Imagens das páginas
PDF
ePub

Protoplasma liefern muß, wenn die Zelle am Leben bleiben soll, so wäre, nur in noch vollkommenerer Weise, ein solcher Vorrat von nuklearen Stoffen im Plasma des reifen Eies zu denken. Schon das ungeheure Mißverhältnis zwischen der winzigen Kernmenge und der riesigen Plasmamenge des zur Entwickelung schreitenden Eies und die so deutliche Tendenz, die richtige Proportion so rasch und so genau wie möglich herzustellen und zu bewahren, schon diese Tatsachen lassen ja darauf schließen, daß die Kerne während der ersten Entwickelung noch gar nicht in spezifischer Weise an den Leistungen der Zellen teilzunehmen haben. Sie sind noch nicht produktiv, sondern nur rezeptiv tätig. Erst wenn durch die in der Furchung stattfindende gewaltige Vermehrung des Chromatins schließlich in jeder Zelle die richtige Relation zwischen Kern und Plasma erreicht ist, erst dann beginnt sich das typische Wechselverhältnis herzustellen 1).

Diese Erwägung läßt es uns also sehr wohl verstehen, daß die Erkrankung in der Regel mit demjenigen Punkt der Entwickelung zusammenfällt, wo die Zellen, nachdem ihre Vorfahren ununterbrochen von Teilung zu Teilung geeilt waren, zum erstenmal eine längere Ruheperiode durchmachen 2). Ja, wir dürfen hinzufügen, daß wir kaum auf andere Weise einsehen könnten, warum die Erkrankung gerade in der fertigen Blastula zum Ausbruch kommt. Denn welche speziellen „Anlagen" sollten es denn sein, deren Fehlen im genannten Zeitpunkt eine über dem Aequator gelegene Blastulazelle krank machen könnte, da doch diese Zellen in dieser Periode gar nichts Positives zu leisten haben?

Wenn wir im Bisherigen die Arbeitsteilung der Chromosomen dahin charakterisiert haben, daß das Zusammenwirken verschiedener Chromosomenarten für die generellen, zum Bestehen jeder Zelle in gleicher Weise aufzubringenden Leistungen notwendig sei, so ist damit nicht ausgeschlossen, daß es einzelne Chromosomen geben könnte, deren Fehlen das Leben der Zellen nicht beeinträchtigen, sondern sie nur zur Ausübung einer bestimmten Leistung unfähig machen würde. Bei Besprechung der Larven mit Skelettund Pigmentdefekt (p. 128) haben wir diese Frage schon diskutiert, mußten sie aber unentschieden lassen. Zu Gunsten der genannten Möglichkeit scheint mir die Erscheinung zu sprechen, daß sich bei

1) Diese Betrachtungen berühren sich eng mit den von R. HERTWIG über die Kernplasmarelation geäußerten Anschauungen, wie auch in gewisser Beziehung mit denjenigen C. RABLS (103). 2) Vergl. hierzu auch das auf p. 190 Gesagte.

manchen dispermen Larven, sowohl bei Dreiern wie Vierern, einzelne Drittel oder Viertel des Keimes in ihre Zellen auflösen, ohne daß diese Zellen die geringsten Anzeichen von Krankheit darböten. Hier muß wohl angenommen werden, daß es bestimmte Chromosomen gibt, welche für das Haften der Zellen aneinander nötig sind, sonst aber, wenigstens fürs erste, keine im Leben der einzelnen Zelle unersetzbare Bedeutung haben.

Mehr als das Gesagte wird sich aus den Versuchen kaum schließen lassen. Und wenn die gezogenen Schlüsse richtig sind, so läßt ihre Unbestimmtheit klar genug erkennen, wie verschwindend klein das Erreichte ist gegenüber den Aufgaben, die hier zu lösen wären. Weiteres Vordringen wird vor allem davon abhängen, ob sich Methoden finden lassen, durch welche abnorme Chromatinkombinationen in kontrollierbarer Weise herstellbar sind.

Es tritt hier noch die Frage auf, ob für eine Verschiedenwertigkeit der Chromosomen, die sich bei Echinodermen auf Grund ihrer unregelmäßigen Verteilung bei der Dispermie erschließen läßt, auch bei anderen Tieren Anzeichen experimenteller Art vorliegen. Mir ist nur eine einzige hierauf bezügliche Bemerkung bekannt, nämlich von O. HERTWIG (71) über mehrfach befruchtete Frosch-Eier. Leider ist diese Angabe, die nur nebenbei bei einer Erörterung über die Bedingungen der Entstehung von Doppelbildungen gemacht worden ist, sehr kurz gehalten. Es ist nicht gesagt, woran die Ueberfruchtung erkannt worden ist und in welcher Weise die erste Entwicklung verlaufen ist. Von großem Interesse aber ist, daß O. HERTWIG aus den fraglichen Eiern Embryonen gezüchtet hat, welche partiell normal und partiell pathologisch waren. Auch in den pathologischen Bezirken hat er Kerne und abgegrenzte Zellen nachweisen können; in der Hauptsache aber trugen diese Bezirke die deutlichen Anzeichen des Zerfalls zur Schau. In einigen Fällen hat O. HERTWIG gefunden, daß der entwickelungsfähige Rest des Keimes, der oft nur die Hälfte oder ein Drittel des Ganzen beträgt, sich zur Gastrula einstülpt und sogar eine Nervenplatte und Chorda entwickelt. So entstehen, wie er schreibt, Teilbildungen, die in mancher Beziehung mit denen übereinstimmen, die Roux durch vollständige oder partielle Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln hervorgerufen hat.

O. HERTWIG ist geneigt, diese partiell-pathologische Entwickelung so zu erklären, daß das Ei, das mehrere Spermien in sich aufnimmt, vorher schon geschädigt war. Je nach dem Grad dieser

Schädigung würde ein größerer oder geringerer Bereich des Keims pathologisch werden. Nach meinen Ergebnissen an dispermen Echiniden-Eiern wird diese Deutung kaum aufrecht zu erhalten sein; auch ist schwer einzusehen, wie eine Schädigung des Eies so streng lokalisiert sein sollte, daß jener scharfe Gegensatz normaler und pathologischer Bezirke entstehen kann. Erinnern wir uns, daß auch bei den dispermen Echinidenkeimen, bei denen ja eine vor der Befruchtung vorhandene Schädigung als ausgeschlossen gelten kann, sehr häufig einzelne Drittel oder Viertel zu normaler Entwickelung befähigt sind, andere nicht, so wird man es als sehr wahrscheinlich bezeichnen dürfen, daß der gleichen Erscheinung im Frosch-Ei die gleiche Ursache zu Grunde liegt wie dort.

Wie ich oben die Meinung zurückgewiesen habe, daß unser Ergebnis dadurch auf seine Richtigkeit geprüft werden könne, ob es mit gewissen heute üblichen Vorstellungen über Vererbung in Einklang stehe, so würde ich es auch umgekehrt für unzulässig halten, unsere Resultate zum Maßstabe für Vererbungstheorien zu machen. Je unabhängiger beide Gebiete gepflegt werden, um so ersprießlicher wird es sein. Etwas anderes aber ist es, wenn sich ganz ungesucht Beziehungen zwischen ihnen ergeben, wie dies bekanntlich anläßlich der Wiederentdeckung des MENDELschen Gesetzes der Fall gewesen ist. CORRENS (35) hat neuerdings darauf aufmerksam gemacht, daß er der erste gewesen ist, der an Beziehungen zwischen der MENDELSchen Spaltungsregel und den Vorgängen bei der Chromatinreduktion gedacht hat (34). Dabei war ihm jedoch die Schwierigkeit nicht entgangen, die darin lag, daß damals alle Chromosomen eines Kernes als essentiell gleichwertig galten und also jedes Merkmal als in jedem Chromosoma vorhanden angenommen werden mußte. Unter dieser Annahme aber läßt sich die MENDELSche Regel nicht verstehen. Erst das Ergebnis MONTGOMERYS, daß die Chromosomen eines jeden Vorkerns morphologisch verschieden sind, daß jedem Chromosoma des einen Vorkerns ein ihm homologes im anderen gegenübersteht und daß zum Zwecke der Reduktion die homologen Elemente kopulieren, erst dieses Resultat und die ganz gleiche Annahme, zu der ich, damals mit MONTGOMERYS Arbeit noch unbekannt, durch meine Versuche geführt worden war, brachten, wie ich schon in meiner ersten Mitteilung (22) angedeutet habe, genau das, was die MENDELSCchen Tatsachen forderten. Diese Beziehungen sind

ja seither so vielfach 1) und eingehend dargestellt worden, daß ich hier nichts weiter darüber zu sagen brauche.

Im Vorstehenden haben wir nur dasjenige betrachtet, was sich aus den Dispermie-Versuchen hinsichtlich der Verschiedenwertigkeit der Chromosomen ableiten läßt; die Versuche haben uns aber noch eine andere Erscheinung kennen gelehrt, die mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Chromosomen zu beziehen ist, ohne jedoch mit unseren bisherigen Ergebnissen notwendig zusammenzuhängen. Es ist dies die Tatsache, daß gesunde disperme Plutei nicht selten einen mosaikartigen Charakter darbieten, als wären sie aus Stücken zusammengesetzt, die von verschiedenen Individuen genommen sind. Sowohl im Typus des Skeletts, als auch in den Skelett- und Pigmentdefekten kommt diese Erscheinung zum Ausdruck (Taf. IV und V). Die Zustände erinnern an jene merkwürdigen Pfropfungen, von denen BORN, HARRISON u. a. so schöne Beispiele geliefert haben. Allein die Entstehung unserer Abnormität ist eine fundamental andere. Bei der Pfropfung ist die Grenze, an der zwei ungleiche Organisationstypen aneinanderstoßen, eine wirkliche Grenzfläche zwischen vollständig verschiedenem, aus zwei Keimen entnommenem Material. Bei unseren Versuchen dagegen sind die einzelnen Larvenbezirke alle aus dem gleichen Eiprotoplasma entstanden, und ihre Verschiedenheit kann also nur darauf beruhen, daß etwas zum Eiplasma Gegensätzliches, das bei der normalen Entwickelung in identischer Weise auf alle Blastomeren übergeht, in unseren dispermen Keimen ungleich auf die ersten Furchungszellen verteilt wird.

Es ist oben (Kapitel H, Abschnitt V und VI) dargelegt worden, daß dieser Forderung kaum etwas anderes entsprechen kann, als die Chromosomen, und daß diese ihr genügen, gleichviel, ob die Anlagen, um die es sich dabei handelt, nur je an ein Chromosoma gebunden sind oder an alle. Hängt z. B. der Skelettypus von einem Chromosoma eines jeden Vorkerns ab, ist also der Typus des Skeletts in der monospermen Larve als ein Kompromiß zwischen den Wirkungen zweier in allen Larventeilen vertretenen Chromosomen anzusehen, so ist ohne weiteres einleuchtend, daß die disperme Dreierlarve, welche in jedem Drittel eine andere

1) Vergl. SUTTON (122), DE VRIES (127), BOVERI (25, 26), HÄCKER (59), STRASBURGER (119), H. E. ZIEGLER (133), C. HEIDER (60).

Kombination von „Skelettchromosomen" besitzt, in ihren einzelnen Bezirken ebenso verschiedene Skelettypen darbieten kann, wie sonst zwei verschiedene Individuen. Wird aber der Skelettypus durch die Kombination aller Chromosomen bestimmt, so ist ja auch diese Kombination in jedem Bezirk des dispermen Keimes eine andere, so daß sich auch daraus eine mosaikartige Zusammenfügung verschiedener Typen ergeben müßte.

[ocr errors]

So führen uns also diese Tatsachen abermals auf das Vererbungsproblem und speziell zu jener so viel umstrittenen Lehre, welche den Chromosomen eine einzigartige Rolle bei der Vererbung zuschreibt. Liest man die sich bekämpfenden Meinungen, die hierüber geäußert worden sind, so möchte man zunächst an unüberbrückbare Gegensätze denken. Sieht man aber genauer zu, so findet man, wie so oft, daß es mehr die Worte sind, um die gestritten wird, als die Sachen. Ich habe mich an zwei Stellen (23, 26) über den Begriff des Vererbungsträgers" ausgesprochen und kann mich daher hier auf eine kurze Bemerkung beschränken. Wenn unter der Vererbungsfrage die Frage verstanden wird, welche im Ei gegebenen Faktoren zusammenwirken müssen, damit ein neues Individuum von gleicher Art entsteht wie das elterliche, so ist es selbstverständlich, daß diese Faktoren jedenfalls zum einen Teil im Protoplasma liegen. Allein die Frage, um die es sich bei jener Diskussion über die Bedeutung der Chromosomen bei der Vererbung stets gehandelt hat, ist diese: wie ist es zu erklären, daß trotz des ungeheuren Uebergewichtes, welches das Ei im protoplasmatischen Anteil der Vererbungsfaktoren besitzt, das neue Individuum doch dem Vater ganz ebenso ähnlich sein kann wie der Mutter? Oder konkreter: warum ist, obgleich die Bedingungen zur Skelettbildung der Echinidenlarve sicher zum großen Teil im Eiplasma liegen, das fertige Pluteusskelett in seinem Typus ebenso stark vom Spermium beeinflußbar als vom Ei? Dieses Moment der spezifischen Uebereinstimmung mit den beiden Eltern ist es, das man im engeren Sinn als Vererbungsproblem bezeichnet hat, und nur in diesem Sinn geschieht es, wenn heutzutage eine vererbende Kraft dem Eiplasma abgesprochen und ausschließlich auf den Kern und speziell die Chromosomen beschränkt wird.

Was für diese Anschauung an allgemeinen Argumenten angeführt werden kann, ist oft genug dargelegt worden. Auch in dieser Frage aber kann nur das Experiment die Entscheidung bringen. Bisher sind zwei Wege zu solcher experimentellen Prüfung be

« AnteriorContinuar »