir sein umfassendes Ingenium, seine Begabung der Intuition deshalb bewundern, weil er durch jenes vermochte, das zu reproduciren, was er durch dieses aufgenommen hatte.

Mit diesen Betrachtungen steht in nächster Verbindung die Beobachtung des hohen Maasses von Kunst, welches Shakespeare seinen Schauspielern muss zugetraut haben. Es ist geradezu undenkbar, dass dieses Stück, wenn es nur mittelmässig aufgeführt wird, einigen Effect machen könne. Um aber gut aufgeführt zu werden, verlangt es die höchste Ausbildung der Schauspieler im Tone der feinsten Gesellschaft; und dass es nicht blos den Beifall des Hofes gehabt hat, da es mehr als einmal vor der Königin aufgeführt worden ist, sondern auch die Gunst eines ausgedehnteren Publikums muss gewonnen haben, geht aus dem Abdruck desselben

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