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Unternehmen der Republikaner zu seinem Hauptthema machen wollte" (das eben ist ein Irrthum -), durfte nicht zu sehr für Cäsar interessiren; es war ihm geboten, ihn im Hintergrunde zu halten und die Seiten in ihm vorzukehren, die zunächst die Verschwörung motiviren." Berührt! Berührt, ich geb' es zu!" um ein Wort Hamlet's zu brauchen. Aber damit ist der oben beregte Widerspruch doch nicht gelöst.

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Gervinus selbst begeht den Fehler, dass er die „Tendenz“ des Stückes auf die Rolle des Brutus legt und sie als den Zusammenstoss moralischer und politischer Pflichten bezeichnet. Das ist nur die Summe des Brutuscharakters, nicht die Summe des ganzen Kunstwerks. Oder ist Brutus in der That der Held des Stückes und Julius Cäsar nur Nebenrolle? Ich möchte es nicht so leicht wagen, in irgend einem shakespeare'schen Kunstwerke „Tendenz" finden zu wollen. Der Genius arbeitet anders als das Talent, welches allerdings sich erst die Regel bildet und danach das Werk. Wenigstens war es sicher keine so engbeschränkte Tendenz, die einen Napoleon I. so mächtig zu dem Cäsarstoffe hinzog, als er Göthe'n in jener Zusammenkunft in Erfurt denselben zu einer Tragödie empfahl.

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Die Tragödie spielt eine grosse Staatsaction vor uns ab, deren Inhalt sich kurz so summiren lässt: Die Fortdauer der römischen Republik ist unmöglich geworden. Der ächte Römersinn, der sie bedingte, lebt nur noch in einem Häuflein römischer Bürger, die den gewaltigsten Feind der alten Freiheit umsonst aus dem Wege räumen. Die Zeit ist da für die Monarchie. Rom hat verlernt, sich selbst zu beherrschen, darum verdient es nichts Besseres als einen Herrscher."

Die Tragödie enthält somit zwei mit einander streitende Principe, die ihre Vertreter haben in Brutus und Cassius einmal, sodann in Cäsar. Das Princip ,,Brutus und Cassius" spielt sich vollständig und bis zu einem befriedigenden Ende ab, das Princip ,,Cäsar" scheinbar nicht, und das hat eben den Verdacht gegen die künstlerische Einheit des Stückes geweckt. Aber die Cäsarrolle erfüllt ihre dramatische Mission erst am Ende des Stücks so gut wie die des Brutus und Cassius. Die Sache steht kurz so: In den drei ersten Akten hat der Begriff Cäsar" das Accidenz seiner sinnlichen Erscheinung, in den zwei letzten wirkt er als reiner Geist.

In den drei ersten Akten vertritt er eine Staatsidee, in den letzten eine persönliche.

In den drei ersten Akten hat er es mit der römischen Republik zu thun, in den letzten mit seinen Mördern.

Wie? Ist denn der Parallelismus jener beiden Principe wirklich somit zu Ende geführt? Wenn Cäsar in den letzten Akten eine persönliche Idee vertritt (seine Ermordung an den Mördern rächt und das Amt der Nemesis in seiner Sache führt), wo bleibt dann die Gegenpartei, die mit den letzten Republikanern den Kampf um Republik oder Monarchie ausficht, die Gegenpartei, die bis zum Beginn des dritten Akts in der Person Cäsar's vorhanden war? Hier beginnt eben das wunderbare Document des shakespeare'schen Genius!

Der Fall der Republik ist gebahnt, Julius Cäsar im Begriff, den Thron zu besteigen. Da rafft ihn das Geschick aus dem Leben, eh' er ernten kann, was sein Geist in das letzte Decennium ausgesäet. Die Sache ist, dass der Thron bestiegen und die Monarchie instituirt werde, ob Cäsar oder ein Andrer ihn einnehme, ist nun nicht mehr die Frage. Es ist eben und hier ist der Punkt, den mir die Kritik übersehen zu haben scheint Octavius, der für die sinnliche Persönlichkeit Cäsar's nun in die Scene tritt. Octavius führt die Leiblichkeit Cäsar's in den letzten Akten weiter, ja sogar genau von da an, wo auch noch der Leichnam des Cäsar seine Rolle ausgespielt hat und von der Bühne abtritt; wo nicht mehr der handelnde Genius des Cäsar vonnöthen war, sondern nur ein glücklicher Erbe seiner angebahnten Erfolge. Cäsar's Geist verfolgt die Mission seiner persönlichen Idee weiter die politische ist schon erfüllt, es bedarf nur eines Menschen, an dem sie zum ersten Male verwirklicht erscheint: die Geschichte bestimmte den Octavius für die Rolle.

Das ist der aussergewöhnliche Grundriss einer dramatischen Dichtung, ausser der nur noch eine zweite es gewagt hat, die sinnliche Erscheinung ihres Helden vollständig zu ignoriren, sogar raschmöglichst aus den Sinnen der Zuschauer zu entfernen, und nichts weiter an ihm agiren zu lassen, als die abstrakte Idee. Die zweite Tragödie, deren Held schon im dritten Akt körperlich abtritt, um in den letzten nur noch als abgezogener Begriff zu agiren, ist der Ajax des Sophokles, den wir zur lehrreichen Vergleichung heranziehn.

Man hat die letztere Hälfte dieser Tragödie für unächt, vielicht für eine Arbeit Jophon's erklärt, weil ihr oratorischer Stil u arg gegen den lebendig-drastischen der ersten Hälfte contrastire. Mir ist das nur ein Beweis unter mehreren dafür, dass Ajax zu den

frühesten Werken des Sophokles gehört. Der einmal so angelegte Plan verlangte, dass der wahnsinnige Held nicht alle fünf Akte (nach unserm Sinne) füllen dürfe. Nach seinem Tode muss ihm eine Sühne geschehen dafür, dass er die Entehrung seines Heldennamens, d. h. seinen Wahnsinn, durch freiwilligen Tod zu strafen den Muth hatte. Keine fremde Hand hat sich an ihm vergriffen, er hatte die Kraft, sein eigner Richter zu werden, dafür muss er in der Achtung der Zuschauer rehabilitirt werden: durch ein ehrenvolles Begräbniss. Die Sache war künstlerisch nothwendig, die Form aber, die man tadelt (d. h. dass die Bestattungsfrage nicht schwer genug wiegt, um zwei Akte zu füllen) ist Schuld der ju gendlichen Feder. Man vergleiche nun beide Werke, so ergiebt sich eine interessante Umkehr von Verhältnissen zum Vortheil des Briten.

So lange Ajax lebt, ist er ein Riese an Leib, ein Kind am Geist, nach seinem Tode ein Nichts, eine blosse Sache, um die man streitet.

So lange Cäsar lebt, ist er ein Schwächling, eine gebrechenvolle Erscheinung, nach seinem Tode eine Geistermacht, furchtbarer als je im Leben.

Man sieht hieraus, dass Ajax sich an tragischer Schwere und kunstvoller Behandlung nicht messen darf mit der Tragödie des Engländers. Gegen Cäsar gehalten, verdient der Gedanke, den der todte Ajax vertritt, bei weitem nicht den Raum von zwei Akten, und die Rolle des Menelaus ist zum mindesten überflüssig. Im Casar aber hat der letzte Theil des Werks eine fast mächtigere Basis als der vordere. Bei Philippi wirst Du mich wiedersehn!" ist die Summe dieser Geisterrolle. Antonius hat sie vorausgesehn an der Leiche:

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Es gilt hier nicht einen Zank um die Bestattung eines Aschenkrugs, es gilt die Erfüllung der ewigen Gerechtigkeit an den mörderischen Freunden, die Erfüllung eines Gesetzes der Weltgeschichte, in deren Speichen zu greifen nicht mehr an der Zeit war.

Aber wir sind noch nicht zu Ende mit der Kunst Shakespeare's. Wenn Julius Cäsar doch nichts weiter als eine welthistorische Idee ist, die er am reinsten da vertritt, wo keine Körperlichkeit mehr ihr anhaftet, wie macht es Shakespeare, um den leiblich auftretenden Helden nicht einen zu starken sinnlichen Eindruck erzeu

gen zu lassen? Er idealisirt ihn nicht, er copirt ihn dem Historiker nach. Die leibliche Erscheinung war Nebensache, glücklich für den Dichter war sie es auch in der historischen Wirklichkeit gewesen. Träte sie in den Contouren eines Othello, Coriolan, Antonius auf, so würden wir diese Heldengestalt schwer vergessen können, während unser Blick jetzt leicht von diesem kümmerlichen Körper abgleitet, um nach des Dichters Zweck die Idee desto reiner zu halten. Man bemerke sogar, dass der Inhalt der Scenen, wo Cäsar auftritt, mit Absicht bedeutungslos für die Geschichte ist: Wahrsagerei, Träume, Aberglaube ist Alles, was wir finden. Wo er auftritt, versäumt Shakespeare nichts, die Erscheinung, die ja doch bestimmt ist am Anfang des dritten Akts zu verschwinden, durch alle mögliche Mängel herunterzudrücken. Sein erstes Vorunshintreten ist eine Schwäche: er heisst sein unfruchtbares Weib sich dem wettelaufenden Anton entgegenstellen, um fruchtbar zu werden, wie der Aberglaube behauptet. Auf seiner Stirne glüht ein zorniger Fleck. Zur Folie dient seinem leiblichen Realismus sogar die Umgebung mit „,blasser Wange, mit feurigen und rothen Augen, mit einem Aussehn wie gescholtene Diener, mit hagern Formen und hohlem Blick," der ihn fette Figuren und glatte Köpfe" um sich wünschen lässt. Er selbst ist taub auf dem linken Ohr, leidet an der fallenden Sucht, ja er muss sich uns sogar einmal im Nachtkleide zeigen.

Aber diese gebrechenvolle Erscheinung geht vorüber. Wie der Wind die Frucht aus der welken Hülle wirft, weil sie reif ist, so streift das Schicksal von seinem Geiste den sterblichen Leib, um ungehindert von nun an mit einer Gottheit Wesen und Art in des Dichters Welt weiter zu wirken.

Brutus selbst erkennt diese Bestimmung:

„O Julius Cäsar, Du bist mächtig noch,

Dein Geist geht um!"

Aber geschieht der Rolle des Cäsar nicht vielleicht ein ästhetisches Unrecht dadurch, dass seine sinnliche Erscheinung aus der Scene entfernt und er selbst verurtheilt wird, als übersinnliche Idee weiter zu wirken, während Brutus und Cassius ihre körperliche Rolle bis zu Ende des Stückes fortspielen? Der ridicule Gedanke, dass doch körperliche Schauspieler da sein müssen, wenn ein Stück aufgeführt werden solle, findet hier keine Berücksichtigung, wir haben mit einem höheren Gesichtspunkt zu thun. Brutus und Cassius haben das traurige Recht, sinnliche Erscheinung zu bleiben, da mit

ihrem Tode auch ihre historische Rolle zu Ende ist. Ihr leiblicher Fall ist das dichterische Symbol für den Fall der Republik. Aber die auferstehende Monarchie? Wir werden sogleich sehn, wie sich Shakespeare geholfen.

Auf Cäsar liegen in der letzten Hälfte des Stückes der Anlage nach zwei Ideen. Die eine, die Idee der römischen Monarchie, ruhte auf ihm von Anfang an, seit seinem Tode trat die zweite hinzu, die sühnende Gerechtigkeit, die seine Mörder treffen muss. Die letztere vollzieht er in eigener Geisterperson, die erstere könnte er nur als körperliche Erscheinung durchführen, denn der Monarch eines Reiches muss ein Mensch sein. In Summa ich bin fest überzeugt, es sei des Dichters Wille gewesen, die Leiblichkeit Cäsar's durch Octavian fortgeführt zu wissen; ausdrücklicher Wille gewesen, dass der Schauspieler des Octavian mit seinem Aeussern den Zuschauer bis zu einem gewissen Grade an Cäsar's Körperlichkeit erinnere. Octavius hat manche Andeutung von Shakespeare erfahren, die dahin zielt. Im „Cäsar“ nennt ihn Cassius „ein launisch Bübchen, unwerth solches Ruhms," in „Anton und Cleopatra" ist er ein schwacher Trinker, der nichts verträgt, und Cleopatra neckt den Anton mit den Befehlen des ,,dünnbärtigen" Imperators.

Was Cäsar durch sein Genie vorbereitet, erntet Octavius durch sein Glück, weil es auf dieser (der politischen) Seite nur noch zu ernten, nicht mehr zu säen gilt. Ein geistiger Ersatz kann und soll Octavius nicht für Cäsar sein, wir vermissen ihn auch nicht, denn der Geist Cäsar ist noch immer da, er schwebt zu Häupten des Octavius, und bildet das geistige Complement für den Successor der cäsarischen Erscheinung.

Der Fall der Freiheit und die Einsetzung der Monarchie ist das Object der Tragödie, das sich uns, dualistisch getheilt, in den sinnlichen Ercheinungen des Cäsar einerseits und des Brutus und Cassius andererseits darstellt, und wenn dieses Object durch einen einzigen Namen bezeichnet werden soll, so muss es der hervorragendste Factor jener Periode Julius Cäsar sein, und der Titel des Stücks ist aus diesem Grunde gerechtfertigt.

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