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abnorme oder gar keine? Wir wissen durch die HERBSTschen Lithiumversuche, daß völlig gesunde Echiniden larven von radialer Symmetrie entstehen können; auch in normalem Seewasser können, wie ich mich überzeugt habe, unter Umständen radiäre „Plutei" auftreten. Das wäre also eine Entwickelungsrichtung, die den dispermen Keimen offen stünde. Niemals aber habe ich unter den. dispermen Keimen eine solche Form gesehen. Oder, wenn der Spermapfad die Medianebene bestimmt, warum entstehen dann nicht bei zwei im Winkel zueinander gestellten Spermawegen sehr charakteristische Doppelbildungen? Wir wissen, wie leicht sich bei Echiniden durch gewisse Eingriffe Doppelmonstra von ganz gesunder Beschaffenheit erzielen lassen; die prinzipielle Fähigkeit, bei „doppelter Medianebene" eine Doppelbildung zu liefern, muß dem Echinidenei also jedenfalls zukommen. Nicht die geringste Spur solcher Tendenzen aber hat sich je an einem dispermen Ei gezeigt. Vielmehr ist es eines der durchgreifendsten Ergebnisse meiner Untersuchungen, daß jede Larve, wenn sie nur überhaupt gesund genug ist, spätere Stadien zu erreichen, auch im stande ist, eine Symmetrieebene zu finden.

Also nicht eine Andeutung von dem, was man nach der Hypothese von DRIESCH erwarten sollte, macht sich bemerkbar, wohl aber etwas ganz anderes: die meisten dispermen Keime werden krank. Warum sollte Störung bei der Bilateralitätsbestimmung die Keime krank machen? Und überdies schon krank auf dem Blastulastadium, wo die Aufgabe, eine bilaterale Symmetrie zu gewinnen, noch gar nicht an den Keim herangetreten ist! Schon diese Tatsache allein, daß die dispermen Keime in ihrer großen Mehrzahl nicht zu gastrulieren vermögen, scheint mir zu genügen, um die Hypothese von DRIESCH auszuschließen.

Völlig unerklärt bleibt weiterhin bei der Annahme von DRIESCH das so äußerst charakteristische Faktum, daß die Dreier viel günstigere Entwickelungsaussichten besitzen als die Vierer; völlig unerklärt bleibt das Phänomen der partiellen Erkrankung; völlig unerklärt die verschiedenen Arten der Zellerkrankung. Und von der Tatsache, daß man durch Furchenunterdrückung in normalen Eiern die gleichen Erscheinungen hervorrufen kann, wie durch Dispermie, gibt die Hypothese gleichfalls keine Rechenschaft.

Daß DRIESCH trotzdem der Meinung ist, sein Erklärungsversuch verdiene vor dem meinigen methodologisch den Vorzug, dafür ist für ihn vor allem die Erwägung bestimmend, daß meine Theorie,

wie er sagt, etwas ,,völlig Unbekanntes, ad hoc Erfundenes" einführt. Ich glaube nicht, daß diese Charakterisierung zutreffend ist. Unter ,,ad hoc erfunden" versteht man eine Annahme, die lediglich gemacht wird, um ein einzelnes Faktum zu erklären, das einer bestimmten, vorgefaßten Anschauung widerspricht. Meine Hypothese der Verschieden wertigkeit der Chromosomen dagegen ist im Widerspruch zu einer von mir früher vertretenen Ueberzeugung entstanden, und sie ist nicht ausgedacht, um einen einzelnen isolierten Befund zu erklären, sondern sie ist die einzige mir möglich erscheinende Annahme, welche alle Tatsachen der dispermen Entwickelung einheitlich zu erklären vermag.

Wenn aber, wie DRIESCH weiter zu fordern scheint, niemals etwas bis dahin ,,Unbekanntes" eingeführt werden dürfte, so wüßte ich überhaupt nicht, wozu wissenschaftliche Arbeit führen sollte. Noch in einer anderen Form kehrt dieses Argument bei DRIESCH wieder, nämlich in den Worten (46, p. 627), daß für meine Annahme bei meinem Objekt „,gar nichts Sichtbares" spreche. Dieser Satz war schon, als er geschrieben wurde, nicht zutreffend und ist es heute noch weniger. Denn die Größen- und Gestaltverschiedenheiten der Echiniden-Chromosomen, in denen nach den Untersuchungen des Herrn F. BALTZER (vergl. p. 69) ganz ähnliche Gesetzmäßigkeiten nachweisbar sind, wie bei den Insekten, bieten wirklich alles dar, was man in diesem Fall an,,Sichtbarem" erwarten kann.

Was DRIESCH schließlich bei dem Satz im Auge gehabt haben mag, daß mein Erklärungsversuch ,,so viel des Neuen" einführe, ist mir unklar geblieben. Denn das Hauptcharakteristikum meiner Theorie der dispermen Entwickelung ist ja gerade dieses, daß sie mit einer einzigen Annahme eine nicht ganz geringe Mannigfaltigkeit von Erscheinungen zu erklären vermag.

Noch eine zweite Vermutung über die pathologische Wirkung der Doppelbefruchtung hat DRIESCH in seiner letzten Schrift (47) geäußert und durch ein Experiment zu prüfen versucht. Er schreibt darüber (p. 781):,,Nach R. S. LILLIE sind die sauer reagierenden Kerne negativ, die Protoplasmen positiv geladen. Das disperme Ei hat jedenfalls zu viel Kern: kommen hier chemo-elektrische Effekte in Frage? Es waren unter anderen solche Erwägungen, welche mich, auf Anraten meines Freundes HERBST, versuchen ließen, ob sich nicht etwa durch Zusatz von NaOH zum Seewasser disperme Eier zur Entwickelung bringen lassen möchten". Das Resultat war ein gänzlich negatives.

Auch diesen Gedankengang muß ich für verfehlt halten. Denn nach allem, was wir nunmehr über die Beziehungen von Kernmenge und Plasmamenge im Echinidenkeim wissen, hat es keinen Sinn, innerhalb der Grenzen, in denen sich die Dispermie hält, beim jungen Keim von zu viel oder zu wenig Kernsubstanz zu reden. Und auch ohne diese Erwägungen ist es jedenfalls unrichtig, ihm zu viel Kern zuzuschreiben. Denn schon die primären Blastomeren und somit auch alle ihre Abkömmlinge besitzen ja im Durchschnitt nicht mehr, sondern weniger Kernsubstanz als der normale Keim.

Alle diese Sätze von DRIESCH und manche anderen machen den Eindruck, daß dem Autor bei ihrer Abfassung die Tatsachen. der dispermen Entwickelung nicht genügend gegenwärtig waren. Und nur unter dieser Voraussetzung kann ich mir seine Meinung erklären, man werde ihm zugestehen müssen, daß er seine eigenen Anschauungen ebenso kritisch behandelt habe wie die meinigen. Höchstens im negativen Sinne ließe sich in dieser Behauptung eine gewisse Berechtigung finden. Denn das, was die Aufgabe des Kritikers gewesen wäre, die beiderseitigen Hypothesen mit allen Tatsachen der dispermen Entwickelung zusammenzuhalten, hat DRIESCH gar nicht unternommen.

Als ein weiterer Gegner der Verschieden wertigkeit der Chromosomen ist vor kurzem P. JENSEN (82) aufgetreten. Er führt (p. 81) zwei Punkte an, welche seiner Meinung nach ungezwungener zu einem Verständnis der Dispermieerscheinungen führen als meine eigenen ,,kunstvoll ersonnenen Erklärungsversuche". Der eine bezieht sich auf die Kernplasmarelation, deren Störung in dispermen Keimen ein ausreichender Grund für die von mir beschriebenen Abnormitäten sein könne. Ich habe diese Annahme oben (p. 198 ff.) so eingehend diskutiert und glaube sie so sicher als unhaltbar nachgewiesen zu haben, daß ich dem dort Gesagten um so weniger etwas hinzuzufügen habe, als JENSEN keinen Versuch gemacht hat, diesen Einwand irgendwie zu begründen. Was aber sein zweites Argument anlangt, es sei naheliegend, „daß die beiden Spermatozoen durch die Zweizahl ihrer Entwickelungstendenzen die gesamte Entwickelung in abnorme Bahnen leiten möchten", so ist mir nicht klar, wie JENSEN in diesem Satz einen Widerspruch gegen meine Anschauungen erblicken kann. Denn freilich ist es in irgend einen. Sinn „die Zweizahl der Entwickelungstendenzen", welche schädlich ist, nämlich nach meiner Theorie die Zweizahl der ins Ei eingeführten

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Centrosomen, die sich hier so weiterentwickeln, als ob jedes das einzige wäre. Was JENSEN an diesem meinen Erklärungsversuch als kunstvoll ersonnen" tadelt, kann, da die Theorie nur auf einer einzigen, überdies sehr einfachen Annahme ruht, offenbar nur dieses sein, daß ich versucht habe, mir alle Konsequenzen dieser Annahme klar zu machen und zu prüfen, ob die sich hierbei ergebenden Postulate durch die Tatsachen der dispermen Entwickelung bestätigt werden. Wer es, wie JENSEN, natürlich findet, daß die durch die Dispermie gesetzten abnormen Entwickelungsbedingungen noch nicht im einzelnen zu übersehen sind" (p. 81), wer also auf eine Erklärung der Tatsachen der dispermen Entwickelung verzichtet, der kann freilich auch auf jede Theorie verzichten.

Endlich hat vor kurzem C. RABL (104) meine Theorie nach seiner Meinung widerlegt und zwar, wie er sagt, mit Argumenten, die zum Teil meinen eigenen Arbeiten entnommen sind. RABL geht von der Voraussetzung aus, daß Ei- und Spermakern, wenn sie im Ei im Ruhezustand sich befinden - das wäre also für den Spermakern nach seiner Verschmelzung mit dem Eikern organbildende Substanzen ins Plasma abgeben. Im dispermen Ei finden sich drei ruhende Kerne, die allerdings fast stets in einem einzigen Kern, einem Trikaryon, vereinigt sind. Es sei nun, meint RABL, sehr wahrscheinlich, daß die von diesem Trikaryon ins Plasma übertretenden Substanzen hier anders verteilt werden als diejenigen, die von dem Amphikaryon des normalbefruchteten Eies ausgehen. Schneiden dann die ersten Furchen durch, so sei es wahrscheinlich, daß die 4 Blastomeren andere plasmatische Qualitäten erhalten als bei der normalen Furchung. So wäre also die Verschieden wertigkeit der Blastomeren des dispermen Eies leicht erklärt.

Diese Hypothese arbeitet mit zwei höchst unwahrscheinlichen, wenn nicht unmöglichen Annahmen, nämlich erstens mit der Voraussetzung, daß in der kurzen Zeit, während welcher der ruhende. erste Furchungskern besteht, von ihm organbildende Substanzen ins Eiplasma abgegeben werden, welche nicht etwa für die nächstfolgenden Entwickelungsvorgänge bestimmt wären, sondern erst nach vollendeter Blastulation zur Wirksamkeit kämen.

von hier an beginnen ja die dispermen Keime sich anders zu verhalten als die normal befruchteten. Könnte es einen ungeeigneteren Zeitpunkt geben, um solche für viel spätere Entwickelungsvorgänge

Boveri, Zellen-Studien VI.

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bestimmte Substanzen in gesetzmäßig verschiedener Weise im Keim zu verteilen, als vor der ersten Teilung der Eies, wo dann immer noch der ganz exakte Verlauf der Teilungsebene dazu gehört, um den normalen Effekt zu sichern?

Da RABL sich bei dieser Annahme auf mich selbst beruft, sei auf folgenden vor 15 Jahren von mir geschriebenen Passus (12, p. 468) hingewiesen.,,Wenn man es nach den Beziehungen, die wir zwischen Kern und Protoplasma annehmen müssen, begreiflich findet, daß der Kern der Ovocyte dem Zellkörper proportional heran wächst, so muß es um so auffallender erscheinen, daß der Eikern, der doch einer ebenso großen Zelle angehört, und desgleichen der erste Furchungskern, in den größten wie in den kleinsten Eiern die Dimensionen gewöhnlicher Zellkerne nicht überschreitet. ... Es scheint mir nun, daß dies so zu erklären sein dürfte, daß der Eikern und der nach der Befruchtung hergestellte erste Furchungskern gar keinen formativen Einfluß auf das Protoplasma auszuüben haben. Das gesamte zur Entwickelung, wenigtens zur ersten Entwickelung, notwendige Material ist vorhanden; nun handelt es sich zunächst um nichts anderes, als die erste Embryonalzelle in eine Anzahl gesetzmäßig angeordneter Zellen zu zerfällen. Dieser Vorgang, der Furchungsprozeß, scheint aber durch die Anordnung des Eimaterials allein vollkommen bestimmt zu sein; eine Direktion desselben von seiten. der Kerne deren Entbehrlichkeit übrigens damit keineswegs behauptet werden soll findet allem Anschein nach nicht statt 1). Erst wenn eine aktive Spezialisierung der Furchungszellen beginnt, müssen wir wieder engere Beziehungen zwischen Kern und Protoplasma voraussetzen; zu dieser Zeit aber sind die Furchungszellen schon so klein, daß die ihnen zugehörigen Kerne nun zur Menge des Protoplasmas in keinem Mißverhältnis mehr stehen." Diese Sätze zeigen, daß mein Widerspruch gegen die RABLschen Vorstellungen nicht erst von heute stammt.

1) (Anmerkung von 1892) Ich schließe dies vor allem aus folgender Tatsache. Der Furchungsprozeß eines Eies von Echinus ist von dem eines Eies des Sphaerechinus in bestimmten Charakteren unterschieden. Bastardiert man nun Sphaerechinus-Eier mit EchinusSamen, aus welcher Kreuzung sich stets eine Larvenform entwickelt, welche zwischen den beiden elterlichen genau die Mitte hält, so müßte, wenn schon die Furchung von seiten der Kerne beeinflußt würde, bereits hier eine Modifikation in der Richtung gegen die väterliche Art zu bemerken sein. Dies ist jedoch nicht der Fall.

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