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Zu Grillparzer's ,,Der Traum ein Leben".

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sit venia verbo

Der schaffende Künstler, das Genie, das durch seine Hervorbringungen Gesetze und Regeln giebt, hat zu allen Zeiten mit berechtigter, zum Theile freilich auch unberechtigter Geringschätzung auf die Zunft der Kritiker und Recensenten herabgeblickt. So lässt Voltaire seinen „,Naturmenschen" (wie ich mit David Friedrich Strauss „L'Ingénu" übersetze) einige jener Schriften durchlaufen, in denen Menschen, die unfähig sind, selbst etwas hervorzubringen, an den Geisteserzeugnissen Anderer nergeln, und in denen die Visé sich über die Racine, die Faydit über die Fénelon lustig machen"; er lässt herb genug seinen Helden Harmlos diese Scribler gewissen Mücken vergleichen, welche ihre Eier in den Hintern der schönsten Pferde legen, was diese nicht hindert zu laufen; und Harmlos und der alte Jansenist lassen sich weiterhin kaum herab, ihre Blicke auf diesen Dr... der Literatur zu werfen. Auch Goethe erlustigte sich oft (in den „Gesprächen mit Eckermann" kehrt dieser Redestoff immer wieder), dass die Interpreten häufig irrthümlich auf der Spähe nach einer vermeintlichen Quelle sind, wenn der Dichter in frei sich bietender Intuition geschaffen hat; er merkt an, wie wenig originelle Gedanken überhaupt, selbst in Jahrhunderten, in die Literatur eintreten, bricht schwarzgallig einmal in die Worte aus: „Schlagt ihn todt, den Hund, denn er ist ein Recensent", und wehrt ein anderes Mal die obbenannten lästigen Mücken mit den muthwilligen Versen ab: „Von wem auf Lebens- und Wissensbahnen Wardst du genährt und befestet? - Zu fragen sind wir

Archiv f. n. Sprachen. LXIV.

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beauftragt.

,Ich habe niemals darnach gefragt,

chen Schnepfen und Fasanen,

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Von welKapaunen und Welschenhahnen Ich mein Bäuchelchen gemästet. - So bei Pythagoras, bei den Besten, Sass ich unter zufriednen Gästen; Ihr Frohmahl hab' ich unverdrossen-Niemals bestohlen, immer genossen." Grillparzer, der sich etwas darauf zu gute that, Zeit seines Lebens keiner literarischen Clique sich gebeugt und vor keinen journalistischen Tonangebern scherwenzelt zu haben, schoss gleichfalls manchen giftigen Pfeil gegen Kritiker und Recensenten ab und brach einmal gelegentlich seines „Der Traum ein Leben" wie Laube in seiner Anmerkung zu dem genannten Drama erzählt in die spöttischen Worte aus: „Ueberall spürt ihr eifrig nach, ob ein Poet auch anderswo etwas entlehnt habe für sein Werk, als ob darauf viel ankäme, und als ob ganz Neues noch möglich wäre, — und bei meinem,Traum ein Leben ist euch nichts eingefallen! Im Voltaire, den man viel im Munde führt, aber wenig liest, ist der Stoff zu finden, welcher mir Veranlassung geworden. Die Erzählung heisst:,Le blanc et le noir.""

Der Inhalt dieser Erzählung Voltaire's ist in Kürze folgender: Der junge Rustan, der Sohn eines Mirza der Provinz Kandahar, hatte auf der Messe zu Kabul die Prinzessin von Kaschmir gesehen, und beide verliebten sich in einander. Sie schenkte Rustan einen, von einem Fakir ihrem Vater sammt einem Wurfspiesse entwendeten Diamant, und er verspricht, sie in Kaschmir aufzusuchen. Zu dieser Reise räth Ebenholz, der schwarze Günstling Rustan's; und er schafft das Geld dazu, indem er den Diamant einem Armenier für einige Tausend Rupien in Pfand giebt und zur Täuschung Rustan's einen falschen herstellen lässt. Von ihr räth Topas, der weisse Günstling, ab. Auf der Reise hört Rustan räthselhafte Orakelsprüche; Topas legt sie ungünstig, Ebenholz günstig aus. Seltsame Abenteuer begegnen: Die Günstlinge verschwinden. Ein Geier reisst einem Adler alle Federn aus. Rustan's Elephant wird von einem Nashorn angegriffen. Die Pferde kommen abhanden. Ein Esel, von einem ungeschlachten Bauernlümmel unbarmherzig geschlagen und von Rustan erhandelt, will ihn nach Kabul zurück, statt nach Kaschmir tragen. Er wird gegen ein Kameel ver

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tauscht. Da ist Rustan wieder von einem tosenden, von schroffen Abstürzen bestandenen Bergstrome aufgehalten, über den keine Brücke führt. Anderen Morgens steht eine solche aus Marmor da, wird überschritten und stürzt hinter Rustan und seinem Gefolge krachend in den Strom. Ein Gürtel von Bergen steiler als ein Festungs wall und höher, als es der Thurm von Babel gewesen sein würde, wenn er vollendet worden wäre stellt sich den Reisenden entgegen, bis sie endlich unter dem Gebirge durch einen langen, überwölbten, von hunderttausend Fackeln erleuchteten Gang hindurchziehen können, aus welchem heraustretend, sie das ersehnte Kaschmir vor sich sehen. Auf die Kunde, dass eben vorbereitende Feierlichkeiten zur Hochzeit der Prinzessin begangen werden, ohnmächtig geworden, wird Rustan von zwei Aerzten behandelt: der eine räth, ihn nach Kabul zurückzuschaffen; der andere meint, man solle ihn nur zur Hochzeit der Prinzessin führen und recht austanzen lassen. Da er erfährt, dass seine Geliebte zur Heirat gezwungen werde, dringt er zum Fürsten vor, behauptet, dass ihm nicht Barbabu, der aufgedrungene Bräutigam, den wahren Diamant gegeben, sondern dass er ihn im Besitze habe, und schlägt zwischen sich und dem Nebenbuhler einen Zweikampf vor. Eine Elster räth von dem Kampfe ab, ein Rabe rüth dazu. Er schlägt Barbabu nieder, und zeigt sich mit dessen Panzerhemd, Schärpe und Helm angethan, unter Trompetengeschmetter vor den Fenstern seiner Herrin. Diese, in der Meinung, den aufgedrungenen Bräutigam zu sehen, wirft mit dem von ihr aufbewahrten obgemeldeten Wurfspiess nach ihm und durchbohrt ihn. An seinem Schrei erkennt sie Rustan, eilt herbei, bedeckt ihn mit Küssen, zieht den Pfeil aus seiner Wunde, durchbohrt sich selbst und stirbt. Er wird in den Palast getragen; und das erste, was er

der im Verlaufe aller Abenteuer, je nachdem sie günstig oder abgünstig waren, das eine Mal Ebenholz und das andere Mal Topas gepriesen hatte zu beiden Seiten seines Todesbettes sieht, sind Topas und Ebenholz. Seine Ueberraschung giebt ihm wieder ein wenig Kraft. „Ach, Grausame!" sagt er, ,,warum habt ihr mich verlassen?" Beide betheuern, dass sie immer bei ihm waren. Topas sagt: „Ich war der Adler, der sich gegen den Geier wehrte; ich war der Elephant, der das

Gepäck trug, um euch zu zwingen, in euer Vaterland zurückzukehren; ich war der Esel, der euch wider euren Willen zu eurem Vater zurückbringen wollte; ich habe eure Pferde auf Irrwege geleitet; ich habe den Bergstrom gebildet, der euch hinderte, überzusetzen; ich habe das Gebirge aufgethürmt, das euch einen so unheilvollen Weg verschloss; ich war der Arzt, der euch die heimatliche Luft anrieth; ich war die Elster, welche euch zurief, nicht zu kämpfen." - „Und ich," sagte Ebenholz, „ich war der Geier, der dem Adler die Federn ausriss, das Nashorn, welches dem Elephanten zusetzte, der ungeschlachte Bauernlümmel, welcher den Esel schlug, der Kaufmann, welcher euch Kameele gab, damit ihr in euer Verderben rennetet. Ich habe die Brücke aufgebaut, welche ihr übersetzt habt; ich habe die Höhlung durch das Gebirge gegraben, welche ihr durchritten habt; ich war der Arzt, der euch auf die Hochzeit der Prinzessin zu gehen ermuthigte, der Rabe, welcher euch zurief, zu kämpfen ..." Topas und Ebenholz erklären sich als die beiden Genien, der eine als der gute, der andere als der böse Rustan's; jeder Mensch habe sie; Plato habe es zuerst gesagt, und andere haben es nach ihm wiederholt. Während sich nun Rustan, über diese Aufklärung wenig erbaut, vor Verzweiflung windet, verschwindet alles. Rustan befand sich wieder im Hause seines Vaters, aus dem er nicht hinausgekommen war, und in seinem Bette, in welchem er eine Stunde geschlafen hatte. Er fährt, schliesst die Erzählung Voltaire's, ganz verschwitzt, ganz verwirrt, aus dem Schlafe auf; er befühlt sich, er ruft, er schreit, er klingelt. Sein Kammerdiener Topas eilt in der Nachtmütze und gähnend herbei. „Bin ich todt? bin ich am Leben?" ruft Rustan aus; ", wird die schöne Prinzessin von Kaschmir aufkommen?" Träumt der Herr?" antwortete Topas kalt. „Ach!" rief Rustan aus, „, was ist denn aus diesem barbarischen Ebenholz geworden? Er hat mich eines so grausamen Todes sterben lassen." - ,,Herr, ich habe ihn oben schnarchend verlassen... Wollt ihr, dass man ihn herabkommen lässt?" „Der Verruchte! ein ganzes halbes Jahr verfolgt er mich er führte mich auf diese verhängnisvolle Messe von Kabul; er brachte den Diamant auf die Seite, den mir die Prinzessin

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gegeben hatte; er allein ist die Ursache meiner Reise, des Todes meiner Prinzessin und der Verwundung durch den Pfeil, an der ich in der Blüte meines Alters sterbe." - ,,Beruhigt euch," sagte Topas; ihr seid niemals in Kabul gewesen; es giebt keine Prinzessin von Kaschmir; ihr Vater hat immer nur zwei Knaben gehabt, die jetzt in den Studien sind. Ihr habt niemals einen Diamanten gehabt; die Prinzessin kann nicht gestorben sein, da sie nicht geboren worden ist; und ihr befindet euch wunderbar wohl." - Wie! es ist nicht wahr, dass du mir in meinem Tode im Bette des Fürsten von Kaschmir beistandest?... Hast du mir nicht gestanden, dass du, um mich vor so viel Unglück zu behüten, ein Adler, ein Elephant, ein Esel, ein Arzt, eine Elster gewesen warst?" -,,Herr, ihr habt das alles geträumt. Unsere Gedanken hängen im Schlafe nicht mehr von uns ab, wie in unserem wachen Zustande. Gott hat gewollt, dass euch diese Reihe Gedanken durch den Kopf gegangen ist, um euch augenscheinlich eine Lehre zu geben, aus der ihr Nutzen ziehen sollt." „Du machst dich über mich lustig," hub Rustan wieder an. Wie lange habe ich geschlafen?"

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„Herr, ihr habt erst nur eine Stunde geschlafen." „Ei nun, verdammter Mauldrescher, wie willst du, dass ich in einer Stunde Zeit vor einem halben Jahre auf der Messe zu Kabul gewesen, dass ich zurückgekehrt bin, dass ich die Reise nach Kaschmir gemacht habe, und dass wir, Barbabu, die Prinzessin und ich, gestorben sind?" „Herr, es giebt nichts leichteres und gewöhnlicheres, und ihr hättet in viel weniger Zeit wirklich die Reise um die Welt machen und viel mehr Abenteuer bestehen können. Ist es nicht wahr, dass ihr in einer Stunde den von Zoroaster geschriebenen Abriss der Geschichte der Perser lesen könnt? Und doch fasst dieser Abriss achtmalhunderttausend Jahre. Alle diese Ereignisse geschehen nach einander vor euren Augen in einer Stunde. Nun werdet ihr mir doch zugestehen, dass es für Brahma ebenso leicht ist, sie alle in den Zeitraum einer Stunde zusammenzudrängen, als sie über einen Zeitraum von achtmalhunderttausend Jahren auszudehnen; das ist genau dasselbe. Stellt euch vor, dass sich die Zeit auf einem Rade umdreht, dessen Durchmesser unendlich ist; in diesem Rade ist eine

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