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benutzen. Wer kennt nicht im zweiten Theile von Heinrich VI. den lahmen und von angeborener Blindheit geheilten Simpcox und den Waffenschmied Horner, der von seinem Lehrling im Zweikampf überwunden wird. Möglich, dass der reifere Dichter diese kleinen Begebenheiten mit grösserer Gewandtheit eingeflochten haben würde; aber gewiss sind diese lautredenden Symptome einer der Verwilderung entgegeneilenden Zeit schon als solche nicht müssig. Ueberdies giebt Jenes in dem Benehmen des Königs einer Seits und des Protektors anderer Seits einen bedeutsamen Wink zur tiefern Einsicht in das Verhältniss dieser beiden Personen, und die Anklage des Lehrlings gegen seinen Meister hat durch die, wiewohl willkürlich aufgegriffene, Verdächtigung York's sogar einen Einfluss auf die Haupthandlung. Anders ist es dagegen in diesem Stück mit der nicht eben glücklich behandelten Prophezeihung vor der Schlacht von Poitiers und den Wunderzeichen, die sie begleiten. Hier sind zwei verschiedene Berichte der Chronik willkürlich unter einander vermengt. Diese erzählt, dass während der Schlacht von Cressy unvermuthet ein ungewöhnlich grosser Schwarm Raben über das französische Heer hinweggeflogen und dann ein heftiger Sturmwind und Regen eingetreten sei, dass die Bogenschützen nicht auf die Engländer haben schiessen können, während diese, vom Sturm im Rücken getroffen, unter den Franzosen grossen Schaden angerichtet haben. Vor der Schlacht von Poitiers liess König Johann durch den Cardinal von Perigord mit dem Prinzen Unterhandlungen anknüpfen, die sich aber zerschlugen, weil der König allzu schimpfliche Bedingungen gestellt hatte. Bei dieser Gelegenheit soll der Cardinal gesagt haben, wenn die Verhandlungen nicht zu einem guten Ende führten, dann müssten die Kieselsteine sich erheben, um „Wehe" darüber zu schreien; und als dann in der That die englischen Bogenschützen, weil sie sich verschossen hatten, zu Kieselsteinen griffen und damit ihre Feinde niederschlugen, da machte der Volksglaube dies zur Erfüllung einer Prophezeihung.

Nun weiss ich zwar nicht, ob dem Verfasser dieses Stückes ein Buch zur Hand gewesen ist, das die Prophezeihung in folgenden Worten enthielt:

When feather'd fowl shall make thine army tremble,

And flint stones rise, and break the battle'ray,
Thou think on him that doth not now dissemble,
For that shall be the hapfull dreadfull day:

Yet in the end, thy foot thou shalt advance
As far in England, as thy foe in France.

Aber unter allen Umständen ist dieser Spruch, der, wenn er nicht gar so prosaisch klänge, einem delphischen Orakelspruch nachgebildet sein könnte, überaus schwach angebracht und in der Folge mit gleichem Mangel an poetischer Kraft benutzt.

Von gleicher Schwäche ist die Art, wie in der zweiten Scene des dritten Aktes eine andere Prophezeihung angebracht ist:

The time will shortly come,

When as a lion, roused in the west,

Shall carry hence the flower-de-luce of France.

Sie wird von einer Frau ausgesprochen, die mit anderen Landleuten vor dem Einfall der Engländer flieht, eine Scene, die an sich selbst nicht die entferntesten Spuren von Shakespeare's Geiste trägt. Etwas besser ist der einzelne, auch in Holinshed enthaltene Zug des Prinzen von Wales angebracht (A. IV. Sc. 7.), wo dieser nach der Schlacht von Poitiers dem tapfern und zum Tode verwundeten Lord Audley eine doppelte Belohnung ertheilt, weil derselbe die erste Dotation den Rittern überlassen hatte, denen er in der Schlacht sein Leben dankte. Auch die Grossmuth des Königs (A. IV. Sc. 2.) gegen die aus Calais wegen Mangel an Nahrungsmitteln ausgestossenen Bürger eine Anekdote, die sich ebenfalls bei Holinshed findet trägt mindestens gleich jener kleinen Begebenheit zur Verherrlichung der Hauptperson des Stückes bei. Völlig müssig und ganz anekdotenartig ist Copland's Auftreten und des Königs Unterredung mit diesem Krieger, der die Auslieferung des gefangenen Königs von Schottland der Königin verweigert hatte. Ueberall fehlt es an der organischen Verbindung, sowie denn selbst die bedeutendsten Begebenheiten nur lose an einander angefügt sind und nicht wie bei Shakespeare lebendig in einander eingreifen.

Noch mehr als aus der Bevorzugung dieser und vieler anderen Einzelnheiten fühlt man die Schwäche des Autors in der dürftigen Schöpfung in Bezug auf die hervorragendsten Persönlichkeiten; und hier ist es vorzugsweise, wo man den feinen Takt und das eindringende Urtheil vermisst, mit welchem Shakespeare, selbst bei dürftigen Vorlagen, den Stoff zu handhaben und auch die scheinbar unbedeutendsten Winke zur Erschaffung lebendiger Gestalten zu benutzen verstand. Wir können sicher sein, dass, wenn er nach diesen Vorlagen hätte arbeiten wollen, er aus dem grossen, kriegerischen König und seinem heldenhaften Sohne, dem berühmten schwarzen Prinzen, ganz andere glorreiche Gestalten gemacht haben würde. Noch liesse sich Vieles hinzufügen, wenn es der Raum gestattete,

noch wäre von dem reichen Stoffe zu sprechen, der in dem grossen Kriege im Allgemeinen und im Einzelnen in der fast zur märchenhaften Sage gewordenen Schlacht von Cressy, in dem Heldentod des alten Königs von Böhmen, dann in der ohne Wunderzeichen weit glänzenderen und ruhmvolleren Schlacht von Poitiers lag; dann in dem Ende des ersten Krieges durch den Frieden von Bretigny und dem wahrhaft jammervollen Fall des unglücklichen Königs Johann, der in der Gefangenschaft zu London starb.

Nur das Eine sei noch erwähnt: Wie würde Shakespeare vermocht haben, dem grossmüthigen und wahrhaft ritterlichen Prinzen von Wales, dessen edles Benehmen gegen den gefangenen König Johann, nicht allein von Holinshed, sondern von allen englischen Geschichtsschreibern mit rühmendem Lobe gepriesen wird, die folgenden bittern und grausamen Worte in den Mund zu legen:

Now John in France, and lately John of France,
Thy bloody ensigns are my captive colours;
And you, high mounting Charles of Normandy,
That once to-day sent me a horse to fly,
Are now the subjects of my clemency.
Fie lords! is't not a shame, that English boys,
Whose early days are yet not worth a beard,
Should in the bosom of your Kingdom thus,
One against twenty, beat you up together?

(Wozu auch hier: Charles Duke of Normandy, der gar nicht mit gefangen war, einmischen? Wozu ferner die Ruhmredigkeit des Prinzen, dass er noch ein unbärtiger Knabe sei, da er doch in der Schlacht von Poitiers schon sechsundzwanzig Jahre zählte?)

Fassen wir Alles zusammen, was in diesem Stücke wahrzunehmen und zu beobachten ist, so werden wir uns sagen müssen, dass der Verfasser desselben ein nicht geringes Talent gehabt haben muss. Es sind ihm lichtvolle Anschauungen und sinnreiche, selbst an Shakespeare's Tiefe erinnernde Gedanken nicht abzusprechen. Demungeachtet fehlt in dem Ausdruck und der Verwerthung derselben die Ursprünglichkeit einer grossen und unwiderstehlich wirkenden Genialität. Mehr noch als dieses formelle Bedenken ist die Wahrnehmung bedeutsam, dass die Stufe des poetischen Standpunktes, den der Verfasser dieses Stückes einnimmt, lange nicht an die Höhe reicht, auf der wir Shakespeare zu bewundern gewohnt sind. Ohne zu verkennen, dass er sich über die gemeine Mittelmässigkeit erhebt, vermisst man dennoch jeden Schein von derjenigen Vertraut

heit, mit dem in einer unerschütterlichen Weltordnung begründeten Sinn der Geschichte, woraus bei Shakespeare's reiferen Stücken eine lebenskräftige und organisch gegliederte Einheit des Stoffes, wie von selbst hervorwächst, und wonach er in seinen frühesten Stücken mindestens unverkennbar strebt. Schon aus diesem Gesichtspunkte ist es schwer und fast unmöglich, diese Mängel und Schwächen nur auf Rechnung einer noch nicht entfalteten Genialität zu stellen, und eine Jugendarbeit Shakespeare's in diesem Gedichte zu vermuthen. Einer solchen Annahme steht aber noch überdies das doppelte weit gewichtigere Hinderniss entgegen, dass einmal die Abfassung dieses Stückes aller Wahrscheinlichkeit nach in eine Zeit fällt, wo Shakespeare solche und ähnliche Schwächen schon überwunden hatte, und dass ferner die Dichtung selbst nicht den Stempel eines jugendlichen und unreifen Versuches trägt, sondern vielmehr eine zwar geübte Feder verräth, die aber in den Fesseln einer nicht genügenden Kraft befangen war.

Trotzdem ist dieses Stück in zwiefacher Hinsicht ein überaus werthvolles Dokument. Es lehrt uns nicht blos, wie gross der Reichthum an poetischen Mitteln und Elementen ist, der mitten inneliegt, zwischen einer über die flache Mittelmässigkeit sich erhebenden Begabung und zwischen der unmessbaren Höhe, auf der Shakespeare's Ingenium steht. Dürfen wir ferner vermuthen, dass die Verwandtschaft von manchem Bilde und Gedanken in diesem Stücke mit solchen, die wir in späteren Stücken Shakespeare's wiederzufinden meinen, nicht blos dem blinden Zufalle zuzuschreiben ist, so erfahren wir von Neuem, wie wenig es Shakespeare verschmäht hat, selbst von Untergeordneten zu lernen und die Schätze sich zu eigen zu machen, die von einer grossen Zahl seiner nicht unbefähigten Zeitgenossen zwar geahnt und angedeutet, nicht aber mit voller poetischer Kraft gehoben und nutzbar gemacht wurden.

Die dramatische Einheit im Julius Cäsar.

Von

Dr. Albert Lindner.

is muss auffallen, dass die meisten Beurtheiler Shakespeare's nur Bewunderung für die Charaktere des Brutus und Cassius haben, aber wenig von der Titelrolle zu sagen wissen aus dem scheinbaren Grunde, weil Shakespeare selbst wenig aus Cäsar's Persönlichkeit gemacht habe. Julius Cäsar ist nach dem Titel der Tragödie der Held derselben, aber er agirt nur bis in die erste Scene des dritten Aufzugs, noch dazu in einer Weise, die unsrer Idee von jenem gewaltigen Manne wenig entspricht. Er tritt gleich mit einer Lächerlichkeit vor uns hin, nachdem uns Casca von seinem vollständigen Fiasko auf dem Forum erzählt hat. Was er vor unsern Augen thut und sagt, ist würdelos, kleinlich, oft kindisch; was Shakespeare von seiner Jugend und nach seinem Tode über ihn äussern lässt, ist gross, ist erhaben, ist ganz, wie wir erwarten. Dagegen sind die Nebenrollen Brutus und Cassius mit der tiefsten psychologischen Kunst und mit augenscheinlicher Vorliebe ausgebaut und führen die Handlung selbstthätig von Anfang bis zu Ende des Stückes. Wie seltsam! Welch ein Widerspruch! Welche Verletzung des dramatischen Gesetzes!

Von diesem Hauptvorwurfe, den man dem Stücke macht, will ich hier reden. Es wird sich von selbst ergeben, wie weit der Anlauf, den Gervinus nimmt, des Dichters Kunst zu retten, eine Geltung hat. Die Worte heissen bei ihm: „Der Dichter, wenn er das

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