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Der Einfluss

des Volksliedes und der älteren Dichtung

auf die Uhlandsche Poesie.

Von

Hermann Schults.

Kein zweiter unserer bedeutenderen Dichter hat auch nur entfernt so tief sich in das deutsche Altertum versenkt, keiner hat auf unseres Volkes ganze Art, seine Sprache und Weise, sein Glauben und Fühlen, sein Singen und Sagen zumal in der älteren Zeit so gründlich und so liebevoll einzugehen und zugleich aus dieser Quelle so voll und tief für seine eigene Poesie zu schöpfen gewusst, wie Ludwig Uhland. Bei ihm begegnet uns eine selten glückliche Vereinigung von gelehrtem Forschen und poetischem Schaffen; diese beiden verschiedenartigen Richtungen in seinem Wesen beeinträchtigen einander nicht nur nicht in ihrer Wirkung, sondern sie ergänzen sich in schönster Weise, und dieser wunderbaren Mischung in seiner Begabung danken wir unseres Dichters so durchaus eigenartige, herrliche Lieder. Auf unsere beiden grössten Sänger, auf Goethe und Schiller, hat hauptsächlich das klassische Altertum Einfluss geübt; an seinen unsterblichen Werken haben sie sich gebildet, während die deutsche Vergangenheit und das deutsche Lied dem Letzteren seiner ganzen Anlage und Richtung nach so gut wie völlig fremd war und auf den Ersteren zwar nicht ohne Einfluss geblieben ist, aber doch nur neben vielen andern, min

destens gleich starken Momenten wirkte. Ganz anders bei Uhland. An der Weckung und Entwicklung seiner poetischen Anlage hat seinem eigenen ausdrücklichen Geständnis nach das klassische Altertum so gut wie gar keinen Anteil gehabt, vielmehr war es die altdeutsche Dichtung, besonders das ältere Helden- und Volkslied, was von Anfang an den tiefsten und nachhaltigsten Eindruck auf ihn machte und fast ausschliesslich seinem ganzen Dichten Anregung, Stoff und Richtung gab. Das alte Lied von Walther und Hildegunde ist, wie er selbst sagt, zunächst es gewesen, was ihn mächtig ergriff: „das hat in mich eingeschlagen" sind seine eigenen Worte. Von weiterem Einfluss war Brentanos und Arnims Sammlung „Des Knaben Wunderhorn" und Herders Volksliedersammlung; weiter die übrigen Werke unserer herrlichen älteren Literatur, um deren Erforschung und Sammlung ja unser Dichter sich Verdienste erworben, die seinen Namen kaum minder als in der deutschen Poesie auch in der deutschen Wissenschaft unsterblich gemacht haben.

Man hat Uhland ohne Berechtigung zu den Romantikern gezählt; Heine hat bekanntlich in seiner boshaften Schrift über die romantische Schule, über die freilich er bei der völligen Verschiedenheit seines Wesens und seiner Richtung nur ungerecht urteilen konnte, auch über unsern Dichter ein absprechendes Urteil gefällt. Und doch ist Uhland entschieden kein eigentlicher Romantiker. Seine Stellung zu jenen bezeichnet kurz und treffend Vilmar in seiner Gesch. der deutschen Nationalliteratur folgendermassen: „Ausgegangen von der vaterländischen Richtung der romantischen Schule, hat er das Schwärmerische und Träumerische, eben darum auch Gespannte und Unwahre, welches dem Deutschtum der älteren Romantiker anhing, vollständig überwunden: seine Gesänge haben wie seine Gesinnung Wahrheit, die Gestalten seiner Dichtungen Wirklichkeit.“ Aus dem fast ausschliesslichen Einfluss der älteren deutschen Dichtung, unter dem Uhland steht, erklärt sich, wie schon oben flüchtig angedeutet, jenes ganz unverkennbare, eigenartige Ge

und wie es zunächst scheint nicht

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* Uhlands Balladen und Romanzen erklärt von Heinrich Düntzer. S. 2.

präge seiner Poesie, welches uns im Folgenden etwas eingehender beschäftigen soll.

Es ist von grossem Interesse, die Uhlandschen Dichtungen auf diese Eigentümlichkeit hin einmal etwas näher anzusehen: höchst überraschend ist es, wie unser Dichter es versteht, Schätze aus jenen alten Zeiten, die uns längst, und zwar vielfach wie es schien unwiederbringlich, verloren waren, zu heben und unsere Sprache (zunächst natürlich die poetische) dadurch zu bereichern, dass er ihr zurückgab, was von Alters her ihr gehört, im Laufe der Jahrhunderte aber ihr fremd geworden war. Nicht alles, was unten angeführt werden wird, hat Uhland zuerst oder allein der alten Sprache entnommen; manches zeigen uns auch z. B. die Romantiker, Goethe u. a., aber was bei diesem doch immer mehr vereinzelt und bei den Romantikern nicht selten unnatürlich und gesucht erscheint, tritt uns bei Uhland in reicher Fülle entgegen und wirkt auf uns meist mit wunderbar angenehmem, kräftigem Klang, und klingt es uns auch nicht stets gewohnt, so doch kaum irgendwo störend und absichtlich gesucht.

Werfen wir, ehe wir zu dem Hauptteil unserer Arbeit übergehen, der sich speziell mit den sprachlichen Erscheinungen beschäftigen soll, zunächst einen Blick auf den Inhalt und die allgemeine Form der Uhlandschen Gedichte.

Schon in der Wahl der Stoffe und dem allgemeinen Charakter der Gedichte ist jener Einfluss deutlich bemerkbar. Unser Dichter singt wie die alten Heldenlieder von Burgen und Schlössern mit Königen, Rittern und Mannen, von Siegfried, Karl und Roland und manchem anderen Helden; er singt von glänzenden Festen und Turnieren, von Jagd und Abenteuern, von Riesenkämpfen und wildem, blutigem Streit mit Schwerterklang und Lanzensplittern; er kündet uns von mancher alten Sage, die bald ernst und schaurig, bald lieblich und heiter erklingt; er singt wie die Minnesänger von Lenz und Liebe, von Falschheit und Treue und dann wieder von Vogelsang und Blütenbäumen und sinniger Waldeinsamkeit; er singt wie unsere alten Volkslieder von Scheiden und Meiden, von Lust und Weh, von Hirten und Schäfern und wallenden Pilgern, von Kirchen und Kapellen und Klöstern mit Mönchen

und Nonnen, und Töne voll der innigsten, tiefsten Frömmigkeit, des reinsten Glaubens tönen uns entgegen; und dann wieder schallt es so frisch und ausgelassen in köstlichem Humor in frischen Wander- und Trinkliedern, als hörten wir die lustigen Spielleute und fahrenden Gesellen, die mit leichtem Gepäck und leichten Sinnes bergauf und -ab, landaus und -ein zogen. Vor allem aber tritt auch unser Dichter wie der ihm in manchen Stücken geistig nahe verwandte grösste Sänger des Mittelalters, Walther von der Vogelweide, mannhaft ein mit seines Liedes Waffen zu Schutz und Trutz für das Vaterland, für deutsches Wesen und deutsche Art, für des Volkes altes, gutes Recht! Voll sind, wie leicht erklärlich, Uhlands Gedichte von Anspielungen auf die alten Sagen und Dichtungen; voll sind sie auch von Anklängen an älteren Sang. Ueberaus häufig begegnet uns darin die Alliteration, dieser echt deutsche, schöne Schmuck zumal unserer älteren Poesie, die aus den Bruchstücken der frühesten Zeit uns entgegenklingt und durch all' die folgenden Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Tage, und die nimmer ausklingen wird, so lange deutsches Wort und deutsche Weise schallt! - Wenn auch die Assonanz sich zuweilen bei unserem Dichter findet, dieser charakteristische Schmuck besonders der romanischen Dichtung, so beschränkt sich der Gebrauch dieser uns mehr fremden Kunstform doch ausschliesslich auf Gedichte, in welchen entweder wie in dem kastilischen und St. Georgs Ritter romanische Stoffe behandelt sind, oder die als offenbar bewusste Nachahmungen jener Originale mehr den Eindruck von „Studien“ machen als von Gedichten im gewöhnlichen Sinne.

Ganz besonders deutlich zeigt sich der Einfluss der älteren Dichtung und des Volksliedes in den von dem Dichter gewählten Strophenformen. Da begegnen wir in zwar nicht zahlreichen aber um so bedeutenderen Gedichten der etwas abgeänderten Nibelungenstrophe, die nach Uhlands Vorgang in dieser verjüngten Gestalt auch von anderen Neueren häufig angewandt worden ist und zuweilen gradezu nach unserm Dichter benannt wird. Ausser dem Grafen von Greiers ist in dieser höchst wirkungsvollen Strophe abgefasst des Sängers Fluch, wohl die schönste Ballade unseres Dichters und nach Form wie

Inhalt eine der schönsten unserer Poesie überhaupt; sowie der meisterhafte Cyklus von Eberhard dem Rauschebart, den ich nicht anstehe für die gelungenste Neuschöpfung nach Art der alten Heldendichtung zu erklären, welche wir überhaupt besitzen. Wiederholt finden sich auch die alten Reimpaare, z. B. in der schwäbischen Kunde, welches letztere wie einige andere Gedichte höchst glücklich den Ton der alten Reimchronik trifft, wie ihn Goethe u. a. in seiner Legende vom Hufeisen und Hans Sachsens poetischer Sendung angeschlagen hat. In vielen der Uhlandschen Balladen begegnen uns Strophenformen, die, wenn sie auch nicht genaue Nachbildungen alter Vorbilder sind, doch jenen Einfluss deutlich verraten, z. B. durch einen an verschiedenen Stellen zwischen die Reimzeilen tretenden reimlosen Vers (Waise genannt), durch den bisweilen vorkommenden zweisilbigen Auftakt, durch die eigentümliche Folge der Reime und manches Andere. Aus der Anlehnung an das Volkslied erklärt sich auch die von der gewöhnlichen abweichende Betonung, die wir z. B. im Anfang der Ballade Jungfrau Sieglinde bemerken („Das war Jungfraú Sieglinde, Die wollte früh aufstéhn"). Wie in unsern alten Märchen, Sagen und Liedern spielt auch bei Uhland die Dreizahl eine auffallend grosse Rolle: wir finden da drei Fräulein, drei Lieder, drei Schlösser u. S. W. In den epischen Dichtungen kehren nicht selten nach dem Vorgang des älteren Epos und Volksliedes formelhafte Wendungen oder ganze Verse wieder, entweder genau oder mit geringer Abänderung je der Situation angemessen; hin und wieder zeigt sich auch eine Art von volkstümlichem Refrain und von der Anapher. So in der prächtigen Strophe aus Taillefer:

Dann sprengt er hinein und führte den ersten Stoss,

Davon ein englischer Ritter zur Erde schoss;

Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Schlag,
Davon ein englischer Ritter am Boden lag.

Auch in den Bildern scheint mir zuweilen älterer Einfluss bemerkbar; so mag wohl bei der Schilderung der Königin in des Sängers Fluch, die dasitzt ,,süss und milde, als blickte Vollmond drein" entfernt die bekannte Stelle aus dem Nibelun

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